Samstag, 19. Mai 2007

BKA-Chef Ziercke: Weg vom Misstrauen gegen den Staat

BKA-Chef Ziercke verlangt in einem Interview mit Welt.de - nachdem er ausführlich geschildert hat, dass der Staat mehr Überwachungsmöglichkeiten benötige - dass die Bürger endlich aufhören sollten mit ihrem Misstrauen gegenüber den Behörden:

Wir müssen wegkommen von dieser Misstrauensdebatte, gegen den Staat, gegen die Polizei. (Quelle)


Wie jedoch soll ich Vertrauen schöpfen, wenn der Chef des Bundeskriminalamtes sogleich im selben Interview wiederum äußerst Zweifelhaftes erzählt? So sagt er beispielsweise zur geplanten Onlinedurchsuchung (Bundestrojaner):

Wir haben taktische und technische Möglichkeiten, die wir sehr individuell, auf den Einzelfall bezogen, einsetzen können. Es geht also nicht um eine flächendeckende Schleppnetzfahndung im Internet, sondern um Informationen, die für ein konkretes Strafverfahren zur Gefahrenabwehr notwendig sind. (Quelle)


Ich will ja vertrauen! Bitte helfen Sie mir dabei, lieber Herr Ziercke! Aber wie kann ich die Schilderungen Zierckes in Einklang bringen mit anderen Berichten, die den ersten Einsatz solcher Online-Durchsuchungen - die übrigens in krimineller Art und Weise am Parlament und damit rechtsstaatlichem Gesetzgeber vorbei durchgeführt wurden - ganz anders beschreiben? So berichtete der Deutschlandfunk:

Neben den Zielrechnern, die sie online durchsuchen wollten, sind auch andere Rechner mit diesem Trojaner wohl verseucht worden. Und das soll zur Folge gehabt haben, dass so viele Daten an den Zielrechner geschickt worden sind, dass der Sammelrechner, auf dem die ganzen Durchsuchungsdaten landen sollten, sich offensichtlich wie bei einem Denial of Servcie Angriff verhalten hat. Das heißt, ob der vielen Daten soll der einfach in die Knie gegangen sein. (Quelle)


Auch Zierckes Vorschlag, doch einfach den Quellcode eines Bundestrojaners (Quellcode = Bauanleitung für die Software "Bundestrojaner") bei einem Richter zu hinterlegen, um damit zu verhindern, dass die Ermittlungsbehörden Unfug mit dem Bundestrojaner treiben, hilft nicht, um Vertrauen wachsen zu lassen. Denn auch mit dem Quellcode in der Hand kann ein Richter wohl kaum verhindern, dass die Software nicht doch illegal eingesetzt wird. Anders ausgedrückt: Wenn ich weiß, wie ein Messer hergestellt wird, kann ich dadurch nicht verhindern, dass jemand das Messer in krimineller Absicht einsetzt.

Selbst wenn Behörden und Regierungen tatsächlich nur vom Edlen und Guten geleitet sind, so machen sie unweigerlich dennoch Fehler. Gibt es keine Kontrolle und wird die Macht des Staates nicht eingeschränkt, so kann bei der modernen Technik alleine schon daraus Schlimmes erwachsen. Hinzu kommt, dass Mitarbeiter in Behörden auch nur Menschen sind. Das heißt teilweise erpressbar sind oder einfach Vorteile ausnutzen wollen. Dass Menschen so sein können, das müsste doch gerade jemand wie Ziercke, der täglich mit Kriminalität zu tun hat, wissen. Warum sollen ausgerechnet Mitarbeiter von Behörden, ob einfache Polizisten, Staatsanwälte oder gar Richter davon ausgenommen sein?

Das wichtigste Argument jedoch ist, dass eine präventive, weite Überwachung die Würde des Menschen verletzt. Der Kampf gegen Terrorismus oder Kinderpornografie (ja, auch von Ziercke angeführt im Interview) ist eben nicht alles. Darauf verwies das Bundesverfassungsgericht in den letzten Jahren immer und immer wieder. So hilft es auch nicht, wenn zunächst "nur" ein Richter sich die ungefilterten Überwachungsprotokolle oder Ergebnisse einer Onlinedurchsuchung ansehen darf, um dann nur bestimmte Teile daraus (Welche? In welchem Umfang? Wer kontrolliert den Richter?) an die Ermittlungsbehörden weiterzugeben, um die Würde des Verdächtigen zu schützen. Der Staat kann nicht vor jedem Verbrechen schützen, kann nicht alles tun, um präventiv Verbrechen zu verhindern. Das geht letztendlich technisch nicht, aber vor allem nicht, weil die Würde des Menschen unantastbar ist. Wer mehr dazu lesen will, dem empfehle ich wie bereits in einem früheren Weblog-Eintrag die Ausführungen im Weblog "In Coram Publico" hierzu.

Misstrauen gegenüber der Regierung ist grundlegendes Element der Demokratie. Sonst bräuchte man auch keine Gewaltenteilung.

Gerade weil Ziercke also fordert, dass man doch bitte aufhören solle mit dem Misstrauen gegenüber dem Staat, misstraue ich Ziercke! Zierckes Äußerungen entspringen entweder einer erschreckend hohen Naivität oder sind sogar im Gegenteil gezielte Täuschung. Ich befürchte eher Letzteres. Vor allem, wenn man dann noch diese Äußerung von Ziercke im Interview liest:

Ich will hier nicht die Verbindungsdaten aller Internet-User in Deutschland speichern, das ist völliger Unsinn. Ich möchte, dass die Provider bei Transaktionen im Internet die Verbindungsdaten ein halbes Jahr aufbewahren. (Quelle)


Na toll! Er, Ziercke, speichert sie also nicht. Dafür aber die Provider, auf die "Er" dann sofort Zugriff hat. Das ist praktisch gesehen kein Unterschied zu einer Lösung, wo die Verbindungsdaten direkt bei den Behörden gespeichert wären. Die Speicherung der Daten bei den Providern ist halt technisch schlicht die einfachere, praktikablere Lösung.

Wie soll man jemandem wie Ziercke vertrauen, der derartige Täuschungsmanöver ausführt? Soll man nun anfangen an Ziercke zu glauben? An die Sicherheitsbehörden? Fehlt uns Bürgern also einfach nur der rechte Glaube? Ja, ich gebe es zu, ich bin ein elendiger Zweifler und mein Glaube ist schwach. Vielleicht kommt ja bald ein O'Brien und hilft mir.

Wenn Ziercke möchte, dass ich wieder mehr Vertrauen gegenüber der Exekutive habe, dann wüsste ich eine Maßnahme, die ein Anfang auf diesem Weg sein könnte: Die sofortige Absetzung Zierckes von seinem Posten.

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Freitag, 18. Mai 2007

Internet heißt: Überall wird protokolliert, was man liest

Lieber Weblog-Besucher,

wenn Sie dieses Weblog mit ihrem normalen Webbrowser aufrufen und die Standardeinstellungen im Browser nicht verändert haben und auch keine zusätzliche Schutzsoftware benutzen, dann wurde soeben ihre IP-Adresse an mindestens fünf Stellen gespeichert: Bei Google, Yahoo, Statcounter, Amnesty International und Uberwach.de.

Mein Weblog wird bei Google gehostet (Blogspot.com gehört zu Google). Außerdem binde ich rechts in der Navigationsseite Elemente von Yahoo ein (Del.icio.us). Um zu sehen, von wo aus man auf Artikel dieses Weblogs kommt und um eine ungefähre Ahnung zu haben, ob bestimmte Artikel größeres Interesse erregen, nutze ich außerdem einen Counter von Statcounter. Des weiteren findet man in der Navigationsleiste rechts ein Banner einer Aktion von Amnesty International. Und schließlich einen Button einer Aktion von "Uberwach.de".

Bei jedem Aufruf meines Weblogs fordert ihr Browser von den oben genannten Diensten Internetinhalte an. Dabei fallen Daten an. Beispielsweise wird ihre IP-Adresse an diese Dienste weitergeleitet - denn ansonsten kämen bei ihnen keine Daten an, weil die Dienste nicht wüssten, wohin sie ihre Daten schicken sollen.

Alles kein Problem also? Nicht ganz. Das Problem entsteht dadurch, dass viele Weblogs diese Dienste in ihr Weblog einbinden. Wenn sie also von meinem Weblog zu einem anderen Weblog wechseln, wo mindestens auch wieder einer dieser gleichen Dienste eingebunden und im Weblog genutzt wird, dann kann der Dienst, so er das will, protokollieren, dass sie von meinem Weblog zu dem anderen Weblog wechselten.

Millionen Internetseiten binden Dienste von Google und Yahoo in ihre Internetangebote ein. Zu diesen Diensten gehören zum Beispiel auch Werbebanner. Es gibt kaum noch eine kommerzielle Internetseite, die nicht Werbebanner zeigt, die von Servern von Google in die Internetseite eingebunden werden. Wenn sie, lieber Weblog-Besucher, also munter durchs Internet surfen, können diese Dienste-Anbieter ohne Probleme verfolgen, was ihre IP-Adresse sich alles im Internet anschaut. So lange sie nicht auf irgendeiner Webseite ihren Namen oder ihre E-mail verraten und diese gleichzeitig in die Hände von beispielsweise Google gerät, wissen diese Diensteanbieter natürlich nicht, wer sich hinter einer IP-Adresse verbirgt. Aber es reicht ja auch schon, dass sie Internetangebote aufrufen, die in Verbindung mit ihnen stehen - beispielsweise ihr eigenes Weblog oder die Internetseiten ihres Arbeitgebers. Auf lange Sicht kann auf diese Art und Weise herausbekommen werden, wer sie sind. Diesen Pfad, den sie im Internet zurücklegen, nennt man auch "Clickstream". Es ist durchaus möglich, dass Google, Yahoo und andere (vielleicht sogar ihr Internetserviceprovider, mit dessen Hilfe sie überhaupt ins Internet kommen) Clickstreams von Nutzern weiter verkaufen an Datenhändler oder Werbeanalysten.

Gegen die allgegenwärtige Datensammlung im Internet kann man sich auf drei Arten wehren:

  • Erstens: Man nutzt kein Internet.
  • Zweitens: Man surft nur Seiten an, die keine Dienste anbieten, die auch woanders in anderen Internetseiten eingebunden sind. Dann muss man jedoch darauf hoffen, dass der Betreiber solch einer Webseite nicht doch ihre IP-Daten irgendwem weitergibt, denn zumindest der Provider, der hinter einer Webseite steht, kennt die IP-Adressen derjenigen, die die Webseite aufrufen. Keine sichere Lösung also.
  • Drittens: Man setzt zusätzliche Mittel ein, um es Diensten wie Google und Yahoo und so weiter zu erschweren, ein Surfprofil über sie einzurichten. Zu diesen Mitteln gehört, regelmäßig die Cookies im eigenen Browser zu löschen und JavaScript standardmäßig abzuschalten (oder beispielsweise mit Hilfe der kostenlosen Firefox-Erweiterung "Noscript" zu beschränken). Das verhindert jedoch nicht, dass beispielsweise Google sie nicht mittels Werbebannern auf diversen Seiten im Netz verfolgen kann. Also kann man noch einen Werbebanner-Blockierer verwenden. Der verhindert jedoch unter Umständen nicht, dass doch Banner erscheinen oder beispielsweise zentral gehostete "Zählpixel" erfassen, welche Internetseiten sie alles besuchen. Das Abschalten der Anzeige von Bildern im Browser könnte natürlich helfen. Aber irgendwann kommt man zu einem Punkt, wo man sich fragt, ob man nicht doch lieber die erste hier genannte Lösung wählen sollte, nämlich das Internet nicht zu nutzen.
Fazit: Setzt man keine vollständigen und teilweise etwas umständlichen oder verlangsamenden Anonymisierungs-Dienste ein wie beispielsweise Tor, hat man bei der Nutzung des Internets keinen vollständigen Datenschutz. Leider. Egal ob man nun Tor nutzt oder nicht, muss man zudem noch einiges beachten. Dazu gehört auch, dass man beispielsweise bei der Nutzung von solchen Diensten wie Google (seien es die personalisierte Google-Suche, der Google-Reader oder eben Blogger/Blogspot.com als Weblog-Lösung) oder bei den Angeboten von Yahoo (Flickr, Del.icio.us und so weiter) möglichst nirgends seinen realen Namen angibt oder Daten, die ohne große Hindernisse auf die eigene, reale Person verweisen.

Befolgt man also einige Tricks, dann konnte man bislang relativ sicher sein, dass nicht offen zu Tage tritt, was für Internetseiten man sich alles im Internet anschaut und dass niemand über diese Daten in vollem Umfang verfügt.

Nun aber kommt die Vorratsdatenspeicherung. Damit werden Provider verpflichtet für eine längere Zeit zu protokollieren, mit wem man kommuniziert und zu welcher Zeit man mit welcher IP-Adresse im Internet unterwegs war. Auch Tor-Server-Betreiber werden wohl verpflichtet sein, zu protokollieren, wer über sie surft. Außerdem gibt es seit neuestem eine erleichterte Möglichkeit für Behörden, Auskunft zu verlangen von Internetprovidern und zu fragen, zu wem eine im Internet protokollierte IP-Adresse gehört. Mit der Vorratsdatenspeicherung steigt dann zudem die Möglichkeit für die Behörden, im Nachhinein genau zu verfolgen, was sie im Internet treiben. Dazu bräuchten die Behörden beispielsweise nur an die von Google per Werbebanner erfassten IP-Adressen gelangen und diese dann abgleichen mit den Daten ihres Internetproviders und schon lägen vermutlich große Teile ihres Surfverhaltens den Behörden offen. Dass auch diskutiert wird, eventuell die private Wirtschaft (Musikindustrie) an Daten aus der Vorratsdatenspeicherung herankommen zu lassen, macht die ganze Sache noch brisanter.

Kurz: Mit der Vorratsdatenspeicherung droht - obwohl offiziell "nur" Verbindungsdaten gespeichert werden sollen - die Offenlegung ihres gesamten Surfverhaltens und damit auch von den Inhalten, die sie über das Internet kommunizieren.

Wenn also jetzt beispielsweise die Aktion von UBERWACH.de (siehe Button in der rechten Navigationsleiste) auf die allgegenwärtige Speicherung von Daten im Internet aufmerksam macht, indem sie das Datenspeichern öffentlichkeitswirksam vorführt, dann kann man zwar einerseits die Nase rümpfen und sagen: "Uh! Böse Datenspeicherer von UBERWACH.de!" Ich jedoch bin froh darüber, wenn jemandem das allgegenwärtige Datenspeichern im Internet durch die Aktion von UBERWACH.de klarer wird und er sieht, dass da tatsächlich nachverfolgt werden kann, welche IP-Adresse welche Internetangebote nutzt. Vielleicht fängt derjenige ja dann endlich an, eine der oben skizzierten Lösungen zu verwenden und die Brisanz der Vorratsdatenspeicherung zu verstehen.

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Donnerstag, 17. Mai 2007

Um mal was zum Inhalt der G8-Proteste zu sagen...

Da der Inhalt der Proteste zum G8-Gipfel in Heiligendamm in den Medien kaum eine Rolle spielt und ich das ziemlich besch...eiden finde, will ich nicht auch diesen Fehler machen.

Dass ich hier in den letzten Tagen so häufig über den G8-Gipfel geschrieben habe, liegt nicht unbedingt daran, dass ich dieses Ereignis besonders wichtig finde hinsichtlich dessen, was da politisch zwischen den Teilnehmern beschlossen wird. Aber diese Gipfel-Treffen sind nun einmal zu einem symbolischen Kristallisationspunkt geworden. Vor allem für die Protestierer und Globalisierungskritiker. Und nun wird der G8-Gipfel von Heiligendamm auch noch zu einem Symbol für den Wischiwaschi-Umgang mit Bürgerrechten in Deutschland. Vor allem durch die überzogenen Polizei-Razzien gegen G8-Gegner im Vorfeld.

Der Protest bezüglich der Politik, für die die sich gipfeltreffenden Industriestaaten stehen, ist dermaßen vielstimmig und breit gefächert, dass ich in dieses Problemfeld nicht wirklich detailliert einsteigen will. Auch meine Ressourcen sind begrenzt. Deshalb nur ein paar Worte dazu:

Ich kann nachvollziehen, dass manche die Globalisierungskritiker als naive "Gutmenschen" diffamieren. Es gibt unter den Protestlern sicherlich zahlreiche, die selbst nicht richtig verstehen, wogegen sie da eigentlich sind und die vielleicht nur die in Heiligendamm versammelte Macht an sich böse finden und sich selbst wegen ihres "mutigen" Protestes gut finden und für die alle Ungerechtigkeit in der Welt mit der Politik der Industriestaaten zusammenhängt. Aber solche "Mitläufer", die mitmachen, weil sie sich dabei und damit halt "gut" vorkommen, gibt es überall, bei allen politischen Bewegungen. Selbst vermutlich bei den Neonazis. Oder gerade da - denn tragfähigen Inhalt haben die ja wohl am wenigsten zu bieten, so dass bei denen vermutlich alleine die Zugehörigkeit zu einer Gruppe zählt.

Auch muss ich sagen, dass ich nicht daran glaube, dass derartige Protestumzüge und Aktionen viel bewegen werden. Inhaltlich betrachtet. Aber zumindest setzen sie ein Zeichen. Und zwar, dass da jemand nicht einverstanden ist. Nur das wird vermutlich am Ende beim Großteil der Bevölkerung ankommen, wahrgenommen werden: Da ist jemand sauer, wütend.

Und so kann dieser gewaltige Protest, der solch wahnsinnige logistische Vorbereitungen und solch intensive, unbezahlte Arbeit von den Demonstranten kostet, zumindest ein Anknüpfungspunkt für spätere Diskussionen sein. Denn wenn gar nicht bekannt wäre, dass es Unzufriedenheit gibt über die Politik der Industriestaaten, ja dann könnte auch solch eine Diskussion nicht starten. Darin liegt also der Sinn solch eines Protestzuges.

Das ist aber leider kein Grund, sich nach und während des Protestzuges als "Gutmensch" zu fühlen. Denn Protest alleine verändert erst einmal selbst noch gar nichts.

Und die geforderten Änderungen würden in Deutschland sicherlich viele erst einmal schlucken lassen. Denn Deutschland ist weltweit mit einer der absoluten Hauptprofiteure der derzeitigen Globalisierung. Das heißt nicht, dass andere Länder, gerade auch Schwellenländer und Entwicklungsländer nicht auch profitieren - aber in einem ganz anderen, viel geringerem Maße. Einerseits bedeutet Globalisierung die Möglichkeit zum freien Handel. Und beim Handel profitieren beide Seiten, sonst würde er nicht existieren. Andererseits profitiert beim Handel immer derjenige mehr, der schon stärker ist. Und da die Unterschiede zwischen Entwicklungsländern und Industriestaaten schier riesig sind, sind auch die möglichen Übervorteilungen der Entwicklungsländer durch die Industrienationen teilweise riesig. Da können die Industrienationen beispielsweise in Verhandlungen mit den Entwicklungsländern anbieten, ihre Märkte für Produkt "A" zu öffnen, verlangen dafür aber von den Entwicklungsländern im Gegenzug die Öffnung ihrer Märkte für Produkt "A", "B" und "C". Da das Entwicklungsland jedoch angewiesen ist, sein Produkt "A" im Ausland zu verkaufen (weil sonst nicht viel anderes produziert wird), muss es auf diese Bedingungen eingehen. Mit der Folge, dass anschließend Ansätze der heimischen Industrie, die auch Produkt "B" und "C" herstellten, wegen der jetzt offenen Märkte gar nicht mehr konkurrieren können mit den Angeboten aus den Industrienationen und so eingehen und anschließend die Abhängigkeit von Produkt "A" für das Entwicklungsland noch weiter steigt. Ist Produkt "A" ein Rohstoff oder ein Naturprodukt, so ist sein Abbau oder Anbau häufig nicht sehr wertschöpfend. Zum Beispiel weil zum Abbau nur wenige Arbeiter nötig sind oder weil das Produkt kaum über den Anbaukosten auf dem Weltmarkt verkauft werden kann.

Und die Industrienationen müssen häufig so handeln, wie sie handeln, weil ihnen sonst die heimische Bevölkerung aufs Dach steigen würde. Anders ist beispielsweise nicht zu erklären, dass die EU immer noch das meiste Geld für die Subventionierung der eigenen Landwirtschaft ausgibt und Entwicklungsländer häufig keine Chance haben, ihre Produkte in der EU abzusetzen.

Fazit: Es gibt keinen goldenen Weg bei diesem Problemfeld. Es gibt nicht den heldenhaften Weg, den die Industrienationen, angetrieben von beseelten, halb-heiligen G8-Protestlern und mit einem vom Gutsein angesteckten Volk im Rücken, beschreiten könnten, um den Entwicklungsländern ganz schnell aus der Patsche zu helfen. Es mag für bestimmte, abgegrenzte Probleme auch klare Lösungen geben. Zum Beispiel, dass eine Politik innerhalb der Entwicklungsländer, bei der Staatsvermögen oder staatliche Grundversorgung auf Teufel heraus privatisiert wird und dann in die Hände weniger, global agierender Großkonzerne fällt, nicht auch noch aktiv durch die Industriestaaten unterstützt und gefördert wird. Ansonsten sind mögliche Problemlösungen jedoch vermutlich meist halbgar, langatmig, kompliziert und vielleicht sogar teilweise schmutzig. Ich sage nur: Militärische Intervention? Darfur? Und wer war nicht alles gegen ein militärisches Engagement, um im Kongo freie Wahlen abzusichern? Wie weit geht die Solidarität? Welche Solidarität ist die richtige?

Aber man könnte sich vielleicht allgemein leiten lassen von dem Grundgedanken, dass letztendlich auch der internationale Handel leiden würde, wenn bei ihm immer nur die bereits Reichen noch reicher und die bereits Armen noch ärmer würden. Wenn der Handel also wirklich fair für beide Seiten wäre und/oder ein wirklich fairer Konkurrenzkampf existieren würde, dann würde auch in den jetzt unterentwickelten Ländern die Produktivität steigen und somit - sofern die Bevölkerung des jeweiligen Staates Anteil hat am Gewinn aus der Produktivitätssteigerung - auch der allgemeine Reichtum und so wiederum die Möglichkeit zum Konsum, was wiederum die Produktion steigen lässt, wovon dann auch wieder die Hersteller in den bereits entwickelten Ländern profitieren würden und so weiter.

Genauso wichtig wie faire internationale Regeln für den Handel ist jedoch der innere Zustand jedes einzelnen Landes selbst. Jeder faire Handel geht fehl, wenn an einem Ende ein Diktator sitzt (oder wenige, internationale Großkonzerne, die sich alles einverleiben...), der die Gewinne aus dem internationalen Handel abschöpft. Beispielsweise. Und viele sagen, dass der Hauptgrund für die Armut in Afrika nicht unfaire Handelsbeziehungen seien, sondern Diktatur, Korruption und ein mangelhaftes bürokratisches System und Rechtssystem. Und soweit ich weiß, gibt es leider noch keine Patentrezepte, wie man von Außen einem Entwicklungsland bei diesen Problemen helfen kann. Ein großer Spendenmarathon beseitigt halt leider keine Korruption. Wirkliche Hilfe von Außen bedeutet langfristiges Interesse des Helfenden und nicht einfach nur das Durchziehen von irgendwelchen, isolierten Entwicklungshilfeprojekten, die häufig nur wie ein Tropfen auf dem heißen Stein wirken oder gar Dinge noch verschlimmern können, weil beispielsweise ein Staudamm zwar einem Drittel Menschen Wasser und Strom gibt, zwei Mal mehr Menschen dafür jedoch vertrieben werden oder weil Entwicklungshilfegelder direkt in die Hände korrupter Beamter fließen.

Für das Gute sind alle. Aber stur irgendwelchen Ideologien zu folgen, wird vermutlich nicht zum Erfolg führen, weil Ideologien den Makel haben, dass sie immer weniger komplex sind als die Realität.

Wer was Sinnvolles hinzufügen möchte, seien es Details oder breit angelegter Widerspruch... Bitte schön. Die Kommentare sind offen.

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Mittwoch, 16. Mai 2007

Neue Schutzgebiete im Osten

Satellitenbild von Heiligendamm mit eingezeichneter BannmeileDas Gelbe soll der Bereich der geplanten Bannmeile rund um Heiligendamm beim kommenden G8-Gipfeltreffen sein. Der rote Bereich ist der von einem Sperrzaun umgebene Bereich von Heiligendamm, also das provisorische Gefängnis für den Unterbindungsgewahrsam von acht, teilweise äußerst verdächtigen Führern politischer Bewegungen. Besuchern wird der Zutritt zu den acht Gefangenen nicht gewährt.

Das Bild ist ein Screenshot aus dem ARD-Nachtmagazin vom 16./17. Mai. Online konnte ich bislang nirgends eine ähnlich gute Darstellung der Bannmeile finden. Das Original wird sicherlich in Kürze auch noch bei der als Videostream im Internet angebotenen Ausgabe des Nachtmagazins vom 16./17. Mai 2007 bei Tagesschau.de zu sehen sein.

Nachtrag: Ah, hier gibt es gutes Kartenmaterial. Man muss halt abseits der reichweitenstarken Medien suchen...

Nachtrag 2: Und Kai Raven hatte gestern schon auf das Kartenmaterial verlinkt. Irgendwie hinkt mein RSS-Feedreader einen Tag hinterher. :-)

Nachtrag 3: Jetzt steht die Ausgabe des ARD-Nachtmagazins, aus dem der obige Screenshot ist, online.

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Linksextremisten - Leute wie Du und Ich?

(Via Fefe's Blog:) Der Verfassungsschutzbericht 2006 enthüllt einerseits Altbekanntes. So würden Linksextremisten bestimmte Kampagnen fahren wie zum Beispiel einen alljährlichen "Kampftag für die Freilassung aller politischen Gefangenen" veranstalten oder das Gewaltmonopol des Staates in Frage stellen und so weiter. Übliches, linksextremistisches, nicht richtig durchdachtes, politisches Geschwurbel halt.

Andererseits enthüllt der Verfassungsschutzbericht aber auch ganz Erstaunliches, Unerwartetes:

Linksextremisten essen, trinken, schlafen und haben sogar gelegentlich Sex.


Mann! Das sind schon seltsame, schräge Typen, diese Linksextremisten...

Ok. Erwischt. Obiges Zitat steht natürlich nicht im Verfassungsschutzbericht. Stattdessen steht auf Seite 192:

Das Aktionsfeld "Antirepression" hat in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung für Linksextremisten gewonnen. Linksextremisten werten die Verschärfung der Sicherheitsgesetze nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 als eine neue Qualität "staatlicher Repression". Sie nehmen auch die Sicherheitsmaßnahmen zur Fußballweltmeisterschaft 2006 und zum bevorstehenden G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm (vgl. Nr. 2) zum Anlass, den aus ihrer Sicht permanenten Ausbau des Überwachungsstaates und die repressive Wirkung der dabei eingesetzten neuen Technologien anzuprangern, wie z. B. RFID-Chips, Gen- oder Biometrische Datenbanken, Kamera­überwachung öffentlicher Plätze. (Quelle)


Jetzt aber wirklich: Mann! Das sind schon seltsame, schräge Typen, diese Linksextremisten...

Nachwort: Ist der Verfassungsschutz eventuell von Linksextremisten unterwandert und will Linksextremisten zumindest teilweise darstellen als ganz normale, kritische Bürger? Ich fürchte nicht. Ich fürchte stattdessen, dass die Sicht der Verfassungsschützer mittlerweile derart aus der Spur geraten ist, dass sie es nun schon tatsächlich berichtenswert finden, dass jemand die ausufernde, allgemeine Überwachung der Bürger anklagt. Mal schauen also, wie lange es dauert, bis in einem der nächsten Berichte warnend erklärt wird, dass in linksextremistischen Kreisen kontrovers über Politik diskutiert werde und dies ein verdächtiges Element ihres Treibens sei...

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Das Grundgesetz ist schon wichtig, zumindest so lange die Sonne scheint

August Hanning, Staatssekretär Innenministerium, im ARD-MorgenmagazinWerner Sonne interviewte gerade im ARD-Morgenmagazin Herrn August Hanning, Staatssekretär im Innenministerium, zu den geplanten Maßnahmen der Polizei rund um den G8-Gipfel in Heiligendamm. Hanning sagte (aus dem Gedächtnis so gut wie möglich wiedergegeben) Folgendes:

  • Ja, man wolle die Demonstranten von Heiligendamm abdrängen.
  • Es gäbe Hinweise, dass ein paar Leute versuchen wollen, den Sperrzaun in Heiligendamm zu überwinden und deshalb müsse man dort Demonstrationen verbieten.
  • Man nehme das Grundgesetz und das Demonstrationsrecht aber absolut ernst.
  • Sachbeschädigung könne schon Terrorismus sein, sei in jedem Fall schon sehr schlimm.
  • Es gäbe Hinweise, dass eventuell auch Angriffe auf Personen geplant sind. Allerdings keine konkreten Hinweise. Also eigentlich keine richtigen Hinweise. Aber aus einem Brandanschlag auf ein Haus könne ja schnell auch eine Personengefährdung folgen.
  • Im übrigen glaube er, dass der größte Teil der Demonstranten friedlich sei.
  • Der Unterbindungsgewahrsam sei etwas völlig Normales, das hätte man ja schon bei der Fußballweltmeisterschaft erfolgreich angewendet.

Werner Sonne im ARD-MorgenmagazinHerr Sonne glänzte nicht gerade durch bohrendes Nachfragen. Er hätte beispielsweise fragen können, ob es für derartige Beschneidungen der Demonstrationsfreiheit nicht doch etwas mehr bedürfe als diese äußerst vagen Hinweise. Ob wirklich eine derartige große Bannmeile um Heiligendamm nötig sei. Warum diese Bannmeile erst jetzt, so kurz vor Beginn des Gipfels bekanntgegeben wurde und bislang den Protestlern suggeriert wurde, es werde keine Bannmeile geben? Warum immer noch von einem möglichen linksextremen Terror gesprochen wird, obwohl dieser Begriff doch angesichts fehlender Hinweise völlig überzogen sei? Sonne schien nicht... schien noch nicht ganz wach zu sein so früh am Morgen.

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Dienstag, 15. Mai 2007

Die Menschenwürde ist unantastbar

Das Weblog "In Coram Publico" liefert einen Artikel, der es in sich hat: Die Allesregler.

Der Artikel greift den Staatsrechtler Manfred Baldus an, der auf dem Deutschen Verwaltungsrichtertag die teilweise Aufhebung der Würde des Menschen als vollkommen normal beschrieben hat. Die Würde des Menschen sei letzendlich auch nur Objekt von Abwägungsprozessen gegenüber anderen Werten. Sie sei also gerade nicht mehr unantastbar - zumindest in bestimmten Situationen, beispielsweise wenn dies von Staats wegen erforderlich sei, zur allgemeinen Gefahrenabwehr beispielsweise. Menschenwürde auf Abruf sozusagen. Menschsein nur, wenn der Staat nichts dagegen hat also. Der Staat, das übergeordnete Dings und der einzelne Mensch nur sein Anhängsel.

Es hat einen ganz tiefen Sinn, warum es ausdrücklich heißt im Grundgesetz, dass die Würde des Menschen unantastbar ist. Und es ist alles andere als ein Zufall, dass derjenige, der dies in Frage stellt, ein paar Minuten später auch das absolute Folterverbot in Frage stellt und noch ein paar Minuten später die Interessen des Allgemeinwesens über die des einzelnen Menschen stellt und die Meinung vertritt, ein Staat könne alles regeln und müsse deshalb auch alles regeln.

Dieser Gedanken-Virus ist in Deutschland anscheinend nicht tot zu kriegen. Er schlief nur sechzig Jahre lang.

Vor allem, wenn man gerade "1984" von George Orwell noch einmal gelesen hat, gruselt es einen. Denn hinter den wohlmeinenden Ausführungen, dass die Würde des Menschen Verhandlungs- und Abwägungssache sei, steht nichts weiter als der grinsende Große Bruder, der zum vermeintlichen Wohle des Volkes leider - es tut ihm ja selbst leid - einzelne, gefährliche Subjekte zum Beispiel einer Gehirnwäsche unterziehen muss, sie ihrer Würde also berauben muss. Besteht eine Gefahr für die Gesellschaft, müsse der Staat also anpacken. Er muss sich kümmern.

Nein, sagt das Grundgesetz. Er muss sich nicht kümmern. Er darf es sogar nicht.

In Coram Publico schreibt:

Ein pathologisches Bedürfnis, man muss es so nennen, ist unter deutschen Staatsrechtlern im Angesicht des Terrors vorherrschend geworden, hat sich ihrer bemächtigt. Einige Verwaltungsrechtler sind inzwischen zu seelenlosen Robotern regrediert, die jeden – wirklich jeden – Lebenssachverhalt "vom Staat her denken", wie der Titel eines Buches, das sich mit dem Dezisionismus Carl Schmitts beschäftigt, so treffend nahelegt. Das ist krank. Und unjuristisch. Es zeugt darüberhinaus von magelndem Mut zu eigener Verantwortung und einem schiefen Menschenbild. Anstatt die Dinge vom Einzelnen aus zu betrachten wird umgekehrt von oben, von der – vermeintlichen! – Gesamtheit, "nach unten" gedacht. Was noch nicht geregelt ist, wird eben geregelt. Dass es Bereiche geben könnte, die ausdrücklich und notwendig der staatlichen Regelungskompetenz entzogen sind und auch entzogen sein müssen, will man das Wertvollste der Verfassung erhalten, dieser Gedanke kommt überhaupt nicht vor. (Quelle)


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Deutsche Sicherheitspolitik: Zu viel Hysterie und zu wenig Qualität?

"Flatter" vom Weblog "Feynsinn rettet die Welt" weist auf etwas hin, was mir auch neulich durch den Kopf ging: Hinter den aus meiner Sicht überzogenen Polizei-Aktionen gegen G8-Gegner und vor allem hinter den politischen Äußerungen von Schäuble & Co. zu diesem Vorgehen werden zwei Gefahren offenbar. Einerseits, dass friedliche Protestler in die Nähe von Terroristen geschoben werden könnten - ob gewollt oder ungewollt sei jetzt einmal dahin gestellt. Andererseits aber, dass die Sicherheitsbehörden eventuell tatsächlich die falschen Akzente setzen und so die wirklich gefährlichen Leute nicht im Visier haben.

Einen Terror-Anschlag während des G8-Treffens mit islamistischem Hintergrund halte ich für viel wahrscheinlicher als einen von einer bisher nirgends ernsthaft in Erscheinung getretenen, angeblichen linksextremistischen Terror-Organisation. Und selbst wenn es solch eine linksextremistische Terror-Organisation irgendwo geben sollte, so sah bislang jedenfalls der linksextremistische Terror anders aus als der islamistische. Ersterer zielte auf einzelne Personen (schlimm genug), letzterer jedoch immer auf möglichst große Menschenmassen.

Es wäre eine furchtbare Ironie, wenn die zu starke Konzentration auf eine angebliche Gefahr "von links" Lücken bieten würde für einen islamistischen Anschlag.

Eine perfekte Sicherheit wird es jedoch natürlich nie geben. Deshalb ist das Streben nach immer mehr Überwachung und immer mehr Befugnissen für die Sicherheitsbehörden letzendlich keine Versicherung dafür, dass es keine Terror-Anschläge geben wird.

Meine Beobachtung bezüglich Polizei-Razzien, Onlinedurchsuchungen, Anti-Terror-Datei, Vorratsdatenspeicherung und so weiter ist aber, dass die von Schäuble & Co. vorgeschlagenen Mittel, um die Sicherheit zu erhöhen, eher von einer gewissen Hysterie als von einem Sachverstand mit Augenmaß geprägt sind. Schäuble wirft zwar den Gegnern seiner Vorschläge Hysterie vor, aber wenn immer mehr Experten, zum Beispiel alle professionellen Datenschützer Deutschlands und jetzt sogar Anwaltsvereine warnende Stimmen wegen Schäubles Überwachungsplänen erheben, dann fällt sein Vorwurf der Hysterie auf Schäuble zurück. Am Ende könnte genau dieser Übereifer Schäubles an der falschen Stelle dazu führen, dass man durch die Konzentration auf zwar öffentlichkeitswirksame, aber ansonsten eher unwirksame Methoden und Mittel, die tatsächliche Terror-Abwehr vernachlässigt.

Wie sieht es beispielsweise aus mit der Sicherheit an Flughäfen? Mit der Kompetenz und der Anzahl dort eingesetzten Sicherheitspersonals? Mit Air-Marshalls? Mit der personellen Infiltration von möglichen Terrorzellen? Mit der Kompetenz unserer Polizei mit den schon jetzt verfügbaren Datenbergen sinnvoll umzugehen? Mit Arbeitsüberforderungen, zu wenig Begleitung und Führung durch Vorgesetzte? Wie sieht es aus mit der Förderung von wissenschaftlichen Studien, um die Polizeiarbeit zu verbessern? Es gibt da meines Wissens nach wertvolle Ansätze in der Psychologie und Soziologie, um Korruption, Polizeigewalt und Fehler bei der personellen Führung zu bekämpfen und somit durch Ansätze auf dieser Ebene allgemein die Sicherheit für die Bürger zu erhöhen. Wie sieht es also aus mit der klassischen Geheimdienst- und Polizeitätigkeit - jenseits von all dem für die konkrete, zeitnahe Terrorabwehr eher unnützen Zeug wie Onlinedurchsuchung, Vorratsdatenspeicherung, Absicherung gegen gefälschte Pässe und so weiter? Könnte es sein, dass das Brimborium von Schäuble & Co. eventuell von Schwächen bei den wirklich effektiven, klassischen Methoden und Mitteln der Polizei und der Geheimdienste ablenken soll? Schaut man sich die Erkenntnisse beispielsweise aus dem BND-Untersuchungsausschuss an, muss sich schon die Frage stellen, ob unsere diversen Geheimdienste nicht bessere Vorgesetzte verdient hätten und ob an der Ausbildung der Geheimdienstler nicht etwas verbessert werden müsste. Auch eine effektivere Kontrolle der Geheimdienste, an Stelle der Pseudo-Kontrolle durch das parlamentarische Kontrollgremium, wäre letztendlich - neben der Absicherung gegen Verletzung von Bürgerrechten durch die Geheimdienste - auch ein Mittel zur Qualitätsverbesserung der Geheimdienstarbeit.

Schäuble selbst ist vermutlich zu wenig unabhängig (man schaue sich seine Biographie an) von den Geheimdiensten, um die nötige Aufsichts- und Führungsrolle über sie ausfüllen zu können. Eine wirklich unabhängige Kontrolle der Geheimdienste sollte wie bei anderen Organisationen, Behörden oder Firmen und so weiter auch zu einer realen Qualitätsverbesserung bei den Arbeitsergebnissen führen. Mehr Kontrolle würde also vermutlich zu in jeder Hinsicht besser arbeitenden Geheimdiensten führen und die Sicherheit effektiv erhöhen bei gleichzeitigem Schutz der Bürgerrechte.

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Montag, 14. Mai 2007

Folter hat nur einen Zweck: Die Demonstration der eigenen Macht

Bislang kannte ich nur die Verfilmung des Romans "1984" von George Orwell. Gerade bin ich dabei, noch einmal das Buch zu lesen.

Es lohnt sich.

Winston, der Held des Romans, derjenige also, der das in "1984" beschriebene diktatorische Herrschaftssystem anzweifelt, wird am Ende gefoltert. Und sein Folterer sagt einen Satz, der den Sinn, oder besser den Unsinn von Folter so klar und deutlich vor Augen führt wie es nur möglich ist: "Der Zweck der Folter ist die Folter." Punkt.

Wer ein Geständnis von einem Menschen haben will, braucht dazu keine Folter. Viel wirkungsvoller ist es, ihm statt mit Schlimmem zu drohen, ihm Vergünstigungen in Aussicht zu stellen. Sagt jemand erst unter Folter aus, so ist das von ihm Gesagte eh unbrauchbar, wenn man keine Möglichkeiten hat, das Gesagte anschließend unabhängig vom Wissen des Geständigen noch einmal zu überprüfen. Da die Aussagen nicht freiwillig geschehen, werden die Informationen hierbei nur in kleinen Häppchen mitgeteilt werden vom Folteropfer. Und jedes Mal muss dann die Information erst auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Ein enorm ineffizientes Verfahren. Hat man zudem gar keine effektiven Möglichkeiten, "Geständnisse" aus Folterverhören zu verifizieren, taugt Folter zur Wahrheitsfindung überhaupt nicht. Wenn also Menschen über Jahre hinweg gefangen gehalten werden und dann angeblich nach Jahren endlich ein Geständnis ablegen, so ist dies schlicht eine verlogene Darstellung. Vermutlich existierte das Geständnis bereits seit Beginn der Verhöre oder die Informationen wurden anderweitig beschafft. Wenn man es nicht schafft, jemanden ohne Folter innerhalb weniger Tage zu überzeugen und zu locken, Informationen preis zu geben, dann wird er dies auch nach Jahren nicht tun oder einem halt irgendetwas und soviel erzählen, dass man nicht mehr weiß, was davon nun wahr ist und was nicht.

Bei langer Folter erzählen Folteropfer alles Mögliche. Sie erzählen das, von dem sie glauben, dass der Folterer es hören möchte - unabhängig vom Wahrheitsgehalt. Folter geschieht letztendlich nicht, um Informationen zu bekommen - denn diese Informationen sind unzuverlässig. Nein, gefoltert wird nur um des Folterns willen. Natürlich nicht offiziell. Der wahre Grund des Folterns ist, dass das Foltern für den Folterer ein derartiges Erlebnis grenzenloser Macht ist, dass die sadistische Freude am Foltern wie eine Droge für den Folterer wirkt. Der Grund für die Folter ist dieser Rauschzustand des Folterers. Vielleicht lassen sich seine Vorgesetzten täuschen mit der Ausrede des Folterers, er werde schon noch an brauchbare Informationen kommen. Das sind jedoch schlicht Ausflüchte, die ihm das Weiterfoltern ermöglichen sollen.

Der Roman "1984" ist keine Räuberpistole, kein lächerlicher, nicht ernst zu nehmender Fantasie-Roman. Nein, er ist schlicht eine sehr anschauliche, spannende Beschreibung der Funktionsweise grenzenloser Macht.

Der Roman macht zum Beispiel nebenbei deutlich, dass es bei der Folter in Diktaturen auch nicht um eine Abschreckung der politischen Opposition geht. Wer als Regime (noch) foltern kann, braucht die Opposition nicht zu fürchten. Folter ist somit eher Ausdruck von Macht als ein Mittel, die Macht abzusichern. Denn es wird immer Oppositionelle geben, die auch auf die Gefahr hin, gefoltert zu werden, kämpfen werden. Solange jedoch in großem Umfang gefoltert wird, kann man davon ausgehen, dass die Oppositionellen wenig Erfolg haben werden, weil ein umfangreiches Foltersystem bezeugt, dass die Macht der Diktatoren ungebrochen ist.

Der Zweck der Folter ist also die Folter selbst. Folter erfüllt keinen Außenzweck. Genausowenig wie das Machtstreben von Diktatoren einem Zweck jenseits der Macht selbst folgt. Der Zweck desjenigen, der nach Macht strebt, ist es schlicht, diese Macht zu besitzen und zu behalten. Deshalb ist die Begrenzung der Macht in einer Demokratie, die Kontrolle der Macht, das Funktionieren der Gewaltenteilung also, so enorm wichtig. Deshalb ist es so wichtig, genau darauf zu achten, dass diese Kontrolle und Einschränkung staatlicher Gewalt im Lot ist und funktioniert. Immer wieder. Ob bei neuen Gesetzesinitiativen, Parteiprogrammen, Interviewäußerungen von Politikern, Fehlurteilen von Richtern oder bei zweifelhaftem Vorgehen von Geheimdiensten oder Polizei. Das, was in Deutschland häufig viele nervt, nämlich das Äußern von Bedenken und das skeptische Hinterfragen dessen, was politisch passiert (sei es aus "linker" oder "rechter" Perspektive), ist und bleibt eben der Sauerstoff der Demokratie.

Wer sich also an fehlender "Harmonie" in einem demokratischen System stört, dem empfehle ich die Lektüre von "1984".

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Sonntag, 13. Mai 2007

Netzeitung: Weltuntergang nahe wegen G8-Protesten!

(Via Elementarteile) Die Netzeitung pickte sich in den letzten Tagen bei vielen Meldungen rund um die geplanten Proteste gegen den G-8-Gipfel in Heiligendamm immer für die Überschriften den reißerischsten Aspekt heraus, der sich irgendwo in der Meldung versteckte. So als ob diese Schagzeile dann den Sachverhalt in einem angemessenen Verhältnis zu den eigentlichen Tatsachen korrekt wiedergeben würde:

  • Polizei fürchtet RAF-Einfluss auf G8-Gegner - eine von vielen Befürchtungen, noch dazu wohl eine der abwegigeren Befürchtungen. Und wenn, dann wohl nur auf einen kleineren Teil der G8-Gegner zutreffend. Als verallgemeinernde Schlagzeile aber natürlich schön gruselig.
  • G8-Gegner denken über "Exekutionen" nach - Ganz vage Hinweise, dass ein paar Spinner mal geäußert haben sollen, eventuell auch Personen anzugreifen statt nur Sachobjekte. Aber für die Netzeitung reicht das, um es als Überschrift über den Artikel zu setzen und zu suggerieren, dass "Exekutionen" jetzt standardmäßig bei den meisten G8-Gegnern zum Protestrepertoire gehören würden.
  • Brisante Funde belasten G8-Gegner - Die brisanten Funde waren bei einer Person gefundene gefälschte Ausweisdokumente sowie an einem anderen Ort gefundener technischer Kleinkram, aus dem man Brandsätze bauen kann. Wenn man bedenkt, was alljährlich beim Ausheben von Waffenlagern von Rechtsextremisten so gefunden wird (Sprengstoffe, Maschinengewehre, Handgranaten)... Klar sind Brandsätze auch gefährlich und sogar wortwörtlich "brisant", aber wohl anders als die Überschrift suggerieren möchte. Denn die Netzeitung stellt eine Verbindung her mit der Kritik an den bundesweiten Razzien. Ob ein wenig Baumaterial für Brandsätze jedoch bereits die Verwendung des Verdachts auf eine "terroristische Vereinigung" stützen, erscheint mir äußerst fraglich. Anders als der Netzeitungs-Artikel also nahelegen will, stellen die Funde nicht die Kritik an den Polizei-Razzien in Frage. Im Gegenteil, eigentlich bestätigen die mageren Funde die Kritiker. Aber dieser Sachverhalt ergibt natürlich keine so schöne "brisante" Schlagzeile.
  • Linke drohen mit Angriff auf G8-Tagungsort - Vor dem Auge des Lesers entsteht ein Szenario, bei dem Heiligendamm von linksextremistischen, schwarz vermummten Horden gestürmt wird und die ausländischen Gäste als Geiseln in den Händen der Erstümer enden. Beruhen tut die Meldung jedoch nur auf Äußerungen von Protest-Planern, dass man seine Hand nicht für alle Tausend Teilnehmer ins Feuer legen könne, dass diese nicht eventuell Sachbeschädigungen durchführen.
Oft bezieht sich die Netzeitung bei obigen Meldungen auf Artikel der Zeitung "Die Welt" oder "Welt am Sonntag". Aber selbst diese beiden Zeitungen wählten korrektere Überschriften und formulierten neutraler gehaltene Artikel, in denen immer deutlich wurde, dass die Dinge, die bei der Netzeitung unhinterfragt in der Überschrift standen, vor allem eins sind: Vage Mutmaßungen mancher Sicherheitsbehörden. Die Netzeitung braucht vermutlich einfach dringend Klicks. Kurzfristig funktioniert das wahrscheinlich. Aber zumindest seit den letzten Tagen nehme ich die Netzeitung nicht mehr so richtig ernst. Vielleicht möchten sich da aber auch nur einige Netzeitungs-Mitarbeiter der Bild-Zeitung andienen und ihr Können im Formulieren bekloppter Schlagzeilen vorführen? Von wegen sichererer Arbeitsplätze und höherer Gehälter...

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Die durch die Hölle gehen, sind vermutlich Teufel

(Via Der Morgen) Ein gewisser "Alan Posener", Kommentarchef bei "Welt am Sonntag", wird zur Zeit ja in manchen Weblogs gelobt wegen seiner polemischen Kritik an Bild-Chefredakteur Kai Diekmann. Der Text Poseners, ursprünglich im Weblog von Alan Posener unter Welt.de veröffentlicht, verschwand kurze Zeit später dort wieder. Bevor Poseners Kritik jedoch wieder gelöscht wurde, hatten manche sie bereits kopiert und so darf sie heute beispielsweise im Bildblog in aller Ruhe nachgelesen werden. So geht es halt zu in der verrückten Welt der Weblogs.

Aber nicht nur in den Weblogs geht es verrückt zu. Auch im Radio. Speziell in der Sendung "Politisches Feuilleton" vom "Deutschlandradio Kultur". Diese Sendung zeichnet sich dadurch aus, dass hier jeder mal ordentlich auf den Putz hauen darf. Und das Auf-den-Putz-Hauen ist ja wohl zur Zeit der Job von diesem Alan Posener, also darf er beim "Politischen Feuilleton" auch mal ran und zuschlagen. Der Nachteil von diesem Sendungsbeitrag von Posener ist jedoch, dass der Zuhörer leider dieses Mal aus dem Meinungsbrei von Posener nicht schlauer wird.

Konkret tritt Posener in diesem Beitrag zum "Politischen Feuilleton" Murat Kurnaz in den Hintern. Nur warum Posener das tut, erschließt sich mir nicht. Aus Hass gegen Kurnaz? Woher kommt dann dieser Hass? Statt diese Frage zu beantworten und einfach zu erklären, warum er einen Hass gegen Kurnaz hat - man kann niemandem verbieten, jemanden zu hassen, es wäre also schon interessant gewesen, zu erfahren, woher Poseners Hass stammt... - versucht Posener Kurnaz mit dem Anschein einer sinnvollen Argumentation der Lüge zu überführen. Konkret greift er das Buch "Fünf Jahre meines Lebens" an, in dem Kurnaz über seine Zeit im US-Gefängnis in Guantánamo berichtet.

Wer also denkt, Posener möchte berechtigte Fragen stellen und zu einer Diskussion über Kurnaz' Buch einladen, der irrt. Stattdessen diffamiert er Kurnaz. Aber immer schön zwischen den Zeilen:

"Wisst ihr, was die Deutschen mit den Juden gemacht haben? Das machen wir jetzt mit euch", sagt einer der Folterknechte. Damit ist der Ton des Romans vorgegeben: ein Unschuldiger ist in eine Maschinerie des Todes geraten, wie in dem US-Splatter-Movie "Hostel". (Quelle)


Es sei also nur der "Ton" des Buches, das außerdem mal eben so nebenbei als Roman bezeichnet wird. Alan Posener vermeidet bewusst, einfach zu sagen: Kurnaz lügt. Denn das könnte Posener nicht beweisen. Aber der Zuhörer hört genau dies heraus.

Und weiter geht es mit dem gekonnten Zweifelsäen ohne wirklich was in der Hand zu haben gegen Kurnaz Aussagen:

Man fragt sich auch, weshalb die jahrelange Folter und die Hungerrationen so gar keine Spuren hinterlassen haben. (Quelle)


Es gibt Foltermethoden, die hinterlassen vor allem psychische Spuren. Und wie lange benötigt ein ausgemergelter Körper, um wieder Normalgewicht zu bekommen? Posener scheint zu vermuten, dass dies Jahrzehnte dauert.

Aber wie sagt Posener selbst: "Aber was kümmern uns technische Details?" Also kommt Posener auch schnell zu dem Punkt, wo er sicher sein kann, dass es da draußen viele Menschen gibt, die - egal wie vage seine Anschuldigungen gegen Kurnaz sind - bei diesem Thema immer hinter ihm stehen werden: Die RAF:

Kurnaz bestätigt dem dauerempörten deutschen Linken, was der immer schon wusste. Wie ihm damals die Anwälte der RAF-Terroristen bestätigten, dass der faschistoide Staat BRD diese Freiheitskämpfer mit Isolationsfolter vernichten wollte und in Stammheim ermordete. (Quelle)


Was das mit Kurnaz zu tun hat? Ich weiß es nicht. Dahinter muss irgendein seltsames Glaubenssystem stecken. Nach dem Motto: Die Kritiker an der Festnahme von Kurnaz würden die RAF als "Freiheitskämpfer" ansehen. Tja, Herr Posener, ich muss ihnen leider mitteilen, dass ihr Glaubenssystem hier leider nicht mit der Realität übereinstimmt. Ich zum Beispiel halte die RAF für alles andere als "Freiheitskämpfer". Pech gehabt, Posener.

Das Pech für Posener hört aber noch nicht auf:

Die Gruselhöhepunkte aus Kuhns Erzählung werden in der Presse unhinterfragt als Tatsachenbericht wiedergegeben; als könne diese fortwährende Quälerei unter den Augen des Roten Kreuzes stattfinden, das seit Anfang 2002 auf Wunsch der US-Regierung die Anlage regelmäßig kontrolliert und zu allen Gefangenen Zugang hat. (Quelle)


Was das Rote Kreuz in welcher Ausführlichkeit gesehen hat oder nicht gesehen hat, darüber schweigt das Rote Kreuz leider. 2004 gelangte zum ersten Mal ein angeblich interner Bericht des Roten Kreuzes an die US-Presse. Die New York Times berichtete über die Inhalte dieses angeblichen Rote-Kreuz-Berichtes. In diesem vermeintlichen Dokument des Roten Kreuzes wurde der USA vorgeworfen, in Guantánamo zu foltern. Offiziell bezog das Rote Kreuz jedoch anschließend keine Stellungnahme zu diesen Berichten. Es bestätigte die Aussagen nicht, es dementierte sie nicht. Das Rote Kreuz rechtfertigte sein Schweigen damit, dass es ihm vor allem darum gehe, weiterhin Zugang zu den Gefangenen zu erhalten. Um dies abzusichern, werden den Staaten, deren Gefängnisse besucht werden, Vertraulichkeit von Seiten des Roten Kreues zugesprochen.

Man kann also leider die Anwesenheit des Roten Kreuzes und das Fehlen von eindeutigen Berichten des Roten Kreuzes über die Verhältnisse in Guantánamo nicht als Argument verwenden, dass Kurnaz Unrecht habe mit seinen Schilderungen. Darüber hinaus wäre es ebenso möglich, dass das Rote Kreuz nicht überall Zugang hatte in Guantánamo. Aber wie gesagt: Nichts Genaues weiß man nicht.

Im Folgenden schildert Posener, dass die Gruppe, der sich Kurnaz in Pakistan anschließen wollte, eine bekannte Terror-Gruppe sei. Zumindest den Sicherheitsbehörden ist dies aus heutiger Sicht bekannt. Ob Kurnaz dies genau so wusste, ist unklar. Teile von Kurnaz' Bekanntenkreis hatten behauptet, er wollte als "Gotteskrieger" nach Afghanistan. Ob das wirklich Kurnaz' Absicht war und ob die Bekannten von Kurnaz das tatsächlich so behauptet haben, ist unklar. Man muss hierbei beachten, dass es damals noch nicht allgemein bekannt war, dass Pakistan und Afghanistan Hort von islamistischen, terroristischen Ausbildungslagern waren. Und selbst wenn Kurnaz tatsächlich vorgehabt haben sollte, diese Lager zu besuchen, also nicht nur zur "religiösen Erbauung" - ein gerade volljährig gewordener junger Mann ist eventuell naiv. Wer weiß, ob Kurnaz eine klare, terroristische, militärische Ausbildung tatsächlich mitgemacht hätte und ob er danach tatsächlich Terrorist geworden wäre? Klar ist zumindest: Er ist nicht in den Lagern angekommen. Er wurde nicht zu einem Terroristen ausgebildet. Und landete trotzdem ohne Anklage, ohne Rechtsanwalt und als Entführungsopfer für fünf Jahre in Guantánamo.

Was will Posener also erreichen mit seinem Text? Er kann Kurnaz' Schilderungen nicht widerlegen, fährt ihm jedoch mächtig an die Karre. Warum? Was hat er gegen Kurnaz? Oder hasst es Posener, dass man Kurnaz nichts nachweisen kann? Hasst er rechtsstaatliche Methoden und wünscht sich eine Lynchjustiz, die jemanden auf puren Verdacht hin bestraft, wenn derjenige irgendwie nach Terrorist "riecht"?

Er würde heute genauso handeln wie damals, sagte Frank-Walter Steinmeier kürzlich vor dem BND-Untersuchungsausschuss. (Quelle)


Ja, zumindest wenn er von den Geheimdiensten heute wieder die gleichen falschen Informationen bekommen würde wie damals. Steinmeier war deshalb rein rechtlich nicht verantwortlich für das Kurnaz-Schlamassel. Die Diskussion um die politische und moralische Verantwortung von Steinmeier scheint damit bei vielen in Deutschland auch abgehakt zu sein. Zu Unrecht, wie ich finde. Aber wer bin ich schon... ein kleiner, anonymer Internetschreiberling...

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