Mittwoch, 2. Juli 2008

Gefährliche Gesetzgebung: Konservative EU-Abgeordnete treiben totale Internetüberwachung voran

Und die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sind anscheinend begeistert von den EU-Plänen, weil so auch gegen Verletzung von Urheberrechten im Internet massivst vorgegangen werden könnte. Aus dem gleichen Grund werden wohl auch die meisten privaten Medien über das, was gerade auf EU-Ebene geplant wird, nicht berichten.

Das Kartell aus Wirtschaft, großen Teilen der Politik und großen Teilen der Medien schlägt gerade unbemerkt vom Bürger und Wähler zu und arbeitet daran, die freie Kommunikation übers Internet in der EU abzuschaffen.

Klingt nach Verschwörungstheorie?

Dann bitte einfach die Berichterstattung bei Heise.de verfolgen. Dort wird zumindest noch berichtet.

Ausschnitt:

Bürgerrechtsorganisationen warnen die Abgeordneten des Europaparlaments vor der Verabschiedung bestimmter Änderungsvorschläge konservativer Abgeordneter für das Telekommunikations-Gesetzespaket, das die EU-Kommission im November vergangenen Jahres vorgestellt hatte. Die entscheidende Abstimmung findet am 7. Juli im federführenden Industrie-Ausschuss (ITRE) des Europaparlaments statt, danach erfolgen noch Abstimmungen im Binnenmarkt-Ausschuss (IMCO). Die Bürgerrechtler zeigen sich vor allem beunruhigt von einer Reihe von Änderungsanträgen seitens britischer Konservativer, die in jüngster Zeit in Umlauf gebracht wurden. Diese wollen die Nutzung "illegaler Inhalte" über ein staatlich lizenziertes Überwachungssystem verhindern. (Quelle: Heise.de)

Dieses Überwachungssystem soll unter anderem darin bestehen, dass Filter der Regierungen bei den Internetprovidern installiert werden und jeglichen Internetdatenverkehr durchleuchten und auf seine "Rechtmäßigkeit" hin bewerten. Internetnutzern, die "unrechtmäßige" Inhalte übers Internet verbreiten, soll der Internetzugang gekappt werden.

Mehr dazu auch in diesem Heise.de-Artikel.

Das werden die anderen EU-Abgeordneten nicht durchgehen lassen? Das erscheint mir leider nicht als sicher, weil die vormals harmlose Gesetzesinitiative trickreich mit ganzen 800 gefährlichen Änderungsvorschlägen aufgeblasen wurde, so dass den anderen EU-Abgeordneten vermutlich gar nicht klar ist, worüber sie da abstimmen.

Auch hier zeigt sich mal wieder wie schon so oft bei Gesetzesinitiativen, die eine Verschärfung der Überwachung zum Inhalt haben, dass der Gesetzgebungsprozess möglichst konfus gestaltet wird, um mit allerlei Tricks zu verheimlichen, was da eigentlich gesetzgeberisch auf den Weg gebracht wird. Man erinnere sich beispielsweise an die Verarschung der Bürger durch die Bundestagsabgeordneten von Union und SPD in Bezug auf die Vorratsdatenspeicherung. Hier wurde von Union und SPD behauptet, man könne ja leider die Verabschiedung der Vorratsdatenspeicherung nicht verhindern... Oder an das Gesetz, das eine Ausweitung der Speicherfristen öffentlicher Überwachungskameras ermöglichte. Auch hier verarschten Union und SPD die Bürger und den Rest des Parlaments, indem sie die Gesetzesänderung klammheimlich an eine andere Gesetzesinitiative anhefteten, um so eine öffentliche Diskussion darüber zu verhindern.

Überwachung ist nicht populär. Deshalb müssen die Gesetzesinitiativen für mehr Überwachung und weniger Bürgerrechte immer möglichst ohne große öffentliche Diskussion über die Bühne gehen. Schäuble benennt solch eine eigentlich selbstverständliche, öffentliche Diskussion seiner Späh-Pläne dann gerne als "Verunsicherung" der Bürger.

Dieses Mal könnte es wirklich noch besser als früher klappen mit der Nicht-Öffentlichkeit der Gesetzesinitiativen. Denn vermutlich unterstützen auch Lobbyisten der Medien die geplante EU-weite Internetüberwachung aus Eigennutz. Meinen sie doch, dass dadurch Urheberrechtsverstöße unterbunden werden könnten, die sie als Urheberrechteverwerter schädigen.

Wer selbst mehr Öffentlichkeit herstellen will, kann dies versuchen, indem er die Abgeordneten direkt anschreibt. So erreicht man wenigstens die Abgeordneten, denen Demokratie und Meinungsfreiheit noch etwas wert sind und die ansonsten von dem Gesetzesinitiativ-Monster rund um die geplante Internetüberwachung unbedarfterweise hinters Licht geführt würden. Bürgerrechttler haben ein Wiki erstellt, in dem man Tipps und Adressen und Hinweise bekommt, wie man aktiv werden kann, wie man beispielsweise die EU-Abgeordneten warnen kann vor dem Gesetz, dass ihnen am 7. Juli zur Abstimmung vorgelegt werden soll.

Das wirklich Schlimme ist jedoch, dass es überhaupt so weit kommt. Dass also Abgeordnete aus europäischen Demokratien Gesetzesinitiativen vorantreiben, die die faktische Abschaffung der Meinungs- und Zensurfreiheit im Internet bedeuten. Dies wirft ein Schlaglicht auf den labilen Zustand der Demokratien in Europa. Die Feinde der Demokratie sitzen also teilweise - und nicht zu einem unerheblichen Teil - in den Parlamenten selbst. Diese Gesetzesinitiative auf EU-Ebene ist somit ein deutliches Zeichen dafür, dass das System der repräsentativen Demokratie sehr anfällig ist dafür, die demokratische Mitbestimmung der Bürger immer weiter zu minimieren. Denn natürlich ist die Implementierung umfassender Regierungs-Internetfilter, die als "unrechtmäßig" eingestufte Inhalte blockieren sollen, eine extreme Einschüchterungsmaßnahme in Richtung der Bürger.

Nachtrag: Weitere Quellen, die über die EU-Pläne berichten und/oder sie kommentieren:

Netzpolitik.org: Mitmachen: Europaweite Aktion gegen das Telekom-Paket

Ausschnitt:
Das Telekom-Paket wird bisher weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit diskutiert und steht kurz vor der Abstimmung. Wie das immer so ist, haben einflussreiche Lobbyisten über nahe Abgeordnete einige gefährliche Änderungseinträge eingebracht, die vor allem die Freiheit und Offenheit des Internets gefährden (Netzneutralität) und gefährliche Ideen wie Internetsperrungen und mehr Überwachung des Internets über die Hintertür einbauen. In einer gemeinsamen EU-weiten Aktion wollen wir viele Bürger mobilisieren, um bei den Abgeordneten für ein offene Internet zu werben. [...]

Diese Maßnahmen gehen noch weiter als die französischen "graduated response"-Pläne, die auf breite Ablehnung gestoßen war, auch am 10. April im Europäischen Parlament. Aus diesem Grund sind die jüngsten Änderungsvorschläge jetzt, Anfang Juli, wieder auf die Tagesordnung gebracht worden, und die Verfasser verwenden subtile Rhetorik und Querverweise, um den Text schwieriger verständlich zu machen (es werden mehr als 800 Änderungsvorschläge für fünf Richtlinen eingebracht).

"Die Politiker, die sich an diesen Sommermanövern beteiligen, zeigen ihre Missachtung für Europa und ihr Mandat. Sie vertrauen darauf, dass eine Woche vor der Sommerpause schon niemand hinschauen wird, wenn sie das Telekommunikations-Gesetzespaket von seinem ursprünglichen Ziel Konsumentenschutz abbringen. [...]" (Quelle: Netzpolitik.org)


Futurezone.ORF.at: EU-Pläne bedrohen das freie Internet

Ausschnitt:
In einer konzertierten Aktion wollen internationale Medienkonzerne und ihnen nahestehende Abgeordnete noch im Laufe dieses Sommers dafür sorgen, dass das Internet in der EU gefiltert werden kann. [...] Wie eine detaillierte Untersuchung der Politikwissenschaftlerin Monica Horten von der Universität Westminster zeigt, will eine Koalition aus Lobbyisten der US-amerikanischen und französischen Medienindustrie über ihr nahestehende EU-Abgeordnete zahlreiche subtile Änderungen in die umfangreichen Texte der betroffenen fünf Richtlinien einfließen lassen. [...] Der gesamte Datenverkehr im Netz soll systematisch und vollautomatisch überwacht werden. (Quelle: Futurezone.ORF.at)


Handelsblatt-Blog "Indiskretion Ehrensache": Big Brother EU

Ausschnitt:
Stellen Sie sich vor, Sie arbeiten bei einem Fernsehsender. Und sie haben die Idee für eine wunderbare neue Sendung. Aber die dürfen Sie nicht einfach so zeigen: Erst muss die EU diese genehmigen. [...]

Irrwitzig? Big Brother? Undemokratische Triebe? Völlig undenkbar? Dann kennen Sie die EU nicht gut genug. [...]

Die EU aber will das Thema schnell noch eben durchs Sommerloch peitschen, auf dass niemand es merke. (Quelle: Blog.Handelsblatt.de/Indiskretion)


Welt-Online-Debatte (Don Dahlmann): EU schafft die Netzneutralität ab

Ausschnitt:
Der Provider soll [...] mit in die Verantwortung gezogen werden. Er soll quasi den Datenverkehr per Software abhören und gegebenfalls einschreiten, sollte es zum Beispiel zu einer Copyright Verletzung kommt. Das würde letztlich bedeuten, dass der Provider Filter einsetzen muss, und bestimmte Webseiten gesperrt werden und das er jeden einzelnen Internetuser scharf überwacht. [...]

Da sich die Medien immer noch nicht daran gewöhnt haben, dass große Teile der Politik nicht mehr in Landeshaupstädten gemacht wird, rauscht auch diese Sache an den meisten Leuten vorbei. (Quelle: Debatte.Welt.de)


Ravenhorst: EU-Mafia macht Ernst mit Kontrolle, Regulierung und Überwachung des Internets

Ausschnitt:
Die im Hintergrund von den Lobbies der Medien-Industrie angestoßenen Mechanismen werden in ähnlicher Form seit den 90er Jahren immer wieder gepusht. Auch die Rolle des Internet-Zugangsproviders als Hilfs-Sheriff der Urheberrechte-Verwalter, der Medien-Industrie und des Überwachungsstaates wird von den genannten Kreisen herbeigesehnt und vorangetrieben, seit es mit dem Internet steil bergauf ging.

Neu ist aber, dass nun diese Pläne konkret umgesetzt werden sollen und das auf höchster EU-Ebene, um sie dann wieder auf die nationale Ebene zurückschlagen zu lassen. [...] Für jeden ist etwas dabei, nur nicht für den Kunden und Internetnutzer. (Quelle: Blog.Kairaven.de)


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