Dienstag, 3. Juni 2008

Telekom-Skandal weitet sich täglich aus - Berichterstattung bei ARD und ZDF nicht

Auch anderen fällt mittlerweile die doch recht sparsame Berichterstattung von ARD und ZDF rund um den Telekom-Spitzel-Skandal auf. So schreibt das intensiv und investigativ über die Telekom-Affäre berichtende Handelsblatt:

Unterdessen wächst die Kritik an der Zurückhaltung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens im Fall des Abhörskandals bei der Deutschen Telekom. Selbst in den eigenen Reihen wird Kritik laut. [...] An der Zurückhaltung der ARD bei der Telekom wird sich aber nichts ändern. Auch die nächste Talksendung „Hart, aber fair“ mit Frank Plasberg lässt den Telekom-Skandal links liegen. „Wir werden uns mit dem Thema ,Top-Model-Gesellschaft. Wie krank macht uns der Schönheitswahn’ beschäftigen’“, sagte eine Sprecherin der Kölner Produktionsfirma. (Quelle: Handelsblatt.com)


Das Handelsblatt weist auch darauf hin, dass beispielsweise am Sonntag in dieser Sendung von Anne Will der Skandal nicht Thema war. Ebenso bei den ZDF-Polit-Talks nicht.

Ich möchte noch hinzufügen, dass er auch beispielsweise in den letzten beiden Ausgaben des ARD-Presseclubs kein Thema war.

Es gab meines Wissens nach auch keine Sondersendungen oder Sonderreportagen bei ARD und ZDF. Was auch nicht nötig wäre, würden die Sender in ihren Nachrichtensendungen umfangreicher berichten. Ich hätte mir vor allem mehr direkte Interviews gewünscht, wie sie beispielsweise in der letzten Woche in der "Passauer Neuen Presse" oder in der "Neuen Osnabrücker Zeitung" zu lesen waren. Wünschenswert wären kritische Interviews mit Regierungsvertretern und Oppositionsvertretern und ausführliche, klärende Hintergrundinterviews mit Experten wie Datenschutzexperten, Rechtsexperten oder IT-Experten beispielsweise.

In der ARD oder im ZDF konnte man bislang auch zum Beispiel nicht erfahren, wie umfangreich eigentlich die Bespitzelung des Financial-Times-Journalisten Enzweiler durch die von der Telekom beauftragten Leute war: Gespräche mit Geschäftspartnern wurden abgehört, die Spitzel folgten ihm und seinen Kindern sogar bis auf den Spielplatz. Sie erstellten Persönlichkeitsprofile genau so wie dies die Stasi getan hatte, um Schwachstellen zu finden, möglicherweise für eine gezielte Erpressung, berichtete gerade N-TV in einer kurzen Reportage.

Es gibt bei diesem Telekom-Spitzel-Skandal viele Möglichkeiten, das zu hinterfragen, was einem die Telekom und manche Politiker bieten. ARD und ZDF scheinen meiner Beobachtung nach darauf zu verzichten. Viele andere Medien, vor allem die deutschen überregionalen Tageszeitungen und Magazine, nutzen diese journalistischen Möglichkeiten glücklicherweise aus und so bleibt bei ihnen die Telekom-Story auf Platz eins. Anders bei ARD und ZDF. Anders auch als ARD und ZDF glänzten vor allem der Spiegel, die Südddeutsche Zeitung, das Handelsblatt und die Financial Times in der letzten Woche mit täglich neuen Erkenntnissen zur Telekom-Affäre.

Und dennoch ist vieles noch unklar. So ist das wahre Ausmaß der Bespitzelungen ja immer noch nicht bekannt in der Öffentlichkeit. Warum eigentlich nicht? Wieviele Telefonverbindungsdaten wurden denn nun ganz genau untersucht? Nimmt man die Zahl von 100.000 Verbindungsdaten und nimmt man konservativ schätzend an, dass hier nicht einzelne Telefongespräche mit gemeint sind, sondern alle Daten, die bei einer Telefonverbindung anfallen, also beispielsweise Anfangszeitpunkt und Endzeitpunkt der Verbindung (macht zwei Datenwerte), gewählte Rufnummer und Anschlussnummer des Anrufers (wieder zwei Datenwerte), bei Handys noch die Funkzelle beider Gesprächspartner (wieder zwei Datenwerte), dann könnten noch Werte wie "benutzter Provider" hinzukommen und vielleicht noch, ob die Verbindung erfolgreich zustande kam oder nicht und ob der Anruf bei der Gegenseite weitergeleitet wurde oder nicht und wenn ja, wohin... dann müsste man also die einhunderttausend Verbindungsdaten zum Beispiel durch 10 teilen und käme dann auf die Schätzung, dass 10.000 Telefongespräche ausgewertet wurden. Immer noch eine ganze Menge, wenn man annimmt, dass "nur" ein kleiner Kreis von Telekom-Managern und einigen Wirtschaftsjournalisten überwacht worden sein soll über ein Jahr. Wieviele Personen sind also tatsächlich betroffen von der Telefon-Spitzelei der Telekom? Und hat die Telekom begonnen, diese Personen nun endlich zu benachrichtigen? Und was ist mit einer Entschuldigung der Telekom? Und warum kann oder will die Telekom beispielsweise der Zeitschrift "Capital" nicht mitteilen, wer der Telekom-Spitzel war, den die Telekom in die Redaktion von "Capital" eingeschleust hatte?

Es gibt äußerst interessante Vorschläge der Oppositon, der Datenschützer und des Chaos-Computer-Clubs dazu, wie man eine derartige Spitzelei in Zukunft erschweren könnte. Es gibt dezidierte Analysen, die beleuchten, warum so etwas wie die Telekom-Spitzelei stattfinden konnte, wo die Ursachen liegen dafür und wo hier auch der Staat versagt hat. Eine öffentliche Diskussion über diese Vorschläge findet bislang leider noch kaum statt. Und wenn man als Medium selbst wegen mangelnder Kontakte oder mangelnder Möglichkeiten nicht in der Lage ist, selbst investigativ neue Telekom-Schweinereien ans Tageslicht zu bringen, so wie dies anscheindn im vorliegenden Telekom-Spitzel-Skandal bei ARD und ZDF der Fall zu sein scheint, dann wäre doch genau dies, also die Diskussion über Ursachen und Lösungen des Problems ein einladendes Feld der journalistischen Betätigung. Aber auch diese Möglichkeit nutzten ARD und ZDF meiner Meinung nach bislang kaum.

Vielleicht sind ARD und ZDF aber auch gar nicht mehr nötig zur politischen Willensbildung? Selbst die Unions-Politiker, die wie beispielsweise der Unionsfraktionsvorsitzende Wolfgang Bosbach zuvor noch härtere Strafen ablehnten, scheinen nun umzudenken angesichts des sich weiterhin immer stärker ausweitenden Spitzel-Skandals, wie beispielsweise die Financial Times Deutschland berichtet. Mal sehen, wie lange ARD und ZDF nun brauchen, um über diesen massiven Stimmungswechsel in der Union zu berichten und in welcher Ausführlichkeit dies geschieht oder eben nicht geschieht.

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