Freitag, 24. August 2007

Die Angst des Fernsehens vor den Computerspielen

(Via Das Alte Europa; sorry, ich muss doch drauf eingehen...) Huch, da issa wieder, der halbjährliche Panikruf des Fernsehens im Angesicht seines größten Konkurrenten beim Kampf um die Aufmerksamkeit des Publikums. Die Computerspielmesse in Leipzig boomt und das Fernsehen kriegt das Zittern. Da muss gegengesteuert werden. Und wie immer dabei, Kriminologe Christian Pfeiffer. Platz der Aufführung des hysterischen Theaterstücks darf auch dieses Mal wieder die berühmt, berüchtigte ZDF-Sendung "Frontal 21" sein, in der Pfeiffer letzten Dienstag wie folgt zitiert wurde:

In Verbindung mit anderen Belastungsfaktoren - prügelndes Elternhaus, mobbende Mitschüler, dass man Außenseiter wird, dass man nicht selbstbewusst mitten im Leben steht - bedeuten Computerspiele das Aufzeigen einer Handlungsalternative, die einem sonst gar nicht in den Sinn käme. Man wird durch das aktive Spielen ein Stück näher gerückt an selber Gewalt aktiv Einsetzen. (Quelle: ZDF.de)


Verstehe ich das richtig, dass ein prügelndes Elternhaus und mobbende Mitschüler nicht ausreichen, um das Opfer zu motivieren, eventuell zurückzuschlagen? Bedarf es für diesen Schritt erst noch eines Computerspiels? Käme ein solcherart gequältes Kind tatsächlich erst durch ein Computerspiel darauf, eventuell selbst aggressiv zu werden? Na, wie gut, dass man die Computerspiele einfach verbieten kann. Dann richten prügelnde Elternhäuser und mobbende Mitschüler ja keinen Schaden mehr an. Denn der größte Schaden wäre wohl, wenn das Opfer anfangen würde, sich zu wehren. Oder wie?

Auch auf den Gedanken, dass es zwar Menschen gibt, die Computerspiele dazu nutzen, um vor Problemen zu fliehen, dass aber im Umkehrschluss damit nicht gesagt ist, dass jeder Computerspieler Probleme hat, - auch auf diesen Gedanken kommt Frontal 21 nicht. Wäre wohl auch etwas zu viel verlangt.

Aber Frontal 21 hat noch einen Pfeil im Köcher, und zwar die kritischen Anmerkungen von Schulpsychologe und Medienforscher Dr. Werner Hopf:

Der Schulpsychologe und Medienforscher Dr. Werner Hopf, der an der Studie mitarbeitete, erläutert: "Die Jugendlichen vor allem im Kindesalter, im Grundschulalter, geben an, dass sie beim Anschauen von Horrorfilmen, dass sie später beim Spielen von Computergewaltspielen wie 'Doom' oder 'Half-life' starke Hassgefühle erleben. Und diese starken Hassgefühle werden über die Jahre hinweg konditioniert, festgefügt als eine Charaktereigenschaft, eine Haltung, die die Jugendlichen weiter in ihrem Verhalten prägt". (Quelle: ZDF.de)


Gegen diese Aussagen von Hopf ist nichts einzuwenden. Die Politiker und manche Medienfuzzis jedoch übersehen dabei, dass Hopf hier von jungen Kindern spricht. Und die sollten und dürfen auch heute schon nicht diese Computerspiele spielen, die Hopf da nennt. Aber würde man diese Tatsache herausstellen, bliebe den Politikern ja nur noch übrig, sich um die wirklichen Ursachen von Problemen von Kindern und Jugendlichen zu kümmern, statt die gesetzlichen Regelungen rund um Computerspiele zu verschärfen und das als Lösung aller Probleme zu verkaufen.

Und wie nennt man diese Art der Berichterstattung über Computerspiele? Richtig. Propaganda.

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Terrorschweine

Früher beschränkten sich die Bekloppten der Welt darauf, Vandalismus gegen Telefonzellen, Autoreifen, Bushaltehäuschen und dergleichen einfach ohne jeglichen Sinn und Grund zu begehen. Vermutlich einfach aus einer perversen Freude am Zerstören heraus. Neuerdings jedoch "adeln" manche dieser Bekloppten ihre bescheuerten Sachbeschädigungen durch das Hinterlassen von ominösen Bekennerschreiben am Tatort. Dieses Phänomen scheint derzeit vor allem in Berlin regelrecht Mode zu sein, wie man zahlreichen Pressemeldungen der Berliner Polizei fast täglich entnehmen kann. Und wegen dieser seltsamen Bekennerschreiben übernimmt bei solchen Vorfällen, die wohl früher einfach als ärgerlicher aber dennoch (in Bezug auf die Gefährdung von Menschen) weitgehend harmloser Vandalismus eingeordnet worden wären, immer häufiger der Berliner Staatsschutz die Ermittlungen.

So hatte es mich gerade überrascht, dass der inzwischen schon geläufige Satz "Der Staatsschutz hat die Ermittlungen übernommen" bei dieser Pressemitteilung der Berliner Polizei fehlte: Passantin von Wildschweinen angegriffen.

Also ich finde das Verhalten dieser Wildschweine höchst bedenklich. Die Polizei könnte außerdem ein wesentliches Merkmal des Überfalls übersehen haben: das Bekennergrunzen der Schweine bei ihren tätlichen Angriffen! Und könnten die Wildschweine nicht eventuell von linksextremistischen Terroristen trainiert worden sein? Den Schweinen ist doch alles zuzutrauen, also den Wildschweinen meine ich - und den Terroristen aber natürlich auch.

Von Terroristen trainiert, um als lebende Waffe in die Wohnviertel reicher Bürger einzudringen! In Berlin gilt schließlich jeder bereits als reich und damit als Angehöriger der von den Linken verhassten bürgerlichen Klasse, der ein Auto fährt, das nicht älter als circa 25 Jahre ist und der in der Nähe seiner Wohnung etwas Natur hat, in der sich Wildschweine verstecken können. Eine perfekte Waffe also, diese Wildschweine. Und ein perfider Plan. Eine Google-Suche nach schweinischen Inhalten im Internet müsste doch eigentlich Hinweise liefern auf mögliche Anstifter!!1!

Vielleicht sehe ich aber auch nur Gespenster. Woher das nur kommt?

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ARD-Morgenmagazin kritisch zu "Innere Sicherheit"

Das ARD-Morgenmagazin beschäftigte sich diese Woche ausführlicher mit dem Thema "Innere Sicherheit". Und das durchaus kritisch gegenüber den Tönen aus der Politik und gegenüber den Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden beispielsweise gegenüber G8-Gipfel-Gegnern.

Heute ist die Reporterin des Morgenmagazins zu Gast in Berlin bei Einrichtungen, die vor dem G8-Gipfel vom BKA durchsucht wurden.

Die einzelnen kurzen Reportagen zu dem Thema "Innere Sicherheit" können auch online angeschaut werden.

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Donnerstag, 23. August 2007

Fastfood ist gefährlicher als Terrorismus

Das meine ich ernst. Zumindest wenn man das ganze kühl betrachtet und sich schlicht die Opferzahlen anschaut. Denn wieviele Leute sind in Deutschland oder auch in den USA in diesem Jahr oder davor durch die Folgen eines Terroranschlags getötet worden? Wieviele starben jedoch auf dem Weg zu einem Fastfood-Restaurant, weil sie die Treppe herunterfielen oder als Autofahrer, Radfahrer oder Fußgänger in einen tödlichen Unfall verwickelt wurden? Wieviele durch eine unerwartete allergische Reaktion auf irgendeinen Nahrungsmittelzusatz? Wieviele verschluckten sich und erstickten an ihrem Fastfood? Wieviele sterben frühzeitig durch ständiges Essen von Fastfood und ihr dadurch bedingtes Dicksein?

Wann also schreitet die Bundesanwaltschaft ein und lässt endlich alle Fastfood-Restaurant-Betreiber verhaften?

Mehr über die völlig aus den Fugen geratene Wahrnehmung von Gefahren und Risiken in unserer modernen Welt und in unserer modernen Gesellschaft in einem Artikel bei Time.com: How Americans Are Living Dangerously.

Auszug:

Shadowed by peril as we are, you would think we'd get pretty good at distinguishing the risks likeliest to do us in from the ones that are statistical long shots. But you would be wrong. We agonize over avian flu, which to date has killed precisely no one in the U.S., but have to be cajoled into getting vaccinated for the common flu, which contributes to the deaths of 36,000 Americans each year. We wring our hands over the mad cow pathogen that might be (but almost certainly isn't) in our hamburger and worry far less about the cholesterol that contributes to the heart disease that kills 700,000 of us annually.

We pride ourselves on being the only species that understands the concept of risk, yet we have a confounding habit of worrying about mere possibilities while ignoring probabilities, building barricades against perceived dangers while leaving ourselves exposed to real ones. Six Muslims traveling from a religious conference were thrown off a plane last week in Minneapolis, Minn., even as unscreened cargo continues to stream into ports on both coasts. (Quelle: Time.com)


Die Erkenntnisse der sogenannten Entscheidungspsychologie, die sich mit den Tücken der menschlichen Wahrnehmung von Chancen und Risiken beschäftigt, sind auch bei dem Sicherheitsexperten Bruce Schneier ein häufiges Thema. Siehe dazu beispielsweise diesen lesenswerten Artikel von ihm: Perceived Risk vs. Actual Risk.

Aus der Perspektive der Entscheidungspsychologie muss man wohl sagen: Viele der Maßnahmen der Sicherheitsbehörden und wohl auch viele Vorschläge unserer Politiker beim Thema "Innere Sicherheit" würden einer kühlen Kosten-Nutzen-Abwägung kaum standhalten.

Ältere Einträge zur Entscheidungspsychologie hier bei "Schieflage":Technorati-Tags: ,

Stasi-Methoden der Bundesanwaltschaft

Ich habe mich bislang zurückgehalten, über die Inhaftierung von dem Soziologen Dr. Andrej H. wegen Anklage durch die Bundesanwaltschaft mehr zu schreiben. Aus dem einfachen Grund, weil ich bislang einfach nicht glauben konnte und wollte, dass die Bundesanwaltschaft nicht insgeheim doch noch gravierende Beschuldigungen und Indizien, gar Beweise für die mögliche Schuld von Andrej H. vorbringen würde. Vielleicht wollte oder konnte sie diese Beweise bislang nicht vorbringen, um die laufenden Ermittlungen nicht zu gefährden. Das dachte ich bislang in meiner Naivität tatsächlich. Aber nun hat die Anwältin von Andrej H. anscheinend Einblick nehmen können in die Akten der Bundesanwaltschaft, wie Zeit.de und Taz.de berichten - und das Ergebnis ist niederschmetternd.

Niederschmetternd für die Bundesanwaltschaft und für den Rechtsstaat Deutschland und die Sicherheit der deutschen Bürger.

Es scheint nun sogar so zu sein, dass die bislang hanebüchenen Anklagepunkte der Bundesanwaltschaft gegen Andrej H. sogar vor dem zuständigen Ermittlungsrichter noch aufgebauscht worden waren, um Andrej H., verheiratet und Vater von drei kleinen Kindern mit fester Arbeitsstelle, sofort festnehmen zu lassen. Noch mehr: Unter Terrorverdacht festnehmen zu lassen, was zum Beispiel auch bedeutet: Einzelhaft und strenge Überwachung seiner Kommunikation mit der Außenwelt.

Was war geschehen? Gab es Terroranschläge mit Todesfolgen? Musste die Bundesanwaltschaft unter einem erheblichen Druck der Öffentlichkeit gemeingefährliche Taten aufklären? Mitnichten. Die neben Andrej H. Angeklagten werden vor allem der Brandstiftung beschuldigt. Brandstiftungen, bei denen bisher glücklicherweise niemand zu Schaden kam und nur Sachschäden entstanden.

Und laut Anklage der Bundesanwaltschaft soll Andrej H. ja noch nicht einmal aktiv mitgemacht haben bei der Ausführung dieser Brandstiftungen. Sein Vergehen scheint es zu sein, sich allem Anschein nach einmal mit einigen der anderen Angeklagten an einem öffentlichen Ort getroffen zu haben und ansonsten öffentlich (im Internet) Wörter verwendet zu haben, die die anderen vermeintlichen Terroristen der "Militanten Gruppe" auch in ihren Bekennerschreiben benutzt haben, welche sie an den Orten ihrer bekloppten Brandstiftungen hinterlassen hatten.

Wörter! Einzelne Begriffe! Andrej H., der Doktor der Soziologie, hatte diese Wörter (namentlich "Gentrifizierung" und "Prekarisierung") im Kontext wissenschaftlicher Theorien verwendet, in denen diese Wörter zudem ganz normal von vielen Experten verwendet werden. Andrej H. schrieb also keine Hetzschriften, Aufrufe zu Gewalt, Beleidigungen, Volksverhetzungen oder lieferte irgendwelche für Terroranschläge geeignete Theoriegebäude. Nichts dergleichen, so scheint es.

Wer jetzt nicht die Fassung verliert, der ist entweder gerade nicht wach, zu beschäftigt mit anderen Problemen oder zu unsensibel, um sich die Auswirkungen einer derartigen Vorgehensweise unseres Staates gegen allem Anschein nach unbescholtene Bürger auch nur ansatzweise auszumalen.

Denn das Vorgehen der Bundesanwaltschaft gegen Dr. Andrej H. hat nicht nur für ihn selbst schlimme Folgen, sondern für uns alle.

Wenn auf derart überzogene Art und Weise Leute in Deutschland sofort unter Terror-Verdacht in die Isolationshaft wandern können - und vor allem zuvor über Monate intensiv belauscht und jeder Schritt von ihnen beobachtet werden kann - dann unterscheidet sich dieser Staat in einem wesentlichen Punkt tatsächlich nicht mehr von der ehemaligen DDR.

Der Vorfall rund um Dr. Andrej H. zeigt, dass der Staat bereits jetzt zu unkontrolliert und zu locker Bürgerrechte beschneiden darf. Das Gerede der Politiker, dass noch mehr Befugnisse für die Strafverfolgungsbehörden nötig seien in Form der Vorratsdatenspeicherung, der Online-Durchsuchung oder neuer Polizeigesetze, wie aktuell in Baden-Württemberg, ist ein absoluter Skandal. Im Gegenteil: Weniger Überwachungsbefugnisse und weniger Daten in den Händen der Strafverfolgungsbehörden sind nötig oder umgekehrt eine viel stärkere, unabhängige Kontrolle des Umganges der Strafverfolgungsbehörden mit diesen Daten.

Vor allem der Terrorparagraph 129 gehört abgeschafft. Das fordert auch der Doktorvater von Andrej H., Professor Häußermann, in einem lesenswerten Interview mit Zeit.de

Viele Wissenschaftler sind entsetzt über das Vorgehen der Bundesanwaltschaft. Auch international fragt man sich, was derzeit hier in Deutschland abgeht, beispielsweise in diesem Bericht im englischen Guardian oder in diesem Kommentar des berühmten englischen Soziologen Richard Sennett.

Auch dass Andrej H. nun noch vor dem Haftprüfungstermin vorläufig wieder aus der Haft entlassen wurde, macht die Sache keinen Deut besser. Die monatelange Überwachung kann das nicht rückgängig machen. Und die unbelehrbare Bundesanwaltschaft hat bereits Beschwerde gegen die Entlassung von Andrej H. auf Kaution eingelegt.

Die deutschen Medien halten sich weiterhin auffallend "vornehm" zurück bei etwaiger Kritik am Vorgehen des BKA und der Bundesanwaltschaft. Wieder ein Indiz mehr, dass man sich auf sie - anders als in der Vergangenheit - nicht mehr verlassen kann als mögliche wirksame Mahner und Intervenierer bei Fehlverhalten des Staates.

Nachtrag: Zeit.de bringt einen interessanten Artikel über ein Treffen mit einem Berliner namens Martin Donau, der auch von der Bundesanwaltschaft der Mitgliedschaft bei der "Militanten Gruppe" verdächtigt wird und umfassend vom BKA observiert wurde und wird. Dieser Mann, der alle Vorwürfe abstreitet, sagt einen interessanten Satz:

Vor allem aber, erklärt er, gibt es da ein Bundeskriminalamt mit einer Abteilung für Inlandsterrorismus. Nur den Inlandsterrorismus, den gebe es nicht. Das sei ein Problem für die Mitarbeiter. (Quelle: Zeit.de)


Und mir stellt sich die Frage: Bin ich jetzt auch Terror-Unterstützer, weil ich einen Satz eines angeblichen Terroristen wohlwollend zitiert habe?

Ältere Weblog-Einträge zum Thema:Technorati-Tags: , ,

In eigener Sache: Neuer Public-Key

Mein PGP-Public-Key zur E-mail-Adresse "solon at gmx Punkt org" hat sich geändert. Mein neuer Public-Key mit der Key-ID "D6528295" ist hier herunterladbar. Er ist ebenso rechts in der Navigationsleiste verlinkt. Wer mir verschlüsselte E-mails schicken möchte, sollte also nicht mehr meinen alten Public-Key dazu verwenden.

Leute, die mir bereits verschlüsselte E-mails geschickt haben, schreibe ich noch einmal extra an. Aber es könnte ja sein, dass der eine oder andere meinen alten Public-Key in seinen Keyring übernommen hatte und mir bislang noch nicht geschrieben hatte. Bitte löscht meinen alten Public-Key aus eurem Keyring. Danke!

Dienstag, 21. August 2007

Mob in Mügeln: Was hat die Presse nun rausbekommen?

Als Ergänzung zu meinen gestrigen Fragen nach weiteren Informationen zu den ausländerfeindlichen Vorfälle in Mügeln, Sachsen, hier nun eine kleine Presseschau mit neuen Erkenntnissen der Presse zum Thema:

Auszüge aus dem Text der DPA-Meldung, den die meisten Medien bringen, hier N24.de (inklusive möglichem von N24 selbst verfassten Text): Gespenstische Szenen in Mügeln: Jugendhorde jagt Inder:

Am Tag danach herrscht reflexhafte Abwehrstimmung in Mügeln. Die Bewohner des gut 50 Kilometer von Leipzig entfernten Orts weichen den angereisten Journalisten aus. Bürgermeister Gotthard Deuse (FDP) bemüht sich um Schadensbegrenzung: "Bei uns gibt es keine rechtsextreme Szene." Wenn der Angriff einen fremdenfeindlichen Hintergrund habe, müssten die Täter aus Nachbarorten kommen, wehrt er ab. Opfer Singh Gorvinda (26) berichtet, dass er bislang nie Probleme in Mügeln hatte. Auch sein Bekannter Kulvir Singh, der seit April in dem Ort lebt, hat noch keine Anfeindungen erlebt. [...] Es gibt es Aussagen, wonach im Vorfeld bekannt war, dass Rechtsextreme zum Fest anreisen wollten. [...] In diesem Punkt wiegelt Deuse am Montag ab. Kein Wort auch zu dem rechtslastigen Musikversand im Ort oder zu Rechten-Konzerten in der Region. [...] Zeugen zufolge hat es auch in der Tatnacht etwa eine Stunde gedauert, bis rund 70 Beamte aus Oschatz, Döbeln, Leipzig und Leisnig herbeigezogen waren. [...] [Der Dresdner Verein Bürger.Courage] hat die "Strategie des Verschweigens" von rechtsextremen Tendenzen in Sachsen kritisiert. (Quelle: N24.de)


Tagesspiegel: "Bei uns gibt es keine Rechtsextremen":

Erinnerungen an die Magdeburger Himmelfahrtskrawalle im Mai 1994 werden wach. Oder an die Ausländerhatz in Rostock- Lichtenhagen vor 15 Jahren. (Quelle: Tagesspiegel.de)


In einem weiteren Artikel mit dem Titel "Stadt unter Schock" versucht der Tagesspiegel noch etwas ausführlicher den Kontext zu beleuchten:

Dass die Täter aus dem Ort selbst kommen, hält der Bürgermeister für ausgeschlossen. "Mügeln mit seinen 5000 Einwohnern hat sich einen guten Ruf aufgebaut", sagte er in Interviews. Kerstin Köditz von der Linksfraktion im Dresdner Landtag hält diese Einschätzung für zumindest blauäugig. In der Vergangenheit habe es in dem Ort einschlägige Nazikonzerte gegeben, ein rechtslastiger Musikversand habe dort seinen Sitz. Die Abgeordnete sprach von einer neuen Qualität, da die Jagd nur durch ein massives Polizeiaufgebot habe gestoppt werden können. Ein Sprecher der Antirassismusinitiative Netzwerk Döbeln sagte dem Tagesspiegel: "Die Opfer sind total geschockt." Nach seinen Erkenntnissen waren die Angreifer Neonazis. Überfälle auf Ausländer hätten sich in diesem Sommer bei Volksfesten in der Region massiv gehäuft. (Quelle: Tagesspiegel.de)


Stern.de bringt auch einige der in der DPA-Meldung enthaltenen Reaktionen auf den Mob von Mügeln: Hetzjagd auf Inder - "Kein überraschendes Ereignis":

Der Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, Sebastian Edathy (SPD), warnte davor die rechtsextreme Szene zu unterschätzen. "Die Übergriffe von Mügeln sind ein ganz entsetzliches Ereignis, überraschend kommt es aber nicht", sagte er der "Neuen Osnabrücker Zeitung". "Ich kann dunkelhäutigen Bürgern auch heute nicht mit gutem Gewissen raten, Volksfeste in ostdeutschen Kleinstädten zu besuchen." Der scheidende israelische Botschafter in Deutschland, Shimon Stein, sieht die Gefahr eines wachsenden Rechtsextremismus in Deutschland. Die Akzeptanz für Rechtsradikalismus in der deutschen Gesellschaft scheine in den vergangenen Jahren gewachsen zu sein, sagte Stein der "Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen". "Letztendlich muss sich die deutsche Gesellschaft die Frage stellen, inwieweit sie bereit ist, anti-demokratisches Gedankengut zuzulassen oder etwas dagegen zu unternehmen." (Quelle: Stern.de)


Die Netzeitung führt noch ein interessantes Detail an in ihrem Artikel mit der die Warnungen von Sebastian Edathy herausstellenden Überschrift "SPD warnt vor Reisen nach Ostdeutschland":

Die Opfer waren laut Bürgermeister Deuse auf Einladung der Stadt bei dem Volksfest. "Umso bedauerlicher ist der Vorfall", sagte er. Sie seien mit dem indischen Besitzer der Pizzeria bekannt, der seit etwa fünf Jahren in Mügeln lebt. Zudem verkauften die Männer auf dem Wochenmarkt Kleider. (Quelle: Netzeitung.de)


Spiegel.de hat anscheinend selbst mit dem Bürgermeister der Stadt Mügeln und mit weiteren Augenzeugen vor Ort gesprochen. Dementsprechend informativ ist der Artikel im Gegensatz zum großen Rest der Presse, wo meist nur die DPA-Meldung wiederholt wird. Auch berichtet Spiegel.de von mal wieder sehr fragwürdigem Vorgehen der Polizei, das vielleicht sogar zur Eskalation beigetragen haben könnte. Eskalation auf Dorffest: Ausländer in Mügeln fürchten neuen Gewaltexzess:

Solche Krawalle gebe es auch in Leipzig und Dresden, sagt der Bürgermeister, "nun hat es Mügeln getroffen". Das tue ihm alles sehr leid. Doch ein negatives Image habe das Städtchen nicht verdient. "Bisher gab es hier keine Dinge, die mit rechts zu tun haben." [...] Eine 36-Jährige, die in der Pizzeria Picobello arbeitet, war mittendrin, als es zur Schlägerei kam. Sie schildert SPIEGEL ONLINE den Ablauf: [...] Die Frau tanzte mit ein paar Indern, die dienstags und donnerstags auf dem Markt Textilien verkaufen. "Im Zelt hat der Streit angefangen", sagt sie. Vielleicht wurde mal gerempelt, vielleicht habe es auch manchem nicht gepasst, dass eine Deutsche mit Ausländern tanzt, vermutet sie. Dann habe es eine Warnung gegeben: "Wenn ihr in fünf Minuten nicht verschwunden seid, gibt's Stunk." Die 36-Jährige und einige Inder verließen daraufhin die Tanzfläche - doch vor dem Festzelt begann die Schlägerei. "Die haben gewartet", sagt die Frau. Die Inder flüchteten sich schließlich ins Picobello. "Wir haben Schutz gesucht", sagt Herr Singh, der die Pizzeria betreibt. Er selbst habe das Zelt schnell verlassen, als er merkte, dass es Krach geben könnte. Singh sagt: Die zumeist jungen Angreifer haben "Ausländer raus" gebrüllt. Das sagt auch die 36-Jährige. Sie sei angepöbelt worden: "Wie kannst du bei Ausländern arbeiten?" Die beiden Männer, die den Streit angefangen hätten, seien bekannt, sie kämen aus Mügeln, sagt die Frau. Sie seien sogar Stammkunden im Picobello gewesen. Doch viele andere, die an der Schlägerei beteiligt waren, seien von auswärts gekommen. [...] "Als die Polizei kam, ist das ganze eskaliert." Beamte hätten gegen völlig Unbeteiligte Reizgas eingesetzt und auf am Boden liegende Personen eingeprügelt. 150 bis 200 Menschen hätten schließlich vor der Pizzeria gestanden, indem die Inder sich eingeschlossen hatten. "Das war wie ein kleiner Volksaufstand." (Quelle: Spiegel.de)


Der Artikel von Spiegel.de zeigt auch eine mögliche Erklärung auf, warum auf dem Stadtfest eine anscheinend zusammengehörende, organisierte Gruppe von gewaltbereiten Menschen anwesend war. Es scheint zuvor in der rechten Szene ein Überfall auf den Jugendclub in Mügeln geplant gewesen zu sein. Die Jugendclub-Betreiber hätten davon jedoch Wind bekommen und den Club vorsorglich geschlossen. Die angereisten Gewalttäter könnten nun nach einem Ersatzziel Ausschau gehalten haben und fanden es in Form des Stadtfestes und der dort anwesenden Inder. Andererseits weiß Spiegel.de auch von Stimmen aus dem Umfeld des Jugendclubs zu berichten, die nicht nur Rechtsradikale unter den Gewalttätern ausgemacht haben wollen. "Da waren am Ende alle dabei, von jung bis alt, vom Punk bis zum Skinhead", so ein junger Mann gegenüber Spiegel.de.

Auch die TAZ war vor Ort und gibt ebenfalls detaillierte Schilderungen von Augenzeugen wieder, die jedoch im Gegensatz zu den bei Spiegel.de wiedergegebenen Meinungen die Arbeit der Polizei loben, aber auch deutlich machen, dass ausländerfeindliche Ressentiments bei manchen so tief verwurzelt zu sein scheinen, dass sie diese Ressentiments bei sich selbst und bei anderen gar nicht mehr wahrnehmen, sondern schlicht für selbstverständlich halten. Übergriffe in Sachsen: "Da haben Glatzen gewartet":

Unbestritten ist wiederum, dass auch die Pizzeria den Angegriffenen keinen Schutz bot und dass bereits eine Scheibe eingetreten und ein Auto demoliert worden war, bevor die Polizei etwa eine halbe Stunde nachdem sie von den Indern gerufen worden war mit etwa 70 Beamten anrückte. Da hatten einige Angreifer bereits Pfeffergas eingesetzt und einen weiteren deutschen Angestellten der Pizzeria mit Tritten schon misshandelt. Verbürgt sind auch Rufe wie "Ausländer raus!" Die Polizei verhinderte durch ihr entschlossen Auftreten Schlimmeres, wie auch einige Bewohnern anerkennen. Eine andere Geschichte erzählen einiger Mügelner, die sich am Tage danach gleichfalls am Markt einfinden und das Geschehen diskutieren. Danach hätten sich die Inder schnell zusammengefunden und mit Messern und abgeschlagenen Flaschen bewaffnet. Eskaliert sei das Geschehen, weil zuerst zwei Deutsche an Hals und Oberschenkel durch Stiche verletzt wurden. "Da haben sich eben einige Deutsche in landsmannschaftlicher Verbundenheit zusammengetan", lässt sich ein Mügelner mittleren Alters vernehmen und fügt hinzu: "Sie wollen doch nur schreiben, dass in Mügeln alle rechtsradikal sind!" Daneben steht ein etwa 25-jähriger junger Mann mit Bärtchen und kleinem Bauch, der dazu eifrig nickt - aber nur, um sich gleich darauf ausdrücklich als Rechtsradikaler zu bekennen. Ja, er sei dabei gewesen und habe vor der Pizzeria auch ausländerfeindliche Parolen gerufen, nachdem "zwei von uns" schwer verletzt worden waren. "Die sollen ihr Leben leben, die Kanaken, und uns in Ruhe lassen." (Quelle: Taz.de)


Nachtrag: Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) bringt (wohl auf AP beruhende) weitere Details, die dagegen sprechen, dass die Deutschen aus Selbstverteidigung heraus (so wie dies die von der TAZ Interviewten teilweise äußerten - siehe oben) gegen die Inder handelten. Hetzjagd auf acht Inder in Sachsen:

Eines der Opfer, der 39 Jahre alte Kulvir Singh, sagte der AP, dass er noch im Zelt mit einer Flasche auf den Kopf geschlagen worden sei. Auch sein Auge sei getroffen worden. Seine Landesleute seien mit Reizgas angegriffen und ebenfalls geschlagen worden. In der Pizzeria hätten sie sich zusammen mit zwei Polizisten eingeschlossen. Ohne die Polizisten hätten die Angreifer sie vielleicht totgeschlagen. (Quelle: NZZ.ch)


Nachtrag 2: Die Süddeutsche Zeitung berichtet noch über die Aussagen der beiden Polizisten, die die Inder in der Pizzeria vor dem Mob geschützt haben. Polizisten zu Einsatz in Mügeln: Schwache Verteidiger:

Drinnen hockte bald ein Dutzend teils verletzter indischer Staatsbürger, die sich auf der Flucht vor aufgebrachten Festbesuchern in das Lokal geflüchtet hatten - "die Inder zitterten um ihr Leben", berichtet Reinhard. Draußen sei die Menge unterdessen immer aggressiver geworden. "Sie riefen 'Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!'", sekundiert ein Polizeikollege. (Quelle: Süddeutsche.de)


Nachtrag 3: Über die sich entwickelnde Legendenbildung in Mügeln berichtet Spiegel.de. Erste Verfahren nach Hetzjagd - aber Mügeln mauert:

Aber viele Mügelner mauern. Die Suche nach Zeugen geht nur langsam voran. 20 Augenzeugen wurden bislang verhört, verkündete der sächsische Polizeipräsident Bernd Merbitz heute. Eine Sprecherin der Polizeidirektion Westsachsen sprach jedoch von "mühevoller Arbeit". Möglicherweise hat der ein oder andere Angst, am Ende als Verräter dazustehen: Schließlich müsse derjenige, der sich bei der Polizei melde und Tatverdächtige nenne, anschließend mit den betreffenden Personen noch jahrelang in der Kleinstadt Mügeln zusammenleben, sagte die Polizeisprecherin. [...] Normalerweise müssten sich alle melden, die vor Ort waren, doch davon sei man weit entfernt, sagen die Ermittler. Und das, obwohl "praktisch jeder auf dem Fest war, der nicht im Urlaub war", wie es im Ort heißt. (Quelle: Spiegel.de)


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Montag, 20. August 2007

Irgendwo "eingebette" Reporter in Mügeln anwesend?

Es ist eben nicht in Afghanistan passiert, sondern hier, mitten in Deutschland.

Dennoch fließen die Informationen über den Vorfall so spärlich, als wenn Mügeln im Hindukusch-Gebirge liegen würde. Hey, Presseleute! Aufwachen!!

Noch offene Fragen:

  • Mügeln ist ein kleiner Ort. Es dürfte als Reporter keine Schwierigkeit sein, zusätzlich zu den spärlichen Auskünften der Polizei bei den Einwohnern weitere Details über die Vorgänge zu erfahren - beispielsweise, ob die Gewalttäter ortsfremd waren oder nicht oder ob das Krawallmachen geplant war oder nicht und erst recht, ob denn nun rechtsradikale Rufe fielen oder nicht.
  • Weiterhin wäre interessant, ob die Opfer tatsächlich indische Staatsbürger waren, oder indischstämmige deutsche Staatsbürger. In der Vergangenheit wurde häufig bei Übergriffen Rechtsradikaler in Ostdeutschland fälschlich berichtet, dass die Opfer Ausländer waren. Deshalb wäre es wichtig, kurz zu bestätigen, dass es tatsächlich indische Staatsbürger waren.
  • Auch weitere Details über den Auslöser der Verfolgungsjagd könnte die Presse von sich aus recherchieren. Den Angaben der Polizei in Sachsen ist leider eh nicht unbedingt immer zu trauen.
  • Wie kommt es beispielsweise, dass die Polizei anscheinend erst zig Stunden nach dem Vorfall die Presse informierte?
  • Wie muss man die seltsame Äußerung eines Polizeisprechers verstehen, die in den Medien derzeit immer ganz zum Schluss der DPA-Meldung kolportiert wird, dass nämlich "außerdem plötzlich mal was los war". Soll das irgendwie eine Erklärung dafür sein, dass sich so viele Leute an der Verfolgungsjagd beteiligten? Wenn ja, dann verstehe ich diese Erklärung nicht.
  • Wie lange dauerte es, bis die Polizei vor Ort war?
  • Woher kommen die 70 Polizisten? Ist das die normale Stärke von Polizeiwachen in der doch eher dünn besiedelten Gegend oder kamen die aus Leipzig? Wenn die Polizisten von außerhalb kamen, wie konnten sie doch anscheinend relativ rasch vor Ort sein? Gab es also im Vorfeld Informationen darüber, dass etwas passieren könnte? Wenn ja, wie sahen diese Informationen aus? Würden solche Vorabinformationen nicht darauf hindeuten, dass Rechtsradikale eben doch ein altbekanntes Problem in Mügeln und Umgebung sind und somit das heile Bild, das unter anderem der Bürgermeister in den Medien von Mügeln zeichnen will, nicht ganz stimmen kann?
  • Wenn die Polizisten tatsächlich schon vor Ort waren, wie konnte dann ein Streit bei dem sicherlich überschaubaren Stadtfest derart eskalieren, bevor die Polizei einschritt? Ich befürchte, dass dies die Schlüsselfrage ist und dass die spärlichen Informationen der Polizei teilweise ein erneutes polizeiliches Versagen beim Umgang mit Rechtsradikalen vertuschen sollen.
  • Und schließlich: Welche Konsequenzen sind aus diesem Vorfall zu ziehen? Es ist doch eine völlig neue Dimension, dass mitten in der Stadt bei vermutlich hoher Passantenzahl (es lief ja das Stadtfest, es war Samstagabend...) eine derart große Gruppe wie ein Lynchmob wehrlose Menschen angreift. Hat es so etwas in dieser Art schon einmal gegeben in Deutschland?
Also, Reporter, los! Irgendwo werdet ihr doch sicherlich noch einen Platz in der nächsten Transall-Maschine nach Mügeln bekommen!

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Pläne für mehr Geld für Parteien: Der Ton macht die Musik

Die Meldung, dass die große Koalition plant, ein Gesetz zu ändern, um den Parteien mehr Geld aus den Steuereinnahmen des Staates zukommen zu lassen, stammt aus der "Bild am Sonntag". Deswegen ist wie immer und wie bei jeder Meldung dieser "Zeitung" allerhöchste Vorsicht geboten. Aber da bis jetzt kein Dementi aus der Politik gekommen ist, stimmt die Meldung wohl. Sie ist ja auch mit eines der Hauptthemen derzeit in der Presse.

Über den Sinn einer Erhöhung der Gelder für die Parteien könnte man ja eventuell sogar noch streiten. Wir leben halt in einer Parteiendemokratie, besser: einer Karikatur einer Demokratie, manche sprechen deshalb auch von einer Demokratur. Soll die funktionieren, müssen die Parteien ausreichend Geld haben. Die chinesische kommunistische Partei braucht ja auch Geld. Wer die derzeitige Parteiendemokratie will, der muss auch diese Dinger namens Parteien bezahlen.

Ich will diese Parteiendemokratie so nicht. Aber ein Wechsel hin zu einem System mit mehr direkter Demokratie und hin zu einem System, bei dem es tatsächliche Volksvertreter (und nicht nur Parteienvertreter) gibt, dauert und muss extrem sorgsam geplant sein. Also müssen wir noch eine Weile mit diesen Parteien leben, bis sich eine breite, zivile Bevölkerungsmehrheit organisiert hat und es einen unüberhörbaren, breiten, wohl ausformulierten, gesellschaftlichen Konsens für mehr direkte Demokratie und einer Beschneidung der Macht der Parteien gibt, so dass sich die Parteien dem nicht mehr entgegenstellen können.

Im übrigen ist bei diesem aktuellen Vorfall von Parteien-Ignoranz gegenüber dem Wähler nicht das Geld das Problem. Sondern die Art und Weise, wie die große Koalition mit dem Thema umgeht: Geradezu heimlich wird da ein neues Gesetz geplant. Es wird nicht kommuniziert mit dem Wähler. Ich hätte erwartet, dass die Parteien vor der Herauskristallisierung eines fertigen Gesetzesentwurfs zunächst das Problem als solches von sich aus offensiv an die Öffentlichkeit getragen hätten, um quasi mit dem Wahlvolk gemeinsam zu diskutieren, ob sich die Parteien eine derartige Finanzspritze genehmigen dürfen. Stattdessen kommt das ganze anscheinend eher wie eine Art Unfall aus Versehen an die Öffentlichkeit. Dieses verschwörerische und sich vor der Öffentlichkeit versteckende Verhalten von SPD und Union offenbart mehr über die Natur unserer Parteiendemokratie als die Kosten, die die Parteien dem Steuerzahler verursachen.

Der Protest gegen die Pläne von SPD und Union wird maximal noch zwei, drei Tage in den Medien andauern. Anschließend werden die Kommentare überwiegen, dass die Parteien schon Recht hätten mit ihrer Forderung. Eine echte Opposition gegen Vorhaben von SPD und Union wird es mit den deutschen Medien niemals geben. Man ist staatstragend. Die Politik-Experten in den Medien werden merken, dass die Parteien so oder so ihre Pläne durchziehen werden. Will man nicht in eine Haltung der Fundamentalopposition verfallen (und das können die Medien nicht, weil sie abhängig sind von den Politikern), muss man sehr schnell Schweigen über die strittigen Pläne ausbreiten oder die Kurve kriegen und dem Vorhaben gute Seiten abgewinnen. Noam Chomsky erläutert diese Selbstzensur von Medien in westlichen "Demokratien" übrigens in einem lesenswerten Artikel in der Monde Diplomatique (via Nachdenkseiten).

Aber der Einfluss der etablierten Medien auf die öffentliche Meinung ist im rapiden Verfall begriffen. Das birgt Chancen, aber auch Gefahren. Wenn unsere Politiker in Zukunft weiter derartige schmutzige Spielchen spielen (andere Beispiele hierfür sind die Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung oder die Pläne für Online-Durchsuchungen), statt ihre Pläne offen und ehrlich mit der Öffentlichkeit zu diskutieren, könnte sich eines Tages bei fehlender Beschwichtigungswirkung der etablierten Medien eine gefährliche Stimmung im Volk breit machen, die nicht mehr nur von Resignation wie derzeit geprägt ist.

Chinesisch-deutsche Unterschiede in Piktogrammform

Stereotypen, also falsche, verkürzte, oberflächliche Vorstellungen von anderen Menschen und Kulturen, haben die Eigenart, dass jeder von uns welche hat, aber jeder glaubt, frei von Stereotypen zu sein. Wer dazu noch explizit fremdenfeindlich ist, wird vermutlich nie erfahren, dass seine Stereotypen nicht der Kern der Wahrheit sind, wie er denkt, sondern der Kern seiner eigenen Probleme.

Das Zusammentreffen mit Menschen, die anders sind als wir, kann wie der Blick in einen Spiegel sein. Denn plötzlich erkennt man, dass es Dinge im eigenen Erleben und Verhalten gibt, die man bislang gar nicht wahrgenommen hat, weil sie so selbstverständlich waren. Nie hat man sie hinterfragt, weil man sie eben gar nicht wahrgenommen hatte. Man machte sich so wenig Gedanken über sie wie über Atmen, Trinken und Geschirrwaschen. Und plötzlich trifft man Menschen, die das alles ganz anders machen (gut, das Atmen vielleicht nicht).

Manche Historiker meinen, dass Renaissance und Reformation bis hin zur Epoche der Aufklärung in Europa wesentlich angestoßen wurden durch die Entdeckungsreisen der Portugiesen rumd um Afrika in Richtung Asien. Plötzlich offenbarte sich den Europäern, dass all ihre alltäglichen Gewohnheiten und Überzeugungen nichts Selbstverständliches waren - einfach weil ganz woanders auf der Welt völlig anders gelebt und geglaubt wurde.

Vielleicht sollte man all diese dummen Rechtsradikalen mal zwangsweise in Urlaub schicken (gut gemischt unter normale Reisegruppen) - nach Asien oder in die USA. Denn Reisen bildet tatsächlich, sofern man den Strand meidet und nicht mit seinen üblichen Kumpels unterwegs ist.

Einen kleinen interkulturellen Aha-Effekt ganz ohne Um-die-Welt-Reisen bietet die chinesischstämmige Künstlerin Yang Liu. Ihre Piktogramme, auf den ersten Blick verständlich, zeigen gekonnt und wunderschön minimalistisch einige Unterschiede im Denken und Handeln zwischen Chinesen und Deutschen. Natürlich in überspitzter Form. Aber genau durch diese überspitzte, extrem einfache Form wird gleichzeitig sehr gut deutlich gemacht, dass diese kulturellen Unterschiede nie völlig greifbar sind und jede Beschreibung sehr verkürzt und unzulässig verallgemeinernd daherkommt.

Piktogramme von Yang Liu zu chinesisch-deutschen Unterschieden
Das Weblog "Xinhua" stellt die vielen Diagramme vor.

(Via Whistleblog.net)

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Terroristische Übergriffe nehmen zu

Erneut erschreckende Nachrichten aus den Unruhegebieten dieser Erde: Acht Deutsche wurden in Afghanistan von circa 50 Taliban am hellichten Tage unter teilweise gröhlender Zustimmung der Passanten durch die Straßen gejagt und teilweise verletzt. Nur der Einsatz der Afghanischen Polizei verhinderte Schlimmeres.

Vielleicht wäre der verstärkte Einsatz gepanzerter deutscher Truppenverbände in den gefährlichen Gebieten sinnvoll, um die öffentliche Ordnung dort wiederherzustellen.

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Sonntag, 19. August 2007

Unmenschen in Deutschland: Kinder, Behinderte, Hartz-IV-Empfänger, Asylbewerber...

(Via Duchkome) Es ist schlimm, wie Asylbewerber in diesem Land untergrebracht sind. Aber wer auf der Flucht vor politischer Verfolgung ist, der wird eine derart menschenverachtende Unterbringung vielleicht gerade noch ertragen.

Deutsche Familien, die Arbeitslosengeld II beziehen und zuvor Mietschulden angehäuft haben (zum Beispiel wegen schwerer Krankheit, Todesfall in der Familie oder weil sie - wie in diesem Staat üblich - bei der Betreuung eines behinderten Kindes weitgehend alleine gelassen wurden) sind nun auch auf der Flucht. Sie müssen laut Meinung von Klaus-Dieter Hübner (FDP), des Bürgermeisters der brandenburgischen Stadt Guben, ebenfalls ins Asylbewerberheim, einer abgewrackten Wohnunterkunft mit Gemeinschaftsküchen und Gemeinschaftstoiletten. Die deutschen Familien sind allerdings nicht auf der Flucht vor ausländischen Diktatoren. Nein, sie sind weitere Opfer des neu-deutschen neoliberalen Denkens, dass der Staat keine Fürsorgepflicht für Familien habe.

Wer immer noch glaubt, er lebe in Deutschland in einem zivilisierten Staat, dürfte durch diese Meldungen arg enttäuscht werden:

Mietschuldner sollen ins Asylbewerberheim (Berliner Zeitung):

Die Baracke war einst eine Arbeiterunterkunft am Chemiewerk, später dann ein Asylbewerberheim, nun steht die Baracke mit Gemeinschaftsküche und Massentoiletten seit fünf Jahren leer. Bürgermeister Klaus-Dieter Hübner (FDP) gab bekannt, diese Unterkunft Mietschuldnern anzubieten. [...] Fast alle [Mieter] zahlen ihre Schulden seit Jahren ordnungsgemäß in kleinen Raten ab. [...] Der Bürgermeister will die Nutzungsvereinbarung für den Plattenbau Ende September nicht verlängern. Eine Alternative zur Baracke bleibt den meisten nicht. (Quelle)


Abschiebung ins Hartzlager (Junge Welt):

Nach Angaben einer betroffenen alleinerziehenden Mutter gegenüber dem Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) müßte sie sich ein einziges Zimmer mit ihren drei Kindern teilen. "Privatsphäre Fehlanzeige", urteilt Kircheis, "und der Bürgermeister tut dazu auch noch so, als wäre dies ein großzügiges Angebot". [...] Bevor etwas passiert, müßte Bürgermeister Hübner aber aus dem Urlaub zurückkommen. Über dessen mögliche Motive wußte der rrb schon am Mittwoch mehr zu berichten als dessen eigene Pressestelle am Freitag. "Die Schuldner sollen ins leerstehende Asylbewerberheim ziehen, damit neue Mieter in dann sanierten Häusern höhere Mieten zahlen." Das macht Sinn: Hübner ist amtierender Aufsichtsratschef der Gubener Wohnungsgesellschaft. (Quelle)


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