Samstag, 20. Januar 2007

Neues Telemediengesetz unterstützt Datenmissbrauch durch Daten-Händler

Nachdem der Bundestages jetzt also das neue Telemediengesetz beschlossen hat (Tagesschau.de: Neues Telemediengesetz beschlossen: Wenn der Landrat Spams verfolgt) sind Firmen und Privatpersonen, die im Internet Urheberrechtsverletzungen an ihren Werken verfolgen möchten, quasi den Strafverfolgungsbehörden gleich gestellt. So zumindest verstehe ich die diffusen neuen Regelungen. Denn auch Privatpersonen und Firmen können jetzt ohne beweisen zu müssen, dass ihre Verdächtigungen Hand und Fuß haben und ohne einen Richter einschalten zu müssen, Internetprovider auffordern, ihnen ihre Bestandsdaten und Daten über das Surfverhalten von einzelnen, verdächtigten Kunden, auszuliefern. Die Provider müssen diesen Auskunftsersuchen nun also nach dem neuen Telemediengesetz anscheinend nachkommen.

Äußerst interessant, wie ich finde. Einerseits spannend, welche Machtfülle nun Firmen und Privatpersonen, die Urheberrechtsansprüche geltend machen, bekommen haben. Und andererseits erstaunlich, wie ausgeliefert der einzelne Bürger nun solchen Datenabgreifern und gegenüber den Strafverfolgungsbehörden ist. Dass außer einigen Medien (Heise und Co. und zum Beispiel Tagesschau.de) kaum über diese neue Machtfülle berichtet wird, ist bezeichnend für die Blindheit deutscher Medienmacher gegenüber dem Thema "Datenschutz", "Bürgerrechte" und "Rechtsstaat"...

Natürlich ist jeder Deutsche, der ab sofort ohne TOR, der Software zum anonymen Surfen im Internet, im Internet surft, ein bemitleidenswerter Zeitgenosse. Das nebenbei bemerkt. Deshalb mein dringender Rat an jeden Bürger: Benutzt TOR! Das Softwarepaket ist einfach zu installieren. Anschließend muss man nur noch einer Anleitung folgen, um zum Beispiel seinen Browser oder andere Internetprogramme so umzustellen, dass man ab sofort über das TOR-Netz anonym surft. Auch der eigene Internetzugangsprovider hat dann keine Ahnung mehr, wo im Netz man dann unterwegs ist. TOR ist noch bis zur Einführung der Vorratsdatenspeicherung nutzbar. Danach könnte es schwierig werden, weil die Vorratsdatenspeicherung indirekt das Betreiben von TOR in Deutschland unmöglich macht. Erläuterungen und Links dazu in zwei früheren Weblog-Einträgen von mir: Schief, schiefer, Vorratsdatenspeicherung und Deutschland: Noch neun Monate anonym surfen.

Da bleibt dann nur die Hoffnung auf eine angekündigte Massenverfassungsbeschwerde, die die Einführung der Vorratsdatenspeicherung verhindern könnte.

Man könnte lange diskutieren, warum der Bundestag einem kleinen Wirtschaftszweig (Urheberrechtsverwertern wie Verlagen oder Musikindustrie) ähnliche Machtbefugnisse gibt wie Strafverfolgern. Man kann vermuten, dass unsere Politiker schlicht dumm und ignorant sind. Man kann vermuten, dass hinter diesen Gesetzesvorhaben eine bewusste Strategie der Abschaffung des Rechtsstaates steht. Man kann vermuten, dass die Urheberrechtsverwerter massiv Gelder an Politiker gezahlt haben. Oder man kann vermuten, dass einige Politiker in das halblegale Geschäft von Daten-Händlern eingestiegen sind.

Denn das Geschäft von Daten-Händlern wird durch das neue Telemediengesetz jedenfalls erheblich beflügelt. Jetzt kommen sie ohne große Schwierigkeiten an interessante Datensätze. Der Trick dabei: Als Datenhändler gründet man einfach einen eigenen Verlag und behauptet dann gegenüber den Internetprovidern, wahllos ausgewählte IP-Adressen aus deren IP-Adressräumen hätten Urheberrechtsverletzungen begangen und fordert nun nach dem neuen Telemediengesetz von den Providern die Herausgabe der Bestands- und Nutzungsdaten der betroffenen Kunden. Über einen längeren Zeitraum ließe sich so eine interessante Datenbank anlegen und das Surfverhalten von vielen deutschen Bürgern erfassen. Diese Daten könnte man dann anschließend für viel Geld an Interessenten weiterverkaufen.

Ich sehe jedenfalls keine großen Schwierigkeiten, dieses neue Geschäftsmodell in die Tat umzusetzen. Jemand anderer Meinung?

Weitere Informationen zu den schiefen Dingen im neuen Telemediengesetz:

Update: Ungemach droht auch von Seiten eines weiteren Gesetzes, das jetzt im Entwurfszustand das Bundeskabinett passiert hat und eine EU-Richtlinie zum Schutz des Urheberrechts umsetzen soll. Auch hier soll Urheberrechteverwertern der direkte Zugriff auf die Kundendaten von Providern ermögicht werden. Die Übermittlung der detaillierten Verkehrsdaten soll jedoch zumindest hier noch an eine richterliche Weisung gebunden sein. Die CDU und die Lobbyisten der Urheberrechteverwerter möchten dies jedoch vor der endgültigen Verabschiedung des Gesetzes im Bundestag noch aus dem Gesetz gestrichen wissen. Mehr Informationen zum Kabinettsbeschluss: Bundesregierung beschliesst Durchsetzungsrichtlinie (Netzpolitik.org).

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Freitag, 19. Januar 2007

Wo bleibt der professionelle Datenschutz?

Es braucht endlich einen wirklich professionellen Datenschutz in Deutschland. Es braucht eigenständige Forschungen an Universitäten zum Thema, wie man Datenschutz-Unfälle verhindern kann und mit den Folgen umgehen kann. Am besten als interdisziplinär (Jura, Informatik, Psychologie...?) angelegter eigenständiger Forschungs- und Lehrbereich.

Solche Pannen wie die des Polizeipräsidiums Südhessen (HR-Online.de: Polizeiskandal: Fahndungsdaten im Internet) sind nichts im Vergleich zu dem, was auf uns zukommt mit den nach den jüngsten Gesetzen auf Bundesebene (bald auf EU-Ebene) erweiterten Datenerfassungs- und Sammlungs- und Zusammenlegungsbefugnissen der Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden neu entstehenden riesigen Datenbergen. Bleibt der Datenschutz so infantil wie heute, reicht da vermutlich wie im Polizeipräsidium Südhessen der Klick auf einen falschen Knopf und statt einiger weniger Menschen könnten dann schnell europaweit Millionen von Menschen betroffen sein. Das ist nun mal der Fluch und Segen der digitalen Informationsverarbeitung. Und sind sensible Daten erst einmal in der Öffentlichkeit, dann werden professionelle Daten-Händler im Halbdunkel diese Daten sofort abgreifen und zu Geld machen. Das heißt: Betroffene, deren Daten dann "nach außen" gelangt sind, werden völlig machtlos sein. Vertrauliche Daten können nicht wieder "zurück geholt" werden. Auch falsche und veraltete Daten werden in den Händen dieser Daten-Händler verbleiben und in ihren Händen weiter ihr Unheil treiben.

Es geht also ums nichts weniger als die Zukunft der Informationsgesellschaft bei diesem Thema. Wird das Thema "Datenschutz" auf technischer, sozialer und juristischer Ebene vernachlässigt, haben wir bald enorme Massen von Bürgern und Verbrauchern, die unter den Folgen eines unzureichenden Datenschutzes leiden werden. Denn Unfälle und Missbrauch werden passieren, wenn nicht mit enormer Energie dagegen gesteuert wird. Die Akzeptanz der Informationstechnologie würde rapide abnehmen mit negativen wirtschaftlichen und sozialen Folgen. Und je länger die bei diesem Thema derzeitig absolut ignoranten Politiker auf Landes- und Bundesebene an der Macht sind mit ihrer katastrophalen Gesetzgebung in diesem Bereich, desto rapider wird auch die Akzeptanz der Demokratie in breiten Kreisen der Gesellschaft abnehmen.

Auf politischer Ebene bedeutet nämlich fehlender Datenschutz gegenüber dem Staat, ein Ausgeliefertsein des Bürgers gegenüber dem Staat. Ebenso gegenüber manchen Wirtschaftszweigen, wie zum Beispiel dem kleinen Wirtschaftszweig der Urheberrechteverwerter, die bei den derzeitig herrschenden Politikern offensichtlich einen absolut überproportionalen Einfluss genießen. Gerade erneut bewiesen durch neue Gesetzesinitiativen der Regierung, die es der Musikindustrie beispielsweise ermöglichen sollen, ohne klare rechtliche Regelungen einfach von Internetprovidern die Herausgabe von detaillierten Kundendaten verlangen zu können (Heise.de: Nutzerdaten sollen zur Gefahrenabwehr freigegeben werden).

Dieses Ausgeliefertsein gegenüber Staat, Behörden und einigen Wirtschaftszweigen ist für den einzelnen Bürger noch nicht in großem Umfang spürbar. Höchstens gesellschaftliche Randgruppen spüren, wie der Staat in seinem neuen Wahn der "präventiven" Verbrechensbekämpfung die Verhältnismäßigkeit der Mittel vergisst und seine neue Macht ausspielt. Vielleicht ist zum Beispiel das Vorgehen der bayerischen Polizei gegen vermeintliche Aufrufer zu Straftaten im Vorfeld der diesjährigen NATO-Sicherheitskonferenz so ein Beispiel. Das Weblog "Get Privacy" berichtet: Polizeistaat weitet sich aus - Demokratie nur noch Buzzword für Politiker.

In zehn Jahren könnte dies jedoch anders aussehen. Wenn die Gesetzgebung weiterhin so vorgeht gegen den Datenschutz wie derzeit, werden immer größere Teile der Gesellschaft von den neuen Machtbefugnissen der Behörden spürbar betroffen sein. Denn das Prinzip der "präventiven" Verbrechensbekämpfung hebelt vermutlich auf lange Sicht mit dem ihm innewohnenden Prinzip der Eskalation alle Bemühungen eines professionalisierten Datenschutzes aus.

Deshalb ein kurzer Einschub zum Phänomen des Präventionsstaates:

Der Staat in Form der Personen Schäuble, Beckstein und aller weiteren derzeitigen Länder-Innenminister hat sich in putschartiger Weise eine neue Aufgabe gestellt: Die Verbrechensprävention. "Putschartig" deswegen, weil diese Aufgabe und die damit einhergehende Umforung des Staates, soweit ich weiß, bislang nicht wirklich demokratisch legitimiert wurde. Und ich bezweifle, dass ein demokratischer Rechtsstaat überhaupt dazu in der Lage ist, diese Aufgabe zu erfüllen. Ähnlich wie Hugo Chavez in Venezuela die Rolle des Staates dort neu definiert, indem er Rohstoffe und Industriezweige wieder verstaatlicht, so definieren derzeit große Teile der SPD und der Union den deutschen Staat neu. Ein Staatswesen definiert sich nämlich über seine Aufgaben. Der neu entstehende "präventive" Staat wird in entscheidenden Teilen gänzlich anders aussehen als der uns allen noch vertraute demokratische Rechtsstaat. Darauf wies schon vor einiger Zeit zum Beispiel Dr. Heribert Prantl hin. Jüngst wieder in einem Kommentar zur Einführung der sogenannten "Anti-Terror-Datei": Der Präventionsstaat (Süddeutsche.de).

Neben der Untauglichkeit des demokratischen Rechtsstaats als "Präventionsstaat" ist an der selbst gewählten Aufgabe der "präventiven" Verbrechensbekämpfung problematisch, dass ihr das Prinzip der Eskalation innewohnt. Die Eskalation heißt, dass die Aufgabe der präventiven Verbrechensbekämpfung niemals zufriedenstellend gelöst sein wird, so lange es noch irgendein Verbrechen gibt. So lange es Verbrechen gibt, müssen demnach der Logik des Präventionsstaates zufolge Sicherheitsbehörden immer noch mehr Mittel und Befugnisse bekommen bis jedes Verbrechen ausgemerzt ist. Welchen Umfang die weiteren Mittel und Befugnisse haben müssen, um dem Ziel der Prävention gerecht zu werden, bleibt dabei jedoch allen Beteiligten unklar, weil es keine gesicherten Daten darüber gibt, wieviele potenzielle Verbrechen man schon verhindert hat oder durch die neuen Befugnisse noch wird verhindern können. Der einzige nachprüfbare und sichere Wert, die einzige Richtgröße für den Präventionsstaat ist die Null: Null Verbrechen. Daraus folgt, dass die Forderung nach weiteren Befugnissen und Mitteln für die Sicherheitsbehörden mit der Zeit ins absolut Maßlose ausufern werden, denn vor dem Erreichen der Null kann sich der Präventionsstaat nicht zufrieden geben.

Der Rechtsstaat bisheriger Prägung beschränkte sich dagegen in seinen Aufgaben und stellte als Ziel die Verbrechensaufklärung und nicht die Verbrechensprävention in den Vordergrund. Dieser Zielgebung wohnt keine automatische Eskalation inne, weil man den Stand der Verbrechensaufklärung genau beziffern kann als Prozentzahl der Verbrechen, die bei der Polizei gemeldet worden waren und die man zudem aufgekärt hatte. Die Wirkung neuer Befugnisse und Mittel konnte man genau beziffern. Man konnte zum Beispiel sagen, dass die Verbrechensaufklärung im Zeitraum XY sich verdoppelt hat. Ähnlich rationale Aussagen sind nicht möglich, will man beziffern, wieviele mögliche Verbrechen durch bestimmte Maßnahmen im Zeitraum XY verhindert wurden.

Soweit zum Phänomen des "Präventionsstaates", der der Einführung eines professionellen, interdisziplinären Forschungs-, Wirtschafts-, Technologie- und Rechtsfeldes namens "Datenschutz" in hohem Maße entgegen stehen würde.

Fazit also: Wir brauchen einen Datenschutz, der ähnlich professionell und umfassend aufgebaut ist, um Datenschutz-Unfälle zu verhindern wie zum Beispiel im Bereich des Flugverkehrs durch eine ganze Reihe von wissenschaftlichen Fachbereichen, Forschungsabteilungen in Firmen und extra staatlichen Behörden zu verhindern versucht wird, dass Flugunfälle passieren.

Update: Dass ein wirklich professionalisierter Datenschutz nötig ist, der sich nicht nur um die technische Implikation von technologischen Sicherheitssystemen kümmert (aber auch und noch erheblich intensiver als derzeit!), sondern auch um Arbeitsprozesse, Organisationsstrukturen, Mitarbeiterschulungen und so weiter, macht unter anderen auch dieser Erfahrungsbericht eines Slashdot.org-Lesers namens "The Mayor" mehr als deutlich: Data Security Center.

The Mayor erzählt, wie er als temporärer Mitarbeiter einmal Zugang zu einem Hauptdatenzentrum in den USA (MAE East) bekam und erfuhr, dass erstens die ganze Sicherheitstechnologie (ID-Karte, Handflächenscanner, Iris-Scanner und so weiter) nicht perfekt funktionierte und deshalb die Mitarbeiter die Technologie bald nicht mehr einsetzten. Und zweitens Software zwar am Anfang genau auf mögliche Sicherheitslecks untersucht wurde, anschließende Patches jedoch nicht mehr.

Datenschutz ist ein enorm komplexes Themenfeld. Ich vermute, dass es sich als wesentlich komplexer und schwieriger erweist, einen guten Datenschutz umzusetzen, als eine Boeing oder einen Airbus sicher in die Luft und wieder zurück auf die Landebahn zu bekommen. Dennoch gibt es bislang an Universitäten oder in der Wirtschaft oder in Behörden keinen Bereich, der sich auch nur annähernd diesem immensen Problem der Sicherstellung eines umfassenden Datenschutzes stellt. Auch das Bundesamt für Informationssicherheit oder die Expertise von Geheimdienstlern reicht hier längst nicht aus, da sie meines Wissens nach sich hauptsächlich mit den technologischen Aspekten des Datenschutzes beschäftigen und nicht auch mit Themen wie "Human Error" oder der Bedeutung von Arbeits- und Organisationsprozessen für die Einhaltung des Datenschutzes.

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Dienstag, 16. Januar 2007

Die Unvollkommenheit des Bloggens

Verfaulendes Obst und ein Würfel mit Aufschrift 'Imperfection'Dass eine Minute nur eine Minute lang ist und nicht länger, das ist die Ursache all der Unvollkommenheit in der Welt.

Wie lange dauert es, einen Lese-Rückstand aufzuholen, wenn man mal circa 10 Tage lang (Weihnachten bis Neujahr und etwas mehr) nur sporadisch online war und nicht täglich all die interessanten Weblogs da draußen abklappern konnte?

Antwort: 15 Tage. Verrückt. Und 40 geöffnete Artikel in 40 geöffneten Tabs im Browser warten noch immer darauf angeschaut und eventuell in meinem Del.icio.us-Archiv verlinkt oder gar hier in meiner kleinen Schieflage namentlich erwähnt zu werden. Außerdem drei angefangene Weblog-Artikel, die nun schon einige Tage im "Entwurfs"-Modus vor sich hin dämmern.

Ich bitte alle die von mir geschätzten Weblogs da draußen um Nachsicht, dass ich viele eurer neueren Artikel immer noch nicht gelesen habe.

Ich brauche einen Angestellten. ;-)

Copyright-Hinweis: Die Urheberrechte am obigen Foto gehören Darwin Bell. Das Foto unterliegt einer Creative Commons Lizenz

Montag, 15. Januar 2007

Achtung! Virus im Umlauf! Gefahr der Erblindung!

Aus Anlass eines Artikels bei ZEIT.de (Big Brother ist wirklich ein Brite), in dem beschrieben wird, wie eine vormals liberale Gesellschaft vom Überwachungsgedanken infiltriert wurde.

Zum Appetitmachen und um den Umfang der Infiltration deutlich zu machen hier ein paar Ausschnitte aus dem äußerst lesenswerten und hoffentlich Augen öffnenden Artikel:

Einer der Videokontrolleure beobachtet einen Passanten, der einen McDonald’s-Karton fallen lässt. Er schaltet das Mikrofon ein: »Heben Sie bitte Ihren Abfall auf und werfen ihn in einen Mülleimer.« Der Schmutzfink dreht sich zu dem Lautsprecher um, wendet sein Gesicht der Kamera zu, geht weiter. Aus dem Lautsprecher gellt eine zweite Warnung: »Wenn Sie Ihren Abfall nicht aufheben, werden wir Sie strafrechtlich verfolgen.«
Der Mann im Fadenkreuz der Kamera lässt sich nicht ins Bockshorn jagen. Doch in ein paar Tagen wird sein Bild in der örtlichen Evening Gazette mit der Bitte um Identifizierung erscheinen. [...]
Beim Verlassen der CCTV-Zentrale wird der Reporter das Gefühl nicht los, dass die Kontrolleure ihn erneut auf Schritt und Tritt beobachten. Vielleicht aus purer Langweile? Oder will Bonnar wissen, mit wem der Reporter sich sonst noch unterhält? [...]
Vom Amt beauftragte »Nachbarschafts-Koordinatoren« füllen Formulare aus, auf denen bereits Achtjährige auf einer Skala von 1 bis 5 als potenzielle Straftäter eingeschätzt werden. [...] Tony Blair will die Frühbeobachtung jetzt sogar auf werdende Mütter ausweiten, um kriminelles und asoziales Verhalten im Keim zu ersticken. [...]
In der Theorie vergleicht die Software die Gesichter aller von den 286 Kameras des Stadtteils gefilmten Passanten mit den in einer Fotodatei eingespeicherten. [...] bis 2009 will das Innenministerium eine der Nummernschilddatei ähnliche Nationale Gesichtsdatei (FIND) einsatzbereit haben, an die dann alle lokale Systeme angeschlossen werden. (Quelle)


Die Logik der Befürworter der totalen Überwachung scheint für den unvorbereiteten, mit fehlender demokratisch gesinnter Immunisierung ausgestatteten Bürger bestechend zu sein: Jeder Bürger könnte einmal oder gar mehrmals in seinem Leben zum Verbrecher werden. Deshalb sei eine präventive Überwachung aller Bürger angebracht.

Kann irgendjemand die Richtigkeit dieses Satzes widerlegen? Nein. Denn wir wissen nicht, was die Zukunft bereit hält. Und so beginnt der Satz seine giftige Wirkung zu entfalten. Wie ein Virus, das sich als körpereigenes Genmaterial tarnt, fängt er an die Gesellschaft zu infizieren. Er erscheint ja so richtig, der Satz. Die argumentative Immunabwehr liegt flach: Wo ist das Gegenmittel? Wo ist der Gegenbeweis? Warum macht gerade dieses "Argument" so zu schaffen? Warum versagt die demokratische Immunabwehr zum Beispiel bei verwandten Angriffen nicht? Warum wurde sogar ein Satz wie "Jeder Soldat ist ein potenzieller Mörder" noch hochrichterlich erfolgreich bekämpft? Warum hat nun das erst einmal viel harmloser wirkende "Jeder ist ein potenzieller Verbrecher" nun solch einen verheerenden Erfolg?

Die Tarnprinzipien solcher Argumente wie "Jeder Soldat ist ein potenzieller Mörder", oder "Jeder Bürger ist ein potenzieller Verbrecher" sind ja längst bekannt: Der Satz stellt eine mögliche Zukunft dar. Das Wesen der Zukunft ist jedoch, dass in ihr vieles möglich ist. Insofern lässt sich ein Satz wie "Jeder Bürger ist ein potenzieller Verbrecher" nicht widerlegen, weil man die Zukunft als solche widerlegen müsste. Die Täuschung besteht natürlich darin, dass der Virus-Satz verschleiert, dass auch ganz andere Zukünfte denkbar sind.

Der zweite Pfeiler auf dem die Stärke des Virus des Glaubens an die Nützlichkeit einer totalen Überwachung fußt, ist der, dass die Überwachung selbst keinen Schaden anrichten würde. Was natürlich Nonsens ist. Überwachung ist eine Maßregelung und somit ein schwerwiegender Eingriff in die Freiheit des eigenen Verhaltens. Der Überwacher hat gegenüber dem Überwachten immer mehr Macht. Wissen ist Macht. Überwachung schafft dieses Wissen auf Seiten des Überwachers und der Überwachte hat meist keine Möglichkeiten, dieses Wissen auf Seiten des Überwachers effektiv zu kontrollieren.

Der krankhafte Glaube an den Nutzen einer totalen Überwachung veruracht somit als sichtbares Krankheitssymptom eine umfassende Blindheit der Betroffenen. Befürworter der totalen Überwachung sind also ironischerweise blind. Blind dafür, dass sie von ungerechtfertigten und einseitigen Voraussichten (jeder könne zum Verbrecher werden) ausgehen. Und blind dafür, dass Überwachung konkreten Schaden anrichtet - nicht erst als Möglichkeit in der Zukunft, sondern jetzt, aktuell.

Wie kann die Bekämpfung dieser Krankheit aussehen? Natürlich durch Überwachung und Quarantäne! ;-)

Solche blinden Menschen, solche blinden Total-Überwachungsbefürworter muss man an die Hand nehmen. Notfalls vielleicht sogar politisch "entmündigen" wegen ihrer gefährlichen politischen Fehlsichtigkeit. Befürworter der totalen Überwachung in politischen Ämtern sollten behandelt werden wie Menschen mit einer ansteckenden Krankheit. Zum Wohle der Allgemeinheit sollten sie wegen ihrer gefährlichen Krankheit der argumentativen Kurzsichtigkeit aus ihren Ämtern entfernt werden.

Es braucht also eine stärkere Überwachung der in staatlichen Ämtern tätigen Personen, um sofort Anzeichen eines Glaubens an die totale Überwachung zu bemerken und um frühzeitig zum Schutze des Allgemeinwohles einzugreifen und diese Irrläufer aufzuhalten.

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Sonntag, 14. Januar 2007

Kriegstreiber sind auch nur Menschen

(Via Furl-Archiv von Lorenz Lorenz-Meyer) Daniel Kahnemann (Psychologe und Nobelplreisträger) schreibt zusammen mit Jonathan Renshon in der Zeitschrift "Foreign Policy", warum auch die Entscheidungen von Politikern und ihren Beratern oftmals in ganz spezifischer Weise beeinflusst sind von der Psychologie längst bekannten Denkfehlern: Why Hawks Win.

Leider führen diese kognitiven "Fehler" - denen wir alle unterliegen - beim Entscheidungsprozess auf politischer Ebene größtenteils dazu, dass oftmals in Krisensituationen zwischen Staaten ein aggressiveres Verhalten zwischen den Staaten die Folge ist und nicht ein beschwichtigendes, vorsichtiges Verhalten. Die "Falken" würden also die Außenpolitik in solchen Situationen dominieren.

Kahnemann und Renshon behaupten also, dass viele der historisch bekannten Fehlentscheidungen von Staatslenkern nicht einfach nur damit erklärbar sind, dass diese zu wenige oder falsche Informationen besessen hätten. Vielmehr würden Generäle, Berater und Regierungschefs die gleichen "Fehler" bei ihren Entscheidungsprozessen machen wie jeder von uns. Diese Fehler passieren bei der kognitiven Informationsverarbeitung und sind ein beliebter Forschungsgegenstand in der Entscheidungs- und Sozialpsychologie.

Es sei angemerkt, dass viele Forscher dem Begriff "Fehler" abgeneigt gegenüber stehen, denn die menschliche Entscheidungsfindung ist nun einmal so wie sie ist. Menschen treffen Entscheidungen auf ihre Art und sind oftmals zufrieden mit ihnen, selbst wenn eine perfekte, das heißt alle Optionen und Alternativen berücksichtigende Entscheidung, eventuell eine andere Alternativenwahl nahegelegt hätte. Deshalb betonen Kahnemann und Renshon auch, dass sie nur zeigen wollen, dass die Art der menschlichen Entscheidungsfindung ein bestimmtes Verhalten von Staatschefs wahrscheinlicher macht und dass man diese Neigung eventuell berücksichtigen sollte und den Entscheidungsfindungsprozess dementsprechend ausgleichen und anpassen sollte, damit die "Falken" die "Tauben" nicht von vornherein dominieren.

Der Artikel zählt einige dieser schiefliegenden Eigenarten der menschlichen Entscheidungsfindung auf. Zum Beispiel:

  • Der "fundamentale Attributionsfehler". Es ist - der Name sagt es - eine weit verbreitete Eigenart. Sie besagt, dass wir die Ursache des Verhaltens anderer Menschen häufig ihrem Charakter zuschreiben und die Einflüsse der Situationsgegebenheiten, denen der andere unterliegen mag, übersehen. Kahnemann und Renshon führen einige Beispiele an, wie dies in der Entstehungsphase von Konflikten zu Fehleinschätzungen führen kann.
  • Kognitionspsychologen kennen eine ganze Reihe von "Fehlern" die alle darauf hinauslaufen, dass wir Menschen unsere Fähigkeiten allgemein überschätzen (Overconfidence, Illusion of Control, Wishful Thinking, Unrealistic Optimism und so weiter). Jeder denkt, er sei ein überdurchschnittlicher Autofahrer oder überdurchschnittlich intelligent und ist meist eher optimistisch, dass er Situationen meistern wird und überschätzt seinen eigenen Einfluss für das Erreichen eines gewünschten Ergebnisses. Diese Aspekte der menschlichen Entscheidungsfindung können bei der Bewertung der eigenen Fähigkeiten bei der Planung der Lösung von Konflikten zu argen Problemen führen.
  • "Reactive Devaluation" spielt schließlich eine Rolle, wenn das Gegenüber ein Angebot macht, zum Beispiel Verhandlungen anbietet. Das Angebot wird jedoch als weniger wertvoll angesehen, einfach weil es vom gering geschätzten Gegenüber kommt. Der Inhalt des Angebotes und seine Chancen werden somit nicht adäquat bewertet. Die Person des Gegenüber färbt sozusagen auf den Inhalt des Angebotes ab.
  • Wenn dann die ersten Kugeln fliegen und die ersten Verluste zu ertragen sind, gehen Menschen meist erst recht "in die Vollen". Will sagen: Meint man eine Chance zu sehen, die eigenen Verluste mit risikoreichen Aktionen zu begrenzen, so überschätzt man wiederum die Wahrscheinlichkeit eines positiven Ausgangs (Wishfull Thinking) und wählt lieber Handlungsalternativen, die zwar ein Risiko eines großen Schadens beinhalten, aber auch eine Chance ohne Verluste rauszukommen, statt eine Alternative zu wählen, bei der zwar Schaden entsteht, jedoch ein kleinerer als beim risikoreichen Ausgang der ersten Alternative. Statt Verluste zu begrenzen, versucht man sie also unrealistischer Weise ganz zu vermeiden. Dies wird "Aversion to Cutting Losses" genannt.
Die Eigenarten der menschlichen Entscheidungsfindung sind begründet darin, dass wir im Alltag häufig nicht ausreichend Informationen über alle Optionen, Attribute und Alternativen besitzen. Das heißt: Wir müssen häufig Entscheidungen unter Unsicherheit treffen. Die Strategien, die Menschen dafür entwickelt haben, funktionieren oft ganz gut, können aber in manchen Situationen zu eklatanten Fehlentscheidungen führen. Krisensituationen zwischen Staaten scheinen derartige schwierige Entscheidungssituationen zu sein. Eine Lösung wäre demnach einerseits - so wie dies Kahnemann und Renshon fordern - die Entscheidungstendenzen, die allgemein in solchen Situationen zu Gunsten der "Falken" wirken, auszugleichen. Und andererseits, die Höhe der Unsicherheiten, so möglich, noch weiter zu verringern, so dass im Idealfall (leider utopisch) Entscheidungen nicht mehr von großen unbekannten Einflussgrößen wie unbekannten Alternativen und Optionen und Attributausprägungen geprägt sind.

Literaturempfehlung: "Die Psychologie der Entscheidung - Eine Einführung" von Jungermann, Pfister und Fischer; Spektrum Akademischer Verlag.

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