Wie die Netzeitung berichtet, wirft die bayerische Justizministerin Beate Merk (CSU) den Gegnern der Online-Durchsuchung ideologisch verbrämtes, bewusstes Angstmachen und die Verbreitung von Fehlinformationen vor. Außerdem liest man bei Netzeitung.de:
Online-Durchsuchungen sollten nach Ansicht der CSU-Politikerin nur bei schwersten Delikten wie Mord, Terrorakten oder Kinderpornografie zum Einsatz kommen. (Quelle: Netzeitung.de)
Das stimmt leider so nicht. Merk sagt es sogar selbst. Es geht um das Aufspüren von möglicherweise
geplanten Delikten und nicht um die Aufklärung begangener Straftaten. Prävention also. Und da liegt das Hauptproblem. Noch mögen die technischen Möglichkeiten bei der Online-Durchsuchung begrenzt sein. Aber die Technik entwickelt sich. Das
FBI besitzt beispielsweise mittlerweile ein enorm komfortables System, um alle möglichen Telekommunikationseinrichtungen wortwörtlich mit einem Mausklick zu überwachen, wie die Electronic Frontier Foundation jüngst herausbekommen hat. Das Blog "Threat Level" berichtet darüber:
FBI's Wiretap Network Revealed.
Nicht das noch unzureichende Funktionieren eines "Bundestrojaners" schützt vor Missbrauch, sondern der Verzicht auf das Ziel umfangreicher Prävention.
Bei der klassischen Ermittlung lag bislang normalerweise immer ein bereits begangenes Delikt vor. Dieses Delikt gab in seiner Beschaffenheit Hinweise auf mögliche Täter. Dann wurde ermittelt. Heute jedoch sollen die Ermittlungen schon vor dem Delikt beginnen. Und da hängen die Strafverfolger quasi in der Luft. Da werden dann alle möglichen vagen Hinweise auf mögliche zukünftige Delikte zum Ausgangspunkt der Ermittlungen.
Durch die immer mehr von der Politik geforderte Ausweitung der Ermittlungstätigkeit der Polizei hin zur Prävention verändert sich die Natur der Polizeitätigkeit grundlegend. Man könnte dies so beschreiben: Die klassische Ermittlertätigkeit war bislang geprägt von der Tatortanalyse. Hier gab es harte Fakten, die beispielsweise mit naturwissenschaftlichen Methoden analysiert werden konnten: Wo fand das Delikt statt, zu welcher Uhrzeit, wer hatte Zugang zum Tatort, wer konnte die bei der Tat verwendeten Materialien beschaffen oder hatte des Wissen mit ihnen umzugehen und so weiter. Selbst die Frage nach möglichen Motiven war häufig kein Stochern im Dunkeln. Ein Juweliergeschäft wird halt beispielsweise vermutlich selten ausgeraubt, weil es Streit in der Familie des Juweliers gab.
Wenn man jedoch Delikte verhindern will, verlässt man den Boden der harten Fakten. Selbst vorgefundene, ausgearbeitete Terrorpläne wären kein Beweis dafür, dass das geplante Delikt auch ausgeführt worden wäre. Die Prävention ist ein Stochern in möglichen Motiven, möglichen Plänen, möglichen Absprachen, möglichen Einübungen von Wissen oder Taten möglicher Krimineller oder Terroristen. Alles ist in der Schwebe. Und genau diese Unsicherheit, diese mißliche Lage für die zur Prävention verdonnerte Polizei, dieser Nebel aus Vermutungen, bei denen fast jede Indizien fehlen dürften, wird die Polizei dazu treiben, immer mehr Informationen zu sammeln. Also wird immer mehr geschnüffelt werden. Und die Abwesenheit von Funden, die einen möglichen Anfangsverdacht erhärten könnten, wird leider kaum dazu führen, von einer Überwachung abzulassen. Eher werden die Ermittler zunächst davon ausgehen, bislang einfach noch nicht genug geschnüffelt zu haben. Wer sollte den Ermittlern dieses Verhalten verübeln? Sie sind es ja, die anschließend in der Kritik stehen würden, wenn trotz zuvor jahrelanger Beschattung der Überwachte dann wenige Zeit nach Ende der Beschattung doch noch zu einem Terror-Anschlag ausholt. Wann also sollten Ermittler ihre Überwachung einstellen?
Bei der Aufklärung bereits geschehener Delikte gibt es irgendwann einen Punkt, wo den Ermittlern klar wird, dass der Verdächtige die Tat nicht begangen haben konnte. Beispielsweise, weil er ein Alibi hat oder weil jemand anderes der Tat überführt wurde. Bei einem noch nicht ausgeführten Delikt gibt es solche klaren "Abbruchkriterien" für die Überwachung nicht. Also wird weiter überwacht, ja die Überwachung sogar noch ausgeweitet - gerade dann, wenn man bislang wenig Anhaltspunkte fand.
In dem Versuch noch nicht begangene Straftaten "aufzuklären" steckt leider der Zwang zur Ausweitung der Überwachung. Ein einzelner Verdächtiger wird so eher umfassender und länger überwacht und außerdem liegt es nahe, dass immer mehr Leute überwacht werden. Bis man endlich genug Hinweise findet, dass diese Personengruppe tatsächlich eine Tat plant. Und findet man die Hinweise nicht, muss man eben noch intensiver und noch länger überwachen...
Der Wunsch nach Prävention ist verständlich, aber unerfüllbar, wenn man weiterhin eine freie Gesellschaft will.
Das einzige Szenario, bei dem ich mir deshalb den Einsatz einer der "Online-Durchsuchung" nahe stehenden Methode vorstellen könnte, sähe ungefähr so aus:
Es gab einen Terror-Anschlag. Die normalen polizeilichen Ermittlungen weisen anhand konkreter Indizien auf ganz klar zu benennende, dringend der Tat Verdächtigte hin. Kommt man zum Schluss, dass man unbedingt zum Überführen der Täter den Inhalt des Computers benötigt, könnte die Polizei vor einer Beschlagnahmung des Computers eventuell mit Hilfe eines unbemerkten Eindringens in die Wohnung überprüfen, ob die Festplatte verschlüsselt ist. In diesem Fall könnte die Polizei einen Keylogger anbringen, der allerdings nicht online überwacht oder abgefragt werden sollte, weil hier das Missbrauchspotenzial zu groß wäre. Nach einiger Zeit müsste die Polizei dann mit einer normalen Hausdurchsuchung den Computer samt Keylogger beschlagnahmen und darauf hoffen, dass der Keylogger mögliche Passwörter abgefangen hat. Wenn nicht, hätte die Polizei halt Pech gehabt.
Vermeintliche Terror-Aufklärung schon im Vorfeld eines angeblich geplanten Anschlages mit präventiver Überwachung von Computern ist hingegen ein vages Stochern im Nebel, bei dem ich schon jetzt das dann bald einsetzende Jammern höre, mit dem die Strafverfolger noch weitere Befugniserweiterungen fordern.
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Beate Merk