Samstag, 25. November 2006

Online ohne Airbag

Es sind gerade die 50iger und 60iger Jahre des Internets.

Vergleicht man die Technik und die Nutzung des Internets mit der Entwicklung des Automobils, dann befinden wir uns gerade in den 50iger oder 60iger Jahren des letzten Jahrhunderts: Damals füllten sich die Straßen und jeder schaffte sich ein Auto an. Heute ist seit Kurzem jeder im Internet. Damals entstand ein neues Lebensgefühl durch die mobile Freiheit und heute ein neues Lebensgefühl durch die Kommunikations- und Informationsfreiheit.

Worin sich die Autos der 50iger und 60iger Jahre und die heutige Nutzung des Internets auch ähnlich sind: Die fehlende Sicherheit.

Es gab keine Airbags und das Anlegen des Sicherheitsgurtes war noch nicht Pflicht. Einher ging dies mit einer weitgehenden Ignoranz in der Bevölkerung für die Gefahren des Autoverkehrs. Die Zahl der Verkehrstoten ist heute immer noch viel zu hoch, aber damals war sie - vor allem relativiert an der noch nicht ganz so hohen Verkehrsdichte - um ein Vielfaches höher.

Und heute sind die Leute im Internet ohne Airbag und Sicherheitsgurt unterwegs. Nein, ich meine jetzt nicht (nur) die fehlende Sicherheit bei manchen Betriebssystemen oder Browsern, sondern eher diese Leichtsinnigkeit, überall seine Daten preiszugeben.

Bei Kontaktanzeigen in Zeitungen gab (gibt es doch auch immer noch, oder?) es diese Chiffre-Anzeigen. Heute jedoch veröffentlicht jeder bedenkenlos bei Kontaktbörsen wie StudiVZ seine Adressdaten. Und einmal veröffentlicht, können sie im Internet auf ewig verbleiben. Selbst wenn der Nutzer sie wieder löscht, besteht die hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Daten inzwischen auch woanders hin kopiert wurden, von Cache-Diensten gespeichert wurden und auf Anfragen in Suchmaschinen wieder auftauchen.

Das wäre alles vielleicht noch nicht das große Problem, wenn es nicht Menschen gibt, die nerven, die nicht ganz richtig ticken oder die gar gezielt Böses vorhaben. Bei Millionen von Menschen im Internet ist es folglich nicht unwahrscheinlich, Opfer solcher Personen zu werden:

Bei mir haben seltene, aber regelmäßig wiederkehrende Kontaktversuche eines einzelnen Mannes, mit dem ich nichts zu tun haben wollte, schon dazu geführt, dass ich über einen Umzug nachgedacht habe. Wegen eines generell merkwürdigen Gefühls, weil ich mitbekommen hatte, dass er zu Brutalität neigt, und weil er leider meine Adresse hatte. Davor hatte ich auch mal geglaubt, dass Belästigungen eine Art Luxusproblem besonders attraktiver Frauen seien und gar nicht weiter schlimm. (Quelle)


Das sind die Worte von "Amelia" in einem Kommentar bei Blogbar.de. Dort geht es um die Folgen des ungeschützten Datenverkehrs in Form eines wilden Adresstausches unter Studenten oder ehemaligen Studenten bei diesem nun bereits ca. eine Millionen Mitglieder umfassenden StudiVZ.

Die eigenen Adressdaten in der Hand von Millionen von Menschen (sprich: im Internet) in Verbindung mit Fotos oder Äußerungen (also im Gegensatz zu einem stinknormalen Adress- oder Telefonbuch) von einem selbst können zur Gefahr werden. Es muss dann nicht an einem selbst liegen, an dem wie man auftritt und was man sagt, ob einem was passiert. Verrückte können in jedem Wort, was man sagt, irgendwas erkennen, was sie derart nervt oder anturnt, dass sie am nächsten Tag vor der Wohnungstür stehen.

Die Bundesregierung stört dies nicht. Im Gegenteil. In Zukunft sollen bekanntlich auch Weblogs im Zweifelsfall einer Impressumspflicht unterliegen dank neuem Telemediengesetz (Telepolis.de: Journalistisch anmutende Nachrichtenblogs).

Ich werde auch weiterhin mit dem Airbag der Anonymität oder zumindest Pseudonymität unterwegs sein. Einen Zusammenstoß mit deutschen Rechtsbehörden deswegen fürchte ich weniger als einen Datenunfall, bei dem ich als Privatperson ohne kommerzielle Interessen wegen ein wenig Geschriebenem im Internet die Zugangsdaten zu meiner physikalisch-biologischen Existenz Millionen von Menschen ausliefere.

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Erzeugt Demokratie Feigheit?

Wolfgang Sofsky in KulturzeitDie Sendung "Kulturzeit" von 3Sat interviewte den Soziologen und Autor Wolfgang Sofsky: Aus Angst wie gelähmt - Der Soziologe Wolfgang Sofsky kritisiert die Feigheit der Deutschen (3Sat.de: Kulturzeit)

Sofsky beschreibt Feigheit als gesellschaftliches Phänomen, als Hemmschuh unserer Entwicklung. Für ihn ist Feigheit "ein Zustand tiefster Unfreiheit. Sie liefert den Menschen der Angst aus. Wer die Courage diffamiert, rechtfertigt das Zwangsgehäuse der Angst". (Kulturzeit über Sofsky)
Sofsky meint außerdem, dass über Deutschland die Feigheit wie ein Mehltau liege und alle gesellschaftlichen Bereiche negativ beeinflusse: Außenpolitik, Militärpolitik, Sozialpolitik, es beträfe die Wissenschaften und auch die Verwaltung.

Man spürt: Der Mann hat doch irgendwie Recht, oder?

Vielleicht!

Seinen Satz, dass Feigheit Zeichen der Unfreiheit ist, sollte man sich an die Wand nageln, so kurz und treffend ist er. Feigheit ist somit nicht etwas, was man moralisch entrüstet mit Aufforderungen wie "Sei doch nicht so feige, du Schwein!" bekämpfen kann. Das wäre so, als ob man einem Gefangenen zurufen würde: "Du Stubenhocker! Geh doch endlich mal an die frische Luft!".

Die weitergehende Aussage und Analyse jedoch, dass es in Deutschland hakt, dass an vielen Stellen alles schwerfällig läuft, dass der Schutz von Werten durch die Politik nur allzuoft nicht im ausreichenden Maße umgesetzt wird, ist so richtig wie bekannt. Aber liegt es wirklich an einer allgemeinen Feigheit, dass dem so ist? Wenn ja: Woher stammt dann diese Feigheit, woher stammt also die erlebte Unfreiheit der Menschen? Das wäre für mich die spannende Frage, denn daraus eröffnen sich womöglich Lösungen.

Sofsky scheint die Feigheit als gottgegeben hinzunehmen. Zumindest aber als unabänderlich. So konstatiert er, dass die Demokratie die Feigheit unmöglich eindämmen könne, denn in der Demokratie müssten die Politiker tun, was das Volk will und das Volk sei nunmal feige. Punkt.

Zumindest braucht man also von Sofsky keine Ruckrede à la Küchenpsychologe Roman Herzog zu erwarten. Das ist schon mal was. Aber worauf will Sofsky hinaus? Argumentiert er etwa gegen die Demokratie? Ich hoffe und denke nicht. Er lässt die Frage, woher die Feigheit genau kommt und wie man sie bekämpfen könnte, wohl offen. Zumindest dem Bericht von Kulturzeit nach.

Mich interessiert aber, wie man gegen diese Feigheit angehen kann. Hier eine Idee dazu:

Feigheit ist das Gegenteil von Verantwortungsgefühl. Verantwortungsgefühl kann aber nur entstehen, wenn man Verantwortung zugestanden bekommt. Das ist eine ganz klare Erkenntnis, die jeder Pädagoge und Psychologe bestätigen wird. Es ist zwar nicht zwingend so, dass jeder, der Verantwortung hat, auch mit Verantwortungsgefühl gesegnet ist, aber ohne Verantwortung kann es kein Verantwortungsgefühl geben.

Könnte es also sein, dass die Feigheit der Deutschen in einem fehlenden Verantwortungsgefühl gegenüber der Gesellschaft beruht? Und könnte es also sein, dass diese Feigheit bekämpft werden könnte, wenn man dem Volk mehr direkte Einflussmöglichkeiten bei politischen Entscheidungen zugestehen würde? Wer weiß, dass er Einfluss hat, nutzt ihn auch. Wer weiß und erlebt, dass er mit z.B. Volksabstimmungen auf Bundesebene die Politik stark beeinflussen kann, der wird anfangen, sich Gedanken zu machen über Problemlösungen, richtige Strategien, der wird Politikern und Experten zuhören, der wird auch anschließend möglicherweise unbequeme Entscheidungen mittragen, weil er im vorherigen Prozess des Auseinandersetzens mit den Alternativen erkannt haben könnte, dass die schmerzhafte Lösung immer noch die beste ist.

Heute ist der politische Einfluss der Bürger in Deutschland stark begrenzt. Z.B. im Vergleich zur Schweiz. Ich fordere also schlicht mehr direkte Demokratie. Sie würde das Verantwortungsgefühl wecken. Die Leute würden einen Machtzuwachs spüren. Machtzuwachs ist auch mit Lust verbunden. Das schafft Motivation sich politisch zu informieren, teilzunehmen und Verantwortung zu übernehmen. Die "deutsche Quengelei" (Sibylle Berg in einem lesenswerten Interview in der Netzeitung), dass die da oben es endlich mal machen sollen, würde abnehmen.

Die Leute, die argumentieren, dass die Deutschen für mehr direkte Demokratie nicht reif seien, hören sich für mich wie die alten Herren an der Spitze Chinas oder die Machthaber im Kreml an, die auch behaupten, dass ihr Volk nicht reif sei für eine "ungelenkte" Demokratie. Lachhaft.

Wolfgang Sofsky ist und bleibt ein interessanter und hörens- und lesenswerter Beschreiber dessen, was ist. Z.B. hinsichtlich seiner genauen Beschreibung der unterschiedlichen Typen von Gewalt. Über Sofskys Buch "Zeiten des Schreckens. Amok, Terror, Krieg" findet sich z.B. eine aussagekräftige Rezension bei Ultimo-Bielefeld.de im Netz: Handgreifliche Nähe - Wolfgang Sofksy erklärt, warum wir die Gewalt lieben.
Aber es bräuchte eine verstärkte Diskussion darüber, ob es nicht wirklich jenseits dämlicher "Ruck-Reden" Mittel und Wege gibt, den "Mehltau" über der deutschen Gesellschaft zu beseitigen. Den Anschub dieser Diskussion darf man allerdings nicht von den Politikern, den Medien oder gar von der Wirtschaft erwarten. Diese sind daran interessiert, die bestehenden Verhältnisse so zu belassen wie sie sind. Einfach deshalb, weil Veränderungen mögliche Machtverluste für sei einleiten könnten. Ein Bluff erster Klasse waren in dem Zusammenhang - als Schlussbemerkung an dieser Stelle - natürlich die zahlreichen von den Arbeitgeberverbänden gesteuerten verdeckten Lobby-Organisationen, die als "Reformbewegungen" auftraten. Allen voran die "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft". Es gehört schon Chuzpe dazu, sich als gesellschaftlicher Reformer aufzuspielen, ohne wirklich die Interessen der Gesellschaft als ganzes im Auge zu haben. Es wird noch lange dauern, bis das Wort "Reform" nicht mehr missverstanden wird als Aufruf zum Machtzuwachs für die Wirtschaft.

Erzeugt Demokratie also Feigheit? Nein! Feigheit ist - wie Sofsky selbst sagt - Produkt der Unfreiheit. Da Demokratie jedoch (theoretisch) Freiheit erzeugen sollte, ist sie Mittel gegen die Feigheit und nicht Wegbereiter für eine Herrschaft der Feigheit.

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Donnerstag, 23. November 2006

Nackte Bürger und fremdgehende Ehefrauen

Google-News-Suche nach "Verfassungsbeschwerde":

7 Treffer (Stand 23.11., früh morgens) zur Verfassungsbeschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung (Heise, Golem, Neues Deutschland, Junge Welt, Gulli, de.internet.com, PC Magazin).

33 Treffer (Stand 23.11., früh morgens) zur Verfassungsbeschwerde gegen heimliche Vaterschaftstests. (N-TV, Rhein-Neckar Zeitung, Merkur-Online, Hamburger Morgenpost, Märkische Allgemeine und zig weitere Käseblätter).

Beides Themen rund um den Datenschutz. Welches ist von größerer gesellschaftlicher Tragweite? Bei welchem Thema sind mehr Menschen betroffen? Die Lokalblätter sorgen sich offenbar eher um fremdgehende Ehefrauen als um Millionen (daten-)nackter Bürger.

Für die reichweitenstarken Medien gibt es keine Pläne zur Einführung der Vorratsdatenspeicherung. Vielleicht gibt es sie ja tatsächlich nicht und Heise & Co. lügen?

Was soll das Geblogge?

Die Gründe liegen auf der Hand:

  • Spielerei mit der Technik.
  • Spielerei mit der Sprache. In meinem Fall eher Frimelei statt leichtfüßiges Herumspielen.
  • Netzwerken. Entweder auch als eine Art Spiel oder Experiment oder als knallharte, berufliche Suche nach dem nächsten Auftraggeber. Das Spiel besteht darin, zu gucken, wer wann wo und wie auf eigene Äußerungen im Netz reagiert. Berufliches Online-Netzwerken hat sich dagegen jedoch mittlerweile zu einem eigenständigen Geschäftszweig entwickelt mit speziellen Online-Communities und einer wachsenden Beraterszene.
  • Bloggen erzeugt offenere Augen. Das ist wie beim Fotografieren. Hat man einen Fotoapparat dabei und hat sich vorgenommen Fotos zu schießen, wird die Umwelt plötzlich interessanter, denn man sucht nach Motiven und Perspektiven. Ein Fotoapparat lässt einen, auch dann wenn man ihn gar nicht benutzt, anders interagieren mit der Umwelt, als wenn man ihn nicht dabei hätte. Durch ein eigenes Weblog wächst das Interesse an Online-Artikeln anderswo. Weil man auf sie mittels Weblog reagieren kann. Weblogs sind die Fotoapparate der Internettouristen. Man muss kein Sprachkünstler sein und wunderbare Geschichten oder aufregende Storys liefern. So wie man auch kein exzellenter Fotograf sein muss, um Spaß an seinen Urlaubsschnappschüssen zu haben. Weblog oder Fotoapparat lassen die eigenen Möglichkeiten wachsen. Ein Zugewinn an Handlungsmöglichkeiten ist immer ein Lustgewinn. Ganz egal, ob jemand anderes die eigenen Fotos oder Weblog-Einträge für den letzten Mist hält.
  • Durch die offeneren Augen nimmt man mehr auf. Genauso wie man mit dem Fotoapparat bewaffnet seine Umwelt anders wahrnehmen kann, passiert dies im Umgang mit dem Internet durch das Weblog. Man liest intensiver, gezielter und bewertet das Gelesene sofort. Lässt es sich vielleicht irgendwie fürs eigene Weblog verwerten als Gedankenanstoß? Als Link? Wie stehe ich zu dem Geschriebenen? Muss ich mich dazu äußern? Auf diese Art und Weise stimuliert ein eigenes Weblog die Auseinandersetzung mit dem, was man im Internet sonst so findet. Das eigene Wissen wächst dabei übrigens, ohne dass man es sich anstrengend wie beim Vokabelpauken antrainiert hätte.
  • Weblog-Einträge und die Foto-Schnappschüsse können nach einiger Zeit zu einem äußerst nützlichen Archiv werden.
  • Weblogs dienen dazu, etwas "wegzuschreiben". Das müssen keine hochproblematischen Klöpse sein. Regt man sich über irgendwas auf oder gibt es was Freudiges zu berichten, kommt es ins Weblog. Computer oder Laptop steht doch eh immer griffbereit. Das funktioniert bei freudigen oder leidigen Ereignissen aus der politischen und der rein privaten Sphäre.
  • Und schließlich: Vielleicht stößt man etwas an, mit dem, was man schreibt, verlinkt, zusammenfasst, ausdenkt, erträumt, beschimpft.
Oder?...

Mittwoch, 22. November 2006

China gibt erstmals Handel mit Organen Hingerichteter zu

Zum ersten Mal gibt China offiziell zu, Organe von Hingerichteten gegen Geld zu Transplantationszwecken vor allem an solvente Ausländer zu verkaufen.

Das investigative Weblog "The Blotter" vom US-amerikanischem TV-Sender ABC berichtet:

For the first time, the Chinese government has admitted selling the organs of executed prisoners for profit, a gruesome business it had denied for years. (Quelle)
Hinzu kommt, dass es in China weiterhin viele arme Chinesen gibt, die ihre Organe auf dem Schwarzmarkt verkaufen. Auch dies ist (noch) nicht illegal in China.

Berichte, dass die in China leicht gegen Geld zu erhaltenden Organe von Hingerichteten stammen könnten, kursierten schon lange: BBC enthüllt Handel mit Organen hingerichteter Häftlinge (Welt.de).

International angesehene Menschenrechtler verdächtigten China außerdem schon vor einiger Zeit, gezielt Menschen (vor allem Falun-Gong-Anhänger) hinzurichten, um so je nach Bedarf am Markt ihre Organe zu ernten:Von Reaktionen deutscher Politiker diesbezüglich (z.B. bei Staatsbesuchen in China oder bei Besuchen chinesischer Politiker in Deutschland) habe ich noch nichts mitbekommen. Sollte nicht gerade Deutschland hier heftigen Protest äußern? Jetzt, wo China offiziell den Organhandel mit Organen Hingerichteter zugibt, wäre eine passende Gelegenheit.

Massenverfassungsbeschwerde gegen Vorratsdatenspeicherung!

(Via Quintessenz) Bürgerrechtler rufen auf, sich bei einer Massenverfassungsbeschwerde gegen die geplante Vorratsdatenspeicherung zu beteiligen. Erstunterzeichner sind z.B. Dr. Rolf Gössner (Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte) und Prof. Dr. Christoph Gusy (Professor der Rechtswissenschaft an der Universität Bielefeld).

Vorbereitet hat die Verfassungsbeschwerde der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung (Vorratsdatenspeicherung.de). Dort findet man auch weitere, ausführliche Informationen dazu.

Der Aufruf zu einer Massenverfassungsbeschwerde ist in Deutschland einmalig. Politikwissenschaftler Ralf Bendrath erläutert:

Die von der Bundesregierung geplante Totalprotokollierung der Telekommunikation der gesamten Bevölkerung ist ebenfalls einzigartig. Frau Zypries will vorsorglich Informationen über unsere Telefonate, Bewegungen und Internetnutzung sammeln lassen für den Fall, dass wir zu Verbrechern werden. Wir sammeln vorsorglich Beschwerdeführer für den Fall, dass SPD und Union dieses verfassungswidrige Vorhaben tatsächlich umsetzen sollten. Wenn die Koalition unzählige Menschen bespitzeln lassen will, dann werden sich auch unzählige Menschen in Karlsruhe dagegen zur Wehr setzen. (Quelle)
Wem so etwas wie Meinungsfreiheit, informationelle Selbstbestimmung, Privatsphäre, Funktionieren der Demokratie, Beschränkung und Kontrolle staatlicher Macht, Bürger- und Menschenrechte also wichtig ist, darf sich an der Massenverfassungsbeschwerde beteiligen. Vorratsdatenspeicherung.de stellt ein Meldeformular dazu bereit.

Beteiligt man sich, entstehen einem keine anwaltlichen oder sonstigen Kosten. Eingereicht wird die Verfassungsbeschwerde, wenn und sobald das Gesetz zur Einführung der Vorratsdatenspeicherung verabschiedet wird. Der Bundestag soll Mitte 2007 über den Gesetzentwurf entscheiden. Mit der Verfassungsbeschwerde verbunden ist ein Antrag auf einstweilige Aussetzung der Vorratsdatenspeicherung bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Dadurch soll schon das Inkrafttreten der Vorratsdatenspeicherung verhindert werden.

Eine weitere Möglichkeit der Beteiligung, ist es, im Internet einen selbst geschriebenen offenen Brief zu verfassen: Offene Briefe gegen die Vorratsdatenspeicherung.

Selbst der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat in einem Gutachten Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen (Heise.de: Neue Zweifel an der Rechtmäßigkeit der TK-Vorratsdatenspeicherung). Dennoch versucht die Bundesregierung weiterhin, den problematischen Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung rasch als Gesetz zu verabschieden.

Viele weitere Informationen findet man mittels einer Linkliste zu Artikeln von Heise.de zum Thema.

Vor einigen Tagen hatte ich selbst schon hier in "Schieflage" über die Vorratsdatenspeicherung geschrieben: Schief, schiefer, Vorratsdatenspeicherung.


Dienstag, 21. November 2006

Nichts wie weg! Oder nichts wie her... mit der Autonomie!

Was passiert eigentlich, wenn eine Schieflage gänzlich kippt?

Dinge häufen sich auf, das Gleichgewicht kippt, etwas Grundlegendes verändert sich. Viele Deutsche haben das Gefühl, dass irgend etwas Grundlegendes schief läuft. Das einfach nur abzutun als eingebildete Befindlichkeit ("german angst"), wird dem Phänomen nicht gerecht. Die Schieflage wird vor allem deutlich im Vergleich mit dem allgemeinen Lebensgefühl im Ausland. Noch scheint die Schieflage glücklicherweise nicht zu kippen. Aber es ist unangenehm, nicht gerade stehen zu können.

Meine These ist: Es sind nicht (so sehr) materielle Bedürfnisse, sondern vor allem psychische Bedürfnisse, die in Deutschland nicht befriedigt werden. Psychische Bedürfnisse sind genau so wirklich und wirksam wie materielle Gründe. Allein die Tatsache, dass mir scheint, dies extra betonen zu müssen, ist Teil des Problems. Meine Beobachtung ist, dass z.B. Psychologie in Deutschland in breiten Kreisen keinen hohen Stellenwert hat. Sowohl die Wissenschaftsdiziplin nicht, als auch die Vertreter dieses Faches, als auch das Thema Psychologie insgesamt nicht. Ähnliches gilt für Pädagogen oder Sozialarbeiter oder Soziologen. Sie gelten als weltfremde Spinner und Weicheier. Als Simulanten, die nur so tun würden, als wüssten sie etwas, denen zunächst einmal nicht zugetraut wird, dass sie wertvolles Wissen zur Lösung von Problemen beisteuern können.

Vielleicht ändert sich dieses Bild gerade langsam. Zumindest in den Medien wird seit einiger Zeit immer häufiger der Rat von Psychologen, Philosophen und Sozialwissenschaftlern allgemein gesucht. Die "harten" Wirtschaftsexperten hört man seltener. Vielleicht, weil deutlich wird, dass ein etwas ausgeglichenerer Haushalt nicht die Probleme löst? Nur in der Politik und beim "Mann auf der Straße" ist das noch nicht unbedingt angekommen.

Welche psychischen Bedürfnisse finden in Deutschland keine Beachtung? Bevor ich dazu meine 5 Cent beisteuere, erst zur Frage, wo diese Bedürfnisse eigentlich nun genau keine Beachtung finden. Im Freundeskreis? In der Familie? Beim Kundenservice der Deutschen Bahn? Nein. Sondern in den verschiedenartigsten Institutionen. Dazu zähle ich abstrakte Dinge wie Gesetze, aber auch konkretere Institutionen wie Schulen (eher jedoch das Schulsystem) und Parteien und Lobbygruppen und noch vieles mehr. O.k., die Deutsche Bahn gehört sicherlich dann doch auch dazu.

Bleiben wir doch gleich bei der Deutschen Bahn. Da gibt es einen Herrn namens Mehdorn, der durch folgenden Spruch berühmt wurde, der ungefähr so ging: Die Wagen der Deutschen Bahn seien häufig voller Müll, nicht weil sie zu selten gereinigt würden, sondern weil die Passagiere zu schmuddelig seien. Ein Spruch wie ein Brennglas. Ist es doch das alte Lied: Das System ist nicht für den Menschen da, sondern der Mensch für das System.

Und genau das ist es, was auch in den anderen Institutionen schief läuft: Die vielen Reden von den Reformen in Deutschland hatten alle immer zum Hauptinhalt, dass das System überfordert ist und sich nun die Menschen besser an das System anpassen müssten. Hartz IV z.B.: Angepriesen mit dem Satz von dem Fördern und Fordern, geblieben ist nur das Fordern. Die Medien waren ebenfalls geradezu geil darauf, mitzumachen bei diesem Sado-Maso-Spielchen, indem sie die Berichterstattung über das fehlende Fördern vergaßen. Fördern galt als obszön. Diese Haltung findet sich ebenfalls exemplarisch bei den Vertretern von harter und früher Auslese unter Schülern: Gezieltes, individuelles Fördern von schwächeren Schülern, damit diese aufschließen können, gilt ihnen als ungerecht. So als ob dadurch Spielregeln verletzt würden.

Wenn das Motto Überhand gewinnt, dass der Mensch sich anzupassen habe und seine Bedürfnisse zurecht rücken müsse, um ins System zu passen, wird das psychische Bedürfnis nach Autonomie verletzt. Dies ist ein grundlegendes Bedürfnis. Der Mensch möchte und muss sich als selbstbestimmt handelndes Wesen erleben und fühlen. Es ist der Kern des Menschseins. Erlebt man sich selbst als unfähig, selbstbestimmt zu handeln, bleiben nur drei Lösungswege: Erstens Rebellion, also Veränderung der Umstände, zweitens Flucht in Nischen, Fantasiewelten, Leugnen also und drittens krank werden. Psychisch oder psychosomatisch krank werden.

Ein kleines Beispiel aus der Psychologie dazu: Das Phänomen heißt "Reaktanz" (Wikipedia zu Reaktanz). Man beschreibt damit Verhalten, das als Widerstand gegen erlebte Einschränkungen verstanden werden kann. So nehmen z.B. Personen unerwartete Geschenke von Fremden nicht ohne weiteres an. Vermutlich, weil sie sich dadurch in irgend einer Art und Weise dem Schenker verpflichtet, also in ihrem Handeln eingeschränkt fühlen. Vor allem, wenn sie vor der Geschenkannahme nicht wissen, was von ihnen eventuell verlangt werden könnte. Versuchen sie also mal auf der Straße Geld zu verschenken. Einfach so. Sie werden vor allem Misstrauen und Ablehnung ernten. Die Bewahrung der eigenen Handlungsfreiheiten wird als wertvoller eingeschätzt als ein unerwarteter Geldgewinn. Das entspricht nicht dem Menschenbild von allein auf die Ökonomie fixierten Experten, nebenbei bemerkt.

Ich behaupte nun, dass das Unwohlsein vieler in Deutschland darauf zurückzuführen ist, dass sie sich nicht als handelnde, selbstbestimmte Personen wahrnehmen. Wichtig ist das Wort "wahrnehmen". Objektiv kann das ganz anders aussehen. Die Leute meinen, dass sie keinen Einfluss haben und das reicht. Es spielt dann keine Rolle, ob ein anderer Mensch in einer ähnlichen Situation sich auch als handlungsunfähig erleben würde oder nicht.

Ich behaupte nun weiterhin, dass es einerseits tatsächlich so ist, dass deutsche Institutionen (im oben erwähnten weiten Sinne) so gestaltet sind, dass sie Handlungsfreiheiten vor allem einschränken. Andererseits gibt es viele Einflüsterer, die ein Bild malen, das den Einzelnen vor allem als abhängig und hilflos und ausgeliefert darstellt. Mir ist es z.B. passiert, dass mir vor nun schon einiger Zeit früher in der 5. Klasse von verschiedenen Lehrern eingetrichtert wurde, mein zukünftiges Leben würde mehr oder weniger davon abhängen, ob ich bis zum nächsten Tag nun meine Vokabeln gelernt hätte oder nicht. Dann gibt es Interessengruppen, die die Freiheit des einzelen vor allem stört: Lobbygruppen wollen ungestörten Einfluss auf die Politiker ausüben, Politiker wollen unbehelligt vom Wähler agieren und so weiter. Freiheit des Einzelnen gilt diesen Institutionen als Bedrohung.

Das Wissen darum ist in den USA äußerst stark verbreitet. Den Behörden und der Politik wird deshalb - trotz der hier häufig zu lesenden Bushomanie - vor allem eins entgegengebracht: Misstrauen. Freiheit und Staat - das wird in den USA häufig als Gegensatzpaar begriffen und dementsprechend ist es auch beständig ein öffentliches Kampffeld. Und so muss es sein.

In Deutschland regieren Parteien. Wortwörtlich. Nicht Personen. Von Merkel als von einer mächtigen Frau zu sprechen, ist irreführend. Merkel hat zwar formal die Macht, aber sie würde nie etwas tun, was gegen die Interessen der Führungsriege in den Parteien gerichtet ist. Sie ist nicht in erster Linie dem Volk, dem Bürger verantwortlich, sondern ihrer Partei. Die Bundestagsabgeordneten werden zum großen Teil durch Listenplätze in den Parteien bestimmt. Diese wiederum wählen dann den Bundeskanzler. Beim US-System sieht das alles schon ganz anders aus. Da gibt es zwar nur zwei Parteien, aber was für die Wähler zählt, sind die einzelnen Kandidaten, über die sie direkt abstimmen können. An diese Kandidaten kann man sich wenden. Die Verantwortlichkeiten sind in diesem Punkt klarer geregelt.

Hinzu kommt, dass es in Deutschland jenseits der Wahlen alle paar Jahre kaum Möglichkeiten gibt, aktiv selbst Politik z.B. durch Abstimmungen, wie sie häufig in der Schweiz zu diversen Themen stattfinden, zu gestalten oder eben durch direkte Ansprache an seinen Abgeordneten. Es gibt ihn zwar, diesen Abgeordneten, aber den interessiert eben mehr, was seine Partei will, als was der Wähler will. Und als Gipfel der Verantwortungslosigkeit muss man in Deutschland das System aus unterschiedlichen, sich gegenseitig die Verantwortung zuschiebenden kommunalen, Landes-, bundesweiten und europäischen Instanzen ansehen. Alle sind in zu großem Maße voneinander abhängig (z.B. was Finanzen, also Steuergelder, betrifft), Kompetenzen sind nicht klar aufgeteilt.

So kommt es dazu, dass die Politiker im Wahlkampf von mehr Geld für Bildung sprechen können, von besserer Familienpolitik, von klar ausgearbeiteten Konzepten um das Steuersystem einerseits gerecht und andererseits einfacher zu gestalten, von mehr Investitionen in die Forschung und von vielen weiteren klugen Projekten, ohne dass sie anschließend durchgesetzt werden müssen. Ja, es können sogar Gesetze erlassen werden, die nur Nachteile mit sich bringen und sich gegen den Bürger richten (Beispiel Vorratsdatenspeicherung oder beinahe die Einführung von Softwarepatenten).

Anspruch und Wirklichkeit klaffen also in Bezug auf die Möglichkeiten, seine Zukunft selbstbestimmt zu gestalten, stark auseinander. Politisch lässt sich nur schwer etwas bewegen und verändern, wirtschaftliche Eigeninitiative wird durch einen Wust an unübersichtlichen gesetzlichen Vorschriften brutal gebremst und ist man abhängig vom Wohlwollen eines Personalchefs, steht die gesamte Lebensführung auf dem Prüfstand beim Bewerbungsgespräch. Dazu kommt die Undurchlässigkeit im Ausbildungssystem. Und noch etliches anderes.

Fazit: Es gibt individual-psychologische, kulturelle, politische, wirtschaftliche und mediale Blockierer für ein möglichst autonom gelebtes Leben in Deutschland. Welcher dieser Blockierer den größten Einfluss hat oder von wem das Blockieren vor allem ausgeht... keine Ahnung.

Was ich sagen will: Diese Einschränkungen sind keine Einbildung. Sie werden so erlebt. Und darauf kommt es an. Besonders wirksam werden diese Befindlichkeiten in den Medien. Viele Geschichten funktionieren dort nur, wenn sie auf Resonanz beim Leser stoßen. Also können Medien auch blind sein. Handeln von Politikern, das andernorts vielleicht heftigen Protest auslösen würde, findet hier kaum ein mediales Echo. Wie ist das also z.B. mit dem Gebahren der Politiker und Geheimdienste in Bezug auf die BND-Affäre? Läuft da zur Zeit nicht ein Untersuchungsausschuss? Warum interessiert es so wenige, dass hier offen und wissentlich die Behörden die Bevölkerung belügt haben? Ein kleiner Spiegel-Artikel zum Thema (Wie die deutsche Politik trickst, tarnt und täuscht) stieß meines Wissens nach auf wenig Resonanz. Andere Medien griffen das Thema jedenfalls nicht auf. Ähnlich erging es Berichten vom WDR-Magazin Monitor über Lobbyisten, die direkt in den Ministerien mit eigenen Büros und Durchwahlnummer abseits von jeder gesellschaftlichen Kontrolle direkt an den Gesetzen mitschreiben: Profitabel - Wie die Industrie an Gesetzen mitstrickt.

Weitere Gedankenanstöße in diese Richtung findet man z.B. hier:

  • Nichts wie weg! (Telepolis). Rüdiger Suchsland zählt 75 Gründe auf, warum man Deutschland verlassen möchte könnte.
  • Su-Shee ergänzt die 75 Gründe durch ihre eigenen, ebenso schlüssigen Gründe.
  • Und schließlich ein interessanter Artikel in der Netzeitung, der darstellt, dass es neben der sogenannten "Unterschicht" auch noch eine andere gesellschaftliche Schicht gibt, die ausgegrenzt ist: Die herrschende, obere Schicht der "Meritokraten", die eben jegliche gesellschaftliche Solidarität vermissen lassen: Das Diktat der Meritokraten.

Medien kontern Killerspiel-Verbotsrufe

Es scheint so, dass die Politiker-Clique, die die tragischen Ereignisse in Emsdetten zur eigenen Profilierung verwenden möchte, zumindest in einigen Medien auf aufklärerischen Gegenwind stößt. Die populistische Forderung nach einem Verbot sogenannter "Killerspiele" (Welt.de: Amoklauf: Innenminister will Killerspiele per Gesetz verbieten) zieht jenseits von Bild-"Zeitung" und Co. anscheinend nicht mehr so stark.

Hier einige Artikel, die heute erschienen und sich entweder explizit kritisch mit der Verbotsforderung auseinandersetzen oder die Meinung von Experten denen der Politiker entgegenstellen:

  • Tagesschau.de: "Schule kann die Hölle sein". Ein Interview mit einem Kriminalpsychologen.
  • Ein kritischer Kommentar bei Welt.de: Die unnützen Reflexe überforderter Politiker.
  • Zeit.de mit einem lesenswerten Interview mit einem Pädagogen: "Wir haben die falschen Lehrer". Trotz des Titels wird im Interview längst nicht einseitig die Schuld den Lehrern zugeschoben.
  • Selbst Süddeutsche.de, wo in der Vergangenheit oft haarsträubende Artikel zur Gefahr von Computerspielen oder Computern im Allgemeinen (Computersucht!)erschienen, widmet sich dem Thema dieses Mal streng wissenschaftlich. Vorgestellt werden kurz sämtliche Theorien der Psychologie bezüglich des Einflusses von Medien auf das menschliche Verhalten und Erleben. Keine Bange, der Artikel versucht sich so kurz und verständlich wie möglich zu fassen. Mein Kompliment!: Mörderische Medien - Was sagt die Wissenschaft?
  • Und noch ein Artikel von Süddeutsche.de, in dem Thomas von Treichel von den World Cyber Games kurz etwas über das Computerspiel "Counter-Strike" erzählt (Counter-Strike steht bei den Killerspiel-Verbots-Politikern ganz oben auf der Liste): "Counter-Strike ist nicht realitätsnah"
Soweit heutige Artikel zum Thema. Das hervorragende Weblog "d-frag.de" hatte jedoch schon vor Kurzem einen klasse Artikel geschrieben zum Thema "Killerspiele" und den Verbotsforderungen. Anlass war ein extrem schlecht recherchierter, sehr tendenziöser Beitrag im ZDF-TV-Magazin "Aspekte": Wie Kinder Spaß am Morden finden.

Hier noch einige aussagekräftige Zitate aus den oben verlinkten Artikeln:

Uwe Schünemann (CDU) will mit einer Bundesratsinitiative ein Verbot von Killerspielen erreichen. Ziel sei ein Herstellungs- sowie ein Verbreitungsverbot, sagte ein Sprecher des Ministeriums. Ein Herstellungsverbot sei zwar schwer umsetzbar, da der Großteil der Baller-Spiele im Ausland programmiert werde.
(Welt.de: Amoklauf: Innenminister will Killerspiele per Gesetz verbieten)

Herstellungsverbot heißt also, dass auch den erwachsenen, mündigen Bürgern der Zugang zu derartigen Computerspielen verwehrt werden soll. Ungeachtet der bestehenden Gesetze, die bereits jetzt z.B. die Verherrlichung von Gewalt unter Strafe stellen, soll laut Schünemann eine staatlich kontrollierte Institution die Zensur von Kulturprodukten ausüben.

Schule kann die Hölle sein. Sie ist ein wichtiger Lebensabschnitt, für den man sein ganzes Leben verantwortlich machen kann. Für Versagen und natürlich auch für Glück. Es ist ein Ort in einer wichtigen Zeit, in der man sich täglich auseinandersetzen muss mit Aggression, Kränkung, Lob, Tadel und auch Mobbing. Man steckt in dieser Zeit unheimlich viel ein, das man auch als Menschenrechtsverletzung bezeichnen könnte.
(Tagesschau.de: "Schule kann die Hölle sein")

Der Ruf nach dem Jugendschutzgesetz bedeutet auch, dass schnell eine schnelle Lösung herbeigesehnt wird, statt sich Gedanken über den Umgang mit den Kindern zu machen.
(Welt.de: Die unnützen Reflexe überforderter Politiker)

Wir machen in zweifacher Hinsicht Druck auf die Kinder und Jugendlichen, und insbesondere die deutsche Schulkultur sondert Kinder mit bürokratischer Kälte aus. Das darf man nicht. Meine jüngste Tochter ist in der vierten Klasse, und da sagen die Kinder schon untereinander: Mit dir spiel ich nicht mehr, du kommst nur auf die Hauptschule. Wir nehmen vielen Jugendlichen den Rest von Zukunftsglauben und damit auch die Grundlage jeder Motivation
(Zeit.de: "Wir haben die falschen Lehrer")

Die Erfahrung und Beobachtung von Gewalt hat, insbesondere nach der weithin akzeptierten Lerntheorie von Bandura, vermutlich eine Wirkung, besonders auf junge Menschen. Und diese Wirkung kann negativ sein. Doch niemand, so sind sich die meisten Wissenschaftler einig, wird allein durch den Konsum von Mediengewalt zum Kriminellen oder gar zum Mörder. Hier spielen andere Faktoren eine wichtigere Rolle, die sich auf die Entwicklung eines Kindes auswirken - beispielsweise reale Gewalt im familiären Umfeld.
(Süddeutsche.de: Mörderische Medien - Was sagt die Wissenschaft?)

Computerspiele sind Werkzeuge zur Kommunikation, nicht zur Feindschaft. Analogien für Counter-Strike liegen eher bei den klassischen Brettspielen als in der Realität.
(Süddeutsche.de: "Counter-Strike ist nicht realitätsnah")

Egal, ob das Gespielte Kinder oder Jugendliche wirklich in ihrer charakterlichen Entwicklung beeinträchtigen könnte. Vom Markt gehört, was Verbrechen zeigt. Um sich der Wirkung auf das Publikum ganz sicher zu sein, flechte man das Wort "vergewaltigt" irgendwo ein. Denn im Gegensatz zu den anderen Beispielen, bei denen der Zweck im Rahmen einer Roman-, Film- oder Spielehandlung schon mal die Mittel heiligt, schließlich hat selbst Robin Hood die Reichen beraubt, um den Armen zu geben, schließlich hat James Bond die Welt mehr als einmal gerettet, indem er den Erzbösewicht tötete, sind Vergewaltigungen durch und durch verabscheuungswürdig. Niemand will einen Vergewaltiger spielen. Und deshalb gibt es, soweit mir bekannt ist, auch keine Spiele, in denen man das könnte [...].
(D-frag.de: Wie Kinder Spaß am Morden finden)

Die Forderung eines Verbotes von Killerspielen hat für mich also folgende Schieflagen:
  • Der noch harmloseste Aspekt ist, dass Computerspiele häufig auf "Killerspiele" reduziert werden. Eine ganze Kulturgattung wird hier schnell geächtet.
  • "Killerspiele" sind häufig gar keine Killerspiele, sondern strategisch, taktische Spiele in etwas martialischerem Gewand.
  • Computerspiele oder Medien verursachen keine Gewalt, können aber die Gewaltbereitschaft erhöhen, sofern der Jugendliche bereits Opfer realer Gewaltstrukturen wurde.
  • Das Schreien nach einem Verbot von Killerspielen lenkt ab von der Beschäftigung mit den wahren Ursachen, nämlich den realen Gewaltstrukturen in Schule und Gesellschaft. Die Schule in ihrer Art so zu ändern, dass sie unterstützend für Schüler und Eltern auftritt und nicht aussortierend und vernichtend, erfordert jedoch vorsichtige und komplizierte Lösungen, die außerdem teuer sind. Das scheint den Killerspiel-Politikern zu aufwändig zu sein.
Gut, dass die Medien anfangen, die Pseudolösungen von Wiefelspütz, Bosbach, Schünemann und Schönbohm zu hinterfragen. Die genannten Politiker fangen an, sich bei dem Thema zu blamieren statt zu profilieren. So soll es sein.

Update: (Via Netzpolitik.org) Auch Spiegel.de bringt jetzt einen ausführlichen Artikel, der den Thesen der Killerspiel-Politiker widerspricht: Egoshooter-Debatte: Rohrkrepierer gegen Ballerspiele

Update 2: Wann schafft die TAZ sich endlich mal 'nen RSS-Feed an? Aber Netzpolitik.org hat aufgepasst. Hier drei weitere Artikel zum Thema. Von der TAZ:Update 3: ZDF.de mit einem ganz brauchbaren Artikel, der zu beschreiben versucht, wie diese angeblich so hoch gefährlichen "Killerspiele" eigentlich im Detail auf dem Bildschirm aussehen und was sie dem Spieler bieten. Beschrieben werden Doom und Counterstrike: Killerspiele - Die üblichen Verdächtigen.

Montag, 20. November 2006

Amoklauf: Wunderbare Gelegenheit für Wiefelspütz, sich in Szene zu setzen

Es ist geradezu eine Verhöhnung der Opfer, wenn nun der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Dieter Wiefelspütz, als Reaktion auf den heutigen Amoklauf in Emsdetten (WDR.de: Schießerei in einer Realschule in Emsdetten) die Ursache des Problems in lächerlichen Computerspielen sieht: Wiefelspütz fordert Verbot von Killerspielen (Netzeitung.de).

Er gibt dabei jedoch selbst zu, dass nicht jeder, der Computerspiele spielt, "automatisch zum Massenmörder wird". Die logische Schlussfolgerung aus dieser Einsicht zieht er jedoch nicht: Nämlich nach den eigentlichen Ursachen von jugendlichen Amokläufen zu suchen, beziehungsweise suchen zu lassen. Seine anschließenden, relativierenden Aussagen (er verwahre sich "gegen blitzschnelle Erklärungsmuster" etc.) wären gar nicht nötig gewesen, wenn er dieses billige Erklärungsmuster nicht selbst erst wieder ins Gespräch gebracht hätte. Für wie dumm hält er eigentlich die Bürger?

Seriöse Politik sieht für mich anders aus. Verantwortungsbewusste Politiker spielen sich nicht auf Kosten eines tragischen Medienereignisses in den Vordergrund mit unausgegorenen Vorschlägen. Seriöse Politik sieht für mich so aus, dass man in solchen Fällen zunächst Experten fragt, in diesem Fall also wohl Pädagogen und Psychologen. Dass man sich erst schlau macht, statt sein eigenes Unwissen in Form von vulgärer Küchenpsychologie den Journalisten als Agenda aufzutischen.

Kurz gesagt: Millionen Menschen spielen Counterstrike. Wieviele Amokläufe gibt es? Die Grünen kritisieren dementsprechend, dass Computerspiele immer so schnell als wohlfeile Erklärung solcher Tragödien herangezogen werden:

Bettin und Gehring kritisierten, Computerspiele würden immer dann als Sündenbock herangezogen, wenn die Bildungs- und Jugendhilfepolitik der Länder ihr eigenes Versagen kaschieren wolle. Die Wissenschaft habe bisher keine einfache Verbindung zwischen dem Konsum von Killerspielen und kriminellen Handlungen bestätigen können.
(Abacho.de: Grüne lehnen Verbot von Killerspielen ab)

Dass manche Computerspiele sicherlich nicht in die Hände von Kindern gehören, ist keine Frage. Daraus jedoch die Schlussfolgerung zu ziehen, dass sie Ursache solcher Gewalttaten sind, drückt letzendlich trotz aller abwiegelnden, nachgeschobenen Äußerungen von Wiefelspütz aus, dass Wiefelspütz die wahren Ursachen solcher Gewalttaten eben doch nicht wirklich interessieren. Das heißt, dass ihn auch nicht wirklich interessieren kann, ob so etwas wieder passiert. Wenn das also keine Verhöhnung der traumatisierten Opfer ist...

Gefangen im Netz: Keine Karriere bei schiefer Googlability

Genau passend zu meinen ersten Weblog-Einträgen und deren Themen: Die Wirtschaftswoche schildert in einem Artikel (leider nur in einem kleinen Auszug auch online verfügbar), wie sehr heute bereits professionelle Agenturen das Leben von z.B. Bewerbern anhand von öffentlich zugänglichen Daten durchleuchten. Glücklicherweise berichtet das CIO-Weblog ausführlicher über den Artikel: Googlability: Auf der Spur von Reiner Fakeman. Auch 27B Stroke 6 berichtete (wie schon in einem älteren Eintrag von mir erwähnt) ausführlich über die Arbeitsweise solch einer Agentur namens "ChoicePoint", die sogar vor der kriminellen Beschaffung von Daten nicht zurückschreckte und nun versucht, in den USA ihr Image wieder aufzupolieren: ChoicePoint's Comeback Tour.

Es geht also darum, dass vor allem Firmen, die offene Stellen besetzen wollen, Spezial-Agenturen beauftragen, die dann dank Internet und Google, aber auch wahrscheinlich unter Einbeziehung weiterer Datenquellen, häufig erschreckend detaillierte Portraits der "Zielpersonen" anfertigen können. In den USA gibt es z.B. zig Datenbanken, deren Inhalte bereits auch in den Händen von sogenannten Data Brokern gelandet sind. Selbst die Ermittlungsbehörden wenden sich da schon einmal gerne an solche Data Broker, statt den etwas komplizierteren Weg über die Einholung z.B. eines Durchsuchungsbefehls vor Gericht zu gehen (ZDNet: Law enforcement using data brokers). Das Problem dieser Datenbanken, aber auch der Informationen im Internet, ist, dass die Menschen, deren Daten dort erfasst sind, kaum mehr die Möglichkeit haben, auf ihre Daten Einfluss zu nehmen. Auch falsche Daten (ob nun aus dem Internet oder anderen Datenbanken) werden dann häufig von diesen Data Brokern weitergegeben. So berichtet 27B Stroke 6 z.B. von einem Fall, wo jemandem ein neuer Job verwehrt wurde, nur weil er zehn Jahre zuvor mit 22 Jahren eine Anzeige wegen ungebührlichen Benehmens (von der Schwere verlgeichbar mit einer Anzeige wegen Falschparkens) bekommen hatte: Databases That Never Forgive Even When Required To. Der Datensatz der Polizei geriet in die Hände der Privatwirtschaft. Die Behörden hatten die Eintragung über die Anzeige in ihren Datenbanken längst wieder gelöscht, als der junge Mann sich bei einer Firma um eine offene Stelle bewarb. Die Agentur jedoch, die die Firma mit der Durchleuchtung des Bewerbers beauftragt hatte, hatte noch den alten Datensatz und nahm die Eintragung mit in ihr Dossier über den Bewerber auf. Die Folge: Der Mann bekam den Job nicht.

Wer allerdings seine Daten über sein Leben selbst via nicht-pseudonymisiertem Weblog, via Flickr, YouTube, Kommentaren in anderen Weblogs und Foren und mit Hilfe von diversen Online-Business-Clubs à la OpenBC usw. im Internet ausbreitet, darf sich nicht wundern, wenn dies alles auch vom zukünftigen Personalchef begutachtet wird. Der dürfte interessiert lesen, ob man sich beispielsweise vorwiegend in nerdigen Computerspiel-Foren oder in Alkohol-affinen Weinkenner-Foren und ähnlichem herumgetrieben hat. Auch freundschaftlich gemeinte Kommentare von Bekannten oder Freunden über einen selbst könnten einmal zum Problem werden. Und schließlich: Auch die Verwendung von Pseudonymen stellt keine Garantie dar. Es reicht ja schon aus, wenn irgendwo das Pseudonym mit seinem realen Namen in Verbindung gebracht werden kann. Das Internet mit all seinen Diensten zu nutzen, ohne irgendwann einen hohen Preis zahlen zu müssen, erfordert also Geschick und Vorsicht und einen schweigsamen Bekanntenkreis.

Es ist eine typische Tatsache des digitalen Zeitalters, dass diese ganzen Daten uns Menschen normalerweise quasi als unsichtbar erscheinen. Wir vergessen schnell, wo wir was im Internet einmal geschrieben haben. Das Internet vergisst jedoch nichts. Und nichts ist für kundige Experten einfacher, als all die verstreuten digitalen Daten mit wenigen Mausklicks zu einem aussagekräftigen Profil zusammen zu stellen. Und dann schlagen die zuvor unsichtbar scheinenden Daten geballt zurück.

Wie dieser unsichtbare digitale Datengeist arbeitet, wollen die Redakteure der Wirtschaftswoche auch noch auf andere Weise als durch ihren Artikel deutlich machen. So schufen sie Reiner Fakeman: Grow Or Go: Reiner Fakeman Blog. Eine ausgedachte Person. Aber das hindert ihn nicht daran, nun im Internet als normaler Nutzer aufzutreten. Die Redakteure wollen so verfolgen, wie Reiner Fakemann vom Internet "aufgesaugt" wird und was bei Datenrecherchen über seine Person anschließend wieder ausgespuckt wird. Schön übrigens, das Motto "Grow Or Go" der Beraterfirma McKinsey persiflierend in dem Fakeman-Blog als Motto zu benutzen. Mehr über das eindimensionale Menschenbild von McKinsey beispielsweise in diesem lesenswerten ZEIT-Artikel: Steige auf oder aus.

Bleibt zu hoffen, dass zumindest die geplanten neuen Datenberge, die bald den Behörden zur Verfügung stehen, nicht in falsche Hände geraten. Zu nennen wären da die geplante Personenkennziffer (Heise.de: Grünes Licht für Personenkennziffer im Bundesrat), die geplanten Schüler-Identifikationsnummern (Spiegel.de: Kultusminister wollen gläserne Schüler) und natürlich die Vorratsdatenspeicherung (Übersichtsartikel von Heise.de zum Thema), die besonders brisant ist, weil deren Daten ja nicht in Behördenhand verwahrt werden, sondern auf den Computern der Telekommunikationsanbieter. Hier mögliche Datenschutzverletzungen im Nachhinein nachzuweisen, dürfte zudem schon rein technisch besehen nicht leicht sein.

Tipps gegen Datenschieflage im Internet

Google ist inzwischen mit seinen vielen schönen Tools und Diensten (dieses Weblog läuft schließlich auch auf Servern von Google; Blogspot ist ein Google-Service) leider auch eine ziemliche Datenkrake geworden.

Vor allem durch die Google-Suche und die Google-Adsense-Werbebanner auf vielen Internetseiten kann Google beispielsweise mit Hilfe von Cookies ziemlich genau verfolgen, welche Webseiten man im Internet ansurft. Wer dazu noch weitere Google-Dienste in Anspruch nimmt, wie z.B. diesen Blogdienst, auf dem auch dieses Weblog hier läuft oder Gmail oder gar die personalisierte Suchstartseite, der versorgt Google mit weiteren wertvollen Informationen darüber, was man im Internet macht und wer man also ist. Noch scheint es so zu sein, dass Google sorgsam mit diesen hochinteressanten Daten umgeht, aber das ist nur Spekulation und keiner weiß, ob das immer so bleiben wird.

Deshalb ein paar Tipps, wie man Datenlecks verringern kann. Wie man das, was man so nebenbei Google und anderen Webseiten über sich selbst mitteilt, aufs Nötigste einschränken kann. Denn wie weiter unten schon einmal gesagt: Wissen ist Macht. Dementsprechend gibt es bereits Firmen, die sich die Finger lecken nach solchen Daten.

  • Nach jeder Surfsession sollte man im Browser die Cookies löschen. Manche Browser erledigen dies, so es eingestellt ist, automatisch, wenn man die Browser schließt. Ich persönlich aber lasse Computer und Browser oft tagelang laufen. Da ist es sinnvoll, öfter am Tag einmal die Cookie-Löschung manuell zu starten.
  • Zur Verwendung von Google-Diensten (Google-Suche, Google-Bloggingdienste, Gmail etc.) kann man einen zweiten Browser verwenden (z.B. Opera statt Firefox oder umgekehrt), damit die Cookies aus diesen Nutzeroperationen nicht so leicht von Google abgeglichen werden können mit den sonstigen Webseiten, die man im Internet abruft.
  • Man kann/sollte im Browser das Übertragen des Referrers deaktivieren. So erfährt die angesurfte Webseite nicht, von wo aus man kommt.
  • Um sich vor bösartigem (und dazu zählt auch spionierendem) Code auf unseriösen Webseiten zu schützen, sollte man Java, ActiveX und Plugins möglichst immer standardmäßig deaktiviert lassen und nur bei Bedarf anschalten. Opera bietet hier die Möglichkeit, z.B. Plugins wie Flash nur auf bestimmten Webseiten (z.B. YouTube) zuzulassen. Es könnte sein, dass es ähnliche Funktionalität auch bei Firefox mittels externer Add-Ons gibt. Auch seriösen Webseiten kann es übrigens passieren, dass sie Schadsoftware enthalten. Z.B. über gehackte Werbebanner. Das ist schon vorgekommen. Gerade die Bereitsteller von Werbebannern sind hervorragende Datensammler, weil sie Surfer über die verschiedensten Webseiten hinweg verfolgen können. Auch Javascript und somit AJAX ist anfällig dafür, Daten zu verraten über den Nutzer. Webseiten, die AJAX verwenden, sollte man keine empfindlichen Daten überlassen.
  • Ganz wichtig: Wenn man das Internet nicht selbst als Profilierungs- und Werbemittel für die eigene Person oder die eigene Firma gebrauchen möchte, sollte man versuchen in Foren und Weblogs nur mit Pseudonym aufzutreten.
  • Benötigt man zur Nutzung eines Dienstes eine E-mail-Adresse (z.B. zur Anmeldung oder Aktivierung eines Dienstes) kann eventuell die Verwendung von sogenannten Einmal-E-mail-Adressen sinnvoll sein. Wasteland bietet z.B. solche Einmal-E-mail-Adressen an. Das geht so: Man kann sich frei eine E-mail-Adresse in der Form "irgendwas@wasteland.rfc822.org" ausdenken. Trudelt an diese E-mail-Adresse bei Wasteland irgend eine Mail ein (z.B. mit einem Aktivierungscode für irgendeinen Internet-Service), kann man den Account "irgendwas" ohne Passworteingabe bei Wasteland abrufen. Es ist also klar, dass man über Wasteland keine wichtigen Informationen empfangen sollte. Aber zum Schutz vor Spam (und auch als weiteres Mittel zur eigenen Pseudonomisierung) ist sowas gut geeignet.
  • Der Königsweg, um im Internet anonym zu bleiben, ist natürlich die Verwendung von TOR. Mehr dazu findet man auf den Seiten der Electronic Frontier Foundation: tor.eff.org. Allerdings steht zu befürchten, das die Nutzung von TOR ab dem Frühjahr 2007 in Deutschland praktisch unmöglich wird, da die freiwilligen Betreiber von TOR dann auch gesetzlich dazu verpflichtet werden sollen, alle Verbindungen, die über sie laufen, für die Strafverfolgungsbehörden aufzuzeichen und über sechs Monate zu speichern. Ein technisches Unterfangen, das für die meist privaten TOR-Server-Betreiber unmöglich sein wird. Da deutsche TOR-Server zur Zeit ca. ein Viertel des weltweiten TOR-Netzes ausmachen und auch in anderen europäischen Staaten ähnliche bürgerfeindliche Gesetze wie in Deutschland geplant sind, könnte dies das Aus des gesamten TOR-Netzes bedeuten und damit das Aus für die einzige Möglichkeit, sich als Bürger wirklich sicher im Internet bewegen zu können.
Wer weitere Tipps hat, darf selbstverständlich in den Kommentaren mitmischen. :-)

Schief, schiefer, Vorratsdatenspeicherung

Was hängt, läuft und geht also so schief? Beispielsweise das hier:

Seit ein paar Terroristen ihr Unwesen treiben, bemühen sich viele Regierungen weltweit, den Datenschutz auszuhebeln. Das Argument dahinter: Datenschutz sei Terror-Schutz. Was leider übersehen wird: Terroristen finden immer Möglichkeiten, geheim zu kommunizieren. Und sei es mittels Chats in Online-Multiplayerspielen oder mit Hilfe von Steganografie und ähnlichem Zeugs.

Mehr Überwachung aller Bürger macht die Terroristen halt einfach nur vorsichtiger. Die Bürger jedoch landen mit ihren Daten in Datenbanken. Heute können Daten in Datenbanken in Sekundenschnelle sortiert und gefiltert werden. Mit ein paar Klicks können Behörden in Windeseile Gewohnheiten, Vorlieben, Interessen, Beziehungsnetzwerke, Einkommen, politische Ansichten und Meinungen und so weiter anhand von Daten in Erfahrung bringen, die für sich genommen zunächst einmal harmlos aussehen.

Selbst wenn man den Behörden großes Vertrauen entgegenbringt, so befürchte ich, dass allein das Wissen darum, dass es den Behörden möglich ist, einen völlig auszuleuchten, ohne dass man selbst davon etwas mitbekommt, das Verhalten von jedem subtil verändert.

Behörden sind auch nur Menschen. Es muss gar nicht so weit kommen, dass einmal eine politische Partei ans Ruder kommt, die bewusst Verbrecherisches vorhat. Obwohl es in der Geschichte leider warnende Beispiele diesbezüglich genug gibt. Nein, es reicht, dass einfach Fehler passieren. Behörden machen Fehler. Die Technik ist fehleranfällig. Weil die Datenberge heute alle in digitaler Form vorliegen, reicht im Zweifelsfall ein falscher Klick mit der Maus und Millionen von Datensätzen könnten außerhalb der Behörden landen. Bei privaten Firmen z.B., die mit solchen Daten wunderbar Geschäfte machen. So etwas ist in den USA leider schon allzu häufig vorgekommen. Oder die Daten landen bei Kriminellen.

Ryan Singel und Kevin Poulsen berichten von solchen Fällen immer wieder in ihrem Weblog 27B Stroke 6 (benannt nach einem Formular im Film "Brazil", das ein Techniker benötigt, um eine Klimaanlage reparieren zu können und das leider nirgends aufzutreiben ist).

Hier einige jüngste Beispiele zu Datenunfällen in den USA:


Die Gefahren, die große Datenberge mit sich bringen, liegen also auf der Hand. Der Nutzen zur Terror-Abwehr ist zwar da, aber es wird kaum die Frage gestellt, ob man Terror-Abwehr nicht auch ohne das Sammeln von z.B. allen (!) Telekommunikationsverbindungsdaten aller (!) Bürger realisieren könnte. Die Bundesregierung plant also, dass jegliche elektronische Kommunikation der normalen Bürger ab März 2007 nicht mehr unüberwacht stattfinden soll. Heise.de berichtet z.B., dass auch anonymisierte Kommunikation nicht mehr möglich sein wird ab März 2007: Vorratsdatenspeicherung soll auch für Anonymisierungsdienste gelten. Das Weblog "Rabenhorst" erläutert weiter im Detail, warum die geplanten gesetzlichen Bestimmungen es Anonymisierungsdiensten unmöglich machen werden, weiter ihre Dienste anbieten zu können: Die Vorratsdatenspeicherung auf dem Sprung. Und: Ein Nachruf - JAP ist Geschichte.

Anonym sich im Internet bewegen zu können, ist dabei nicht etwa unsittlich oder verdächtig an sich, sondern hat durchaus seine Berechtigung. Dies macht z.B. folgender Artikel bei Heise.de deutlich: Verfolgerwahn. Den Datenbegehren der Industrie kann der Nutzer zwar auch nach Einführung der Vorratsdatenspeicherung Paroli bieten - aber eben nur so lange, wie diese mächtigen Datenberge nicht versehentlich oder auf kriminellem Wege dann doch in die Hände der Industrie gelangen (siehe Beispiele oben bei 27B Stroke 6).

Beim ganzen Thema "Vorratsdatenspeicherung" hat also keine vernünftige Abwägung zwischen Kosten und Nutzen stattgefunden. Neben den hier beschriebenen Risiken fallen übrigens auch monetäre Kosten an, die in die hunderte Millionen gehen und die vielleicht an anderer Stelle ausgegeben, wesentlich effektiver zur Terrorbekämpfung hätten eingesetzt werden können.

Zusammenfassung: Eine lückenlose, umfassende, verdachtsunabhängige Überwachung der Telekommunikation aller Bürger ist schädlich, weil:
  • Die riesigen Datenberge durch Inkompetenz, menschliche Fehler, technische Fehler und kriminelle Machenschaften auch jenseits der Behörden landen können.
  • Die Speicherung der Datenberge enorme Summen kosten.
  • Der angestrebte Nutzen für die Terror-Abwehr auch sicherer und preisgünstiger erreicht hätte werden können.
  • Auch eine vollständige Überwachung aller Bürger nicht verhindert, dass Terroristen trotzdem relativ leicht Wege finden, ihre außergewöhnliche Kommunikation zu verschleiern.
  • Die umfassende Überwachung vermutlich psychologische Folgen für die Bevölkerung hat. Wer weiß, dass sein Kommunikationsverhalten minutiös aufgezeichnet wird, der verändert sein Verhalten. Ob er will oder nicht. Eine Demokratie lebt aber vom Vertrauen des Bürgers in den Staat und vom Vertrauen des Staates in den Bürger. Von den Freiheitsrechten. Von der Meinungsfreiheit. Und von der Kontrolle der Macht des Staates durch den Bürger. Dies alles ist durch die Vorratsdatenspeicherung stark gefährdet. Denn es gilt auch in diesem Fall: Wissen ist Macht. Und die Macht, die der Staat durch die Vorratsdatenspeicherung erhält, beinhaltet das absolut reale Risiko, gegen den Bürger angewendet zu werden.

Da die deutschen Medien leider kaum über das komplexe Thema Datenschutz und Vorratsdatenspeicherung berichten, muss jeder einzelne Bürger tätig werden. Z.B. vielleicht indem man bei der Aktion "Offene Briefe gegen die Vorratsdatenspeicherung" mitmacht.

Sonntag, 19. November 2006

Ab jetzt in Schieflage

Ich habe festgestellt, dass es zu viele Schieflagen in der Welt gibt. Also muss ein Weblog her. Sonst verliert man die Übersicht.