Samstag, 20. Juni 2009

Zur Beruhigung

Deutschland hat am Donnerstag gezeigt, wie weit das Land erneut regrediert ist. Es möchte wieder eine Zensur haben. Da erscheint es mir (auch angesichts der für diese regredierten Deutschen sicherlich äußerst verstörenden Vorkommnisse im Iran) unbedingt nötig, den deutschen Kindern jenseits des 40. Lebensjahres, besonders aber unseren Politikern mit ihrem ausgeprägten Beschützerinstinkt, ein beruhigendes Liedchen vorzutragen. Passenderweise ein Lied von einem Dichter, der die Beglückungen der Zensur in überschwänglichem Maße genießen durfte.

Zur Beruhigung

(von Harry/Heinrich Heine)

Wir schlafen ganz, wie Brutus schlief -
Doch jener erwachte und bohrte tief
In Cäsars Brust das kalte Messer!
Die Römer waren Tyrannenfresser.

Wir sind keine Römer, wir rauchen Tabak.
Ein jedes Volk hat seinen Geschmack,
Ein jedes Volk hat seine Größe;
In Schwaben kocht man die besten Klöße.

Wir sind Germanen, gemütlich und brav,
Wir schlafen gesunden Pflanzenschlaf,
Und wenn wir erwachen, pflegt uns zu dürsten,
Doch nicht nach dem Blute unserer Fürsten.

Wir sind so treu wie Eichenholz,
Auch Lindenholz, drauf sind wir stolz;
Im Land der Eichen und der Linden
wird niemals sich ein Brutus finden.

Und wenn auch ein Brutus unter uns wär,
Den Cäsar fänd er nimmermehr,
Vergeblich würd er den Cäsar suchen;
Wir haben gute Pfefferkuchen.

Wir haben sechsunddreißig Herrn
(Ist nicht zu viel!), und einen Stern
Trägt jeder schützend auf seinem Herzen,
Braucht nicht zu fürchten die Iden des Märzen.

Wir nennen sie Väter, und Vaterland
Benennen wir dasjenige Land,
Das erbeigentümlich gehört den Fürsten;
Wir lieben auch Sauerkraut mit Würsten.

Wenn unser Vater spazieren geht,
Ziehn wir den Hut mit Pietät;
Deutschland, die fromme Kinderstube,
Ist keine römische Mördergrube.

(Erschienen 1844 im "Vorwärts!" - nein, nicht jene Zeitung einer ehemaligen sozialdemokratischen Partei, bei der fehlte nämlich natürlich das Ausrufezeichen)

Es ist also nichts passiert am Donnerstag. Bitte gehen Sie weiter (Hut ziehen nicht vergessen). Hier gibt es nichts zu sehen. Ein Lächeln wäre auch schön. Danke. Jetzt wird das BKA sicherlich nichts auszusetzen haben.

Donnerstag, 18. Juni 2009

Bundestag beschließt Internetzensur: Das Versagen der Demokratie

Der Bundestag hat also heute mit der Mehrheit der SPD- und Unionsabgeordneten beschlossen, dem Bundeskriminalamt (BKA) zu überlassen, weitgehend nach eigenem Ermessen den Zugang zu Internetseiten für deutsche Internetnutzer zu erschweren. Offiziell sollen nur Internetseiten "gesperrt" werden, auf denen Verbrechen an Kindern, speziell kinderpornografische Darstellungen, zu sehen sind.

SPD und Union meinen, so Kinder schützen zu können.

Ich habe beschlossen, in Zukunft keine schlechten Nachrichten mehr zu lesen, in der Hoffnung, so das Böse und Schlechte in der Welt bekämpfen zu können.

Qualifiziertere Wortmeldungen zum Thema gibt es beim "Arbeitskreis Zensur" (AK-Zensur) nachzulesen: AK-Zensur.de.

Hier nur noch einmal zusammengefasst die wesentlichen Kritikpunkte an dem heute vom Bundestag verabschiedeten "Zugangserschwerungsgesetz":

  • Wer wirklich auf der Suche nach kinderpornografischen Darstellungen und Schriften ist, kann und wird Mittel finden, Internetzensurmaßnahmen zu umgehen. Die Wirkung der Sperren ist also äußerst begrenzt.
  • Die Notwendigkeit zur Sperrung solcher Inhalte erschließt sich mir nicht, da es auch bislang kaum möglich war, im Internet versehentlich auf derartige Inhalte zu stoßen.
  • Die Sperren bringen außerdem bedenkliche Nebenwirkungen mit sich. Die bedenklichste Nebenwirkung ist, dass überhaupt erst einmal durch das Gesetz eine technische Infrastruktur bei den Internetzugangsprovidern installiert wird, die den Zugang zu ausgewählten Internetseiten erschwert. Diese Sperrinfrastruktur ist in Deutschland vollkommen neu.
  • Die zweite bedenkliche Nebenwirkung ist, dass eine Behörde, die der Exekutive angehört, nämlich das BKA, die Vollmacht erhält, in eigenem Ermessen zu entscheiden, ob eine Internetseite in ihren Augen kinderpornografisches Material enthält und ob sie dann den Zugang zu dieser Internetseite durch Hinzufügen der Seite auf eine Sperrliste erschweren soll. Diese Arbeit des BKA wird meiner Meinung nach nicht stark genug überwacht.
  • Die dritte bedenkliche Nebenwirkung ist, dass die bislang existierenden Methoden zur Sperrung von Inhalten im Internet nicht genau genug sind. Soll heißen: Man kann im Internet nicht so einfach beispielsweise einzelne, bestimmte Bilder, Fotos oder Textstellen auf einer Internetseite sperren. Es wird immer darauf hinauslaufen, dass man beim Versuch, beispielsweise bestimmte Bilder zu sperren, den Zugang zu einer ganzen Internetadresse und damit zu einer ganzen "Website" (Website ist nicht gleich Webseite!), zu einer ganzen Webpräsenz also, sperren wird. Beim Sperren von Kinderpornografie wird es also zu Kollateralschäden kommen. Ich befürchte, dass es kaum Websites gibt, die als einzigen Inhalt kinderpornografisches Material enthalten. Ich befürchte, dass das meiste kinderpornografische Material, das derzeit überhaupt noch öffentlich sichtbar irgendwo im Internet angeboten wird, meist versteckt unter Massen an legalen Inhalten auf großen Community-Webseiten oder großen Internetforen angeboten wird, auf denen es eben nicht um Kinderpornografie geht, sondern um ganz andere, legale Themen.
  • Die vierte bedenkliche Nebenwirkung ist, dass das BKA anfangen könnte, nicht nur den Zugang zu Websites zu erschweren, auf denen kinderpornografisches Material zu sehen ist, sondern auch den Zugang zu Websites, die wiederum auf Websites verweisen, auf denen kinderpornografisches Material zu sehen ist. Wenn das BKA diese Art der Sperre von verlinkenden Websites anfangen würde, müsste unbedingt immer der Kontext beachtet werden, in dem jemand auf Websites verlinkt, die kinderpornografisches Material anbieten: Hat er nur allgemein auf eine Website verlinkt, die auch kinderpornografisches Material beinhaltet? Oder hat er auf das Material verlinkt als Teil einer Dokumentation oder politischen Auseinandersetzung? Hätte beispielsweise die Whistleblower-Website Wikileaks.org nicht die Internetsperrlisten anderer Länder (die ja Links zu kinderpornografischem Material enthalten) veröffentlicht, wüsste heute niemand, dass auf vielen dieser Sperrlisten überwiegend Internetseiten standen, die eben keine Kinderpornografie enthielten. Sollte also das BKA anfangen, auch Websites zu sperren, die in irgendeiner Form, direkt oder indirekt auf kinderpornografisches Material verlinken, würde das BKA anfangen, äußerst komplexe Entscheidungen mit weitreichenden Folgen zu treffen und umzusetzen.

Die Politik erlaubt dem BKA also nun, weitgehend ohne Aufsicht komplizierte Entscheidungsprozesse durchzuführen und umzusetzen, bei denen Fehlentscheidungen massive Auswirkungen für die gesamte Gesellschaft haben könnten:

A) Die Entscheidung, ob es sich bei einem Inhalt um kinderpornografisches Material handelt, mag - zumindest bei dem sogenannten "harten" kinderpornografischen Material - noch relativ einfach und damit wenig fehleranfällig verlaufen.

B) Als zweiter Schritt muss dann vom BKA entschieden werden, ob die Website, auf der das Material gefunden wurde, auf die Sperrliste kommen soll. Diese Entscheidung ist schon wesentlich komplexer. Es muss beurteilt werden, ob man den Provider der Website schnell erreichen kann und ob dieser dann die Website löscht, damit sie nicht gesperrt werden muss. Es muss beurteilt werden, ob die Sperrung verhältnismäßig wäre, ob also wegen eines kinderpornografischen Bildes beispielsweise der Zugang zu einer riesigen Website, auf denen Millionen von Nutzern Inhalte veröffentlichen (zum Beispiel Blogspot.com, wo dieses Weblog hier gehostet wird) gesperrt werden soll. Es könnte natürlich sein, dass das BKA hier überhaupt keine Abwägungen trifft und sofort jede Website, auf der irgendwo kinderpornografisches Material angeboten wird, sperrt.

Noch schwieriger und komplexer werden die dem BKA zugemuteten Entscheidungsprozesse, wenn bald eventuell nicht mehr nur kinderpornografisches Material auf Sperrlisten landen soll, sondern wenn aus Politik, Wirtschaft und sonstigen Interessenverbänden Forderungen gestellt werden, die neue Zensurinfrastruktur auch zum Sperren weiterer unliebsamer Inhalte einzusetzen (Verstöße gegen das Urheberrecht, Aufrufe zur Gewalt, vermeintlich jugendgefährdende Inhalte wie angebliche "Killerspiele", Glücksspielangebote und so weiter). Jedes Mal müsste das BKA entscheiden, ob...

A) Ein Inhalt in die Kategorie der zu sperrenden Inhalte überhaupt rein gehört und, ob...

B) Die Sperrung der Website, auf der der Inhalt zu finden ist, anschließend überhaupt verhältnismäßig ist.

Bislang überließ man in Deutschland solche Entscheidungen öffentlich tagenden Gerichten. Aber selbst das mehrstufige, öffentliche Gerichtssystem, mit seinen anwaltlichen Vertretungen, Expertenanhörungen und einem genauen Regelwerk zeigte sich in der Vergangenheit häufig beinahe überfordert diese beiden Punkte A) und B) in anderen Kontexten zufriedenstellend zu bewältigen. Beispielsweise bei der Entscheidung, ob in einem Roman die Beschreibungen von Charakteren die Persönlichkeitsrechte von lebenden Personen betrifft (A) und wenn ja, welche Folgen dies hat (B), also ob der Roman als ganzes verboten werden muss oder ob nur bestimmte Stellen im Roman gelöscht werden sollen.

Leider bin ich mir sicher, dass bald viele Gruppen, Politiker und Verbände fordern werden, weitere Inhalte im Internet zu sperren. Nicht, weil das BKA dann so effizient und fehlerfrei all diese Inhalte beurteilen können wird, sondern gerade, weil das BKA dies eben nicht kann. Die Alternative nämlich, also die Durchsetzung ihrer Ansprüche auf dem althergebrachten Weg vor Gericht, ist diesen Gruppen, Politikern und Verbänden nämlich zu anstrengend. Es ist die Anstrengung, die diese Gruppen scheuen und es ist eben nicht die Gerechtigkeit, die sie suchen.

Schaue ich mir den gesamten politischen Prozess an,...

(Manipulierte Umfragen wurden als Beweise für die angeblich breite Befürwortung des Gesetzes veröffentlicht; Ministerinnen belogen die Öffentlichkeit nachweislich mit falschen Zahlen; die Regierung hatte nachweislich und nach eigener Auskunft keine Ahnung über das Ausmaß von Kinderpornografie oder die Wirksamkeit der angedachten Maßnahmen; Sperrbefürworter aus CDU und CSU unterstellten ihren politischen Gegnern, Verbrecher zu sein; alle Experten sprachen sich gegen Sperren aus; die Medien zeigten nur mäßiges Interesse; 130.000 namentlich und öffentlich auftretende Petitenten wurden diffamiert und die Institution des Petitionsausschusses von der Politik schlicht ignoriert und damit diskreditiert und so weiter)

... der nun also heute zum Beschluss des Bundestages geführt hat, eine neue Zensurinfrastruktur in Deutschland aufzubauen, dann befürchte ich, dass es in näherer Zukunft weitere Gruppen, Politiker und Verbände leicht haben werden, weitere Internetinhalte auf Sperrlisten setzen zu lassen, um so die komplexen Entscheidungen über derartige Sperren ganz bewusst dem überforderten BKA zu überlassen statt ordentlichen Gerichten.

Alleine die Tatsache, dass die Politik trotz der Diskussion der vergangenen Wochen das Zugangserschwerungsgesetz heute beschlossen hat, macht deutlich, dass der politische Prozess in Deutschland nicht mehr in der Lage ist rationale Entscheidungen hervorzubringen, die dem gesamtgesellschaftlichen Wohl - unter der Beachtung des Maßstabs der Verhältnismäßigkeit hinsichtlich der Rechte von gesellschaftlichen Einzelgruppierungen - dienen.

Meine Prognose lautet also: Das BKA wird demnächst auch im Auftrag der kleinen Urheberrechte-Verwerterindustrie Internetseiten sperren. Und das BKA wird demnächst auch zur Befriedigung der politischen Geltungssucht von Unionspolitikern vermeintlich jugendgefährdende Inhalte im Internet sperren. Und das BKA wird demnächst auch weiteren Raum für Fehlentscheidungen bekommen, indem es angewiesen wird Glücksspielseiten zu sperren. Und so weiter.

Gerichtsverfahren sind überholt. Heute überlässt man die Arbeit dem BKA und einem dürren Expertenrat, der mal alle paar Monate in ein paar kurzen Sitzungsstunden alibimäßig über die hunderten von Sperrentscheidungen des BKA einen Blick schweifen lässt.

Ich habe rechts unten im Weblog mal einen Counter installiert (aktiviertes Javasript nötig), auf dem ab heute jeder Tag gezählt wird, an dem bislang in Deutschland nur Kinderpornografie gesperrt wird. Mal sehen, wie lange er zählen muss, bis das Zugangserschwerungsgesetz geändert und erweitert wird. Ich befürchte, es wird weniger als 365 Tage dauern.

Mittwoch, 17. Juni 2009

Politiker tun gerne so als ob

Der iranische Wächterrat will ein total überflüssiges Gesetz verabschieden, mit dem ein virtueller Sichtschutz vor schlimme Internetseiten gestellt werden soll. Das schafft die schlimmen Internetseiten zwar nicht aus der Welt und erst recht nicht die Verbrechen, die auf ihnen gezeigt werden, aber zumindest wird so eine schicke, neue Zensur-Infrastruktur aufgebaut bei den Internetprovidern im Land.

Und die Scharia Partei Deutschlands und die Chamenei Diktator Union tun so, als ob sie 10 Tage bräuchten, um ein Wahlergebnis zu überprüfen, dass am Wahltag schon nach zwei Stunden fest stand.

Äh, Moment, da ist mir wohl was durcheinander geraten...

Kann ja mal passieren bei dieser Flut an Nachrichten derzeit über Filterungen und Zensur.

Eines ist beiden Ereignissen jedoch gemein: Oftmals handeln Politiker nicht um Probleme zu lösen, sondern um die Sauereien, die durch ihr Handeln erst entstanden, anschließend möglichst ohne eigenen Gesichtsverlust irgendwie wieder vergessen zu machen bei den Bürgern. Im Iran scheint dies jedoch nicht zu funktionieren derzeit.

In Deutschland jedoch schon. Denn obwohl das Vorhaben von Familienministerin von der Leyen, Internetseiten mit Kinderpornografie durch eine Sperre des Seitenaufrufs - also eben auf der Seite des normalen Internetnutzers und nicht auf der Seite des Kinderporno-Anbieters - zu bekämpfen, von allen Internetexperten und Rechtsexperten als nutzlos und gefährlich entlarvt wurde und obwohl die Alarmrufe von von der Leyen über die massive Verbreitung und die angebliche Suchtwirkung von Kinderpornografie als haltloses Geschwätz entlarvt wurden, wird nichtsdestotrotz ein Sperrgesetz kommen. Die Bürger werden es schlucken. Und das, obwohl die SPD und die CDU sogar befürworten, dass erst gelöscht und dann gesperrt werden soll. Aber das Gesetz muss jetzt halt her. Des gefürchteten Gesichtsverlusts der Politiker wegen. Denn wie sähe das aus, wenn die Parteien einfach sagen würden: Okay, wir haben uns geirrt, war eine blöde Idee... Da haben die Bürgerrechte und die Gewaltenteilung halt Pech gehabt. Und das BKA, die neue Zensurbehörde, freut sich. Wie immer, wenn SPD und CDU Gesetze verabschieden, mit denen sie den Bürger "beschützen" wollen.

Dann muss eben wieder das Bundesverfassungsgericht ran. Denn ich kann mir nicht vorstellen, dass die nun angedachte Konstruktion eines irgendwie "unabhängigen" Rates, der die Zensurliste des BKA überwachen soll, ausreicht, um dem Standard des Grundgesetzes in puncto Gewaltenteilung und Artikel 5 gerecht zu werden.

Hier wie im Iran sind es also irgendwelche "Räte", die nun dem ganzen Mist einen neuen Anstrich geben sollen.

Ja, es sind halt dumme, extremistische Parteien, mit denen wir es da derzeit noch zu tun haben. Das Glück Deutschlands ist, dass auf Grund dieser Tatsache hierzulande nur das Verfassungsgericht Überstunden machen muss und nicht der normale Bürger auf den Straßen Kopf und Kragen riskieren muss, übernächtigt und heiser.

Fazit: Wie schön wäre es, wenn auch hierzulande die Hälfte der Bevölkerung unter 30 Jahre alt wäre.