Freitag, 29. Juni 2007

Warum Bundeswehr Daten löschte, ist unerheblich

Ein Artikel bei Zeit.de versucht zu entwirren, welche möglichen Motive das Zentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr (ZNBw) gehabt haben könnte, umfangreiches Rohdatenmaterial nachrichtendienstlicher Daten zu den Aktionen der Bundeswehr im Ausland aus den Jahren 1999 bis 2003 zu löschen: Nebelkrieger.

Man kann solche Spekulationen über mögliche Gründe für die Datenlöschaktion anstellen. Sie führen jedoch erst einmal zu nichts. Im Gegenteil, sie können als bloße Verschwörungstheorien abgetan werden. Aus diesem Mangel an hartem Wissen über die möglichen Motive der Löschaktion lässt sich jedoch nicht schlussfolgern, dass die Löschaktion vermutlich ein Versehen war.

Genau diese unkorrekte Schlussfolgerung scheint der Zeit-Artikel jedoch nahezulegen mit Sätzen wie diesen:

Die Löschungen können tatsächlich auf einer Kette von Zufällen und Fehlentscheidungen beruhen. [...] Die bei der Bundeswehr gelöschten Daten mögen eine Panne sein. (Quelle)


Nein, können sie aller größter Wahrscheinlichkeit nach eben nicht! Man braucht gar nicht zu wissen, warum die Daten eventuell gelöscht worden sind. Dass diese Löschungen kein technisches oder menschliches Versagen oder Versehen waren, zeigen alleine die Ausführungen von Datensicherheitsexperten zum Fall. Es ist also zunächst völlig unerheblich, sich mit möglichen Motiven der Löschaktion zu befassen. Alleine die Tatsache, dass das ZNBw überhaupt willentlich Daten löschte, beinhaltet schon genug Sprengstoff und berechtigt Forderungen nach mehr Kontrolle der Geheimdienste durch das Parlament. Die Gefahr besteht, dass diese berechtigte Forderung durch das Spiel mit (Verschwörungs-)Theorien über mögliche Gründe der Löschaktionen in Misskredit gerät. Das darf nicht passieren.

Technorati-Tags: , ,

Online-Durchsuchung: Schäubles neue Argumente

Schäuble "argumentiert" mal wieder für die Online-Durchsuchung. Argumentieren sieht bei Schäuble so aus:

"Wir brauchen das BKA-Gesetz dringend – und ein Gesetz ohne Online-Durchsuchung wird es nicht geben" [...] Der Punkt sei nicht verhandelbar. [...] "Das BKA braucht klare gesetzliche Grundlagen für seine Arbeit." Als "dummes Gerede" habe der Bundesinnenminister den Vorwurf bezeichnet, sein Vorstoß zur Online-Ausspähungen von Verdächtigen sei unvereinbar mit dem Grundgesetz. "Ich werde unfreundlich, wenn mir Verfassungsbruch vorgeworfen wird", sagte Schäuble. (Quelle)


Also bitte, bitte, lasst die Online-Durchsuchung schnell kommen, denn sonst muss das BKA weiterhin ohne gesetzliche Grundlagen seine Arbeit tun! Das arme BKA! Schnüffelt also wahrscheinlich weiterhin ohne gesetzliche Grundlagen! Und bitte, bitte, lasst die Online-Durchsuchung schnell kommen, denn sonst wird Herr Schäuble unfreundlich! *Heul*

Merke: Organisierte Kriminalität und Politik haben anscheinend auch jenseits vom Sachsensumpf viel miteinander gemeinsam. Beispielsweise, dass man durch Unfreundlich-Werden seinen Forderungen Nachdruck verleihen will.

Technorati-Tags: ,
, ,

Brigitte Zypries: Browser? Was sind jetzt nochmal Browser?

(Via BooCompany.com) Brigitte Zypries, Bundesjustizministerin, wird von Kinderreportern des ARD-Morgenmagazins als Testfrage in Bezug auf ihr Internetwissen gebeten, doch einmal unterschiedliche Browser zu benennen. Woraufhin Frau Zypries nur ratlos zurückfragt, was denn jetzt nochmal ein Browser sei. Thomas Knüwer stellt die Interview-Aktion des ARD-Morgenmagazins samt eingebettetem Video vor: Web 0.0 revisited.

Man könnte über die Weltfremdheit und Unwissenheit von Zypries lachen. Nur leider ist sie es, die maßgeblich mitentscheidet über Dinge wie Vorratsdatenspeicherung, Online-Durchsuchung, Telemediengesetz, diverse Urheberrechts-Novellen oder auch über die mögliche Einführung von Softwarepatenten. Dass sie grundlegende Vokabeln der modernen Welt nicht kennt, lässt Schlimmes befürchten und erklärt so manche seltsamen Ausführungen dieser Frau. Da scheint viel Spielraum zu sein für Einflüsterungen diverser Lobbyisten, wenn so wenig Grundwissen vorhanden ist bei unseren "Entscheidern".

Es ist so als ob Mitte des letzten Jahrhunderts ein Wirtschaftsminister auf die Frage, welches Automobil er privat nutze, zurückgefragt hätte, was denn bitte schön noch einmal ein Automobil sei.

Schaue ich mir die restlichen Statements der weiteren, von den Kinderreportern interviewten Politiker an (Glos, Ströbele), so beschleicht mich der Verdacht, dass die Politiker vor den Kindern fast absichtlich so tun, als ob sie niemals, also fast nie, im Internet unterwegs seien. So als ob "Internetgucken" irgendwie was Schmutziges wäre.

Wir leben in einem seltsamen Land. Zumindest in einem Land mit merkwürdigen Politikern. Dafür schäme ich mich irgendwie. Gerade vor den Kindern und für die Kinder, die im Video selbst feststellen, dass sie sich ihre restlichen Fragen an die Politiker in Bezug auf das Internet wohl schenken können.

Technorati-Tags: Brigitte Zypries, ,

Mittwoch, 27. Juni 2007

Löschaktion der Bundeswehr: Wer kontrolliert den Staat?

Eins steht für mich fest: Die Bundeswehr, genauer gesagt das "Zentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr" (ZNBw) und damit letztendlich das Verteidigungsministerium lügt. Und zwar schlecht. Elendig schlecht. (Kurzes Hutziehen meinerseits vorm Aufdecken des Skandals in Richtung Tagesschau.de und SWR - Ehre, wem Ehre gebührt - nur bleiben die jetzt auch dran? Da habe ich meine Zweifel! Dazu unten mehr.)

Die nachrichtendienstlichen Daten über den Einsatz der Bundeswehr, unter anderem der Spezialeinheit KSK, beispielsweise in Afghanistan in den Jahren 1999 bis 2003, sind also vermutlich gar nicht versehentlich gelöscht worden. Vielleicht existieren sie sogar noch. Das Märchen vom funktionsuntüchtigen Datensicherungs-Roboter, der die Magnetbänder unwiederbringlich verspeist haben solle, glauben Datensicherheits-Experten nämlich kein bisschen, wie zum Beispiel Süddeutsche.de darstellt: Großvater, Vater, Sohn.

Bleibt die Frage: Was passiert jetzt? Deutlich wird auch in diesem Fall wieder, dass die Politik und damit die Gesellschaft absolut gar keine Kontrolle (mehr) hat über das, was Geheimdienste tun. Ein sächsischer Korruptionssumpf, bei dem ebenfalls Daten auf merkwürdige Weise verschwanden, ist vielleicht mit den Möglichkeiten des Rechtsstaates noch aufzuklären, notfalls mit Hilfe der Bundesanwaltschaft - theoretisch zumindest. Aber die Geheimdienste und ihr Tun sind eigentlich völlig frei von externer Kontrolle. Deutschland ist da nicht anders als Russland. Sollten sich die Geheimdienstler entschließen, mehr Druck auszuüben auf die Politik, informellen Druck natürlich, wer sollte sie daran hindern?

Hinzu kommt, dass diejenigen, die in Deutschland offiziell das Sagen haben, also die Angehörigen der Regierung und die Parlamentsabgeordneten, zu großen Teilen eben nicht direkt gewählt werden in Deutschland, sondern ausgemauschelt werden innerhalb der politischen Parteien. Wenige Bürger sind Mitglied in einer Partei. Wer in den entscheidenden Parteigremien landet, das hängt oft ab von wirksamen, informellen Netzwerken. Für Geheimdienste ist es ein Leichtes, hier gestalterisch wirksam zu werden. Guckt man sich die aktuellen Forderungen und Gesetzesvorschläge von Schäuble & Co. an, muss man annehmen, dass die Geheimdienste hier längst bei der Arbeit sind. Wenn die Politik zu wenige Möglichkeiten hat, solche Dinge wie Geheimdienste zu kontrollieren, dann wird es meiner Meinung nach zwangsläufig dazu kommen, dass die eigentlich zu Kontrollierenden die Kontrolle ausüben.

Der Umgang der Politik mit diesem kleinen Datenskandal bei der Bundeswehr wird zeigen, ob die Parteiendemokratie doch noch in der Lage ist, eine Kontrolle der Behörden zu bewerkstelligen. Ich zweifle enorm daran. Und wenn schon vermutlich unsaubere Aktionen in Afghanistan die Bundeswehr dazu verleiten, schlicht auszusteigen aus dem demokratischen Spiel der Kontrolle, was passiert dann erst in echten Krisenzeiten?

Die Parteiendemokratie führt gerade vor, was sie nach 60 Jahren aus einem Land trotz ansonsten hervorragendem Grundgesetz macht. Wegen der fehlenden Greifbarkeit einzelner Verantwortlicher (es regiert schließlich immer "die Partei" als ganzes), bildet sich eine Clique aus Leuten, die den Staat in ihrer Hand hält. Schlüsselpositionen dazu sind die Entscheidungsgremien der Parteien. Da zu wenige Bürger Mitglieder in den Parteien sind, helfen hier auch die Wahlen auf den Parteitagen wahrscheinlich kaum, um den informellen Netzwerken, die bestimmte Leute dort an den Parteispitzen platzieren, die Macht und den Einfluss zu nehmen. Außerdem sind viele (beispielsweise auch viele Journalisten) in politischen Parteien, um selbst politisch oder beruflich aufzusteigen oder sich so abzusichern. Diese Leute in ihren politischen Netzwerken sind demokratisch nicht direkt gewählt. Der Wähler hat kaum einen Einfluss. Wenn uns Deutschen der Geschmack der Demokratie lieb geworden ist, sollten wir uns bemühen, die Parteiendemokratie abzulösen durch eine Form der Demokratie mit wesentlich mehr Elementen der direkten Demokratie. Anders - so scheint mir - wird man den Einfluss dieser Macht-Cliquen nicht zurückdrängen können. Das Problem ist nur: Wie und wo soll dieser Veränderungsprozess beginnen? Die regierenden Parteien sind gegen mehr direkte Demokratie. Ihren Lippenbekenntnissen zu mehr Demokratie ist nicht zu trauen. Niemand sägt selbst den Ast ab, auf dem er sitzt. Nur Taten könnten ihnen Glaubwürdigkeit schenken. Union und SPD hätten mit ihrer Mehrheit theoretisch die Möglichkeit jetzt auf diesem Gebiet tätig zu werden. Ihr Nichtstun spricht Bände.

Von den etablierten Medien ist vermutlich auch kaum zu erwarten, dass sie dieses Thema der mangelnden Kontrolle der Geheimdienste und was das wiederum eigentlich über den Zustand der Demokratie aussagt, ernsthaft beleuchten werden. Zu sehr sind sie teilweise personell verquickt mit diesen informellen Machtnetzwerken und zu arrogant und selbstherrlich gebärden sie sich, als dass ich ernsthaft glauben kann, dass sie sich die Aufklärung auf die Fahnen schreiben. Das allgemeine Schlagwort zu diesem ganzen Thema lautet schlicht "Transparenz". Transparenz ist das große Ding von morgen, um es mal in mediengerechter Sprache auszudrücken. Beispielsweise Transparenz staatlichen Handelns samt mehr direkter Mitbestimmung des Bürgers wären nötig, um den informellen Netzwerken in Parteien, Großindustrie und Geheimdiensten den Wind aus den Segeln zu nehmen. Dazu wären große politische Veränderungen notwendig. Es ist also ein langer Prozess. Der Umgang mit diesem aktuellen Datenlösch-Skandal wird einmal mehr zeigen, auf welchem Weg Deutschland ist: Hin zu mehr Transparenz und Kontrolle staatlichen Handelns oder hin zu mehr Geheimwirtschaft und staatlicher Kontrolle bürgerlicher Freiheits- und Mitbestimmungsrechte.

Technorati-Tags: , , ,

Montag, 25. Juni 2007

Der Schwarze Peter stiehlt die Freiheitsrechte

Schäuble und die Unionsparteien fordern ja zur Zeit die Einführung der Online-Durchsuchung von Festplatten privater Computer-Besitzer, um so dem Terrorismus auf die Schliche zu kommen.

Neu ist, dass die Union sich nun so weit aus dem Fenster lehnt und behauptet, dass jeder, der gegen die Online-Durchsuchung sei, den Terrorismus begünstigen wolle:

Zur Vereitelung und zur Abwehr terroristischer Anschläge ist es unerlässlich, dass die Sicherheitsbehörden die Möglichkeit haben, eine Online-Durchsuchung nach entsprechender richterlicher Anordnung verdeckt durchführen zu können. [...] Wer sich gerade jetzt vor dem Hintergrund der erhöhten Terrorgefahr verweigert, macht sich im Falle eines Anschlages mitschuldig. (Quelle)


Angenommen, die Union schafft es, die Online-Durchsuchung Gesetz werden zu lassen und das Bundesverfassungsgericht lässt das sogar durchgehen. Und angenommen, es passiert dann dennoch ein Terror-Anschlag. Trotz Online-Durchsuchung. Setzt die Union mit ihrem Argument, dass die Online-Durchsuchung ein derart wirksames Mittel der Terror-Bekämpfung sei, nicht indirekt die Sicherheitsbehörden wieder unter enormen Druck? Denn mit der Forderung nach Einführung der Online-Durchsuchung ist ja auch die verstärkte Forderung an die Sicherheitsbehörden verbunden, noch besser präventiv wirksam zu werden. Das Problem ist jedoch, dass die Online-Durchsuchung kein sicherer Schutz gegen Terror-Anschläge ist. Aber die Verherrlichung der Online-Durchsuchung als wirksame Waffe gegen den Terrorismus wird ein Versagen der Sicherheitsbehörden bei der Prävention nach einem Anschlag als noch gravierender erscheinen lassen. Denn hat man nicht den Sicherheitsbehörden vermeintlicherweise alles an die Hand gegeben? Was fällt denen also ein, dennoch zu versagen?

Die Folge ist klar: Die Sicherheitsbehörden werden nach Einführung der Online-Durchsuchung - wissend, dass immer noch große Gefahr besteht, bei der Prävention von Anschlägen zu versagen - und wegen des gerade durch die Bewilligung der Online-Durchscuhung für die Sicherheitsbehörden gestiegenen Erwartungs- und Erfolgsdrucks schlicht weitere Erweiterungen ihrer Befugnisse fordern. Einerseits als eigene Absicherung, um bei möglichen Anschlägen diese neuen Forderungen als Alibi vorschieben zu können ("Wir konnten den Anschlag nicht verhindern, weil man uns Befugnis XY bis heute verweigert hat."), andererseits vielleicht aus der tatsächlichen Überzeugung heraus, mit weiteren Befugnissen erfolgreichere Prävention betreiben zu können.

So wird eine Forderung nach mehr Befugnissen nach ihrer Erfüllung durch die Politik sogleich durch die nächste Forderung nach mehr Befugnissen für die Sicherheitsbehörden abgelöst werden. Es geht dabei vor allem um das gegenseitige Zuschieben des Schwarzen Peters zwischen Politikern und Sicherheitsbehörden.

Dieses sinnlose Spiel kann erst aufhören, wenn Politiker klarstellen, dass es leider nicht Aufgabe des Staates ist, das allgemeine Lebensrisiko der Bürger zu jedem Preis zu bekämpfen, wie auch Daten-Speicherung.de ausführlich darlegt.

Warum sollte Politikern das nicht möglich sein? Also festzustellen, dass es leider das Risiko von Terror-Anschlägen gibt und dass man leider nicht alles machen könne, um dieses Risiko zu minimieren? Der Kabarettist Volker Pispers erwähnt in seinem aktuellen Programm, dass es jährlich 6000 Verkehrstote in Deutschland gibt. Und gar 15.000 Menschen sterben jährlich in Deutschland aufgrund von Arztfehlern. Wie können sich unsere Politiker im Amt halten angesichts dieser Zahlen? Warum werden sie nicht täglich von einer wütenden Presse mit diesen Zahlen konfrontiert? Weil jedem klar ist, dass der Staat zwar daran arbeiten kann und sollte, derartige Missstände zu beseitigen, aber seine Macht und sein Wirken auch Grenzen hat.

Nachtrag: Kai Raven geht in seinem Weblog "Rabenhorst" auf diesen, meinen Weblog-Eintrag hier ein und erläutert in faszinierenden, technischen Details (SOWAS würde ich mir übrigens auch von den deutschen Medien wünschen, verdammt nochmal!), wie weitere Stufen auf dieser Eskalation der Überwachungsforderungen technisch aussehen könnten. Die Sicherheitstechnokraten Europas haben nämlich längst nach Vorratsdatenspeicherung und Online-Durchsuchung weitere Pläne in den Schubladen, die sie vermutlich in den nächsten Monaten und Jahren den Politikern präsentieren werden, um den Schwarzen Peter wieder auf die Seite der Politiker schieben zu können.

Mir ging es in diesem, meinem, kleinen Weblog-Eintrag schlicht darum, den politischen Wirkungsmechanismus hinter diesen immer neuen Forderungen nach mehr Überwachung zur Diskussion zu stellen. Dass nämlich nicht wirklich eine tatkräftige Verfolgung von Terroristen Sinn und Ziel dieser ganzen Überwachungs-Vorschläge ist, sondern ganz maßgeblich einfach das gegenseitige billige Zuschieben der Verantwortung (sprich des "Schwarzen Peters") für das neue Staatsziel "Prävention" (das niemand gefordert hat, das so nicht in der Verfassung steht...) zwischen Politik und Sicherheitsbehörden Hauptmotivation hinter dieser sicherheitstechnischen Aufrüstung ist.

Wer lesen will, wie mögliche weitere Stufen auf dieser Überwachungsleiter konkret aussehen könnten, dem empfehle ich also, unbedingt oben verlinkten Artikel bei Rabenhorst zu lesen!

Technorati-Tags: , ,

Sonntag, 24. Juni 2007

Afghanistan: NATO wird immer mehr Teil des Problems

Geht es nur mir so oder bleiben in unseren Medien viel zu sehr die Kinder, Frauen und männlichen Zivilisten unerwähnt, die derzeit anscheinend mit einer kühlen Sorglosigkeit von der NATO in Afghanistan umgebracht werden?

Zumindest in der unteren Artikel-Hälfte kommt Welt.de nach den üblichen, ausführlichen Berichten über eine mögliche Gefährdung von Verteidigungsminister Jung bei seinem jüngsten Afghanistan-Besuch auch auf die Schlächter der NATO zu sprechen:

Der afghanische Präsident Karsai hat unterdessen die ausländischen Truppen in seinem Land angesichts immer neuer ziviler Opfer scharf kritisiert. Er warf der Nato grobe Fahrlässigkeit vor, die eine zunehmende Zahl an Unschuldigen das Leben koste. Die Einsätze der ausländischen Soldaten seien „wahllos, ungenau und rücksichtslos“, sie würden sich außerdem seit Jahren schon nicht ausreichend mit der afghanischen Seite absprechen und ihre Einsätze koordinieren. „Man bekämpft keine Terroristen, indem man ein Feldgeschütz aus 37 Kilometern Entfernung auf ein Ziel abschießt. Das endet definitiv, sicher mit dem Tod von Zivilisten“, erklärte Karsai. „Afghanisches Leben ist nicht billig und sollte auch nicht so behandelt werden.“
Allein in der vergangenen Woche waren rund 90 afghanische Zivilisten getötet worden. Inzwischen kommt die Zahl der Toten, die von Kugeln der Nato- und US-Truppen getötet wurden, immer näher an die der Opfer durch Angriffe der Taliban heran. Am Wochenende erst hatten Raketen der Koalitionstruppen jenseits der afghanischen Grenze mindestens ein Dutzend Unbeteiligter, darunter Frauen und Kinder, auf pakistanischem Boden getötet, als sie bei der Verfolgung verdächtiger Krieger versehentlich die Grenze überschritten hatten. (Quelle)


Aber die NATO verspricht ja Besserung. Wieder einmal. Dann ist ja alles gut.

Nein, leider nicht. Es wird in Afghanistan genauso kommen wie im Irak. Die NATO-Truppen sind inzwischen längst Teil des Problems und nicht mehr der Lösung. Es gab nach dem Sieg über die Taliban vielleicht ein kleines Zeitfenster, um die Zivilgesellschaft voran zu bringen in Afghanistan, aber darum kümmerte sich der Westen letztendlich nur halbherzig. Das Ergebnis: Alles umsonst. Nun wird die NATO allein durch ihre Anwesenheit und noch mehr durch ihr aktuelles Vorgehen immer mehr zum Motor für den Zulauf und den Kampfeswillen der Taliban. Ein Teufelskreis beginnt, der höchstwahrscheinlich irgendwann mit der Flucht der NATO aus Afghanistan enden wird - vermutlich nachdem zuvor noch viele weitere Zivilisten von beiden Kriegsparteien getötet wurden.

Wie oft wird dieser Fehler in der Geschichte noch wiederholt werden? Korea, Vietnam, Somalia, Irak, Afghanistan... Was genau steckt dahinter, dass technisch und materiell eigentlich überlegene Armeen heute derart scheitern? Sie taten es ja früher (Zweiter Weltkrieg und früher) nicht - zumindest was das Erreichen ihrer Ziele betraf, nicht was die Schonung der Zivilisten anging.

Es scheint so, dass es nicht ausreicht, dass Politiker Gründe nennen für einen bewaffneten Einsatz im Ausland. Sind diese Gründe nicht stimmig, gar erlogen, oder überzeugen sie die Bevölkerung einfach nicht, dann scheint ein Militäreinsatz auf Dauer zum Scheitern verurteilt zu sein - wie auch immer hier genau die Wirkmechanismen aussehen. Vielleicht ist es das ungute Gefühl in der Bevölkerung, das die Medien im Lande veranlasst, den Dingen, die die Politiker und das Militär da anstellen, nicht genauer auf den Zahn zu fühlen. So kommt es beim Militär dann wegen der mangelnden öffentlichen Anteilnahme und Aufsicht zu Fehlplanungen, unzureichender Versorgung, fehlender Motivation, was wiederum alles zusammengenommen zu Fehlaktionen des Militärs und zu hohen Opfern unter den Zivilisten führt. Auch die Motivation der Politiker, andere Lösungen als militärische zu suchen, ist dann nicht ausgeprägt, denn die militärische Lösung erscheint auf den ersten Blick als einfacher als langwierige politische oder ökonomische oder soziale Lösungen und man hat ja seine Generäle, die versprechen, der Lage Herr zu werden. Wachsen die militärischen Schwierigkeiten, geben Politiker der Einfachheit halber gerne Durchhalteparolen aus. Es wird ja in der Öffentlichkeit eh nicht intensiver nachgefragt. Hören die Schwierigkeiten nicht auf, sind die Politiker an ihr Wort gefesselt. Würden sie ihre Meinung in Bezug auf militärische Lösungen ändern, gäben sie damit auch zu, zuvor geirrt zu haben, was nicht sein darf, weil damit ihr Ruf dahin wäre. Also übernehmen die militärischen "Technokraten" vollends das Zepter und die militärischen Fehlaktionen verbauen schließlich politische Lösungen immer mehr. Die ansteigende Gewalt als Reaktion auf die militärischen Fehlaktionen lässt dann wiederum nur noch mehr militärische Gewalt notwendig erscheinen als Reaktion. Der Teufelskreis ist da. Und irgendwann werden dann den Ländern, die ihre Armeen ins Ausland geschickt haben, die Kosten an Menschenleben zu hoch - sei es innerhalb ihres eigenen Militärs oder innerhalb der Zivilbevölkerung. Es geht diesen Ländern ja eben nicht um die Verteidigung des eigenen Landes und damit um einen Kampf auf Leben und Tod - anders also als bei den Allierten des Zweiten Weltkrieges.

Sicherlich sind die von mir angenommenen Ursachen für das Scheitern derartiger militärischer Aktionen nicht alle möglichen, denkbaren Gründe. Dass die technisch ach so hoch gerüsteten westlichen Armeen jedoch nicht mal eben einen ganzen Staat umkrempeln und befrieden können, das zumindest scheint mir offensichtlich zu sein.

Technorati-Tags: ,

Vorratsdatenspeicherung für Dummies

Vorratsdatenspeicherung.... Schon das Wort. Das versteht doch keiner.

Anders als bei alltäglichen Gesprächen im Freundeskreis, anders als bei Büchern, Fernsehsendungen oder Theaterbesuchen ist das Nichtverstehen in der Politik jedoch der Garant für den Erfolg! Wenn etwas nicht verstanden wird, besonders irgendwelche neuen Gesetze, dann ist der Erfolg, sprich die Verabschiedung des Gesetzes sicher. Keiner blickt durch, das Volk liebt weiterhin seine Regierung, alles ist gut.

Frau Zypries jedoch, derzeit (immer noch) Bundesjustizministerin, gibt die Spielverderberin. Wie ich erst jetzt las, versucht diese Frau immer wieder unnötiger Weise dem Volk klar zu machen, was das eigentlich ist, diese ominöse Vorratsdatenspeicherung. Siehe dazu den folgenden Satz in diesem Artikel bei Heise.de:

Generell ist der Ministerin nach künftig von den Anbietern sechs Monate zu speichern, "wer mit wem wann und beim Mobilfunk von wo aus telefoniert hat". Es gehe quasi um die Aufbewahrung des Briefumschlags zur Feststellung, wer Absender und Empfänger einer Telekommunikation sei. (Quelle. Direktlink zum Textauszug.)


Dieses Verhalten, das Spielen des "Erklärbären" also, ist für einen Politiker nicht ratsam. Stattdessen sollte man es machen wie Herr Dr. Schäuble, derzeit (schon wieder) Bundesinnenminister. Der erklärt seine diversen Forderungen und Gesetzesinitiativen nicht. Stattdessen sagt er schlicht bei wirklich jeder Gelegenheit, dass sowas wie beispielsweise die Online-Durchsuchung einfach total notwendig sei, lebensnotwendig gar. Also so wie Sauerstoff und Brötchen halt. Der deutsche Bürger betet seine Politiker an. Wenn Herr Schäuble sagt, dass das notwendig ist, dann ist das notwendig. Das Vertrauen in Politiker und Staat zeichnet den deutschen Bürger vor allen anderen Staatsangehörigen sonstwo auf der Welt aus. Durch diese besondere Qualität des deutschen Bürgers hätte es Deutschland ja fast einmal zur Weltmacht geschafft. In Deutschland geht es ordentlich zu. Auch Fehler machen deutsche Behörden nicht. Man kann ihnen einfach umfassend vertrauen. Datendiebstähle und Hacker-Einbrüche in die Datenbanken, so wie dies in den USA laufend geschieht - jüngst gerade wieder beim Departement of Homeland Security (da, wo beispielsweise auch die europäischen Flugpassagierdaten landen), das ist in Deutschland verboten und passiert deshalb nicht.

Statt also auf den braven Untertanengehorsam des Deutschen zu vertrauen und auf seine Denkfaulheit ("Politik? Eh, interessiert mich nicht..."), weckt Frau Zypries unnötiger Weise schlafende Hunde und vergreift sich mit schlecht ausgearbeiteten, missverständlichen Vergleichen bei dem Versuch, Gesetzesinitiativen zu erklären. Das kann nur schief gehen.

Da sagt die Frau also tatsächlich, dass bei der Vorratsdatenspeicherung der Telekommunikationsdaten in der Hauptsache nur das erhoben und gespeichert wird, was beispielsweise bei Briefen auf dem Briefumschlag stehen würde, also wer wem einen Brief schickt.

Tja. Und da fängt dann der normale Bürger an nachzudenken bei solchen unvollständigen Erklärungsversuchen und solchen Vergleichen. Liebe Frau Zypries, halten Sie lieber Ihren Mund. Alles, was Sie sagen, kann nämlich gegen Sie verwendet werden. Und wenn beim Bürger erstmal das Denken einsetzt... oh, oh.

Aber dafür gibt es ja mich und mein Weblog. Ich rette Sie, Frau Zypries. Ich bessere Ihren Patzer aus. Ich führe die Bürger wieder auf den rechten Gedanken-Pfad zurück.

Also, lieber Leser, gib fein acht: Das mit dem Briefumschlag stimmt so nicht ganz. Viel treffender wäre es, sich das mit der Vorratsdatenspeicherung so vorzustellen: Jedes Mal, wenn Sie, lieber Leser, einen Brief schreiben, würden Sie quasi nach Inkrafttreten der Vorratsdatenspeicherung außerdem immer eine kurze Notiz an Polizei, BKA und die Geheimdienste versenden müssen, wo Sie mitteilen, an wen sie gerade zu welcher Uhrzeit und an welchem Tag einen Brief geschrieben haben und wie lang der Brief ungefähr war (Angabe der Seitenanzahl genügt).

Da wird die Sache doch schon klarer.

Halt, eigentlich nicht. Denn wer schreibt heute noch Briefe? Es geht ja auch gar nicht um Briefe bei der Vorratsdatenspeicherung, sondern um Webseiten-Besuche, E-mails, Telefongespräche, Handy-Telefonate!

Deshalb: Nachdem Sie also demnächst Ihr Gespräch am Handy gemacht haben, bitte sofort danach immer bei der Polizei, beim BKA und bei den unterschiedlichen, zahlreichen Geheimdiensten (Landesverfassungsschutz, Bundesverfassungsschutz, BND und so weiter) anrufen und ihnen mitteilen, wen Sie gerade wie lange und von wo aus angerufen haben. Die speichern Ihre Daten dann (eigentlich werden sie bei den Providern gespeichert, können dort jedoch ohne Umstände jederzeit von Polizei, BKA etc. abgerufen werden) und überprüfen Sie und Ihre Daten gegebenenfalls, wenn diese Daten irgendwie Anlass zu irgendwelchen Verdachtsmomenten geben.

Und nein, komplizierte, langsame und nervende Anonymisierungsdienste brauchen Sie nach Einführung der Vorratsdatenspeicherung auch nicht mehr zu verwenden, denn Anonymisierungsdienste werden mit Einführung der Vorratsdatenspeicherung schlicht verboten.

Ist doch alles ganz einfach, diese Vorratsdatenspeicherung, oder? Von wegen Briefumschläge und so ein Kram...

Und das nächste Mal erkläre ich dann "Verdachtsmomente für Dummies - wann werde ich verdächtig und wie kann ich das vermeiden?"

Denn die erste Pflicht jedes Bürgers ist es, darauf zu achten, den wackeren Behörden unseres Landes keine unnötige Arbeit zu verursachen und ungerechtfertigt irgendwelchen Verdacht zu erzeugen. Ich werde dementsprechend das nächste Mal erläutern, wen Sie besser nicht anrufen, welche Webseiten Sie besser nicht besuchen, auf welcher E-mail-Liste Sie sich besser nicht eintragen sollten und wo Sie sich beim Telefonat mit dem Handy lieber nicht befinden sollten (Pakistan, Afghanistan, Tschetschenien, in der Nähe gewisser Hamburger Moscheen, am Flughafen "J. F. Kennedy" in New York...).

Also seien Sie gewiss: Vorratsdatenspeicherung ist gar nicht schlimm. Es reicht, sein Verhalten anzupassen und schon passiert einem auch nichts.

Ich suche übrigens auch noch einen Verleger für weitere, von mir geplante Texte. Geplant sind: "Videoüberwachung für Dummies - Was muss ich machen, um nicht von gierigen Augen des Überwachungspersonals unnötigerweise verfolgt zu werden?" (Langsam und ruhig gehen, auffällige Kleidung vermeiden, sich verhalten wie jeder andere...). Und: "Fingerabdruck im Personalausweis für Dummies - Wie vermeide ich das Besuchen heute noch unbekannter, zukünftiger Tatorte?" (Um nicht unnötiger Weise in Verdacht zu geraten mit meinen dort versehentlich hinterlassenen Fingerabdrücken...).

Technorati-Tags: , ,