Samstag, 2. Juni 2007

Wichtigste politische Tugend in Deutschland: Fest an seiner Meinung festhalten

Polens Kinderbeauftragte Ewa Sowinska hatte vor ein paar Tagen öffentlich die Befürchtung geäußert, dass die TV-Kindersendung "Teletubbies" Kinder dazu verleiten könne, homosexuell zu werden.

Sowinska ist sicherlich homosexuellenfeindlich. Völlig bescheuert scheint sie aber nicht zu sein, denn immerhin kam ihr noch der Gedanke, doch lieber mal Experten zum Thema zu befragen. Die Experten äußerten nun, dass keine homosexuelle "Gefahr" von den Teletubbies ausgehe.

Was daran bemerkenswert ist? Dass Sowinska vor die Presse tritt und öffentlich kundtut, sie habe sich geirrt, die Experten hätten Recht.

Eine Trägerin eines öffentlichen Amtes, die ernsthaft Experten befragt, auf sie hört und dann noch öffentlich zugibt, vorher falsch gelegen zu haben? Dieses Vorgehen ist revolutionär. Zumindest aus deutscher Sicht. Das wäre in Deutschland nicht möglich. Hier werden zwar auch Experten zu allen möglichen Themen befragt, dies geschieht aber nur zum Schein. Abbringen lassen sich Politiker durch ihnen widersprechende Expertenmeinungen niemals. Beispiele: Telemediengesetz, Vorratsdatenspeicherung, Hackerparagraph, Verbot von "Killerspielen" und so weiter. In Deutschland gilt das "Primat der Politik" absolut uneingeschränkt. Dem hat sich alles andere unterzuordnen - auch die Realität.

Wirklich absolut dämlich ist nur, wer unbelehrbar ist. Man muss deshalb wohl Polen zu ihrer Kinderbeauftragten gratulieren. So schwer einem das auch aus anderen, offensichtlichen Gründen fällt. *Schluck*

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Donnerstag, 31. Mai 2007

Deutscher Journalismus: Jeden Tag gibt's Brei

Ich war heute schreibfaul. Aber nicht lesefaul. Und so stieß ich auf einen kleinen Artikel von Su-Shee, den ich hier weiterempfehlen möchte und der meine Schreibfaulheit hinwegfegte.

Leseprobe:

Ich hab' mich über Pfingsten [...] über die Nachrichtenarmut geärgert - als ob die Welt stillsteht, nur weil in Deutschland drei Tage Pfingsten ist. (Quelle)


Politische Artikel verleihen den Personen, die Politik machen, kein politisches Antlitz. Was geht mich Angies Frisur an? Die Kanzlerin soll regieren - meinetwegen in Sack und Asche. Mich interessiert also nur, wann sie was wie wo und warum regiert. Das ist merkwürdig unterberichtet, was Parteien und Politiker tatsächlich tun in der Politik. [...] Deutschland sieht sich in der Presse nur von Innen. Ich lese dann in ausländischen Tageszeitungen, was Deutschland so auf dem internationalen Parkett tut. [...] das vermisse ich am allermeisten - diese Art handwerklicher Sorgfalt, die elegante Vereinfachung ohne zu verflachen, die Substanz im Artikel und das Gefühl, wirklich informiert und sogar inspiriert worden zu sein. (Quelle)


Tagesschau-Häppchen sind nur trockenes Brot. Wo sind die tiefgehenden Analysen? Wo sind die Nachrichten jenseits der maximal zwei innenpolitischen Themen pro Woche, die dann zudem immer und überall gleich oberflächlich behandelt werden? Wo ist der Bericht über die tatsächliche Politik hinter dem reinen Name-Dropping von Politikernamen? Mich interessieren persönliche Machtkämpfe zwischen Politiker-Bonzen nicht, sondern ich will wissen, welche Lücken die politischen Konzepte haben, die von diesen Politikern verfolgt werden. Warum agiert Deutschland im Ausland so, wie es agiert? Und warum bleibt man an Skandalen nie länger als eine Woche dran? Es fehlt die Überschau, es fehlt die Aufbereitung, es fehlt die Recherche in die Tiefe, es fehlt die Suche nach Fragen und neuen Themen abseits dessen, was halt gerade überall berichtet wird, es fehlt der Einbezug von wirklichen, unterschiedlichen Experten und deren Wissen.

Die Redakteure, die meinen, der Leser sei zu dumm, haben selbst keine Ahnung. Deutsche Medienkonsumenten sind nicht dümmer als US-amerikanische. Es gibt Hunderttausende, wenn nicht Millionen von Menschen, die gehen in Deutschland täglich Berufen und Aufgaben nach, deren Komplexität und Anforderungen vermutlich viele Journalisten überraschen würde. Diese Menschen sind nicht dumm. Diese Menschen sind auch in der Lage Themen zu konsumieren, denen nicht durch die heiligen, redaktionellen Auswahlkriterien (wie "Konfliktpotenzial", "Dramatik", "Betroffenheit" und so weiter) der Garaus gemacht wurde.

Aber warum soll man sich auch Arbeit machen? Man unterliegt anscheinend dem Irrglauben, dass der Kunde eh keine Alternativen hat und schon schlucken wird, was man ihm da vorsetzt.

So kommt es dann, dass Lobby- und PR-Organisationen wie die "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" (INSM) diktieren können, was in den Medien erscheint (aktuell beispielsweise: wir bräuchten eine "Riester-Pflegeversicherung"). So kommt es, dass bei vielen Themen oberflächlich und falsch berichtet wird (weitere Beispiele: "Computerspiele" als angeblicher Auslöser für Amokläufe; G8-Gegner als Randalierer). So kommt es, dass die strunzdummen Ausreden von Politikern und ihr Aktionismus unkritisch einfach nur wiedergegeben werden. Was in Deutschland in die Medien kommt, hängt nicht davon ab, was jemand sagt, sondern wer etwas sagt. Bei Regierungsmitgliedern ist das ja noch verständlich, aber ansonsten kaum. Kritik am Polizei-Einsatz bei der Demonstration rund um den ASEM-Gipfel in Hamburg wird beispielsweise erst dann berichtet, wenn eine gewisse Frau Roth von den Grünen den Mund dazu aufmacht. Sonst erfährt der deutsche Medienkonsument davon in den meisten deutschen Medien nichts.

Statt einem Menü aus unterschiedlichsten, gut zubereiteten Speisen, serviert man in fast allen Medien immer häufiger einfach nur noch aufgekochten Brei. Dank Internet bekommen aber immer mehr Leute mit, dass es woanders festere Nahrung gibt - sei es im Internet selbst oder in anderen Zeitungen und Medien im Ausland. Der deutsche Medienkonsument ist zwar immer noch bei vielen Dingen auf die deutschen Medien angewiesen, aber der Brei schmeckt ihm nicht mehr, seit er dank Internet weiß, dass es woanders besser schmeckt. Vielleicht ist das der Grund für den lieblosen Umgang vieler deutscher Medien mit dem Internet.

Dienstag, 29. Mai 2007

Ruhe ist die erste Bürgerpflicht

Demonstrationen in Deutschland sehen so aus:

  • Genehmigt werden Demonstrationen nur dort, wo mit Sicherheit diejenigen, gegen die man demonstriert, nichts von der Demonstration mitbekommen.
  • Die Polizei kesselt die Teilnehmer der Demonstration direkt zu Anfang vollkommen ein. Vorne, hinten und an beiden Seiten: Überall schwer gerüstete Einsatzkräfte.
  • Die Straßen, durch die die Demonstration geht, werden ebenfalls weiträumig abgesperrt, so dass auch keinerlei Passanten die Demonstranten aus Versehen zu Gesicht bekommen können.
  • Damit es nicht zu langweilig für die Demonstranten wird, gibt es gerne auch mal ein paar provokative Übergriffe von Seiten der Polizei auf friedliche Demonstranten. Man möchte ja nicht umsonst diese schweren Polizeirüstungen angezogen haben.
  • Die Medien lauern und lauern und hoffen und hoffen und ja, wenn es dann passiert, wenn irgendwo ein paar Steine fliegen - und sei es auch Stunden später nach Ende der Demonstration und an einem ganz anderen Ort - dann wird über die Demonstration berichtet. Halt, nein. Nicht über die Demonstration wird berichtet, sondern über das Steinewerfen. Das muss man verstehen. Journalisten sind gefangen in ihren die Wirklichkeit verzerrenden redaktionellen Grundsätzen und können nur über Konflikte berichten. Und da Steine ein größeres Konfliktpotenzial (aus Sicht beschränkter Journalisten) darstellen als der friedliche Protest von tausenden Demonstranten, schafft es der Stein in die Zeitung und alles andere eben nicht oder nur am Rande. Es interessiert den Zuschauer/Leser eben mehr, ob er beim Stadtbummeln von fliegenden Steinen bedroht wird und weniger, ob die deutsche Außenpolitik irgendwie eventuell zu kritisieren ist. Bei Letzterem fehlt einfach die persönliche Nähe und die Dramatik.
Und hier noch ein konrektes Anschauungsbeispiel für diese allgemeine Skizze des Geschehens anhand der gestrigen Demonstration aus Anlass des ASEM-Gipfels in Hamburg: Und eine interessante Beschreibung der gleichen Demonstration aus Sicht einer Augenzeugin findet sich auch bei den NachDenkSeiten.de (Punkt 21 bei den Hinweisen des Tages):

Bericht Brigitta Huhnke: Ich war bei der Demo dabei. Der Bericht unten untertreibt eher noch. Unglaublich, was da an Provokation seitens der Polizei abgegangen ist. Wir und auch andere journalistische Kollegen haben das mit eigenen Augen gesehen. Dann haben die Veranstalter schließlich die Demo abgebrochen - eine völlig richtige Entscheidung. Die Polizei ist immer noch im ganzen Innenstadtbereich unterwegs und zur Zeit jagen sie junge Leute im Schanzenviertel. Die Autonomen auf der Demo, viele davon Jugendliche, waren hundertprozentig friedlich, völlig!!! Die Polizei hatte die 4000 Demonstranten regelrecht eingekesselt und ständig gab es Übergriffe seitens der hochgerüsteten und bewaffneten Polizei.
Es waren nicht 1000 Gewaltbereite auf der Demonstration. Die angeblich brennenden Barrikaden im Schanzenviertel bestanden aus 2 handlichen Bauzäunen, vor denen Fußball gespielt wurde. Es fand ein gezieltes Auseinanderdividieren von friedlichen Demonstranten statt. Es wurden massiv Bürgerrechte eingeschränkt, eine legitime Demonstration mit vielen verschiedenen Ansätzen wurde massiv und mit hohem Aufwand der Exekutive gestört. (Quelle)


Aber wie sagte Konrad Freiberg, der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei:

Man kann sagen, dass der Polizeieinsatz geglückt ist. (Quelle)


Das stimmt - zumindest unter dem Gesichtspunkt, dass Ruhe wieder einmal die erste Bürgerpflicht in Deutschland ist. Warum aber schweigt Freiberg dann nicht selbst?

Nachtrag: Ein weiterer, ausführlicher Bericht über die Eskalationsstrategie der Hamburger Polizei bei oben erwähnter Demonstration gegen den ASEM-Gipfel findet sich jetzt auch bei Telepolis.de: Hamburg: G-8-Saison ist eröffnet.

Ein Auszug aus dem Telepolis-Artikel, der exemplarisch schildert, mit welchen Tricks die Polizei unliebsame Demonstrationen schikaniert:

Die Behörden hatten diverse Auflagen erlassen, so durften z. B. die Stangen für die Transparente nicht länger als 1,50 m sein, die Höchstlänge von Transparenten war genau festgelegt, ebenso der Abstand zwischen den Teilnehmern, und vieles mehr. Da nach Ansicht der Polizei nicht alle Auflagen vorschriftsmäßig erfüllt waren, begann die Demonstration mit eineinhalb Stunden Verspätung. [...] Rigoros wurden Personen in Polizeigewahrsam genommen und mit Bussen des öffentlichen Nahverkehrs in das zur Fußball-WM errichtete Sondergefängnis gebracht. Christian Arndt, Pastor im Ruhestand, der den Polizeiaufmarsch vom Bahnsteig der S-Bahn mit seiner Videokamera filmen wollte, wurde ein Aufenthaltsverbot am S-Bahnhof erteilt und unter Anwendung körperlicher Gewalt von den Angestellten des privaten S-Bahn-Wachdienstes im Auftrag der Polizei entfernt. (Quelle)


Nachtrag 2: Die NachDenkSeiten bringen auch noch einen weiteren auf Augenzeugen gestützten Bericht über die Demonstration am 28. Mai 2007 in Hamburg anlässlich der Proteste gegen den ASEM-Gipfel. Und zwar den Bericht des Komitees für Grundrechte und Demokratie e.V.: Bürgerkrieg oder Krieg gegen die Bürger?

Die NachDenkSeiten leiten den Bericht mit folgenden, treffenden Worten ein:

Blickt man in die Presseschauen und auf die spektakulär gewählten Fernsehbilder, so bekommt man aus der Ferne den Eindruck, als hätte es in Hamburg vor allem gewalttätige Krawalle gegeben. Aus der Sicht von Demonstranten und zivilen Demonstrationsbeobachtern, die im "Wanderkessel" eingekesselt waren, ergibt sich ein anderes Bild von Gewaltausübung. (Quelle)


Auch wen die Details des Geschehens rund um diese Demonstration nicht interessieren, der sollte dennoch aufhorchen bei der breiten Falschberichterstattung in vielen deutschen Medien. Es heißt, wachsam zu sein und zu bleiben bei dem unterirdischen Niveau der deutschen Medien. Heute ist es "nur" Venezuela oder diese Demonstration oder allgemein die G8-Proteste, über die in allen reichweitenstarken Medien falsch und einseitig berichtet wird - aber wer hier ungenau berichtet, dem ist auch zuzutrauen bei anderen Dingen ungenau zu berichten oder gar bewusst zu lügen.

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Vorsicht bei Auslandsberichterstattung deutscher Medien! - Beispiel Venezuela

An der Politik des venezulanischen Regierungschef Chávez gäbe es sicherlich einiges zu kritisieren, vor allem an der konkreten Umsetzung seiner Politik. Aber was die deutschen Medien abliefern an Berichterstattung über Venezuela, das war schon immer unterirdisch und grenzt mittlerweile an schlichte Lüge. Ich vermute jedoch, dass die deutschen Medien ihre Leser, Zuschauer und Zuhörer nicht bewusst belügen wollen, sondern dass sie es einfach nicht besser wissen und weiterhin unzuverlässige, nicht vertrauenswürdige Nachrichtenquellen verwenden.

Deutsche Medien offenbaren so - von Tagesschau bis RTL2 und Bild-Zeitung - erneut ihre Unprofessionalität bei der Berichterstattung über Venezuela.

Chávez schließt einen TV-Sender in Venezuela, so heißt es. Stimmt nicht. Die Sendelizenz läuft nur aus. Der jetzt seinen Betrieb einstellende Privatsender nutzte eine Lizenz für einen staatlichen TV-Kanal. Die Nutzung dieses Kanals war vertragsmäßig an Bedingungen geknüpft, die der private TV-Sender in mehreren Fällen verletzt hatte. Der Aufruf zum gewaltsamen Sturz der demokratisch gewählten Regierung durch den TV-Sender war dabei nur eine Sache, die vermutlich auch in Deutschland zu einem sofortigen Entzug einer Sendelizenz geführt hätte. Dem privaten Sender wurde jedoch trotzdem nicht die Sendelizenz entzogen oder der Vertrag vorzeitig gekündigt. Der Lizenzvertrag lief nur aus. Der Sender hätte jederzeit die Möglichkeit gehabt, auf einen privaten Sendekanal zu wechseln.

Über dieses und weitere Dinge, die in den bescheuerten deutschen Medien verschwiegen wurden, berichtet zumindest ein kleiner Artikel bei Telepolis.de: Information statt Freiheit.

Aus dieser umfassenden Falschberichterstattung deutscher Medien kann man nur einen Schluss ziehen: Vorsicht beim Gucken von Tagesschau & Co.! Besonders, wenn über das Ausland berichtet wird, ist den deutschen Medien oftmals nicht zu trauen.

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