Samstag, 8. März 2008

Zitat des Tages

Vermutlich alt, aber mir neu - Wiglaf Droste in der bald wegen gemeingefährlicher "Wortballungen" abgesetzten WDR3-Radiosendung "Das Tageszeichen" vom 28.02.2008:

Ich habe tote Fische gesehen, die es ablehnten sich in BILD einwickeln zu lassen.


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Donnerstag, 6. März 2008

ARD-Tagesschau mit sensationellen Infos zum Konflikt Kolumbien/Ecuador/Venezuela

Gestern Abend erstaunte mich die Berichterstattung der ARD-Tagesschau zum aktuellen Konflikt zwischen Kolumbien und dem Rest Südamerikas.

Die Tagesschau betitelte ihren kurzen Bericht mit den seltsamen Worten "Konflikt um Geiselbefreiung" und erläuterte, dass die Militäraktion Kolumbiens auf ecuadorianischem Gebiet eine "gewaltsame Geiselbefreiung" gewesen sei, ja dass Kolumbien tatsächlich auch Geiseln erfolgreich befreit hätte und dass diese Geiseln auf dem Gebiet Ecuadors gefangen gehalten worden wären.

Obwohl ich gerade intensiv online viele andere deutsche und auch internationale Medien abgesucht habe, fand ich nirgendwo sonst die Aussage, dass bei der kolumbianischen Militäraktion vor vier Tagen Geiseln befreit worden waren oder Kolumbien gar die Aktion als Geiselbefreiungsversuch dargestellt hatte. Es wird hingegen immer nur berichtet, dass Kolumbien mit seiner Aktion FARC-Rebellen/Terroristen getötet hatte.

Tagesschau.de selbst berichtete am 1. März über die Aktion Kolumbiens und sprach dabei von einem Luftangriff. Wie durch einen Luftangriff Geiseln befreit werden sollen, will mir nicht so recht einleuchten.

Besieht man sich den größeren Zusammenhang, wird sogar deutlich, dass die Aktion Kolumbiens vermutlich sogar die Lage der FARC-Geiseln erheblich verschlimmert hat. Denn kurz vor der Militäraktion hatte die FARC von sich aus Geiseln freigelassen und Ecuador stand in Verhandlungen mit der FARC, bei denen sich anscheinend weitere Geiselfreilassungen abzeichneten. Allgemein wird nun beklagt, dass Kolumbiens Aktion diese Verhandlungen torpediert hat.

Die Neue Zürcher Zeitung berichtet allgemein über die Lage der FARC-Geiseln anhand der Berichte von den vor Kolumbiens Aktion freigelassenen Geiseln.

Welt.de erläutert, dass Kolumbien keinerlei Einzelheiten über seine Aktion bekanntgegeben hat. Nur, dass einige FARC-Rebellen getötet wurden, scheint also der Presse bekannt zu sein.

Die Washington Times berichtet, dass Ecuador und Frankreich Kontakte zur FARC hatten und anscheinend über weitere Geisel-Freilassungen mit der FARC verhandelten und solche Freilassungen eventuell kurz bevorstanden, dass diese Verhandlungsbemühungen jetzt jedoch durch den Übergriff Kolumbiens womöglich vereitelt wurden.

Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) hat laut AFP inzwischen "den kolumbianischen Militäreinsatz gegen Rebellen der FARC auf ecuadorianischem Boden als Verletzung der Souveränität Ecuadors bezeichnet".

Einen zusammenfassenden Bericht liefert auch Telepolis.de

Nur die Tagesschau stellt die Aktion Kolumbiens dar als einen Geiselbefreiungsversuch. Woher hat die Tagesschau nur diese Information? Und warum hat die Tagesschau diese Information exklusiv? Und wenn Kolumbien seine Aktion tatsächlich als Geiselbefreiungsversuch dargestellt haben sollte, wäre es dann für die Tagesschau nicht angebracht gewesen, diese Darstellung Kolumbiens kritisch zu hinterfragen? Von der Gefährdung der Verhandlungen um Geiselfreilassungen durch die Aktion Kolumbiens findet sich im Tagesschau-Bericht auch nichts.

Stefan Schaaf, der Südamerika-Korrespondent der Tagesschau, fiel mir schon einmal auf wegen seiner seltsamen Berichterstattung.

Nachtrag: Ein äußerst interessantes und aufschlussreiches Experten-Interview rund um die Hintergründe des Konfliktes zwischen Kolumbien, Ecuador und Venezuela liefert der Tagesspiegel: Die Verhandlungen sollten scheitern.

Ein paar Auszüge:

Es war das Ziel der Tötung, die Verhandlungen scheitern zu lassen. Raul Reyes wurde angegriffen, weil er der politische Kontaktmann der Farc ist. Die kolumbianische Regierung möchte um jeden Preis verhindern, dass es ein politisch vermitteltes Abkommen gibt, das die Farc aufwerten würde. [...] Reyes wurde anhand von Satellitentelefonaten geortet. Kolumbien hat offen zugegeben, dass der US-amerikanische Geheimdienst die Daten zur Verfügung gestellt hat. Man muss auch davon ausgehen, dass US-Rangers direkt am Boden, an der Leitung dieser Operation, beteiligt waren. [...] Die Rolle von Chavez in diesem Konflikt wird verkannt. Tatsächlich ist die Regierung Chavez die erste Regierung Venezuelas gewesen, die hochrangige kolumbianische Guerilla-Vertreter nach Kolumbien ausgeliefert hat. [...] Durch die Beschimpfungen hat sich Chavez als Vermittler nun natürlich diskreditiert. Mit seinen Drohgebärden gegenüber Kolumbien wollte Chavez auf die Souveränitätsverletzung der USA und Kolumbiens gegenüber Ecuador aufmerksam machen. Wenn Ecuador alleine protestiert hätte, wäre wahrscheinlich gar nichts passiert, denn Ecuador ist ein kleines Land. [...] In Lateinamerika gibt es ja eine Reihe von Beispielen, dass Linksregierungen durch Geheimoperationen gestürzt wurden, beispielsweise in Chile und Guatemala in den 50er und 70er Jahren. Das waren alles mafiose Projekte, mit Drogengeld finanzierte Kämpfe gegen Linksregierungen. [...] In Venezuela sind 200 Regierungsanhänger in den letzten Jahren getötet worden - mutmaßlich von kolumbianischen Todesschwadronen. (Quelle: Tagesspiegel.de)


Nachtrag 2, 7.03.2008: Bislang scheint die Tagesschau seltsamerweise keinen weiteren Gebrauch ihrer vermeintlich exklusiven Informationen über eine gewaltsame Geiselbefreiungsaktion durch Kolumbien zu machen. Wäre ich im Besitz einer derart exklusiven Information, würde ich sie hingegen immer wieder präsentieren, um der zahlenden Kundschaft (damit sind Sie, verehrter GEZ-zahlender Weblog-Leser, gemeint) zu zeigen, wie gut die Tagesschau arbeitet. Stattdessen herrscht nun Schweigen und Stille bei der Tagesschau und die Meldung in der 20-Uhr-Ausgabe der vorgestrigen Tagesschau, dass der Angriff Kolumbiens am 1. März auf ecuadorianisches Gebiet eine erfolgreiche Geiselbefreiungsaktion gewesen sei, erfährt keinerlei weitere Bestätigung - weder von Seiten der Tagesschau, noch von Seiten anderer Medien, wie mir scheint. Auch ein Zurückrudern der Tagesschau, also beispielsweise eine Korrekturmeldung, konnte ich bislang nirgends entdecken. Auch im dafür ja eigentlich gut geeigneten "Tagesschau-Blog" nicht. Ob also die 20-Uhr-Ausgabe der Tagesschau vorgestern an äußerst prominenter Stelle ihre Zuschauer vielleicht in extremer Art und Weise in die Irre geführt hat und der Übergriff Kolumbiens auf Ecuador also gar keine Befreiungsaktion gewesen war?

Dann wäre zu fragen: Wenn die Tagesschau es schon bei derart wichtigen Meldungen nicht schafft, korrekt zu berichten, wo dann noch alles nicht? Und wenn die Tagesschau nicht einmal solch eine bedeutsame Meldung korrigiert, welche Meldungen dann noch alles nicht? Und hätten bei der Tagesschau-Redaktion nicht einige Alarmglocken läuten müssen, als sie Informationen auf den Tisch bekam, Kolumbiens international heftig umstrittene und den Kontinent an den Rand eines Krieges bringende Militäraktion sei eine erfolgreiche Geiselbefreiung gewesen? Müssten solche Meldungen, die dem, was überall national und international sonst berichtet wird, derart fundamental widersprechen, nicht auch in besonderer Weise von der Tagesschau überprüft werden? Anscheinend nicht.

Der Umgang der Tagesschau-Redaktion mit dieser anscheinend eklatanten Falschmeldung in der vorgestrigen 20-Uhr-Ausgabe der Tagesschau wirft ein Schlaglicht auf die eben auch bei der Tagesschau, dem sogenannten "Flaggschiff" der ARD, häufig anzutreffende fragwürdige Qualität der Berichterstattung.

Ob sich das NDR-Medienmagazin "Zapp" mal dieses extremen Faux-Pas der hauseigenen Tagesschau annehmen wird? Darf ich raten? Vermutlich nicht.

Eine Falschmeldung über eine angeblich erfolgreiche, gewaltsame Geiselbefreiungsaktion durch Kolumbien ist keine Kleinigkeit. Es geht dabei beispielsweise auch um die Richtung der EU-Außenpolitik gegenüber Südamerika. Die EU hat bislang Kolumbien einseitig gestützt. Eine erfolgreiche, gewaltsame Geiselbefreiung durch Kolumbien würde diesen EU-Kurs weiter stützen und würde den Verhandlungskurs von Ecuador und Venezuela weiter in Misskredit bringen. Wer mehr darüber erfahren will, dem empfehle ich noch ein Interview im österreichischen "Standard" mit dem Ehemann von Ingrid Betancourt, der zur Zeit prominentesten Geisel der FARC.

Ein Auszug:

STANDARD: Welche Rolle sollte die EU spielen? Sie steht ja auf der Seite von Kolumbiens Präsident Uribe und beschränkt sich auf die Aufforderung zur bedingungslosen Freilassung.

Lecompte: Die EU sollte entschlossener für das Humanitäre eintreten, mit effektiveren Maßnahmen. Mit ihrer bisherigen Haltung trägt sie dazu bei, dass die Entführten ewig im Urwald bleiben. Ich wünsche mir, dass die EU so wie Frankreich handelt. Als Kolumbianerin und Französin ist Ingrid auch Europäerin. Deutschland mit seiner Kanzlerin sollte auch aktiver werden.

STANDARD: Gibt es in der kolumbianischen Regierung Leute, auf die Sie zählen können?

Lecompte: Nein, da gibt es keinerlei Unterstützung oder Solidarität. Sie setzen auf den Krieg, auf die militärische Befreiung der Geiseln, obwohl sie wissen, dass das einem Todesurteil gleichkommt. (Quelle: DerStandard.at)

Nachtrag 3, 7.03.2008: Wie ich heute erst sehe (ja, ich komme im Moment kaum dazu, meine abonnierten RSS-Feeds abzuklappern), ist die seltsame Tagesschau-Berichterstattung auch anderen aufgefallen. Ein Glück.
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