Donnerstag, 7. Juni 2007

Treibt die Polizei ein falsches Spiel?

Die Horrormeldungen der DPA über die angeblich ausufernde Gewalt bei der Demonstration am Samstag in Rostock (siehe beispielsweise diesen Artikel der Rhein-Neckar-Zeitung, der auf den DPA-Berichten beruht) scheinen schlicht vor allem nur auf Informationen der Polizei zu beruhen. Heute wird gefragt, wo die tausend Verletzten sind oder wie die Meldung über angeblich ätzende Chemikalien in den Spritzpistolen der als Clowns verkleideten Demonstranten zustande kam und ob die Polizeiangaben über die Anzahl der Randalierer zutreffend sind.

Verlässt sich die DPA hauptsächlich (gar nur) auf die Angaben der Polizei? Nur wenige deutsche Medien überprüfen Meldungen der DPA, wie beispielsweise Christiane Link aus eigener Erfahrung zu berichten weiß.

Dass die DPA sich anscheinend einseitig auf die Angaben der Polizei verlässt, wird auch durch einen kleinen Bericht bei Netzpolitik.org deutlich. Da sitzt die DPA im Medienzentrum in Kühlungsborn - weit ab des Geschehens um Heiligendamm - und lässt sich wieder anscheinend vor allem von der Polizei mit Informationen versorgen. Beispielsweise, dass es bei einigen Sitzblockaden zum Werfen von Molotow-Cocktails gegen Polizisten kam. Die überall tatsächlich vor Ort anwesenden Journalisten und vor allem Bürgerjournalisten wissen davon nichts und beschreiben die Lage als weitgehend friedlich.

Wenn ich Kunde der DPA wäre, würde ich dieser Agentur inzwischen einige ernsthafte Fragen stellen. Natürlich auch wegen der unsäglichen Falschmeldung über angebliche Gewaltaufrufe vom Podium der Demonstration in Rostock am vergangenen Samstag, aber vor allem, warum eine Berichtigung der DPA-Falschmeldung ganze drei Tage auf sich warten ließ.

Da die deutschen Medien jedoch weitgehend völlig abhängig sind von der DPA, wird da wohl nicht viel passieren. In der deutschen Medienlandschaft gilt halt auch weiterhin nicht "Cogito ergo sum" - also: Ich denke (selbst), also bin ich. Sondern es gilt: DPA ergo sum.

Aber auch gegenüber der Polizei wären kritische Fragen von Seiten der Medien angebracht. Und weniger blindes Vertrauen gegenüber den Zahlen und Angaben der Polizei. Denn jenseits eventueller taktischer Überlegungen der Polizei, Dinge im Unklaren zu lassen, wird mit den polizeilichen Berichten inzwischen auch Politik gemacht.

Hinzu kommen Verdächtigungen, dass die Polizei teilweise selbst hinter Gewaltanstachelungen unter den Demonstranten stehen könnte durch eingeschleuste Provokateure. Das wäre ein ungeheuerliches Vorgehen. Welt.de - nicht gerade verdächtig, Sprachrohr von Linksextremisten zu sein - schildert einen Vorfall (20:42 Uhr im Ticker), wo ein Provokateur scheiterte, andere Demonstranten zum Steinewerfen zu animieren. Stattdessen beschuldigten ihn die anderen Demonstranten, ein von der Polizei eingeschleuster Provokateur zu sein. Das mag eine hysterische Reaktion der Demonstrationsteilnehmer gewesen sein. Ein anderer Bericht bei Ad-Hoc-News beschreibt ebenfalls die vermeintliche Enttarnung von unter die Demonstranten eingeschleusten Polizei-Spitzeln, wobei mir aber unklar ist, ob es sich hierbei um den selben Vorfall handelt, den auch Welt.de beschreibt. Medien sollten hier weiter nachforschen.

Äußerst befremdlich muss einem im Nachhinein das Vorgehen der Polizei schließlich auch bei der Demonstration in Rostock vorkommen. Neben den in einem früheren Weblogeintrag schon einmal verlinkten kritischen Anmerkungen des Polizeipsychologen Sieber, sei hier auch noch auf die Kritik des Polizeiwissenschaftlers Professor Feltes hingewiesen.

Bleiben zum Schluss noch die Berichte über polizeiliche Behinderungen von Anwälten ihrer Arbeit nachzugehen.

Die große Frage lautet: Sind dies einzelne Polizei-Pannen oder steckt dahinter eine von oben gesteuerte Strategie? Die Zusammenschau all dieser Seltsamkeiten lässt eher auf Letzteres schließen. Und davon wären dann nicht nur junge, vermeintliche "Müßiggänger" betroffen, die Zeit und Energie haben, bei solchen Demonstrationen auf die anonsten kaum hörbare Kritik an der Politik der G8-Staaten aufmerksam zu machen, sondern alle Bürger. Denn wenn die Polizei nicht nur ungeschickt arbeitet und falsch informiert, sondern gezielt Politik betreibt oder als politisches Instrument missbraucht wird, dann wird es gefährlich. Viel gefährlicher als ein paar Idioten, die Steine werfen, es je sein könnten.

Genug Fragen und spannende Themen für die Medien gäbe es also. Wenn man nicht einfach immer nur die Meldungen der DPA übernehmen würde.

Nachtrag: Welt.de hat weitere Informationen rund um die Enttarnung von als Mitglieder des Schwarzen Blocks getarnten polizeilichen Zivilbeamten: Der Polizist, der "Rauf auf die Bullen" schrie.

Nachtrag 2: Die TAZ berichtet auch ausführlich über die handwerklichen Fehler von DPA und AP bei der Berichterstattung über die Proteste gegen den G8-Gipfel: Ganz viel Frieden.

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Mittwoch, 6. Juni 2007

In den Schlagzeilen herrscht Bürgerkrieg

Das Konsumblog liefert eine ausführliche Linkliste zu der seltsamen Berichterstattung deutscher Medien rund um die Proteste gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm und Reaktionen auf diese Berichterstattung in Weblogs: Berichterstattung zur Gewalt in Rostock und G8-Links: Die Tage nach Rostock.

Ich kann nur wiederholen: Vorsicht bei der Berichterstattung deutscher Medien! Nichts für bare Münze nehmen, was Tagesschau, Heute, N-TV, N24, Spiegel und Co. berichten! Vor allem, weil deutsche Medien kaum Korrekturspalten haben oder Korrekturhinweise liefern, auf Leserbriefe kaum reagieren und auf Ombudsmänner, die als Ansprechpartner für Leser und Zuschauer dienen könnten, verzichten. Allzu häufig sind deutsche Medien leider schlicht "LAU", sprich: durchsetzt von Lügen, Auslassungen, Ungenauigkeiten.

Mir drängt sich das Bild auf, dass es sich hierbei nicht mehr um bedauerliche Ausnahmen und Fehler handelt, die immer passieren können. Vor allem das Fehlen einer offenen, transparenten Selbstkritik in den deutschen Medien spricht dagegen. Vielmehr scheint sich hier eine Haltung des "Scheißegal" gegenüber der Realität wiederzuspiegeln. Bei den Arbeitsbedingungen vieler Journalisten ist das sogar teilweise verständlich. Aber oftmals scheinen Journalisten auch getrieben zu sein von einer entweder vorgegebenen oder einer inneren Agenda, die das Geschehen unbedingt in einer ganz bestimmten Art und Weise sehen und berichten will.

Der deutsche Journalismus geht langsam aber sicher immer mehr seinem Ende entgegen, wenn nicht das Bemühen um eine ehrliche Berichterstattung und eine kritische Selbstreflektion einsetzt, die auch nach außen hin schonungslos dargestellt wird. Dazu gehört es, schnell und ausführlich eigene Fehler mitzuteilen, nach ihren Ursachen zu forschen, unklare Nachrichtenlagen dem Zuschauer und Leser auch als solche zu schildern und nicht als gesichertes Wissen, sich innerlich der Wahrheit zu verpflichten und nicht einer irgendwie gearteten Agenda. Am besten scheint mir, man pflegt als Journalist eine niemals aufhörende misstrauische und kritische Grundhaltung.

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"Frontal 21" - das TV-Magazin mit dem Spin

Das ZDF-Politik-Magazin "Frontal 21" brachte gestern einen Bericht über den "Schwarzen Block" und sein Wirken auf der Demonstration am Wochenende in Rostock.

Größtenteils stellt der Bericht korrekt dar, dass der Schwarze Block anders ist als die anderen Demonstranten. Dass er straff durchorganisiert ist mit klaren Anführern und dass der Schwarze Block gezielt und in organisierter Weise Randale macht: Fensterscheiben werden eingeschmissen, ein bis drei Autos in Brand gesteckt, Parkautomaten geplündert und Polizisten und Polizeiwagen mit Steinen beworfen.

Soweit die Fakten. Aber Frontal 21 wäre nicht Frontal 21, wenn man nicht einen wunderschönen, kleinen Dreh in die Geschichte einbauen würde.

So fragt die Stimme aus dem Off beispielsweise, warum - als in organisierter Weise eine größere Zahl von Mitgliedern des Schwarzen Blocks ein Polizeiauto mit Steinen bewirft - die Menge der anderen Demonstranten nicht eingreifen würde. So als ob nicht klar zu sehen sei, dass das Geschehen am Rande der Demonstration stattfindet und außerdem noch vor den vorübergehenden normalen Demonstranten durch Mitglieder des Schwarzen Blocks abgeschirmt wird. Und so als ob nicht klar sei, dass normale Demonstranten wohl in ihrer unorganisierten Weise nicht dazu in der Lage wären, hier einzuschreiten. Wo schon die Polizei anscheinend überfordert ist, sollen nun normale Demonstranten ungeschützt sich den Gewaltaktionen des Schwarzen Blocks in den Weg stellen?

Ich gebe den Text der Off-Stimme ab Zeitcode 5:30 Minuten bis Zeitcode 6:38 Minuten ansonsten einfach einmal hier als Zitat wieder:

19:20 Uhr. Die Demonstration gerät vollends außer Kontrolle. Der Schwarze Block sucht und findet Zuflucht unter den Demonstranten auf dem Festgelände. Wasserwerfer der Polizei treiben die Menge bis dicht an die Bühne. 'Zieht euch zurück' ruft einer von der Bühne herab. Er meint die Polizei, nicht den schwarzen Block.

Nur wenige der G8-Kritiker distanzieren sich so deutlich von der Gewalt wie Monty Schädel.

Monty Schädel (Deutsche Friedensgesellschaft): 'Ich grenze mich ganz klar von Steineschmeißern ab. Die haben die Demonstration, den Konsens, den wir hier in anderthalb Jahren zusammengeflickt haben, gefährdet. Haben ihn missachtet und haben die Demonstration und unsere Inhalte diskreditiert.'

Andere suchen immer noch nach Rechtfertigungen.

Christoph Kleine (Interventionistische Linke): 'Bei einigen ist es das Gefühl in Notwehr gegen einen Angriff handeln zu müssen. In anderen Fällen ist es schon auch so, natürlich haben Leute auch von sich aus die Auseinandersetzungen gesucht. Das finden wir falsch.


Mir fällt auf: Warum die Demonstration "außer Kontrolle" gerät, wird nicht beschrieben. Könnte es nicht eventuell am Vorgehen der Polizei gelegen haben, nun, nachdem sich Mitglieder des Schwarzen Blocks unter den normalen Demonstranten vor der Bühne versteckten, mit Wasserwerfern gegen diese große Menge an normalen Demonstranten vorgegangen zu sein? Wird dadurch nicht auch der Ruf von der Bühne in Richtung der Polizei verständlich, sich zurückzuziehen? Welchen Zweck verfolgte die Polizei bei ihrem Vorgehen mit Wasserwerfern gegen die große Menge normaler Demonstranten auf dem Festgelände? Wie muss man sich als Demonstrant fühlen, der die ganze Zeit vor der Bühne stand und nun mit anrückenden Wasserwerfern konfrontiert wird? Wer lässt hier also die Situation vollends außer Kontrolle geraten? War das Vorgehen des Schwarzen Blocks nicht absehbar? Wurden dagegen nicht längst Strategien auf Seiten der Polizei entwickelt? Warum kamen diese seit den 70iger Jahren vorhandenen Polizeistrategien hier nicht zum Einsatz?

Auch die Aussage der Off-Stimme, dass sich nur wenige Demonstranten so deutlich wie Monty Schädel von der Gewalt distanzieren, ist eine ziemlich freche Unterstellung von Frontal 21. Und wo bitte schön ist in den Aussagen von Christoph Kleine eine Rechtfertigung für Gewalt zu finden? Kleine schildert lediglich, was in manchen Köpfen vor sich gehen mag, er stellt anschließend ja sogar noch einmal dar, dass er Gewalt falsch findet.

Fernsehen eignet sich hervorragend, um unterschwellig Botschaften zu transportieren. Man kann als Zuschauer nicht alles sofort aufnehmen und lässt sich deshalb gerne von der Stimme aus dem Off lenken beim Anschauen derartiger TV-Beiträge. Glücklicherweise gibt es jetzt die Möglichkeit, sich derartige Fernsehberichte noch einmal in Ruhe samt Vor- und Zurückspulen im Internet anzugucken. Da verliert die Stimme aus dem Off ihre Suggestivkraft. Frontal 21 sollte sich darauf einstellen und aufhören mit diesen Manipulationsversuchen.

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Montag, 4. Juni 2007

Gewalteskalation auf Demos bei G8-Gipfel ist politisch gewollt

Deutschlandradio Kultur bringt ein äußerst interessantes Interview mit dem Polizeipsychologen Georg Sieber zu der Eskalation der Gewalt bei den Demonstrationen in Rostock rund um den kommenden G8-Gipfel: Eine "einsatztechnische Dummheit":

Es ist eigentlich in Rostock alles lehrbuchgerecht so gemacht worden, wie es nicht sein soll. Und die Beamten lernen das natürlich auch auf der Polizeiakademie, dass man es so nicht macht. Also deswegen war dieser Einsatz von vornherein eigentlich daneben, sagt man einfach. [...] Jetzt zum Beispiel sieht man ja auch, die Dienstherren der Polizei bekommen auf allen Sendern die Gelegenheit, ihre Polizeibeamten jetzt kräftig zu loben für diesen Einsatz und sogar ihnen zu danken dafür. Das wirkt natürlich für jemanden, der sich auskennt, wirkt das natürlich richtig komisch, dass ich erst einen unsinnigen Einsatz zulasse und dann nachher die Beamten dafür belobige. (Quelle)


Für mich wird deutlich: Die Eskalation der Gewalt ist politisch gewollt - von Seiten der Politik gewollt. Die Sicherheitspolitiker dieses Landes sind keine Sicherheitspolitiker, sondern Unsicherheitspolitiker. Ihr Kapital ist die Angst der Bevölkerung. Damit setzen sie immer mehr Bürgerrechte außer Kraft - entweder durch Herantasten und Ausnutzen aller gesetzlichen (Ausnahme-)Möglichkeiten wie beispielsweise die Anwendung des "Terror-Paragraphen" 129a, also dem leichtsinnigen Vorwurf gegen zivilgesellschaftliche Gruppen, dass sie sich der Bildung einer terroristischen Vereinigung verdächtig gemacht hätten, oder durch Angriffe auf das Demonstrationsrecht. Oder durch die Planung der Abschaffung weiterer Freiheitsrechte mit Vorratsdatenspeicherung und Online-Durchsuchung.

Schäuble spricht so schön vom "Verbessern des Grundgesetzes" in diesem Punkt und dass Verfassungsänderungen nicht verwerflich seien. Das Grundgesetz ist jedoch vor allem dazu da, den Bürger vor Übergriffen des Staates zu schützen. Das sieht Schäuble nicht so, oder will es so nicht sehen.

Ich bezweifle jedoch, dass Schäuble den Sinn des Grundgesetzes nicht kennt. Er ist ausgebildeter Jurist. Er weiß genau, dass das Grundgesetz dazu da ist, beispielsweise eine Wiederkehr einer nationalsozialistischen Diktatur zu verhindern und dass es deshalb in großen Teilen genau daraus besteht, den Bürger vor einem übermächtigen Staat zu schützen.

Schäuble propagiert seine Verfassungsänderungen als Auweitung des Schutzes vor Terrorismus und Kriminalität. Aber er belegt diese Behauptung nicht mit ausführlichen Darstellungen, Zahlen und Fakten. Stattdessen hört man von etlichen Experten, dass die Online-Durchsuchung oder auch die Vorratsdatenspeicherung kaum beim Jagen von Kriminellen oder Terroristen helfen würden. Aber die Meinung von Experten interessiert seit neuestem niemanden mehr in der Politik. Schäuble bringt keine Argumente und keine Schilderungen, wie eine Online-Durchsuchung genau aussehen soll und wie sie helfen soll, ohne dass Terroristen nicht - wie so häufig bei technischen Mitteln möglich - einfach Tricks und Umwege auf sich nehmen, um einer Überwachung zu entgehen. Mit keinem einzigen Wort spricht Schäuble zudem das Missbrauchspotenzial derartiger Überwachungstechnik an. Und die jüngsten Urteile des Bundesverfassungsgericht gegen Rasterfahndung, einen zu umfassenden Lauschangriff und so weiter, auf diese Rechtssprechung des Bundesverfassungsgericht geht Schäuble auch nicht ein.

Schäubles Ziel, das Ziel der Unionskampagne für "mehr Sicherheit", ist die SPD. Die dummen deutschen Bürger braucht er nicht zu überzeugen. Wer im Wahlkampf auftreten kann und ernsthaft weiträumige Videoüberwachung gegen Falschparker und Rempler propagiert und damit durchkommt, ja sogar beklatscht wird, der kommt bei einem großen Teil der Bevölkerung mit noch schlimmeren Vorschlägen an. Dank der furchtbaren Qualität der deutschen Medien hat der größte Teil der deutschen Bevölkerung eben keine Ahnung von möglichen Nebenwirkungen einer immer umfassenderen staatlichen Überwachung. Prävention ist, will sie wirklich erfolgreich sein, immer Überwachung. Der Präventionsstaat ist der Überwachungsstaat. Wer von einer umfassenden Prävention von Verbrechen als anzustrebendem Ziel des politischen Handelns redet, der will einen Überwachungsstaat.

Große Teile der Bevölkerung würden auch die sofortige Wiedereinführung der Todesstrafe befürworten sowie sicherlich Elemente einer Lynchjustiz. Es ist das Bauchgefühl, die als "ehrlich" gefühlte Empörung über Kriminalität und Verbrechen (Kinderpornographie!!1!), die den einfachen Bürger schnell und mit "gutem Gewissen" die Abschaffung seiner bürgerlichen Freiheitsrechte unterzeichnen lassen würde, hielte man ihm einen solchen "Kaufvertrag für mehr Sicherheit" an der Haustür unter die Nase.

Seine aufgeklärten Kritiker wird und will Schäuble auch nicht überzeugen. Deshalb auch das Fehlen überhaupt irgendeines Versuches, handfeste Argumente zu liefern. Schäuble will schlicht die SPD unter Druck setzen über den Umweg eines gesteigerten Rufes aus dem Volk nach mehr "Sicherheit". Und da hilft der Aufbau einer Gefahrenkulisse immer.

Die Polizei weiß genau, wie sie Demonstrationen eskalieren lassen kann. Dieses Wissen scheint in Rostock ganz bewusst zur Anwendung gekommen zu sein. Dahinter mag bei den größtenteils jungen, unerfahrenen Polizisten vor Ort Unwissenheit stecken. Bei den ihnen übergeordneten Vorgesetzten jedoch kann man nicht von Unwissenheit sprechen, sondern schlicht von Absicht.

Es wird ein schmutziges Spiel gespielt in diesem Land beim Thema "Sicherheit". Und Schäuble steht als Strippenzieher dabei ganz oben. Immer wieder werde ich bei den Auftritten von Schäuble und den anderen Leuten seiner "Drückerkolonne" (Ziercke, Freiberg, Bosbach, Beckstein, Schönbohm, Schünemann und so weiter) an den Schlemihl aus der Sesamstraße erinnert. Ausbaden müssen dieses Spiel zuerst die verletzten Polizisten und dann alle Bürger.

Und die SPD? Die SPD wird umkippen bei der Online-Durchsuchung. Die SPD wird auch die verschärften Vorschläge des Bundesrates zur Vorratsdatenspeicherung mittragen (wenn nicht alle, dann halt zumindest "kompromissbereit" ein paar davon). Genauso wie die SPD beim Mindestlohn umkippen wird.

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Sonntag, 3. Juni 2007

Fließbandarbeit am Sonntagmorgen

Eine kleine Sonntagsbeobachtung: Während in der ARD in der "Sendung mit der Maus" amüsante, leicht ironische Geschichten geboten werden, die zum Nachdenken anregen, präsentiert der ZDF-Fernsehgarten zur gleichen Zeit auf seinem Kanal minutenlang Kinder, die in Windeseile circa zwölf Pappbecher zu einer Pyramide aufbauen und wieder abbauen und wieder aufbauen und wieder abbauen und wieder aufbauen und wieder abbauen und wieder aufbauen und wieder abbauen und so weiter.

Screenshot vom ZDF-Fernsehgarten: Kinder stapeln Pappbecher zu PyramidenSie machen das still, ohne aufzugucken, mit immer den gleichen, zuvor vermutlich lange eingeübten, schnellen Bewegungen, an langen Tischen stehend. Auch während die Moderatorin ein Kind interviewt, arbeiten die anderen Kinder im Hintergrund, ordentlich nebeneinander in langen Reihen aufgereiht, weiter an ihren Pappbecherpyramiden, die sie immer wieder neu auf- und abbauen. Sie sprechen nicht, sie lachen nicht, nur ihre Hände bewegen sich flink über die Pappbecher.

Screenshot vom ZDF-Fernsehgarten: Kinder stapeln Pappbecher zu PyramidenMir entlockt so etwas nicht Bewunderung. Nein, es gruselt mich. Es gruselt mich wegen dieser stupiden Fließbandtätigkeit. Es gruselt mich, weil an dieser Tätigkeit nichts Bewundernswertes zu finden ist, es aber so dargestellt wird, als ob da irgendwas Tolles dran sei. Als selbstironischer Partygag ist das vielleicht ganz erheiternd, für fünf Sekunden, aber nicht als minutenlange Massenvorführung. Mit etwas Geduld wäre wohl jeder in der Lage, zwölf Pappbecher schnell aufzustapeln. So bleibt als einziges, was man bewundern mag, die Disziplin der Kinder. Disziplin als Vorführung. Disziplin als beklatschenswerter Selbstzweck. Mich gruselt es, dass das ZDF sein Programm so billig füllt. Mich gruselt aber noch mehr, wie die Kinder hier vorgeführt werden. Ja, das hätte ich auch nicht gedacht, dass diese kleinen Menschendinger Pappbecher aufeinander stapeln können - ohne auch nur den Hauch des Abgelenktseins, ohne Mit-dem-Nachbarn-Quatschen, ohne lautes Lachen. Wirklich ganz toll.

Ich freue mich schon auf die nächsten Ausgaben des ZDF-Fernsehgartens, wo Literaturkritiker mit ernster Miene zwölf Bücher zu einer Pyramide stapeln und wieder abbauen oder Fleischfachverkäufer Wurst in Windeseile in Scheiben schneiden und die Scheiben dann rasend schnell auf einem Teller in einem Kreis ablegen. Der Zuschauer von "Sendung in der Maus" hingegen erfuhr heute, dass es für Letzteres längst Maschinen gibt.

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