BKA-Chef Ziercke: Weg vom Misstrauen gegen den Staat
BKA-Chef Ziercke verlangt in einem Interview mit Welt.de - nachdem er ausführlich geschildert hat, dass der Staat mehr Überwachungsmöglichkeiten benötige - dass die Bürger endlich aufhören sollten mit ihrem Misstrauen gegenüber den Behörden:
Wir müssen wegkommen von dieser Misstrauensdebatte, gegen den Staat, gegen die Polizei. (Quelle)
Wie jedoch soll ich Vertrauen schöpfen, wenn der Chef des Bundeskriminalamtes sogleich im selben Interview wiederum äußerst Zweifelhaftes erzählt? So sagt er beispielsweise zur geplanten Onlinedurchsuchung (Bundestrojaner):
Wir haben taktische und technische Möglichkeiten, die wir sehr individuell, auf den Einzelfall bezogen, einsetzen können. Es geht also nicht um eine flächendeckende Schleppnetzfahndung im Internet, sondern um Informationen, die für ein konkretes Strafverfahren zur Gefahrenabwehr notwendig sind. (Quelle)
Ich will ja vertrauen! Bitte helfen Sie mir dabei, lieber Herr Ziercke! Aber wie kann ich die Schilderungen Zierckes in Einklang bringen mit anderen Berichten, die den ersten Einsatz solcher Online-Durchsuchungen - die übrigens in krimineller Art und Weise am Parlament und damit rechtsstaatlichem Gesetzgeber vorbei durchgeführt wurden - ganz anders beschreiben? So berichtete der Deutschlandfunk:
Neben den Zielrechnern, die sie online durchsuchen wollten, sind auch andere Rechner mit diesem Trojaner wohl verseucht worden. Und das soll zur Folge gehabt haben, dass so viele Daten an den Zielrechner geschickt worden sind, dass der Sammelrechner, auf dem die ganzen Durchsuchungsdaten landen sollten, sich offensichtlich wie bei einem Denial of Servcie Angriff verhalten hat. Das heißt, ob der vielen Daten soll der einfach in die Knie gegangen sein. (Quelle)
Auch Zierckes Vorschlag, doch einfach den Quellcode eines Bundestrojaners (Quellcode = Bauanleitung für die Software "Bundestrojaner") bei einem Richter zu hinterlegen, um damit zu verhindern, dass die Ermittlungsbehörden Unfug mit dem Bundestrojaner treiben, hilft nicht, um Vertrauen wachsen zu lassen. Denn auch mit dem Quellcode in der Hand kann ein Richter wohl kaum verhindern, dass die Software nicht doch illegal eingesetzt wird. Anders ausgedrückt: Wenn ich weiß, wie ein Messer hergestellt wird, kann ich dadurch nicht verhindern, dass jemand das Messer in krimineller Absicht einsetzt.
Selbst wenn Behörden und Regierungen tatsächlich nur vom Edlen und Guten geleitet sind, so machen sie unweigerlich dennoch Fehler. Gibt es keine Kontrolle und wird die Macht des Staates nicht eingeschränkt, so kann bei der modernen Technik alleine schon daraus Schlimmes erwachsen. Hinzu kommt, dass Mitarbeiter in Behörden auch nur Menschen sind. Das heißt teilweise erpressbar sind oder einfach Vorteile ausnutzen wollen. Dass Menschen so sein können, das müsste doch gerade jemand wie Ziercke, der täglich mit Kriminalität zu tun hat, wissen. Warum sollen ausgerechnet Mitarbeiter von Behörden, ob einfache Polizisten, Staatsanwälte oder gar Richter davon ausgenommen sein?
Das wichtigste Argument jedoch ist, dass eine präventive, weite Überwachung die Würde des Menschen verletzt. Der Kampf gegen Terrorismus oder Kinderpornografie (ja, auch von Ziercke angeführt im Interview) ist eben nicht alles. Darauf verwies das Bundesverfassungsgericht in den letzten Jahren immer und immer wieder. So hilft es auch nicht, wenn zunächst "nur" ein Richter sich die ungefilterten Überwachungsprotokolle oder Ergebnisse einer Onlinedurchsuchung ansehen darf, um dann nur bestimmte Teile daraus (Welche? In welchem Umfang? Wer kontrolliert den Richter?) an die Ermittlungsbehörden weiterzugeben, um die Würde des Verdächtigen zu schützen. Der Staat kann nicht vor jedem Verbrechen schützen, kann nicht alles tun, um präventiv Verbrechen zu verhindern. Das geht letztendlich technisch nicht, aber vor allem nicht, weil die Würde des Menschen unantastbar ist. Wer mehr dazu lesen will, dem empfehle ich wie bereits in einem früheren Weblog-Eintrag die Ausführungen im Weblog "In Coram Publico" hierzu.
Misstrauen gegenüber der Regierung ist grundlegendes Element der Demokratie. Sonst bräuchte man auch keine Gewaltenteilung.
Gerade weil Ziercke also fordert, dass man doch bitte aufhören solle mit dem Misstrauen gegenüber dem Staat, misstraue ich Ziercke! Zierckes Äußerungen entspringen entweder einer erschreckend hohen Naivität oder sind sogar im Gegenteil gezielte Täuschung. Ich befürchte eher Letzteres. Vor allem, wenn man dann noch diese Äußerung von Ziercke im Interview liest:
Ich will hier nicht die Verbindungsdaten aller Internet-User in Deutschland speichern, das ist völliger Unsinn. Ich möchte, dass die Provider bei Transaktionen im Internet die Verbindungsdaten ein halbes Jahr aufbewahren. (Quelle)
Na toll! Er, Ziercke, speichert sie also nicht. Dafür aber die Provider, auf die "Er" dann sofort Zugriff hat. Das ist praktisch gesehen kein Unterschied zu einer Lösung, wo die Verbindungsdaten direkt bei den Behörden gespeichert wären. Die Speicherung der Daten bei den Providern ist halt technisch schlicht die einfachere, praktikablere Lösung.
Wie soll man jemandem wie Ziercke vertrauen, der derartige Täuschungsmanöver ausführt? Soll man nun anfangen an Ziercke zu glauben? An die Sicherheitsbehörden? Fehlt uns Bürgern also einfach nur der rechte Glaube? Ja, ich gebe es zu, ich bin ein elendiger Zweifler und mein Glaube ist schwach. Vielleicht kommt ja bald ein O'Brien und hilft mir.
Wenn Ziercke möchte, dass ich wieder mehr Vertrauen gegenüber der Exekutive habe, dann wüsste ich eine Maßnahme, die ein Anfang auf diesem Weg sein könnte: Die sofortige Absetzung Zierckes von seinem Posten.
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