(Via Schnüffelblog) Man könnte sagen: Ah ja, schon wieder ein Interview mit Schäuble. Schon wieder wiederholt er in den Medien nun schon zum dritten oder vierten Mal innerhalb weniger Tage seine altbekannten Forderungen nach mehr Überwachung und Onlinedurchsuchungen.
Falsch!
Schäuble sagt mitnichten immer das Gleiche. Aufgepasst! Genau hinhören, beziehungsweise lesen!
Schon vorgestern fiel mir auf, dass Schäuble neuerdings fordert, dass der Staat genau wissen müsse, was Verdächtige vorhaben. Hört sich harmlos an, oder? Ist es nicht. Ich hatte versucht, dies in meinem Weblog-Eintrag darzustellen.
Man stellt sich seit Hitler Leute, die die Abschaffung des Rechtsstaates fordern, als wild gestikulierende, laut rumbrullende Heinis mit Schnurrbart vor. Aber die wirklichen Gefahren kommen meist in unscheinbarem Gewand daher. So ist nicht umsonst die Tarnung und das Anschleichen bei vielen Raubtieren der Schlüssel zum Erfolg.
Schäuble tritt immer mit eleganter Nonchalance und leisem Tonfall auf. Er strahlt mit jeder Faser Gewissenhaftigkeit, Fleiß, Bedachtsamkeit und Verantwortungsgefühl aus. Nur manchmal, wenn er seinen politischen Gegnern ungeschminkt Ahnungslosigkeit, Dummheit und Hysterie vorwirft, verhärten sich seine Gesichtszüge und signalisieren: Widerspruch wird nicht geduldet!
Ja, der Mann ist gut. Gut in der Präsentation von politischen Ungeheuerlichkeiten, ohne dass die breite Masse anscheinend den Braten riecht. Als Finanzminister hätte Schäuble mit dieser Attitüde vermutlich jede Steuererhöhung ohne Probleme durchgedrückt - vermutlich indem er an die Opferbereitschaft appeliert hätte.
Schäubles jüngste Äußerungen offenbaren, dass Schäuble tatsächlich den Rechtsstaat abschaffen will. Er spricht davon, das Rechtssystem tief greifend zu ändern. Wohlgemerkt: Das Rechtssystem bezeichnet nicht ein oder zwei Gesetze, sondern die Grundlagen unseres Staates. Zur Zeit haben wir das Rechtssystem eines demokratischen Rechtsstaates, das auf dem Grundgesetz aufbaut. Eine Änderung dieses Systems kann somit nur eine Entfernung von diesem demokratischen Rechtsstaat bedeuten. Erneut hat Schäuble also seine Forderungen verschärft.
Das ist übrigens auch so eine interessante Strategie Schäubles: Erntet er mit seinen Vorschlägen Widerspruch, dann steckt er öffentlich nicht etwa zurück und versucht einen Kompromiss auszuhandeln, nein, er sattelt noch eins, ach was, zwei, drei, vier Dinge drauf und spricht schlicht davon, dass man mit ihm nicht verhandeln könne und holt sich von allen Seiten Unterstützung, sei es vom BKA-Chef Ziercke, von Freiberg, dem Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei, von Bosbach, Schönbohm, Schünemann, Beckstein und jetzt auch von Merkel und Verteidigungsminister Jung. Hier wird eine unüberwindbar erscheinende Front aufgebaut. Es wird deutlich: Schäuble ist die CDU, die CDU ist Schäuble. Schäuble erscheint unangreifbar. Schäuble vertritt so scheinbar die Mehrheitsmeinung. Das - und das immer umfangreichere Breittreten dieser Meinung in den Medien - macht Eindruck auf viele Wähler - ganz unabhängig vom Inhalt des Gesagten. Die CDU hatte mit dieser Strategie immer Erfolg bei mindestens der Hälfte der Wähler. Die CDU hat nicht deswegen politischen Erfolg, weil sie sich in politischen Diskussionen dank Argumenten als Sieger hervortut, sondern allein durch ihre zur Schau gestellte Dickfelligkeit und Bräsigkeit und den Anspruch, die Mehrheitsmeinung zu vertreten. Man schaue sich doch nur die erfolgreichsten CDU-Politiker an: Kohl, Merkel, Schäuble... Sturheit ist das Erfolgsrezept der CDU. Der Teil der Deutschen, der CDU wählt, macht sein Kreuz nicht deshalb bei dieser Partei, weil er zuvor überlegt hat, welches Programm ihm zusagt. Nein, ein CDU-Wähler horcht in sich hinein und erfühlt, welcher Kandidat bei ihm das Gefühl auslöst, dass ein Lehrer gegenüber seinen Schülern früher ausgelöst hat, ein Chef gegenüber seinen Angestellten, ein General gegenüber seinen Soldaten. Das muss dann der richtige Kandidat sein. Wer im CDU-Wähler nicht dieses Unterordnungsgefühl hervorruft, hat als Kandidat keine Chance. Der CDU-Wähler sucht eine Autoritätsperson. Nur diese erscheint ihm als geeignet für ein bedeutendes politisches Amt. Führen kann aus Sicht dieser Wähler nur, wer diesen Unterordnungsreflex beim Volk auszulösen vermag und vorgibt, die Mehrheitsmeinung zu repräsentieren. Und diejenigen, die sich nicht unterordnen wollen, der politische Gegner der CDU also, das sind Chaoten.
Schäuble erfüllt diese Qualitäten einer Autoritätsperson exzellent. Deshalb ist das, was er inhaltlich sagt, für die CDU-Anhänger gänzlich unbedeutend. Nur die blöden Sozis und die überflüssige Opposition regen sich mal wieder künstlich auf.
Es ist der nicht ausrottbare Untertanengeist, der Deutschland erneut in Gefahr bringen könnte. Auch die SPD war für den größten Teil der Deutschen erst wählbar, als sie in der ersten großen Koalition bewiesen hatte, dass sie nicht aus Chaoten bestand. In den 80iger Jahren übernahmen dann die Grünen die Rolle der angeblichen Chaoten. Heute ist es die Linkspartei. Das Spiel mit der Warnung vor den "roten Socken" zeigt dies. Es ist immer das gleiche Spiel mit der Sehnsucht der Deutschen nach einer edlen, nicht hinterfragbaren, guten Obrigkeit, der man vertrauen kann, ja vertrauen muss. Es gehört zur politischen, deutschen Un-Kultur und ist vermutlich ein Grund, warum man nirgends so sehr wie in Deutschland über die "chaotischen" Weblogs so sehr die Nase rümpft, warum viele aus nicht näher bestimmbaren Gründen - trotz einigermaßen materiellem Wohlstand und sozialer Sicherheit, trotz ansonsten beeindruckender Kultur und schöner Landschaft - Deutschland den Rücken zukehren und in die innere Emigration gehen oder tatsächlich auswandern. Es ist der Geist, an dem vermutlich Tucholsky und viele andere Intellektuelle in den dunkelsten Krisenzeiten verzweifelten. Man muss sich nur genau anschauen, was Schäuble fordert und es wird klar, dass es schlicht und einfach nicht seine Argumente sein können, die die Leute bewegen könnten, ihm zuzustimmen. So sagt Schäuble laut Nachrichtenagentur Reuters:
Zu den ungeklärten Fragen gehöre der Umgang mit Gefährdern, die als potenzielle Attentäter eingestuft würden, sich aber noch keines Verbrechens schuldig gemacht hätten, sagte Schäuble. (Quelle)
Meine Übersetzung der Schäubleschen Worte: Die Menschenrechte dieser verdächtigen Gefährder müssen eingeschränkt werden. Das passt zu dem, was ich
vorgestern schon schrieb.
Auch über das US-Gefangenenlager Guantanamo und den Begriff des "Kombattantenstatus" müsse eine Debatte geführt werden. "Die Unterscheidung zwischen Völkerrecht im Frieden und Völkerrecht im Krieg passt nicht mehr auf die neuen Bedrohungen", sagte Schäuble. (Quelle)
Soll heißen: Krieg und Frieden als gesonderte Zustände gelten in Zeiten des Terrorismus nicht mehr. Was vor allem wohl bedeutet, dass verdächtige Gefährder nicht nach dem normalen Recht behandelt werden sollen.
Mit Blick auf Deutschland forderte Schäuble erneut eine verfassungsrechtliche Grundlage für [...] den Einsatz der Bundeswehr gegen Bedrohungen aus der Luft. (Quelle)
Das Bundesverfassungsgericht hatte mit Blick auf die im Grundgesetz festgeschriebene unantastbare Menschenwürde das Abschießen von Passagierflugzeugen auf Verdacht hin untersagt. Schäuble müsste also an Artikel 1 des Grundgesetzes heran. Dieser darf jedoch laut Grundgesetz nicht geändert werden. Schäuble plant also tatsächlich die grundlegende Neuverfassung und damit Abschaffung des Grundgesetzes. Hätte er damit tatsächlich Erfolg, wäre die Bevölkerung laut Artikel 20 des Grundgesetzes dazu aufgerufen, Widerstand zu leisten. Die
CDU spielt mit dem Feuer. Wissentlich. Diese Partei verlässt gerade den Boden der Verfassung mit ihrer Unterstützung dieses Bundesinnenministers. Es zeigt sich: Die Chaoten sitzen heute in der
CDU.
Außerdem meint Schäuble laut Reuters:
Wenn dieser freiheitliche Verfassungsstaat nicht in der Lage ist, auch unter neuen Bedrohungen Sicherheit zu gewährleisten, ...läuft er in Zeiten der Krise Gefahr, die Legitimation in der Bevölkerung zu verlieren.
Der freiheitliche Verfassungsstaat hat - das steckt schon im Namen - die Aufgabe, die Freiheit zu sichern, nicht die hundertprozentige Sicherheit. Wenn die Deutsche Bevölkerung doch wieder lieber Ordnung und Sicherheit statt Freiheit will, bitte schön. Aber was das genau bedeutet, nämlich: fehlende Rechtssicherheit (der Staat bestimmt, wer verdächtig ist, bei wem also die Menschenwürde geachtet wird und bei wem nicht) und Einschränkungen im selbstbestimmten Leben (dank umfassender Überwachung und Kontrolle) - das sagt Schäuble wohlweislich nicht.
Focus berichtet darüber hinaus auch, dass Schäuble zudem gefordert hat, dass das Parlament keine Einblicke mehr bekommen dürfe in die Arbeit der Geheimdienste.
Dies würde auf eine eklatante Schwächung der Gewaltenteilung zwischen Exekutive (Regierung, Polizei, Geheimdienste) und
Legislative (Parlament) hinauslaufen. Die Gewaltenteilung ist jedoch das Rückgrat der Demokratie.
Aber Schäuble sagt das alles so bedächtig, bieder, leise, bestimmt, verantwortungsvoll... - so sehen doch keine Chaoten aus, die Grundgesetz, Rechtsstaat und Demokratie gefährden, nicht wahr?
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