Treibt die Polizei ein falsches Spiel?
Die Horrormeldungen der DPA über die angeblich ausufernde Gewalt bei der Demonstration am Samstag in Rostock (siehe beispielsweise diesen Artikel der Rhein-Neckar-Zeitung, der auf den DPA-Berichten beruht) scheinen schlicht vor allem nur auf Informationen der Polizei zu beruhen. Heute wird gefragt, wo die tausend Verletzten sind oder wie die Meldung über angeblich ätzende Chemikalien in den Spritzpistolen der als Clowns verkleideten Demonstranten zustande kam und ob die Polizeiangaben über die Anzahl der Randalierer zutreffend sind.
Verlässt sich die DPA hauptsächlich (gar nur) auf die Angaben der Polizei? Nur wenige deutsche Medien überprüfen Meldungen der DPA, wie beispielsweise Christiane Link aus eigener Erfahrung zu berichten weiß.
Dass die DPA sich anscheinend einseitig auf die Angaben der Polizei verlässt, wird auch durch einen kleinen Bericht bei Netzpolitik.org deutlich. Da sitzt die DPA im Medienzentrum in Kühlungsborn - weit ab des Geschehens um Heiligendamm - und lässt sich wieder anscheinend vor allem von der Polizei mit Informationen versorgen. Beispielsweise, dass es bei einigen Sitzblockaden zum Werfen von Molotow-Cocktails gegen Polizisten kam. Die überall tatsächlich vor Ort anwesenden Journalisten und vor allem Bürgerjournalisten wissen davon nichts und beschreiben die Lage als weitgehend friedlich.
Wenn ich Kunde der DPA wäre, würde ich dieser Agentur inzwischen einige ernsthafte Fragen stellen. Natürlich auch wegen der unsäglichen Falschmeldung über angebliche Gewaltaufrufe vom Podium der Demonstration in Rostock am vergangenen Samstag, aber vor allem, warum eine Berichtigung der DPA-Falschmeldung ganze drei Tage auf sich warten ließ.
Da die deutschen Medien jedoch weitgehend völlig abhängig sind von der DPA, wird da wohl nicht viel passieren. In der deutschen Medienlandschaft gilt halt auch weiterhin nicht "Cogito ergo sum" - also: Ich denke (selbst), also bin ich. Sondern es gilt: DPA ergo sum.
Aber auch gegenüber der Polizei wären kritische Fragen von Seiten der Medien angebracht. Und weniger blindes Vertrauen gegenüber den Zahlen und Angaben der Polizei. Denn jenseits eventueller taktischer Überlegungen der Polizei, Dinge im Unklaren zu lassen, wird mit den polizeilichen Berichten inzwischen auch Politik gemacht.
Hinzu kommen Verdächtigungen, dass die Polizei teilweise selbst hinter Gewaltanstachelungen unter den Demonstranten stehen könnte durch eingeschleuste Provokateure. Das wäre ein ungeheuerliches Vorgehen. Welt.de - nicht gerade verdächtig, Sprachrohr von Linksextremisten zu sein - schildert einen Vorfall (20:42 Uhr im Ticker), wo ein Provokateur scheiterte, andere Demonstranten zum Steinewerfen zu animieren. Stattdessen beschuldigten ihn die anderen Demonstranten, ein von der Polizei eingeschleuster Provokateur zu sein. Das mag eine hysterische Reaktion der Demonstrationsteilnehmer gewesen sein. Ein anderer Bericht bei Ad-Hoc-News beschreibt ebenfalls die vermeintliche Enttarnung von unter die Demonstranten eingeschleusten Polizei-Spitzeln, wobei mir aber unklar ist, ob es sich hierbei um den selben Vorfall handelt, den auch Welt.de beschreibt. Medien sollten hier weiter nachforschen.
Äußerst befremdlich muss einem im Nachhinein das Vorgehen der Polizei schließlich auch bei der Demonstration in Rostock vorkommen. Neben den in einem früheren Weblogeintrag schon einmal verlinkten kritischen Anmerkungen des Polizeipsychologen Sieber, sei hier auch noch auf die Kritik des Polizeiwissenschaftlers Professor Feltes hingewiesen.
Bleiben zum Schluss noch die Berichte über polizeiliche Behinderungen von Anwälten ihrer Arbeit nachzugehen.
Die große Frage lautet: Sind dies einzelne Polizei-Pannen oder steckt dahinter eine von oben gesteuerte Strategie? Die Zusammenschau all dieser Seltsamkeiten lässt eher auf Letzteres schließen. Und davon wären dann nicht nur junge, vermeintliche "Müßiggänger" betroffen, die Zeit und Energie haben, bei solchen Demonstrationen auf die anonsten kaum hörbare Kritik an der Politik der G8-Staaten aufmerksam zu machen, sondern alle Bürger. Denn wenn die Polizei nicht nur ungeschickt arbeitet und falsch informiert, sondern gezielt Politik betreibt oder als politisches Instrument missbraucht wird, dann wird es gefährlich. Viel gefährlicher als ein paar Idioten, die Steine werfen, es je sein könnten.
Genug Fragen und spannende Themen für die Medien gäbe es also. Wenn man nicht einfach immer nur die Meldungen der DPA übernehmen würde.
Nachtrag: Welt.de hat weitere Informationen rund um die Enttarnung von als Mitglieder des Schwarzen Blocks getarnten polizeilichen Zivilbeamten: Der Polizist, der "Rauf auf die Bullen" schrie.
Nachtrag 2: Die TAZ berichtet auch ausführlich über die handwerklichen Fehler von DPA und AP bei der Berichterstattung über die Proteste gegen den G8-Gipfel: Ganz viel Frieden.
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