(Via Wut! und via Pfalz-Haus) Die Begriffe "Aufklärung" und "Humanismus" sind heutzutage ja leider nicht viel mehr als Schlagworte. Beliebig von jedem für sich in Anspruch zu nehmen. So verwundert es mich auch nicht, dass eine Stiftung, die im Untertitel ihres Namens dieses Begriffspaar verwendet, einen Text eines gewissen Professor Gerd Habermann unter ihre Fittiche nimmt, der nur so strotzt vom Gegenteil dessen, was ich unter "Aufklärung" und "Humanismus" verstehen würde.
Habermann wettert in dem Text dagegen, dass der Staat für einen Ausgleich zwischen Arm und Reich sorge. Er verneint, dass Armut auch Folge gesellschaftlicher Zwänge sein kann, dass Armut sich also wie Reichtum oftmals "vererbt" und Arme gefangen sind in ihrer Armut, sondern er sieht jede Form der Armut an als rein individuelles Versagen des Einzelnen. Die Forderung nach einem staatlich gelenkten Ausgleich zwischen Arm und Reich kann sich Habermann deshalb auch nur mit dem "Neid" der Armen erklären. Die Armen seien faul und neidisch. Die Reichen jedoch seien der Garant dafür, dass diese faulen Armen überhaupt Arbeitsplätze hätten und wer am sozialen Ungleichgewicht rüttele, stelle laut Habermann die freie Marktwirtschaft und den Wettbewerb als Ganzes in Frage. Das Begriffspaar "soziale Marktwirtschaft" scheint Habermann nicht zu kennen:
Moderne Umverteilungsökonomien bestrafen die Erfolgreichen und belohnen Misserfolge durch soziale Transfers – mit fatalen Folgen
Neid ist kein edles Motiv. Er ist ein Laster. Aber er kann schöpferische Leistungen in Gang setzen. Meistens aber zielt Neid auf das Schädigen und die Entmutigung des (erfolgreichen, gesunden, glücklichen) anderen. Das Ziel ist erreicht, wenn der Glückliche sein Glück als "unverdient" empfindet und darüber unglücklich wird; wenn er sich für seinen Erfolg zu entschuldigen sucht, sich schließlich vielleicht selber zu einem "Missbrauch" erklärt wie der unglückliche Reformkönig Ludwig XVI. [...] Diese Suggestion hat im Jahrhundert des Sozialismus ihre mürbemachende Wirkung besonders auch auf die unternehmerische Elite nicht verfehlt. Es gibt Unternehmer, die ihre gegenwärtige, zum Teil schikanöse Fesselung durch ein feingesponnenes Sozial-, Arbeits- und Fiskalrecht für notwendig erklären. (Quelle)
Habermann übertreibt bewusst, um die soziale Marktwirtschaft zu diskreditieren. Er verunglimpft den Ruf nach staatlichem Lenken und Regulieren als Angriff auf den Wettbewerb schlechthin. Das ist der Neoliberalismus in seiner Reinform. Dass die Reichen nach einer progressiven Besteuerung trotzdem immer noch mehr als genug haben und somit Reichtum sich auch weiterhin lohnt und dass der Staat den Armen lediglich die Existenz sichert, das übersieht Herr Habermann leider.
Ein beliebtes Argument der Neoliberalen gegen den Sozialstaat ist, dass der Sozialstaat häufig mittels des Gießkannenprinzips seine kostenlosen Leistungen nicht nur den Bedürftigen zuteil kommen lasse, sondern auch den Reichen, die dies doch eigentlich gar nicht nötig hätten. Beispiele: Kostenlose Studienplätze, Krankenkassen, subventionierte Theater- und Opernplätze für alle - sowohl die Armen als auch die Reichen. Dass der Verlust, den der Staat erleidet, indem er auch den Reichen diese kostenlosen Leistungen zuteil kommen lässt, zu vernachlässigen ist und der Vorteil überwiegt, indem man für diese Leistungen keinerlei Einkommensprüfungen bei allen Studenten oder Theaterbesuchern durchführt, indem man den Zugang zu diesen staatlichen Leistungen so wirklich sicher stellt, auch das übersieht Habermann. Die neoliberale Schlussfolgerung lautet immer: Der Staat müsse sich zurückziehen, seine Leistungen einstellen, damit ja kein Reicher aus Versehen in den Genuss von subventionierten Leistungen komme. Leistungstransfers seien ungerecht. So als ob das Geborenwerden mit dem goldenen Löffel im Mund nicht ebenfalls ein Leistungstransfer ist.
Auch gegen den Schutz von Minderheiten und gegen den Schutz des Staates für diese Minderheiten gegen Diskriminierungen wehrt sich Habermann. Dass Behinderte zum Beispiel vor Diskriminierungen im Berufsleben geschützt werden sollen, sieht Habermann als "Abschaffung der Vertragsfreiheit".
Es ist sicherlich nicht die "Abschaffung", sondern eine Einschränkung der Vertragsfreiheit. Über die Richtigkeit, über den Umfang mancher dieser Einschränkung also, kann man sicherlich im Detail diskutieren. Aber typisch für den harten Neoliberalismus ist, hier keine Abwägungsprozesse zuzulassen, sondern das Vorhaben des Regulierens und Ausgleichens als solches darzustellen als einen unzulässigen Eingriff in die Freiheitsrechte.
Habermanns Text verdeutlicht sehr gut die Pseudo-Religion des Neoliberalismus, die da als obersten Glaubensatz hat: Absolute Freiheit für jeden, indem der Staat als Regulierer und "Gleichmacher" abgeschafft wird.
Es ist letzendlich ein anarchistisches Konzept, das sich als Sozialdarwinismus enttarnt, bei dem zunächst die Starken und ganz am Ende schließlich nur der Stärkste gewinnt. Es gäbe einen Gewinner und Millionen von Verlierern. Die Kosten einer neoliberalen Politik für die Gesellschaft sind somit viel höher als jegliches, verschwenderische "Gießkannenprinzip" eines Sozialstates. Der Neoliberalismus arbeitet nämlich schlicht an der Abschaffung der Gesellschaft. Er polemisiert in übertreibender Weise gegen das regulierende Wirken des Staates, stellt es enorm überspitzt dar, zeichnet die als "Leistungsträger" betitelten Reichen (die ihren Reichtum oftmals im Müßiggang als Erbe erworben haben, nebenbei bemerkt) als Opfer und diffamiert Arme als unwillige, unfähige und egozentrische Neider.
Selbst vor plumper Geschichtsfälschung schreckt Habermann schlussendlich nicht zurück:
Auf allen Kontinenten und zu allen Zeiten verfolgte man Menschen, die sich als Schöpfer des Volkswohlstandes hervortaten, mit großer Grausamkeit. Beispiele aus der jüngsten Geschichte sind das Hinschlachten der Armenier in der Türkei, die Vernichtung der Juden in Deutschland, die Ausrottung und Vertreibung der Ibos im Norden Nigerias, die Verfolgung der wirtschaftlich Erfolgreichen durch die roten Garden in China, die Tötung von fast einer Million Auslandschinesen in Indonesien, die Massaker unter den Weißen und Indern in Uganda, ihre Enteignung und Vertreibung aus Tansania und jetzt aus Simbabwe und die Ermordung und Internierung der Biharis in Bangladesh. In schlimmer Erinnerung ist auch noch, dass gegen Ende der siebziger Jahre ein Großteil der Elite Kubas und Südostasiens ins offene Meer getrieben wurde. Überall nehmen die Grausamkeiten zu im unablässigen Kampf der Neider gegen die angeblich gefährlichen Reichen, die Krämer, die Geldverleiher, Großhändler, Zwischenhändler, die Unternehmer schlechthin. Mit dem Exodus oder der Vernichtung der Leistungsträger steigt gleichzeitig die Millionenzahl der Opfer unnötiger Armut und Hungersnot. (Quelle)
Wer kann Habermann nach solchen Sätzen noch ernst nehmen? Behauptete Habermann da gerade tatsächlich, dass die von den Nazis verfolgten Juden "Schöpfer des Volkswohlstandes" waren? Zu Teilen sicherlich. Das klingt jedoch sehr nach der Mär von den "reichen Juden". Wo hat Habermann das denn her? Aus den Propagandaschriften der Nazis? Der größte Teil der Millionen getöteten Juden waren arm. Das passt nur leider nicht in das Bild Habermanns vom Reichen als dem ewigen Opfer der Menschheitsgeschichte.
Hütet euch vor dem Neoliberalismus. Mehr fällt mir dazu nicht mehr ein zu sagen.
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