Samstag, 21. April 2007

Panzerballett und Satellitenteller

Genau dafür sind Weblogs (auch) da.

Obwohl kein Weblog, dennoch passend dazu: Lexikon der bedrohten Wörter.

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Desinformation zur Pflegeversicherung: "Info-Radio" fällt auf INSM rein

Kennt Ihr das auch, wenn Freunde oder Verwandte einem nach dem Einkauf vor allem erzählen, wie toll doch der Verkäufer gewesen ist? Wie freundlich, wie zuvorkommend, wie informiert, wie ehrlich und wie bemüht und wie er einem geholfen hat, genau das Richtige zu finden?

Die Enttäuschung ist dann meist groß, wenn ich kurz angebunden nach einer kurzen Internet-Recherche darauf hinweise, dass man das gleiche Teil da und dort 40% billiger bekommen hätte, dass das Teil leider nicht all die Funktionen hat, von denen der Verkäufer sprach oder dass es sich bei dem Produkt leider um ein Auslaufmodell handelt. Ich bin halt ein Spielverderber.

"Aber der Verkäufer war doch wirklich soooo freundlich und ist wirklich genau auf unsere Wünsche eingegangen!" Tja, hätte man sich erst einmal unabhängig informiert, dann wäre das nicht passiert.

Genau solch einem Verkäufer bin ich heute morgen begegnet. Einem Verkäufer, der solch ein weiches, einschmeichelndes, warmes Timbre hatte, das es einem die Schuhe auszog. Allerdings nicht in einem Geschäft, sondern im Radio. Nein, auch nicht in einer privaten Billig-Radio-Klitsche, die gerade eine Dauerwerbesendung brachte. Es war auch nicht eines dieser unerträglichen Gewinnspiele, das da gerade von einem gehirnbefreiten Moderator angepriesen wurde. Nein, ich hatte das Info-Radio vom RBB angeschaltet und bei dem Verkaufsgespräch ging es auch nicht um die üblichen 50-Cent-Beträge für ein SMS-Gewinnspiel, sondern es ging um Milliarden von Euro. Der Mann, der da dem Radiohörer ein Produkt verkaufen wollte, das mehrere Milliarden Euro kostet, dieses bewundernswerte Verkaufsgenie also, war natürlich so schlau, diesen teuren Preis mit keinem Wort zu erwähnen. Stattdessen wickelte er die Moderatorin des RBB so um den Finger, dass sie sprachlos und atemlos war wegen der Aufopferungsbereitschaft dieses Mannes, der da ein Produkt zu verkaufen versuchte, dass dem deutschen Volke das Heil bringen würde. Es gab somit auch keine kritischen Nachfragen von Seiten der Moderatorin. Im Gegenteil. Am Ende des Verkaufsgespräches durfte der Verkäufer sogar noch etwas aus seinem Leben erzählen und - gaaaaanz bescheiden - darstellen, wie er dazu kam, als Heilsbringer unters Volk zu gehen, um derat gute Taten zu vollbringen und das Volk mit seinen Produkten und Ideen zu versorgen.

Bei diesem Heilsbringer handelte es sich um Herrn Professor Rürup. Auch bekannt aus der vormaligen "Rürup-Kommission". Große Teile seines Gehaltes bezieht der Herr Professor von der deutschen Versicherungswirtschaft (dies wurde jedoch nicht von der Moderatöse erwähnt). Und so warb Herr Rürup nun für ein neues Versicherungsprodukt. Genauer gesagt: Die bisherige, staatlich gesteuerte Pflegeversicherung wäre bald am Ende. Man hätte bei ihr nicht die Kosten berücksichtigt, die die angeblich zunehmende Menge von Demenzkranken bald verursachen würde. Deshalb müsse die staatliche Pflegeversicherung nun in die Hände der privaten Versicherungswirtschaft gelegt werden. Denn dann müsste jeder Beitragszahler schon in jungen Jahren enorme Summen einzahlen - nicht mehr an den Staat, sondern an die private Versicherungswirtschaft - damit auf jeden Fall dann im Fall der Demenz später genug Geld zurückgelegt worden sei. So gäbe es nicht die Gefahr wie angeblich beim jetzigen staatlichen System, dass heute eventuell zu wenig Geld zurückgelegt wird für später ansteigende Pflegekosten. Und in der Zwischenzeit könne die private Versicherungswirtschaft mit dem Geld, das vormals der Staat bekam, sich einen runterholen, äh, nein, es in gewinnbringenden Projekten anlegen. Auf dass die private Versicherungswirtschaft sich doof und dösig am deutschen Steuerzahler verdiene.

Gut, die letzten Sätze hatte Rürup so nicht gesagt, aber genau darauf läuft das ganze hinaus.

Die Moderatöse, die anscheinend schon ein bedauernswertes Opfer dieser angeblich zunehmenden Demenz geworden ist, fragte leider nicht nach, wie sicher denn die Prognosen seien, dass die staatlich gesteuerte Pflegeversicherung bald am Ende sei und warum für das Abfedern von steigenden Pflegekosten unbedingt die private Versicherungswirtschaft eingebunden werden müsse. Dafür durfte Rürup dann aber am Ende des Interviews noch darstellen, dass er all seine gemachten Äußerungen nur als selbstloses Werk am deutschen Volke ansieht.

Lieber Leser, wenn Sie also das nächste Mal aus Versehen beim Zappen beim Shopping-Kanal "Info-Radio" vom RBB landen, seien Sie auf der Hut und lassen Sie sich keinen Scheiß andrehen.

Der Auftritt von Rürup ist übrigens anscheinend Teil eines von langer Hand geplanten Raubzuges der privaten Versicherungswirtschaft, die nun nach der "Rentenreform" (Stichwort "Riester-Rente") auch das Geld für die Pflegeversicherung in die Hand bekommen möchte. Mehr dazu darf man bei den NachDenkSeiten.de nachlesen: INSM: Nach der Rente nun auch die kapitalgedeckte Pflegeversicherung.

P.S.: Vielleicht taucht das Rürup-Interview ja noch im RBB-Podcast "Interviews zu aktuellen Themen" oder im RBB-Podcast "Das Wirtschaftsgespräch" auf. Dann kann jeder sich selbst einen Eindruck verschaffen vom bewundernswerten Timbre Rürups und der strunzdummen Dämlichkeit der Moderatorin. Bislang erschien das Interview in diesen Podcasts jedenfalls noch nicht.

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Donnerstag, 19. April 2007

Überbordende Verbrechensprävention tötet Artikel 20 GG

Was würde passieren, wenn in Deutschland die Exekutive, sprich Regierung und Polizei, einfach den Schranken, die ihnen Gesetz und Rechtssprechung auferlegen, nicht mehr gehorchen? Wenn die Medien mitspielen - und ich sehe absolut keinen Grund... Moment, noch einmal kurz überlegen... - nein, ich sehe absolut gar keinen Grund, warum die deutschen Medien nicht mitspielen würden - dann könnten Politiker in Deutschland quasi alles tun, auch den offenen Verfassungsbruch - vor allem, wenn es oberflächlich um eine "gute Sache" geht und die Mehrheit der Bevölkerung erst einmal dafür ist. Beispielsweise, wenn es um das Eindämmen von Gewalt und Terrorismus gehen würde... Genauso begann es in den 30iger Jahren im letzten Jahrhundert. Und so etwas beginnt immer in kleinen Schritten, bei denen zunächst viele mitmachen und wo man am Ende nicht mehr weiß, wer weiterhin mitmacht, welche politische Einstellung der Nachbar oder der Kollege bei der Polizei oder der Behördenmitarbeiter XY hat und weshalb man lieber auch weiter mitmacht statt sich aufzulehnen, sicherheitshalber und um Frau und Kinder oder Freunde nicht zu gefährden...

Also angenommen, solch ein Fall träte wieder ein, dann wäre die Bevölkerung nach Artikel 20 des Grundgesetzes dazu aufgerufen, gegen die Regierung die Verfassung zu schützen.

Aber wie sollte solch ein Vorhaben, solch ein Widerstand gegen die Exekutive durch das Volk in der heutigen Zeit aussehen? Wenn Schäubles Überwachungs-Katalog in die Tat umgesetzt würde, dann wäre es bei den dann vorhandenen technischen Überwachungs-Möglichkeiten von Polizei und Geheimdienst nahezu unmöglich, einen Widerstand zu organisieren, der erfolgversprechend nach Artikel 20 das Grundgesetz schützt. Schon jetzt wäre so etwas kaum noch möglich, aber mit den Fingerabdrücken im Pass und zentralen Datenbanken samt umfangreicher Datenspeicherung von Telekommunikationsverbindungsdaten (Vorratsdatenspeicherung) wäre ein effektiver Widerstand gegen den Willen der Staatsgewalt kaum mehr möglich.

Das ist der Preis für die vermeintliche Sicherheit vor Terror-Anschlägen, den wir schon jetzt bezahlen und erst recht nach Inkrafttreten von Vorschlägen aus dem sogenannten "Schäuble-Katalog" der neuen Überwachungsgesetze. Es ist der Verzicht auf Artikel 20 des Grundgesetzes und somit auf die letzte Absicherung und den letzten Schutz des Grundgesetzes. Und wer sagt, dass dieser Schutz eh überflüssig sei, weil eine deutsche Regierung niemals das Grundgesetz außer Kraft setzen würde, der ist genauso naiv wie jemand, der sagt, dass es in Deutschland niemals mehr Terror-Anschläge geben wird.

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Schäuble-Katalog: Nun steht es 2:0 für Schäuble

Die politischen Auseinandersetzungen rund um die Vorstöße von Schäuble, die Befugnisse der Sicherheitsbehörden zu erweitern, offenbaren das grundlegende demokratische Defizit des politischen Systems in Deutschland: Die Parteiendemokratie.

Anders als in den USA spielen in Deutschland einzelne Politiker keine starke Rolle. Die politische Diskussion in Deutschland macht sich zwar auch immer fest an einzelnen Personen, aber die sind letztendlich austauschbar und das gleiche politische Konzept wird dann halt durch den Nachfolger verfolgt und umgesetzt. Das Übel sind in Deutschland die Parteien und ihre Macht. Der Wähler muss jedoch eine Partei wählen. Er kann kaum einzelne Politiker gezielt wählen, damit die ihr Programm und ihre persönliche Integrität auf der politischen Bühne präsentieren können.

Im Grunde genommen können die Parteien in Deutschland machen was sie wollen. Versagen sie - wen soll man anschließend wählen?

Wären jedoch alle Abgeordneten durch den Bürger direkt wählbar und gar die/der Bundeskanzler, dann sähe die Politik in Deutschland schon ganz anders aus. Da müssten Politiker plötzlich tatsächlich auf den Willen des Volkes hören auch zwischen den Wahlen. Das System der USA ist beileibe nicht perfekt. Aber durch das stärkere Inanspruchnehmen des einzelnen Politikers hat der Wähler einen viel direkteren Einfluss und kann Politiker so auch direkt abstrafen.

Es gibt somit eigentlich in Deutschland selbst eine sogenannte repräsentative Demokratie nicht. Es gibt eine Parteiendiktatur.

Selbst der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker und bedeutende Rechtsgelehrte sehen das so. Näheres hierzu beispielsweise in diesem Internet-Artikel: Allmacht der Parteien.

Die Auseinandersetzungen um Schäubles Vorschläge zeigen erneut, wie in diesem Land Politik gemacht wird: Schäuble kann das, was er sagt, nur sagen, weil die Partei hinter ihm steht. Und noch mehr kann Schäuble nur so beredt schweigen, weil seine Partei hinter ihm steht. Denn das Problem mit Schäubles Aussagen ist nicht, dass er Tacheles redet, sondern dass er genau dies nicht tut. Er leiert rum, was das Zeug hält. Er lässt seine politischen Gegner mit dieser Taktik ins Messer laufen. Denn versuchen sie ihn zu kritisieren, dann kann Schäuble antworten, dass er doch gar nichts Schlimmes gesagt habe. Und doch sagt er das Schlimme in aller unklaren Klarheit. Aber da er selbst nichts politisch wirklich zu verantworten braucht, braucht er sich und seine Pläne auch nicht konkreter zu verteidigen. Polemik reicht. Es reicht aus, den politischen Gegner einfach als "naiv" zu titulieren und fertig. Müsste Schäuble sich wirklich um den Wähler und seine Meinung kümmern, so müsste er endlich einmal eingehen auf die konkreten Bedenken gegen seine Überwachungspläne. Da der Wähler jedoch weiß, dass ihn eh keiner fragt, ist dieser auch dementsprechend uninteressiert an der ganzen Sache. Mit der Folge, dass auch unsere Medien sich nicht unter Druck sehen, den ganzen Schmu ihren Kunden einmal genauer darzulegen. Siehe beispielsweise meine Erläuterungen zur Tagesschau-Sendung von gestern.

Und wenn Schäuble sich doch einmal vergallopieren sollte, dann kommt halt Bosbach oder Beckstein oder sonst ein anderer Nachfolger, der genau die gleiche Politik fortsetzt.

Auch das Verhalten der SPD und von Teilen der FDP spiegelt die Unverantwortlichkeit der Agierenden wider, die so nur möglich ist, weil die Parteien sie decken. Näheres hierzu erläutert in lesenswerter Weise Thomas Klotz im RA-Blog: Freiheit statt Angst. So können jetzt zwar einzelne Personen innerhalb der SPD gegen Schäubles Pläne protestieren, aber sie haben nichts zu entscheiden oder werden vielleicht gar von der Partei als Bauernopfer vorgeschickt. Es sind meist Leute aus der zweiten Reihe, die sich so mal etwas profilieren dürfen auf Bundesebene, für den Preis, dass sie mit ihren Forderungen anschließend innerhalb der Partei untergehen. Die SPD zahlt zwar für diesen unglaubwürdigen Kurs einen Preis in Form sinkender Umfragewerte, aber da es auf Bundesebene nur fünf Parteien gibt, von denen für die meisten Bürger aus psychologischen Gründen meist nur jeweils maximal zwei alternativ wählbar sind, wird die SPD auch bei der nächsten Regierung wieder beteiligt werden - und sei es als 25%-Partei.

Die Polemik hinter Schäubles Vorgehen erläutert sehr gut ausnahmsweise Mal ein Artikel bei Spiegel.de: Schäubles Pläne irritieren Ministerin Zypries.

Darin:

Die Empörung war groß, stellt die Unschuldsvermutung doch den Kernbestand des Rechtsstaates dar. Politiker von SPD, Grünen, FDP und Linkspartei reagierten sofort und forderten den Innenminister auf, auf den Boden der Verfassung zurückzukehren. Doch was hat Schäuble eigentlich gemeint? Sein Sprecher erklärte, der Minister habe nur auf den Unterschied zwischen Strafrecht und Gefahrenabwehr hinweisen wollen. Tatsächlich, das bestätigt jeder Jurist, gilt eine Unschuldsvermutung nur vor Gericht, nicht jedoch bei der Prävention von Straftaten. Somit hätte Schäuble nur eine juristische Binsenweisheit von sich gegeben.

Aber ist der Satz wirklich so harmlos? Oder will Schäuble nicht doch die Regeln für die Ermittler so lockern, dass sie künftig auch bei einem Generalverdacht gegen jemanden aktiv werden können? Die vage Äußerung bot breiten Raum für Interpretation. [...] Gerade weil Schäuble seit Tagen schärfere Gesetze fordert, fällt die Unschuldsvermutung in seinem Fall schwer.

FDP-Innenexperte Max Stadler nannte Schäubles Äußerung "polemisch", weil er nicht darauf hingewiesen habe, dass Ermittlungen immer auf einem begründeten Anfangsverdacht basieren müssen. Das sei wohl kalkuliert, argwöhnte der Liberale gegenüber SPIEGEL ONLINE. (Quelle)


Fazit: Es wird hier ein politisches Spiel mit der öffentlichen Meinung betrieben, bei dem es nicht um eine aufklärende, faire Diskussion politischer Vorschläge geht, sondern es geht um Täuschungen. Politisch durchsetzbar ist dies nur, weil wir in Deutschland eine Parteiendiktatur haben. Es geht allein um die Inszenierung und das Vorspielen einer politischen Diskussion statt um das argumentative Ausfechten von unterschiedlichen Lösungen - sei es, um anschließend einen Konsens zu finden oder aber die eigene Position noch deutlicher als zuvor von der Gegenposition abzugrenzen. Warum sonst bleibt Schäuble in seinen inzwischen zahlreichen Interviews so vage? Warum sonst besteht die Hälfte seiner Äußerungen aus Vorwürfen, dass seine politischen Gegner schlicht naiv seien und dass die Onlinedurchsuchung einfach nötig sei und "basta"? Warum sonst fabuliert er etwas von Aufheben der Unschuldsvermutung, wo er doch genau weiß, dass das bei der Strafverfolgung nicht möglich ist und bei der Gefahrenabwehr gar kein Thema ist? Warum sonst eierten die SPD-Leute bis jetzt so rum? Es ist ein allgemeines Drücken vor politischer Verantwortung. Selbst von den heutigen Oppositionsparteien muss man annehmen, dass sie ähnliche Gesetzesvorhaben wie die von Schäuble mittragen würden, wenn sie an der Regierung wären. Wie beispielsweise die FDP: In Nordrhein-Westfalen ist sie mit in der Regierung und prompt verabschiedet sie dort das Gesetz, nach dem der NRW-Verfassungsschutz Onlinedurchsuchungen durchführen darf. Und auch bei der Wirtschafts- und Sozialpolitik gleichen sich die Parteien in ihrem Handeln, sobald sie an die Macht kommen. Von den vorher im Wahlkampf versprochenen programmatischen Leitlinien verabschiedet man sich mittlerweile in atemberaubenden Tempo und ohne auch nur den Hauch eines schlechten Gewissens. Wie formulierte es Müntefering im letzten Jahr? Ungefähr so: Er fände es unfair, dass man den Parteien nach der Wahl vorwerfen würde, die Versprechungen aus dem Wahlkampf nicht einzuhalten...

Die Konsequenzen, die man aus diesen Erkenntnissen ziehen muss? Eigentlich bräuchte es ein neues politisches System in Deutschland. Entweder durch direkteren Einfluss der Wähler auf die Volksvertreter oder durch mehr Elemente der direkten Demokratie. Das jetzige politische Modell Deutschlands steht jedoch langfristig vor seinem Ende. So wie jetzt wird es nicht weitergehen. Denn die von den Medien unabhängige Meinungsbildung der Bürger durch das Internet wird zunehmend zu einer immer stärkeren bewussten Ablehnung des aktuellen politischen Systems bei immer mehr Bürgern führen. Unbewusst lehnen bereits viele das System ab. Sie wissen aber vermutlich selber nicht warum oder können es noch nicht erklären.

Wie kann ein bestehendes System wie die deutsche Parteiendiktatur in ein demokratisches System umgewandelt werden? Mir erscheinen nur zwei Wege als gangbar: Paradoxerweise die Gründung einer neuen Partei, die sich die Abschaffung der Parteiendiktatur konsequent als wichtigstes Ziel auf die Fahnen schreibt oder eine große, außerparlamentarische Protestbewegung innerhalb der Bevölkerung, die mit allen möglichen Mitteln die bestehenden Parteien zwingt, das System grundlegend zu verändern.

Ich befürchte jedoch, dass dies für lange Zeit noch eine Utopie bleibt. Die politische Meinungsbildung durch das Internet hat ja erst begonnen. Und noch können viele Menschen gut leben mit ihrem geringen politischen Einfluss. Wird jedoch die Politik der Parteien zu bürgerfeindlich, könnte es doch irgendwann zu einem Leidensdruck führen, der zu einem Aufbegehren gegen das heutige politische System führt.

Bis dahin heißt es aufzuklären und mit den bestehenden Beschränkungen umgehen zu lernen, um doch schlimmste Auswüchse der Parteienpolitik abzumildern. Mal sehen, ob die Medien, politisch Aktive außerhalb der Parteien wie Bürgerrechtsgruppen oder Berufsvereinigungen wie Anwaltsverein, Wirtschaftsvereinigungen und Journalistenvereinigungen genug Einfluss ausüben, um innerhalb der Parteien weitere Unterstützer zu sammeln gegen eine Politik, die die Bürgerrechte immer weiter abbauen will.

Wegen Schäubles gelungener Polemik in dem nun überall zitierten Stern-Interview (mehr zu dem Interview unter anderem bei Lawblog.de), bei der seine politischen Gegner nun in das Messer liefen und auf seinen Trick mit der Forderung nach Aufhebung der Unschuldsvermutung hereinfielen, steht es zur Zeit jedoch leider eindeutig 2:0 für Schäuble.

Warum es bislang schon 1:0 für Schäuble stand, erläutere ich hier.

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Vorratsdatenspeicherung: Tagesschau kriegt es nicht hin

Die 20-Uhr-Ausgabe der Tagesschau ist und bleibt eine Alt-Herren-Sendung. Nicht, weil da vor allem ältere Herren vor der Kamera erscheinen, sondern weil sie vermutlich nur noch von älteren Herren geguckt wird.

Anders kann ich mir den fehlenden Protest gegen die dort häufig allzu lückenhafte Berichterstattung nicht erklären.

Tagesschau.de und die 20-Uhr-Ausgabe im Fernsehen trennen Welten. Online ist das Angebot befriedigend. Aber die kurzen Beiträge in der Fernsehsendung enthalten oftmals so viele Lücken oder geben vor allem die Ansichten der Regierung wieder, dass man besser informiert ist, wenn man auf das Anschauen der Tagesschau verzichtet und sich anderswo informiert. Denn wer die Tagesschau guckt, unterliegt dem falschen Eindruck, informiert worden zu sein. Und das ist gefährlich.

Beispiel "Vorratsdatenspeicherung". Der Beitrag von Wolfgang Wanner in der 20-Uhr-Ausgabe der Tagesschau vom 18.04.2007 erwähnte vor allem die Position von Zypries, dass die Vorratsdatenspeicherung angeblich nichts anderes sei, als das, was jetzt schon gespeichert würde, nur halt statt 80 Tagen nun sechs Monate. Das ist jedoch eine schlichte Lüge. Tagesschau entlarvte das nicht als Lüge, sondern erzählte sie munter weiter. Die Argumente der Gegner der Vorratsdatenspeicherung wurden ebenfalls stark gekürzt wiedergegeben. Der Bundesdatenschützer sei halt dagegen, man befürchte den Überwachungsstaat und der Staat könne nun irgendwie mitbekommen, wenn jemand einen Anwalt oder Arzt angerufen hat. Das war es auch schon dazu.

"Ja und?", fragt sich da der normale Tagesschau-Zuschauer. "Was soll jetzt an der Vorratsdatenspeicherung so schlimm sein?"

Tagesschau verschwieg seinen Gebühren zahlenden Kunden Folgendes:

  • Bislang werden nur Daten gespeichert, die zur Rechnungsstellung nötig sind. Das sind weit weniger Daten als das, was bei der Vorratsdatenspeicherung gespeichert werden soll und bei Kunden mit Flatrate fallen diese Daten bislang überhaupt nicht an.
  • Die Speicherung von Verbindungsdaten von Flatrate-Kunden ist heute sogar noch gesetzlich verboten - warum wohl? Das wäre eine interessante Frage gewesen. Der unbedarfte Tagesschau-Gucker hörte sie nicht.
  • Es wurde nicht dargestellt, wie die Verbindungsdaten ein wesentlich transparenteres Bild eines Menschen zeichnen können als der Wust an Gesprächsinhalten selbst. "Nur" Verbindungsdaten zu speichern ist also keineswegs harmloser als auch die Gesprächsinhalte aufzuzeichnen, sondern die Verbindungsdaten sind oft aussagekräftiger für die Lebensumstände eines Menschen als Gesprächsinhalte. So kann es auch wesentlich aussagekräftiger sein, von wo und wohin jemand mit seinem Auto fährt, als was für Gespräche er während der Fahrt mit seinem Beifahrer führt. Verbindungsdaten sind somit auch Kommunikationsinhalte und Aufzeichnungen des Verhaltens der Bürger.
  • Bei der Erfassung von E-mail-Verbindungsdaten werden auch Inhalte der E-mail selbst erfasst.
  • Dass mit der Vorratsdatenspeicherung auch die Unschuldsvermutung weiteren Schaden nimmt, wurde ebenfalls von der Tagesschau unterschlagen.
  • Dass alleine das Vorhandensein eines solchen Datenberges das Risiko des Missbrauchs durch kriminelle Elemente in den Sicherheitsbehörden oder durch technische Fehler entstehen lässt, wurde ebenfalls verschwiegen.
  • Ebenfalls nicht weiter aufgezeigt wurde, dass das Vorhandensein solcher Daten auch immer wieder das weitere Begehren nach der Auswertung dieser Daten zu späteren Zeiten weckt und hier eine Salamitaktik zum Abbau der Grundrechte von einzelnen Politiker verfolgt wird.
  • Weiterhin wurde nicht erwähnt, dass die Vorratsdatenspeicherung auf EU-Ebene auf demokratisch absolut zweifelhafte Weise zustande kam, und dass sich die Beschwerde Irlands genau dagegen richtet. Hier hätte dem Bürger klar werden können, welche Farce der Bundestag und seine Abgeordneten zu großen Teilen dem sogenannten "Souverän" vorgespielt haben. Ein Thema, was eigentlich noch weit schlimmer und wichtiger ist als die Vorratdatenspeicherung selbst.
  • Und schließlich verschwieg die 20-Uhr-Ausgabe der Tagesschau, dass auf die Industrie wahnsinnige Kosten zukommen und dies vermutlich die Preise für Telekommunikation in die Höhe treiben wird.
Den Einwand, dass die Tagesschau ja leider so eine kurze Sendung sei und man ein Thema nicht umfassend darstellen könne, lasse ich in diesem Fall nicht gelten. Wie lange hätte es gedauert, obige Punkte gerade noch mit in den Beitrag in einer kurzen Aufzählung unterzubringen? Hätte ein anderer Beitrag dafür nicht genau um diese eine Minute gekürzt werden können?

Fazit: Die 20-Uhr-Ausgabe der Tagesschau ist überflüssig, weil sie statt zu informieren, durch die großen Lücken bei der Berichterstattung zu einem Thema eher desinformiert als informiert. Außerdem bestätigt sich wieder der Eindruck, dass die 20-Uhr-Ausgabe der Tagesschau eher Sprachrohr der Regierung ist als eine unabhängige Nachrichtensendung. Ein vom Gebührenzahler bezahltes regierungsunkritisches Sprachrohr also. Und das klingt irgendwie nach Russland und China.

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Dienstag, 17. April 2007

Zauberspruch "Ich distanziere mich..."

Thilo Baum hat einen hervorragenden Artikel verfasst über den Unsinn, dass ein Politiker in Deutschland alles mögliche sagen kann, wenn er anschließend nur kurz angebunden in ein Mikro flüstert, dass er sich von seinen Aussagen distanziert: Mythos Distanzierung.

Was für einen Quatsch lassen wir Bürger uns eigentlich gefallen von diesen Politiker-Heinis? "Ich distanziere mich".... und schon kann man alles sagen und alles zuvor Gesagte vergessen machen?

Thilo Baum schreibt:

Wenn Oettinger sich von dem, was er gesagt hat, distanziert, scheint er seine Meinung geändert zu haben. Schließlich distanziert man sich nicht von etwas, was man vertritt. Hat Oettinger seine Meinung geändert? Seltsamerweise lese ich nirgendwo einen O-Ton Oettingers: "Mensch Leute, ihr habt Recht! Wie konnte ich mich nur so irren. Ich habe Herrn Filbinger leider mit Pastor Niemöller verwechselt. Oh, das tut mir aber Leid. Das hätte nicht passieren dürfen. Ich werde meinen Redenschreiber umgehend rüffeln." Das lesen wir nicht. Wir lesen: "Ich distanziere mich davon und glaube, dass damit alles gesagt worden ist." (Quelle)


Und ich wette, dass unsere ach so kritischen deutschen Medien jetzt plötzlich alle wieder ganz, ganz schnell Ruhe geben werden. Oettinger hat sich ja "distanziert".

Noch einmal Thilo Baum:

Lasst uns die Distanzierung im Strafprozess einführen. Richter fragt Angeklagten: "Distanzieren Sie sich von der Nötigung und der Beleidigung im Straßenverkehr mit 1,2 Promille?" Angeklagter: "Ich distanziere mich davon und glaube, dass damit alles gesagt worden ist." Richter: "Na dann - Freispruch." (Quelle)


Thilo Baum fragt anschließend zu Recht, was für ein Bild Oettinger eigentlich von den Bürgern Deutschlands hat.

Dass neben der Union auch der SPD der Rummel um Oettinger gar nicht recht war, ist logisch. Denn zur Zeit bilden SPD und Union eine einzige große Regierung. Und Regierungen mögen keine Unruhe, in die Mitwirkende an der Regierung (und die Ministerpräsidenten sitzen natürlich indirekt mit im Kabinett) verstrickt sind. Und unseren Medien ist es vermutlich auch recht: Keine Kontroversen bedeutet weniger Arbeit und Aufregung. Die Wähler und Kunden jedoch werden sich dieses Verhalten merken. Dafür sorgt zunehmend auch das Internet. Ein gesetzter Link zu einem aussagereichen Artikel und die ganze Oettinger-Filbinger-Geschichte ist wieder da... Das ist das Schöne am Internet.

Auch wenn Oettinger weiterhin in dumpfen, rechtskonservativen Baden-Württembergischen Unionskreisen nachhaltigen Rückhalt hat, Kanzlerkandidat kann Oettinger zumindest nicht mehr werden. Selbst wenn zehn Jahre oder mehr verstreichen sollten. Denn zumindest dank Internet sind alle Details seiner Aussagen und die vielen unterschiedlichen Meinungen dazu auch in zehn Jahren noch von jedem Internetnutzer ohne irgendeinen großen Aufwand genau nachzulesen. Auch wenn heute das Internet nur wenige Deutsche bereits so nutzen, um sich ein breiteres Bild zu machen, so wird es langsam aber sicher die Politikverdrossenheit mindern. Denn Politikverdrossenheit entsteht durch Hilflosigkeit, durch das Erleben, dass man gar keinen Einfluss auf Politik und Medien hat. Da die Meinungshoheit der Medien durch das Internet mehr und mehr angekratzt wird, könnte und sollte auch die Politikverdrossenheit abnehmen und ein sich selbst verstärkendes politisches Interesse einsetzen.

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HVV macht Werbung mit kunden-, behinderten- und kinderfeindlichen Plakaten

Das ist leider möglich in Deutschland, ohne dass es den Verantwortlichen anscheinend zuvor aufgefallen ist. Die Werbeagentur "Orange Cube" hat dem Hamburger Verkehrsverbund (HVV) eine augenscheinlich kunden-, behinderten- und kinderfeindliche Kampagne verkauft, berichtet Christiane Link: Ich bin ein Hindernis für die Hamburger Hochbahn.

Orange Cube stellt die als "Imagekampagne" verkaufte Lösung selbst stolz auf einer Webseite vor: Orange Cube Werbeagentur / Hamburger Hochbahn.

Auf dem dritten dort wiedergegebenen Plakat zur Werbekampagne darf der zahlende Kunde des HVV dann bestaunen, wie aufopferungsvoll und selbstlos beispielsweise Busfahrer ihrer unbezahlten Arbeit nachgehen, indem die Probleme bildlich dargestellt werden, mit denen der Busfahrer tagtäglich zu kämpfen hat: Strenge Zeitvorgaben, Kunden, die kein passendes Kleingeld dabei haben, Fahrgäste mit sperrigem Gepäck, rücksichtslose Radfahrer, Störenfriede im Bus und eben auch lästige Rollstuhlfahrer und nervende Mütter mit Kinderwagen, die es auch wagen, mitfahren zu wollen.

Meiner Meinung nach sagt diese Werbekampagne aus:

  • Die Agentur "Orange Cube" hat ihre Pflichten ihrem Kunden gegenüber schändlich vernachlässigt und ihm das Gegenteil der von ihm gewünschten "Imagekampagne" angedreht.
  • Der HVV hat den "Servicegedanken" nicht verstanden. Warum sonst belästigt er den Kunden mit indirekten Vorwürfen, dass er Arbeit verursacht? Und hat der Kunde für den Umgang mit diesen Problemen durch den HVV nicht Fahrgeld bezahlt oder ist der Transport durch den HVV kostenlos?
  • Behindertenfeindlichkeit, Kinderunfreundlichkeit und Kundenfeindlichkeit sind oftmals Ausdruck ein und desselben Problems.
Für mich drückt diese "Imagekampagne" somit aus: Bei dem HVV ist man kein Kunde, sondern Beförderungsbittsteller, der seinen Transport und seine Beachtung durch den Busfahrer neben Zahlung der Beförderungspauschale mit untertänigem Dank quittieren soll.

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Montag, 16. April 2007

Fall Oettinger: Die Abhängigkeit deutscher Medien

Einen treffenden Kommentar zum Versagen großer Teile der deutschen Medien beim jüngsten Skandal um Oettinger, den Immer-Noch-Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, bringt Blogmedien.de: Verschlafene Wächter.

Darin:

Der so genannte "Fall Oettinger" zeigt erneut, dass in Deutschland vorrangig "Hurra-Journalismus" betrieben wird. Wichtig ist nicht etwa der Vorfall, sondern ob und in welchem Rahmen andere Medien darüber berichten. Kommentiert wird ohnehin erst, wenn man sich auf der ganz sicheren Seite der vorherrschenden Meinung wähnt. [...] Selbst als sich der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, noch am selben Tag empört zu Wort meldete, fand das kaum Niederschlag in den Medien. Weder Tagesschau noch ZDF-heute berichteten, in den Tageszeitungen wurde am Donnerstag kaum Notiz davon genommen. Die Geschichte kochte erst hoch, nachdem sich in den folgenden Tagen immer mehr Politiker zu Oettingers Trauerrede äußerten. Nicht der Vorfall an sich, sondern die Reaktionen darauf wurden zum Thema. Auf einmal berichten fast alle in großer Aufmachung, selbst die Stuttgarter Zeitung. Mit einer “Wächterrolle” hat das kaum etwas zu tun. (Quelle)


Der unerschrockene Zentralrat der Juden gehörte meines Wissens nach lobenswerterweise tatsächlich wieder mit zu den ersten, die die Schieflage in Oettingers Worten laut anklagten. Und nein, auch dieses Mal kam von nirgendwo der Vorwurf, Oettinger sei Antisemit. Denn darum ging es gar nicht. Es ging bei den Protesten gegen Oettingers umstrittene Äußerungen vor allem um den Schutz unseres heutigen Rechtsstaates. Denn wenn ein nicht gerade kleines Rädchen im System des Nazi-Unrechtsstaates wie der ehemalige Richter Filbinger als "Nazi-Gegner" bezeichnet wird, ist dies vor allem ein Angriff auf den heutigen demokratischen Rechtsstaat. Oettinger hatte mit seinen Äußerungen die Grenzen zwischen Nazi-Deutschland und dem heutigen deutschen Rechtsstaat aufgelöst. Denn wonach sollte man das Verhalten beispielsweise von Richtern schlussendlich noch bemessen, wenn selbst ein Mitwirken an Unrechtsurteilen wieder als entschuldbar oder gar als salonfähig gilt?

Vielleicht hat ja auch manche Reaktion in deutschen Weblogs (meine wohl weniger) neben den Protesten des Zentralrats der Juden manche Politiker bewegt, Stellung zu Oettingers Aussagen zu beziehen. Die deutschen Medien jedoch bewegen kaum noch etwas, sondern werden höchstens bewegt von außen. Deutsche Medien sind anscheinend in zunehmendem Maße abhängig von Wirtschaft und den herrschenden politischen Kreisen. Wegen ihrer fehlenden Distanz und daraus resultierender fehlender Kritik sind deutsche Medien somit zu großen Teilen mitverantwortlich für die derzeitige Politik. Das sollte man nicht vergessen.

Umso wichtiger sind unabhängige Analysen und Kommentare beispielsweise in Weblogs. Lieber wäre mir jedoch, wenn die Medien zurück zu ihrer alten Stärke finden würden. Aber stattdessen haut man bekanntlich lieber mit propagandistischen Stilmitteln auf diese unbequemen Weblogs drauf, wie gerade aktuell mal wieder die "Welt am Sonntag" - nachzulesen bei Stefan Niggemeier: Die WamS, das Netz und die Gosse.

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Sonntag, 15. April 2007

Werbung kann teuer sein

Zur Zeit geistert ja in vielen Blogs das Thema "Werbung in Blogs" herum. Großes Thema war das auch auf dieser Weblog-Konferenz "Re-Publica". Häufig wird als Überschrift über diese Diskussion die Frage gestellt: "Werbung in Blogs - darf man das?"

Diese Frage ist jedoch unsinnig. Da wir (noch) nicht in einem faschistischen Staat leben und Meinungsfreiheit in Blogs (teilweise) gilt, kann man nicht verhindern, dass auch in Weblogs Werbung erscheint. Werbung ist also erlaubt. Frage geklärt. Weitere Polemik zu diesem Punkt kann man sich sparen.

Interessanter ist eine zweite Frage: Ist Werbung sinnvoll? Hier muss man unterscheiden: Sinnvoll für wen? Für den Weblog-Leser oder für den Blogger oder für beide?

Für den Weblog-Leser erscheinen mir die derzeitigen Banner-Werbungen nicht sinnvoll zu sein. Wie häufig klickt man auf solche Werbebanner drauf? Eben. Dann geht es also hinsichtlich des Lesers nur noch um die Frage, dass die Werbung den Weblog-Leser zumindest nicht stört. Zumindest diese neue Werbeplattform vom Spreeblick-Verlag namens "Adical", die derzeit heiß diskutiert wird in manchen deutschen Blogs, stört mich nicht, denn ich bekomme sie gar nicht zu sehen auf den angeblich mit Adical-Werbung versorgten Blogs. Könnte an dem kostenlosen Firefox-Plugin "NoScript" liegen, dass ich vor allem einsetze, um Google-Analytics und anderen Werbeplattformen das Verfolgen meines "Clickstreams" (also welche Seiten ich in welcher Reihenfolge anklicke) zumindest zu erschweren. Oder Adical läuft noch gar nicht oder nicht mehr.

Für den Blogger stellt sich die Frage, ob sich für ihn der Einsatz eines Werbebanners lohnt. Das reine Einbinden der Werbung kostet ihn natürlich nichts. Somit könnte er jeden Klick auf das Werbebanner (wenn nicht schon der reine Seitenabruf des Blogs honoriert wird) als einen Gewinn verbuchen - und sei solch ein Klick auch noch so selten. Betrachtet man nur diesen Aspekt, greift man jedoch zu kurz. Für den Blogger gibt es weitere Kosten. Zumindest, wenn sein Weblog keine Ansammlung von unwichtigen Beliebigkeiten ist, sondern er mit dem Blog eine Botschaft transportieren will. In dem Fall könnte es nämlich sein, dass die Werbebotschaften den Interessen seines Weblogs zuwiderlaufen könnten. Das hängt natürlich auch davon ab, ob der Blogger irgendeinen Einfluss auf die dargestellte Werbung hat. Wenn ja, dann ergäbe sich daraus das Problem, dass jede zugelassene Werbung tatsächlich indirekt auch eine persönliche Empfehlung des Bloggers wäre. Wenn nein, dann ergibt sich daraus das Problem, dass eine eingeblendete Werbung beispielsweise für eine Firma wirbt, deren Aktivitäten man eigentlich in seinem Weblog ansonsten nicht gut heißt.

Der eigentliche Preis der Werbung für den Blogger ist also: Entweder er verkauft seine Unabhängigkeit gegenüber Firmen - nämlich dann, wenn er Einfluss nimmt auf den Inhalt der Werbeeinblendungen und somit tatsächlich zum Empfehler der beworbenen Produkte wird. Oder er arbeitet eventuell gegen das ursprüngliche Ziel seines Weblogs, gegen seine eigenen Interessen also, indem er es im Fall der Fälle erdulden müsste - wenn er keinen Einfluss hat auf die dargestellte Werbung - dass Firmen Werbung auf seinem Blog machen, deren Geschäftsgebahren, politische Einflussnahmen oder schlicht deren Produkte und Dienstleistungen er ansonsten nicht gut heißt. So scheint es zum Beispiel Netzpolitik.org ergangen zu sein mit einer Werbung für die Firma "Cisco", den wohl größten technischen Ausrüster der chinesischen Internetzensur. Rabenhorst und F!xmbr berichteten drüber. Da bekommt der Name "Netzpolitik" doch gleich eine andere Bedeutung, oder? Ich verlinke Netzpolitik.org dennoch (noch) weiter, denn ich vermute, dass die Macher von Netzpolitik.org es einfach bislang versäumt haben, eine richtige Kosten-Nutzen-Rechnung in Bezug auf "Adical" oder andere, ähnlliche Werbebanner-Plattformen durchzuführen. Ich kann mir zumindest nicht vorstellen, dass sie den Begriff "Netzpolitik" und all seine Konnotationen über nun schon mehrere Jahre lang tagtäglich mit aufklärerischen Artikeln und Verweisen aufgebaut haben, nur damit man durch die Einnahme von ein paar Euro durch ein Werbebanner von Cisco das alles zerstört.

Wer natürlich eh nur eher rein Privates oder Amüsantes in seinem Weblog veröffentlichen möchte, dem also eine gesellschaftliche Wirkung seines Tuns völlig egal ist, der hat auch durch Werbebanner nicht viel zu verlieren.

Werbung kann also teuer sein. Zumindest für diejenigen, die Werbung in ihren Weblogs zulassen. Denn Geld ist nicht alles. Selbst unsere politischen Parteien verzichten auf ihren Homepages auf Werbung für irgendwelche Firmen. Und das will schon was heißen in Deutschland, dem Staat mit der am besten funktionierenden Lobbykratie der Welt.

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