Freitag, 15. Mai 2009

Deutsche Satireseite entfernt: Wie die Erbsünde namens "Störerhaftung" die Meinungsfreiheit bedroht

Screenshot der gelöschten Satirewebseite
Der Autor vom Blog Pantoffelpunk.de hatte eine satirische Webseite kreiert (siehe Screenshot oben, draufklicken zum Vergrößern), die eine Webseite des Bundesinnenministers nachahmte, um so die Politik der Bundesregierung zu hinterfragen. Die Satireseite wurde nun zwangsweise aus dem Internet entfernt. Inhalt der satirischen Auseinandersetzung war - ausgerechnet - die geplante Internetzensur in Deutschland. Die Webseite sollte die mögliche Sperrseite persiflieren, die demnächst Internetnutzer in Deutschland zu sehen bekommen, wenn sie auf unerlaubte Inhalte im Internet zugreifen wollen.

Die Webseite war meiner Meinung nach sofort als Satire zu erkennen. Aber meine Meinung interessiert nicht. Es interessiert hier nur, was das Bundesverwaltungsamt denkt. Das Bundesverwaltungsamt ist in Deutschland nämlich die Behörde, die bestimmt, was in Deutschland auf deutschen Internetseiten stehen darf und was nicht. Das könnte man zumindest aus diesem Vorgang des urplötzlichen Entfernens dieser Satireseite schließen.

Aber wie gesagt, meine Meinung ist unwichtig. Wichtig ist, dass alle anderen Personen der Bundesverwaltung glauben und ohne aufzumucken kuschen. So auch die Firma "Domainfactory GmbH", die die Satire-Webseite im Auftrag ihres Kunden hostete. Als die Firma eine Botschaft aus dem Heiligtum, sprich dem Bundseverwaltungsamt, bekam, kniete sie sofort in Ehrfurcht nieder und nahm ohne große Rücksprache mit ihrem Kunden die Satireseite vom Netz. Grund: Drohende Exkommunikation, also wortwörtlich übersetzt das "Aus der Kommunikation" für die ganze Firma und viele unbeteiligte andere Kunden der Firma wegen Verstoßes gegen das mystische Gesetz der "Störerhaftung". Es drohte - so teilt die Firma mit - dass viele ihrer Server beschlagnahmt werden könnten, mit negativen Auswirkungen für viele andere Kunden. Und das vermutlich nur, weil auf der Satireseite das Hoheitszeichen des Bundesinnenministeriums verwendet wurde. Ein äußerst übles Vergehen, in der Tat. Deshalb wurde ja auch das Satiremagazin "Titanic" nach Veröffentlichung eines ähnlichen Hoheitszeichens (via Kommentar bei Pantoffelpunk.de) dicht gemacht und durch einen Klon ersetzt, der - wie ja jeder weiß - in Wirklichkeit vom Bundesinnenministerium betrieben wird. Denke ich.

Noch einmal zurück zu der Wortmeldung der Domainfactory GmbH: Domainfactory hat also Angst, dass ihre Server (und damit die Webseiten von zig anderen Kunden) dicht gemacht werden, wenn sie der Bitte des Bundesverwaltungsamtes nicht nachkommen, den inkriminierten Inhalt auf dieser einen Internetseite von einem einzigen Kunden vom Netz zu nehmen. Das nenne ich mal eine Störerhaftung! Oder korrekter ausgedrückt: Das nenne ich mal eine Angst vor einer Störerhaftung!

Die Störerhaftung ist mit der Erbsünde vergleichbar. Man muss selbst nichts getan haben, kommt aber trotzdem in die Hölle. Eine sehr sinnvolle Einrichtung. Vor allem, um Ruhe und Ordnung aufrecht zu erhalten. Denn nichts ist wirksamer zur Aufrechterhaltung des Status Quo, also des ungestörten Regierens und Schaltens und Waltens - ob in Kirche oder Staat - wenn die Untergebenen jederzeit Strafe fürchten müssen, selbst dann, wenn sie immer brav und lieb waren.

Es gibt natürlich Heretiker, also manche Theologen und Juristen, die die allgemeine Wirksamkeit von Erbsünde und Störerhaftung in Frage stellen und das Vorgehen des Bundesverwaltungsamtes und/oder die Reaktion der Firma "Domainfactory GmbH" aufs Schärfste verurteilen und dem von dieser neuartigen Zensur betroffenen Autor der Satireseite dringend raten, entweder gegen die Firma oder vielleicht auch gegen das Bundesverwaltungsamt juristisch vorzugehen.

Aber welcher Gläubige möchte sich schon mit seiner Kirche anlegen? Das kostet Nerven, Zeit und Geld. Es ist einfacher, drei Ave-Marias zu beten und zu geloben, die anstößigen Inhalte in Zukunft nicht mehr ins Internet zu stellen. Das sage ich ohne Vorwurf an den Macher von Pantoffelpunk.de. Auch gegenüber der Hosting-Firma kann man eigentlich nur Mitleid haben. Wer würde nicht ähnlich handeln? Ich beispielsweise blogge nur anonym und auf einem Server in einem Land, in dem die Meinungsfreiheit noch keine Lachnummer ist - und das mache ich genau aus dem Grund, weil ich keine Zeit und keine Ressourcen hätte, um bei jedem Pups, den ich hier im Weblog erzeuge und irgendwem als übelriechend in die Nase steigen könnte, die Geldbörse zu lüften.

Die Sperrung des Kundenaccounts von "Pantoffelpunk" und die Löschung gleich der gesamten Domain ohne vorherige Meldung an den Kunden Pantoffelpunk (so stellt Pantoffelpunk zumindest den Vorgang dar) kann ich nur als absolut unverhältnismäßige Überreaktion des Hosting-Providers bezeichnen. Aber diese Überreaktion macht gleichzeitig auch die Angst der Hosting-Firma deutlich und diese wiederum die nicht akzeptable unklare Rechtslage in Deutschland zur Frage der Störerhaftung.

Die Meinungsfreiheit im Internet in Deutschland ist faktisch tot. Sie steht zwar noch im Grundgesetz, aber man kann sie nicht mehr praktizieren, ohne genug Geld und Zeit zu haben, um dem Risiko des Abmahnwesens und der Störerhaftung mutig entgegen zu treten.

Satire lebt von der Übertreibung, Verfälschung und Imitation. Es ist wahnwitzig, genau diese Kennzeichen der Satire mit Strafandrohung zu belegen und die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Satire in die Hände einer Firma zu legen, deren Aufgabe alleine die technische Bereitstellung von Internetseiten ist. Das oben geschilderte Beispiel zeigt, dass schon alleine die Drohung reicht - sei sie auch noch so hanebüchen - um einzuschüchtern und Kritik in Deutschland zu töten.

Und auch hier kann man wieder beobachten, wie die etablierten deutschen Medien diesen Vorfall eben gerade nicht zum Anlass nehmen, um über die skandalöse Gesetzeslage in Deutschland, über die Unzulänglichkeiten der Störerhaftung, des Telemediengesetzes und des Abmahnwesens zu berichten. Ich behaupte: Die deutschen Medien schweigen hier größtenteils ganz bewusst. Blogger sehen sie nur als Konkurrenten. Sie selbst jedoch sind dank Rechtsabteilung nicht zu beeindrucken durch die unklare Gesetzeslage in Deutschland oder nutzen diese unklare Rechtslage selbst schamlos aus, um Kritiker mundtot zu machen. Warum, so wird man sich in den deutschen Medienhäusern fragen, also einen Finger rühren für diese Blogger?

Nachtrag: Zumindest Zeit.de berichtet jetzt ausführlich über den Vorfall: Internetsperren: Verstehen Sie Spaß, Herr Schäuble? (Zeit.de)

Zitat:

Der Fall zeigt, welchen Einfluss der Staat schon jetzt auf Provider hat. Rechtlich ist weder dem Provider noch dem BVA ein Vorwurf zu machen, auch wenn die Grundlage, auf die sich das Schreiben stützt, dünn ist. Allerdings dürfte das Prozedere all jenen als Bestätigung dienen, die befürchten, Sperrlisten für Kinderpornografie-Seiten seien nur der Wegbereiter für eine Zensur unliebsamer Inhalte. (Quelle: Zeit.de)

Sonntag, 10. Mai 2009

Politiker-Gelaber in der ARD-Tagesschau

Es gibt in Deutschland keine Fernsehnachrichten-Sendungen, die dem Zuschauer wichtige Hintergrundinformationen liefern. Fernsehnachrichten bieten hierzulande nur immer einen kurzen Überblick über das, was allgemein als die drei bis fünf wichtigsten Themen des Tages gelten - plus Lottozahlen, Fußball und Wetter.

Am Ende weiß der Zuschauer meist nur eines: dass die Welt glücklicherweise doch noch nicht untergegangen ist. Das hätte er jedoch auch durch einen Blick aus dem Fenster in Erfahrung bringen können.

Dieser Zustand der Fernsehnachrichten ist nicht gottgegeben. Fernsehnachrichten müssen nicht so sein. Ich möchte dies anhand eines Beispiels deutlich machen.

Dazu nehme ich folgende, reale Meldung der ARD-Tagesschau von heute, Stand 19:45 Uhr:

Screenshot von Tagesschau.de mit Foto von Merkel und Karsai
Deutschland unterstützt afghanische Polizeiausbildung: Mehr Sicherheit in kürzerer Zeit (Tagesschau.de)

Beginnen wir mit einer kurzen Inhaltsanalyse der Meldung. Hier fällt als erstes auf, dass die Überschrift aus der in der Meldung beschriebenen Ankündigung Merkels, Afghanistan in Zukunft stärker zu helfen, bereits ein "Mehr Sicherheit in kürzerer Zeit" macht. Aus der Ankündigung Merkels, etwas machen zu wollen, wird also in der Überschrift bereits die Gewissheit, dass dies tatsächlich zu mehr Sicherheit führen wird.

Gut, griffige Überschriften zu finden, ist nicht einfach. Seien wir also nicht zu kleinlich und übersehen wir an dieser Stelle einmal die Vermischung von Regierungswunschdenken und harter Realität.

Das Problem ist nur, dass der weitere Text - immerhin die Hauptnachricht heute bei Tagesschau.de - insgesamt nicht viel mehr bietet als eben die Wiederholung des Wunschdenkens der Regierung.

Der Artikel schildert folglich im weiteren Verlauf nur, wie Merkel die Welt sieht:

1.) Es werde eine deutliche Beschleunigung der Polizeiausbildung geben.
2.) Es habe in den vergangenen Monaten und Jahren in Afghanistan erhebliche Fortschritte gegeben.
3.) Karsai lobte die deutsche Unterstützung.
4.) Deutschland tue, was es kann, so Merkel weiter.
5.) Die Zusammenarbeit mit den afghanischen Stellen sei eng.

Ingesamt wird in dem Text ganze vier Mal wiederholt, dass Merkel allgemein erhebliche Erfolge in Afghanistan sehe. Der Artikel enthält hingegen keine Informationen, die Merkels Einschätzungen bezüglich Afghanistan in Frage stellen.

Als weitere "Information" berichtet Tagesschau.de schließlich noch, dass Merkel und Karsai über Pakistan geredet hätten und dass es irgendwelche, nicht näher bezeichneten Stabilitätsprobleme in Pakistan geben würde.

Der Leser bekommt also in dem Artikel keine Hintergrundinformationen geboten. Was für Hintergrundinformationen zu welchen Fragen wären denn möglich gewesen? Wo hätten sich Ansatzpunkte für Hintergrundinfos im Artikel geboten? Hier ein paar bescheidene Vorschläge dazu von mir:

Zu 1.) Warum ist eine Beschleunigung der Polizeiausbildung überhaupt notwendig? War sie bislang nicht schnell genug? Wenn ja, warum nicht? Hier wäre beispielsweise ein Hinweis angebracht gewesen, dass die USA Deutschland kritisiert hatten wegen der schlampig ausgeführten Polizeiausbildung. Der Leser hätte hier erfahren können, dass es in der Vergangenheit Versäumnisse der deutschen Regierungen gab.

Zu 2.) Welche Fortschritte genau könnte Merkel gemeint haben? Wenn den berichtenden Journalisten hier dazu nichts eingefallen wäre, hätten sie die Aussagen Merkels vielleicht ergänzen sollen durch kritische Äußerungen gegenüber der Regierungspolitik. Wenn es dazu aktuell von heute noch keine Statements gab, beispielsweise von der Opposition, hätte man sicherlich im Archiv dazu etwas gefunden. Es geht ja um angebliche Fortschritte in den vergangenen Monaten und Jahren.

Zu 3.) Dass Karsai Deutschland lobt, liest man schon seit Jahren. Komisch ist nur, dass die Lage in Afghanistan immer noch nicht besser ist. Hatte Karsai tatsächlich nur Lob für Deutschland? Er mag öffentlich heute vielleicht nur Lob geäußert haben. Wie aber sieht das "im Umfeld" von Karsai aus? Was wird in afghanischen Kreisen "unter der Hand" gesagt über Deutschland? Wie war das in der Vergangenheit? Gab es nie Kritik von Karsai? Wäre es nicht interessant gewesen, Karsais Lob etwas einzuordnen? Hat es tatsächlich Substanz? Wenn nicht, warum wird es dann überhaupt berichtet?

Zu 4.) Aus dem Satz Merkels, dass Deutschland tue, was es tun kann, könnte man journalistisch viel rausholen. Man könnte betonen, dass Merkel also ein weiteres Engagement in Afghanistan ablehnt. Und dann die Frage anschließen, ob das die richtige Strategie ist. Oder man könnte fragen, warum man diese Aussage ("tun, was wir können") schon früher hörte, es aber früher offenbar nicht gestimmt hat, weil ja nun die Polizeiausbildung doch noch einmal erheblich beschleunigt werden soll.

Zu 5.) Wie sieht solch eine enge Zusammenarbeit eigentlich aus? Was bedeutet diese Aussage über die "enge Zusammenarbeit" im Detail?

Wie hätte man also den Artikel anders aufziehen können? Auch hier möchte ich mich nicht auf faules Kritisieren beschränken, sondern einen Gegenentwurf präsentieren - natürlich mit inhaltlichen Leerstellen, weil ich kein Journalist bin und keine Ressouren habe, hier eine ausgewachsene Afghanistan-Meldung selbst zu verfassen:

"Nach heftiger Kritik aus den USA an Deutschlands bisherigem Engagement bei der Polizeiausbildung in Afghanistan, versicherte Merkel heute in einem Gespräch mit dem afghanischen Präsidenten Hamid Karsai, dass man Deutschlands Bemühungen nun verstärken wolle. Merkel äußerte entgegen der Meinung zahlreicher Experten, dass es in Afghanistan in den letzten Monaten und Jahren erhebliche Fortschritte gegeben habe. [Hier Expertenmeinung oder Meinung der Opposition einfügen...] Karsai dankte Merkel für ihre Zusagen. Merkel erklärte, dass Deutschland tue, was es könne. Deutschland scheint also nicht bereit zu sein, sich in Zukunft noch mehr in Afghanistan zu engagieren. [Hier Meinungen oder Analysen einfügen, die diese Haltung Merkels problematisieren.] Merkel betonte außerdem, dass die Zusammenarbeit mit den afghanischen Stellen eng sei. Wie wir auf Nachfrage im Kanzleramt erfuhren, bezog Merkel diese Aussage auf [hier Details dazu einfügen und eventuell auch diese Details hinterfragen oder hinterfragen lassen...]."

Man hätte natürlich auch gänzlich anders vorgehen können und gar nicht so sehr die Tatsache, dass Karsai bei Merkel war, in den Vordergrund stellen müssen. Sondern man hätte schlicht den Besuch Karsais zum Anlass nehmen können, beispielsweise über die deutsche Polizeiarbeit in Afghanistan kritisch zu berichten. Ohne jegliche weitere Erwähnung und ohne weiteres Zitieren und Eingehen auf den Eigenlob-Gesang Merkels. Diese Art der Berichterstattung findet man meiner Beobachtung nach oft in den amerikanischen TV-Fernsehnachrichten der gehobeneren Qualität.

Aber das hätte alles natürlich Arbeit gemacht für die Tagesschau-Mitarbeiter. Und eine derart mit Hintergrundinformationen und Regierungskritik durchsetzte Berichterstattung hätte eventuell zu Verstimmungen auf Regierungsseite geführt - also zu Verstimmungen bei beiden großen Parteien. Und Verstimmungen in beiden großen Parteien zu erzeugen, ist für eine Nachrichtensendung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in Deutschland vielleicht nicht mehr möglich, weil die Parteien inzwischen zu großen Einfluss haben könnten auf die redaktionelle Arbeit.

Fazit: Die Tagesschau ist - aus welchen Gründen auch immer - in ihrer jetzigen Form schlicht überfordert damit, dem Zuschauer relevante Informationen über das Tagesgeschehen zu präsentieren. Stattdessen gibt es in der Tagesschau häufig nur das Abspulen von leer im Raum hängendem Politiker-Selbstdarstellungs-Gelaber. Die ARD (aber auch das ZDF) gestalten ihre Fernsehnachrichten somit nicht im Sinne der Zuschauer. Stattdessen beliefern sie den Zuschauer - wie in dem oben kritisierten Tagesschau-Artikel - oftmals nur mit reiner Regierungspropaganda.