Deutsche Satireseite entfernt: Wie die Erbsünde namens "Störerhaftung" die Meinungsfreiheit bedroht
Der Autor vom Blog Pantoffelpunk.de hatte eine satirische Webseite kreiert (siehe Screenshot oben, draufklicken zum Vergrößern), die eine Webseite des Bundesinnenministers nachahmte, um so die Politik der Bundesregierung zu hinterfragen. Die Satireseite wurde nun zwangsweise aus dem Internet entfernt. Inhalt der satirischen Auseinandersetzung war - ausgerechnet - die geplante Internetzensur in Deutschland. Die Webseite sollte die mögliche Sperrseite persiflieren, die demnächst Internetnutzer in Deutschland zu sehen bekommen, wenn sie auf unerlaubte Inhalte im Internet zugreifen wollen.
Die Webseite war meiner Meinung nach sofort als Satire zu erkennen. Aber meine Meinung interessiert nicht. Es interessiert hier nur, was das Bundesverwaltungsamt denkt. Das Bundesverwaltungsamt ist in Deutschland nämlich die Behörde, die bestimmt, was in Deutschland auf deutschen Internetseiten stehen darf und was nicht. Das könnte man zumindest aus diesem Vorgang des urplötzlichen Entfernens dieser Satireseite schließen.
Aber wie gesagt, meine Meinung ist unwichtig. Wichtig ist, dass alle anderen Personen der Bundesverwaltung glauben und ohne aufzumucken kuschen. So auch die Firma "Domainfactory GmbH", die die Satire-Webseite im Auftrag ihres Kunden hostete. Als die Firma eine Botschaft aus dem Heiligtum, sprich dem Bundseverwaltungsamt, bekam, kniete sie sofort in Ehrfurcht nieder und nahm ohne große Rücksprache mit ihrem Kunden die Satireseite vom Netz. Grund: Drohende Exkommunikation, also wortwörtlich übersetzt das "Aus der Kommunikation" für die ganze Firma und viele unbeteiligte andere Kunden der Firma wegen Verstoßes gegen das mystische Gesetz der "Störerhaftung". Es drohte - so teilt die Firma mit - dass viele ihrer Server beschlagnahmt werden könnten, mit negativen Auswirkungen für viele andere Kunden. Und das vermutlich nur, weil auf der Satireseite das Hoheitszeichen des Bundesinnenministeriums verwendet wurde. Ein äußerst übles Vergehen, in der Tat. Deshalb wurde ja auch das Satiremagazin "Titanic" nach Veröffentlichung eines ähnlichen Hoheitszeichens (via Kommentar bei Pantoffelpunk.de) dicht gemacht und durch einen Klon ersetzt, der - wie ja jeder weiß - in Wirklichkeit vom Bundesinnenministerium betrieben wird. Denke ich.
Noch einmal zurück zu der Wortmeldung der Domainfactory GmbH: Domainfactory hat also Angst, dass ihre Server (und damit die Webseiten von zig anderen Kunden) dicht gemacht werden, wenn sie der Bitte des Bundesverwaltungsamtes nicht nachkommen, den inkriminierten Inhalt auf dieser einen Internetseite von einem einzigen Kunden vom Netz zu nehmen. Das nenne ich mal eine Störerhaftung! Oder korrekter ausgedrückt: Das nenne ich mal eine Angst vor einer Störerhaftung!
Die Störerhaftung ist mit der Erbsünde vergleichbar. Man muss selbst nichts getan haben, kommt aber trotzdem in die Hölle. Eine sehr sinnvolle Einrichtung. Vor allem, um Ruhe und Ordnung aufrecht zu erhalten. Denn nichts ist wirksamer zur Aufrechterhaltung des Status Quo, also des ungestörten Regierens und Schaltens und Waltens - ob in Kirche oder Staat - wenn die Untergebenen jederzeit Strafe fürchten müssen, selbst dann, wenn sie immer brav und lieb waren.
Es gibt natürlich Heretiker, also manche Theologen und Juristen, die die allgemeine Wirksamkeit von Erbsünde und Störerhaftung in Frage stellen und das Vorgehen des Bundesverwaltungsamtes und/oder die Reaktion der Firma "Domainfactory GmbH" aufs Schärfste verurteilen und dem von dieser neuartigen Zensur betroffenen Autor der Satireseite dringend raten, entweder gegen die Firma oder vielleicht auch gegen das Bundesverwaltungsamt juristisch vorzugehen.
Aber welcher Gläubige möchte sich schon mit seiner Kirche anlegen? Das kostet Nerven, Zeit und Geld. Es ist einfacher, drei Ave-Marias zu beten und zu geloben, die anstößigen Inhalte in Zukunft nicht mehr ins Internet zu stellen. Das sage ich ohne Vorwurf an den Macher von Pantoffelpunk.de. Auch gegenüber der Hosting-Firma kann man eigentlich nur Mitleid haben. Wer würde nicht ähnlich handeln? Ich beispielsweise blogge nur anonym und auf einem Server in einem Land, in dem die Meinungsfreiheit noch keine Lachnummer ist - und das mache ich genau aus dem Grund, weil ich keine Zeit und keine Ressourcen hätte, um bei jedem Pups, den ich hier im Weblog erzeuge und irgendwem als übelriechend in die Nase steigen könnte, die Geldbörse zu lüften.
Die Sperrung des Kundenaccounts von "Pantoffelpunk" und die Löschung gleich der gesamten Domain ohne vorherige Meldung an den Kunden Pantoffelpunk (so stellt Pantoffelpunk zumindest den Vorgang dar) kann ich nur als absolut unverhältnismäßige Überreaktion des Hosting-Providers bezeichnen. Aber diese Überreaktion macht gleichzeitig auch die Angst der Hosting-Firma deutlich und diese wiederum die nicht akzeptable unklare Rechtslage in Deutschland zur Frage der Störerhaftung.
Die Meinungsfreiheit im Internet in Deutschland ist faktisch tot. Sie steht zwar noch im Grundgesetz, aber man kann sie nicht mehr praktizieren, ohne genug Geld und Zeit zu haben, um dem Risiko des Abmahnwesens und der Störerhaftung mutig entgegen zu treten.
Satire lebt von der Übertreibung, Verfälschung und Imitation. Es ist wahnwitzig, genau diese Kennzeichen der Satire mit Strafandrohung zu belegen und die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Satire in die Hände einer Firma zu legen, deren Aufgabe alleine die technische Bereitstellung von Internetseiten ist. Das oben geschilderte Beispiel zeigt, dass schon alleine die Drohung reicht - sei sie auch noch so hanebüchen - um einzuschüchtern und Kritik in Deutschland zu töten.
Und auch hier kann man wieder beobachten, wie die etablierten deutschen Medien diesen Vorfall eben gerade nicht zum Anlass nehmen, um über die skandalöse Gesetzeslage in Deutschland, über die Unzulänglichkeiten der Störerhaftung, des Telemediengesetzes und des Abmahnwesens zu berichten. Ich behaupte: Die deutschen Medien schweigen hier größtenteils ganz bewusst. Blogger sehen sie nur als Konkurrenten. Sie selbst jedoch sind dank Rechtsabteilung nicht zu beeindrucken durch die unklare Gesetzeslage in Deutschland oder nutzen diese unklare Rechtslage selbst schamlos aus, um Kritiker mundtot zu machen. Warum, so wird man sich in den deutschen Medienhäusern fragen, also einen Finger rühren für diese Blogger?
Nachtrag: Zumindest Zeit.de berichtet jetzt ausführlich über den Vorfall: Internetsperren: Verstehen Sie Spaß, Herr Schäuble? (Zeit.de)
Zitat:
Der Fall zeigt, welchen Einfluss der Staat schon jetzt auf Provider hat. Rechtlich ist weder dem Provider noch dem BVA ein Vorwurf zu machen, auch wenn die Grundlage, auf die sich das Schreiben stützt, dünn ist. Allerdings dürfte das Prozedere all jenen als Bestätigung dienen, die befürchten, Sperrlisten für Kinderpornografie-Seiten seien nur der Wegbereiter für eine Zensur unliebsamer Inhalte. (Quelle: Zeit.de)