Donnerstag, 22. November 2007

Gefährliche Sesamstraße: Augen zu bei Keksen und Griesgrämigkeit!

Diese Meldung "machte meinen Tag", wie man so auf eingedeutschtem Englisch sagt:

Nach Ansicht der US-Produzenten der «Sesamstraße» sollten Eltern ihren Kindern bei frühen Ausgaben der Kult-Sendung besser die Augen zuhalten. Vor allem dann, wenn Oskar und das Krümelmonster zu sehr pöbeln und krümeln. Deshalb sollen DVDs aus den frühen Zeiten mit einem Warnhinweis versehen werden, die besagen, dass die Shows für kleine Kinder nicht geeignet seien, teilte Produzentin Carol-Lynn Parente der «New York Times» mit. (Quelle: Netzeitung.de)


Oskar sei zu griesgrämig und das ständige Keksefressen vom Krümelmonster biete ernährungspädagogisch ein schlechtes Vorbild.

Das ist so lächerlich...

Dass die Sesamstraße (vor allem die in den 70iger Jahren in den USA produzierten Teile der Sesamstraße) durch die komischen und hintersinnigen Sketche mit Ernie, Bert, Kermit, Krümelmonster und Schlemihl das eigene Denken bei Kindern befördern, kann ich mir gut vorstellen.

Oskar aus der SesamstraßeOskar (im Original "Oscar the grouch") flog schon früh aus der Sesamstraße raus. Was ich als Kind damals sehr bedauerte. Seine Griesgrämigkeit empfand ich als enorm liebenswert und sie machte ihn einzigartig. Oskar hatte zu allem immer eine andere Meinung und nahm keine Rücksicht darauf, ob er damit eventuell aneckt. Oskar war somit einer der ersten Blogger. Diese Unabhängigkeit veredelte seine Person. Die Mülltonne nahm man nicht mehr wahr. Es kommt eben auf den Inhalt an, nicht auf das Äußere.

Als Kind ist man ja alles andere als unabhängig. Wesen, die einem vorleben, dass es möglich ist, unabhängig zu sein, faszinieren Kinder deshalb automatisch. Darauf beruht auch ein großer Teil des Erfolges der Geschichten von Astrid Lindgren. Die meisten ihrer Figuren zeichnen sich ja durch eine große Unabhängigkeit aus: Pippi Langstrumpfs übermenschliche Kräfte und ihre Fähigkeit, ohne Eltern leben zu können, Michel aus Lönneberga mit seinem Mut und seiner Gewitztheit, Karlsson auf dem Dach mit seiner Fähigkeit zu fliegen und seiner absoluten Störrigkeit.

Eigenständiges Denken hat immer etwas mit dem Überschreiten von Grenzen, mit Auflehnung und Nicht-Brav-Sein zu tun. Und das ist gut so. Und Kinder werden immer nach einem Weg suchen, einem Druck nach Anpassung auszuweichen. Bei Erwachsenen sieht das dann schon anders aus. Wie man an dem heutigen, oben dokumentierten, kriecherischen Verhalten der US-Produzenten der Sesamstraße erkennen kann.

Copyright-Hinweis: Urheber des obigen Fotos ist Ben Schumin. Das Bild unterliegt der "GNU Free Documentation License", Version 1.2 oder höher.

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Wenn der Metzger von der Verdauung bei Sozialhilfe-Empfängern spricht und nur Scheiße bei rauskommt

Der baden-württembergische Landtagsabgeordnete Oswald Metzger (Bündnis90/Die Grünen) reduziert Sozialhilfe-Empfänger auf Wesen, die ihren Sinn nur darin sehen würden, Kohlenhydrate und Alkohol in sich heinzustopfen, berichtet unter anderem Derwesten.de. Das reduziert Menschen auf ihre körperlichen Funktionen und Bedürfnisse und nimmt ihnen somit teilweise ihre Menschenwürde. Metzger betreibt also nichts anderes als Volksverhetzung.

Bleibt die Frage, was Metzger so zu sich nimmt, dass er anschließend derart Abartiges ausscheiden muss. Der Arme! Dann doch lieber Kohlenhydrate und Alkohol.

Der Artikel bei Derwesten.de und viele weitere Meldungen in den anderen Medien enthalten jedoch einen Fehler: Metzger ist kein Haushaltsexperte, er wird nur als ein solcher bezeichnet.

Man darf Metzger nicht nur reduzieren auf seinen Pseudo-Status als sogenannter "Haushaltsexperte". Er ist noch weit mehr! Zum Beispiel ist er verbunden mit dem neoliberalen Propaganda-Institut namens "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" (INSM), weiß das INSM-Watchblog zu berichten. Dort im INSM-Watchblog erfährt man auch in weiteren Artikeln, dass diese ominöse INSM häufig Personen um sich versammelt, die mit ähnlich menschenverachtenden Äußerungen aufgefallen sind in letzter Zeit. Beispielsweise der als "Gesundheitsökonom" betitelte Prof. Oberender, der vorschlägt, arme Menschen sollten ihren Lebensunterhalt auch mit dem Verkauf ihrer Organe bestreiten.

Die INSM ist eine Lobbyorganisation des Metallarbeitgeberverbandes. Wesentliches Ziel dieser Organisation ist die Reduzierung und Beschneidung des Sozialstaates. Dass das ein asoziales Anliegen ist und dass die Auflösung des Sozialstaates auch die Demokratie gefährdert, weil die Reichen dann noch mehr Einfluss gewinnen, als sie ohnehin schon haben, das erschließt sich einem, wenn man sich genauer mit dem Programm der INSM befasst. Mehr dazu, wie gesagt, im INSM-Watchblog, oder auch bei LobbyControl.de und natürlich bei den fabelhaften NachDenkSeiten.de. In meinen Simpy-Bookmarks habe ich auch schon einige Einträge zur INSM, hauptsächlich dazu, wie die INSM es immer wieder schafft, ihre Botschaften als vermeintlich neutrale Expertisen den deutschen Medien unterzujubeln.

Zum Misstrauischwerden gegenüber dieser seltsamen "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" dürfte aber die Erkenntnis ausreichen, dass die INSM sich mit solchen Personen wie Metzger und Oberender umgibt.

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Mittwoch, 21. November 2007

Im Nebel der Datenschutz-Ignoranz geht so einiges verloren: Wahrheit, Vertrauen, Sicherheit

Buchstäblich halb Großbritannien ist in Angst, weil die dortigen Behörden beim Datenschutz geschlampt haben. Fehlender Datenschutz, nicht fehlende Terrorabwehr und nicht fehlende staatliche Schnüffelei waren der Auslöser für Angst und Schrecken: In Großbritannien sind nämlich zwei CDs auf dem Postweg verloren gegangen, auf denen wichtige Daten von der Hälfte der britischen Bürger gespeichert waren. Heise.de berichtet über die Details: Millionen Briten von Datenpanne betroffen. Und Christiane Link erklärt, warum die auf den CDs gespeicherten Daten für Briten alles andere als harmlos sind: Sorry liebe Eltern.

Zwei kleine, silbrig glänzende Scheibchen...

Heute passt in einen mittelgroßen Briefumschlag, was früher, ausgedruckt auf Papier, sicherlich etliche hundert Aktenordner gefüllt hätte.

Meine Vermutung ist ja, dass Schäuble & Co. teilweise einfach nicht realisieren, wie verletzlich digitale Daten sind. So leicht lassen sie sich kopieren, transportieren, manipulieren, automatisch auswerten und in Verbindung zueinander setzen. Alles buchstäblich auf Knopfdruck und in Sekundenschnelle. Vorgänge, die früher wegen ihres Arbeitsaufwandes selbst für eine ganze Behörde unmöglich waren durchzuführen (beispielsweise das Suchen nach Verknüpfungen in den in Papier-Akten niedergeschriebenen Daten) kann heute jeder Schüler machen, sofern er sich etwas auskennt mit Datenbankprogrammen oder statistischen Auswertungs- und Dataminingprogrammen wie beispielsweise SPSS.

Schäuble & Co. sehen nur die dunkle Seite der digitalen Daten: Dass die leichtere Informationsbeschaffung im Internetzeitalter vor allem eine Gefahr darstellt. Sie meinen jedoch nicht die Gefahr, dass die Daten der Bürger in falsche Hände geraten könnten. Nein, sie meinen die Gefahr, dass der Staat die Übersicht verliert bei seinen Überwachungsbemühungen darüber, wo sich die Bürger wie informieren und wie die Bürger sich - eventuell sogar anonym und "kryptiert" - untereinander, am Staat vorbei, austauschen. Das sei nach Schäuble & Co. die dunkle Seite des Informationszeitalters. Sie sehen den Staat als armen, blinden Deppen, der nicht mehr mitlesen kann, was die Bürger so treiben. (Nachtrag: DetlevT hat einmal ein paar Zitate von Schäuble, Ziercke und Co. zu diesem gefährlichen Internet-Ding gesammelt. Aber bitte nicht kurz vor dem zu Zubettgehen lesen, da sonst Albträume vorprogrammiert sind.)

Um der vermeintlichen Ohnmacht des Staates im Internetzeitalter zu entgehen, meinen Schäuble & Co. also, im Gegenzug so viel Daten über die Bürger wie möglich erheben und speichern und bei Bedarf auswerten zu müssen. Dass der Staat eventuell Missbrauch mit diesem Datenwust betreiben könnte, dass wird schlicht und einfach verneint von Schäuble & Co. Und dabei braucht es gar keine böse Absicht, wie die oben erwähnte, aktuelle Datenpanne in Großbritannien zeigt.

Ein Briefumschlag und zwei CDs ungesichert unterwegs auf dem Postweg... So einfach und unscheinbar sieht das Schindludertreiben mit digitalen Daten aus. Es sind keine gut geplanten Einbrüche in Behördenbüros nötig. Es sind keine angemieteten Lieferwagen nötig, die nachts Berge von Aktenordnern abtransportieren. Solch ein Raub würde am nächsten Tag sofort auffallen. Das Kopieren von digitalen Daten geht in Windeseile. Selbst Daten der halben Bevölkerung. Und anschließend merkt auch niemand, dass die Daten kopiert wurden. Die Originale sind ja noch da.

Ich möchte nicht wissen, wie oft schon behördliche Daten "verloren" gingen. Es braucht dazu gar kein ungeschützter Versand von CDs mit der Post. Ist die Behörde an ein Netzwerk angeschlossen, reichen oft wenige Mausklicks und Daten können da sein, wo sie nicht hingehören. Datenschlamperei bei Behörden gibt es auch in Deutschland, beispielsweise in Hamburg: Eklatante Sicherheitslücken im Behörden-Computernetz (Heise.de).

Aber Datenschützer können in Deutschland noch so detaillierte Untersuchungen anstellen und noch so oft warnen, wie just gerade wieder der Bundesdatenschützer: Datenschützer fordert Ende der Datensammelwut (Heise.de). Ihre Warnungen verhallen noch weitgehend ungehört. Es muss wohl erst auch hier in Deutschland eine aufsehenerregende Datenpanne passieren, von der viele Menschen betroffen sind.

Eigentlich bräuchten wir also viel schärfere Datenschutzgesetze und genaue Vorschriften, wie Firmen und Behörden mit Daten umgehen müssen. Und es bräuchte härtere Strafen bei Verstößen gegen den Datenschutz. Ich weiß, hab ich schon oft geschrieben hier im Weblog...

Wäre es nur reine Ignoranz gegenüber der Datenschutz-Problematik, so könnte man ja hoffen, dass irgendwann ein Lernprozess einsetzt. Aber die Art und Weise, wie Schäuble & Co. mit Kritik an ihnen umgehen, zeigt, dass von ihrer Seite absolut kein Interesse an einem Dialog besteht. Statt auf sachlich vorgetragene Kritik an diesem politischen Raubzug am Datenschutz zu antworten, statt sich also auf eine wirkliche, ehrliche Diskussion mit richtigen Argumenten einzulassen, weichen Schäuble & Co. immer wieder aus und wiederholen ihre Allgemeinplätze und Behauptungen oder wiederholen immer nur unverschämt, dass die Datenschützer und Kritiker keine Ahnung hätten. Mal selbst mit ein paar überzeugenden Argumenten zu antworten, die zumindest versuchen, zu beweisen, dass all die umfangreichen Daten über die Bürger tatsächlich nötig sind, das halten Schäuble & Co. nicht für nötig. Stattdessen betrügen und belügen Schäuble und sein Anhang in Form von Union und SPD das Volk und die Medien, wo sie nur können beim Thema Onlinedurchsuchung und Vorratsdatenspeicherung, wie dieser Artikel bei Tagesschau.de und dieser hervorragende Artikel bei Telepolis.de beweisen. Und nein, meine Rede von den Lügen ist keine Übertreibung. Einfach die beiden gerade verlinkten Artikel lesen...

Vielleicht wiegt der Vertrauensverlust in die Politik und in die Politiker, der durch das unaufrichtige Verhalten bei der Debatte rund um den Datenschutz von Schäuble, der Union und der SPD verursacht wird, noch schlimmer als jeder noch so große Missbrauch von Millionen von Datensätzen. Unsere Politiker wollen - aus welchen Gründen auch immer - nicht nur die bürgerlichen Freiheitsrechte unnötigerweise weiter beschneiden, sie tun dies vor allem in einer erschreckend undemokratischen Art und Weise. Wenn es geht, dann vermeidet man öffentliche Debatten und beschließt - wiederum zum Entsetzen beispielsweise des Bundesdatenschützers - ohne jegliche ehrliche Debatte in einer Nacht-und-Nebel-Aktion, dass die Bundespolizei nun Videoaufnahmen (beispielsweise auf Bahnhöfen) 30 Tage speichern darf: Datenschützer kritisiert Ausdehnung der bundesweiten Videoüberwachung (Heise.de).

Und wieder fangen die Politiker an zu lügen bei ihren Reden im Bundestag bei der Verabschiedung dieses Gesetzes und behaupten frech, dass diese Speicherung helfe, Terroranschläge zu verhindern. Und wieder lügen sie frech und spinnen weiter am Mythos, dass die Kofferbombenattentäter mittels Videoüberwachung gefasst worden seien.

Wie lange wird dieses Gerede vom sogenannten "knallharten Kurs" gegen Terrorismus und Kriminalität, den man angeblich mit dem Überwachungskram verfolge, noch verfangen beim Wähler? Am Wochenende trällerte es mal wieder auch die Bayerische Justizministerin Merk in einem Interview mit der "Welt am Sonntag":

[Merk:] Wenn es um innere Sicherheit geht, bin ich knallhart. Denn wir müssen alle Spielräume ausloten, die die Verfassung uns lässt, um so viel Sicherheit wie möglich zu bieten. [...] Ich will die Onlinedurchsuchung als Ermittlungsinstrument gerade auch für die Strafverfolgung. Ich kann nachvollziehen, wenn hier das Schreckbild des gläsernen Bürgers an die Wand gemalt wird. Aber dem ist nicht so. Ohne richterlichen Beschluss geht hier gar nichts. Und sollte wirklich jemals ein unbescholtener Bürger in eine derartige Überprüfung rutschen, wird das sofort korrigiert.

[Welt am Sonntag:] Aber Sie legen damit die Verfassung bis an ihre Grenze aus?

[Merk: ] Warum nicht? Wir müssen doch keinen Anstandsabstand einhalten, wie viele Gutmenschen meinen. (Quelle: Welt.de)


Wir sind die "Harten", die "Aufrechten", das soll dieses Gelaber vom "harten Kurs" wohl ausdrücken. So als ob Datenschützer und Bürgerrechtler, die angeblich dümmlichen "Gutmenschen" also, Weicheier seien.

Dieses Gerede vom "knallharten Kurs", von der stolzen "Härte" und so weiter, erinnert mich irgendwie an das machohafte Gehabe von jugendlichen Halbstarken, die sich bei 180 Sachen auf der Autobahn nicht anschnallen und die meinen, dass ABS und ESP ihr Auto lahmarschig machen und Airbags auch nur was für alte Tanten sind.

Fahrt schön gegen die Wand! Alle, die ihr Datenschutz für unnötig haltet und daran glaubt, dass der Staat niemals Daten missbraucht oder auch nur versehentlich verschludert. Ihr seid die Deppen, über die man morgen lachen wird oder denen man morgen die Hölle heiß machen wird, wenn noch mehr Bürger aufwachen und anfangen zu protestieren gegen diese Vereinnahmung ihrer Daten durch den Staat und gegen das dadurch bedingte Ausgeliefertsein an den Staat. Dann könnt ihr ja zeigen, wie "hart" ihr seid, wenn plötzlich keine Mehrheit mehr hinter euch steht.

Montag, 19. November 2007

Mediengeile Kölner Polizei

Anders kann man das nicht bezeichnen, was die Kölner Polizei da abgezogen hat. Hauptsache, man kann der lechzenden Öffentlichkeit präsentieren, wie toll Prävention ist. Da verliert man jede Zurückhaltung. Da schaltet der Verstand ab.

Zwei (was ihr Schadenspotenzial angeht) harmlose Softair-Pistolen und eine nicht gerade robust aussehende Armbrust werden auf einer großen Pressekonferenz präsentiert und in marktschreierischer Art davon gesprochen, dass man mit absoluter Sicherheit einen furchtbaren Amoklauf verhindert habe.

Mediengeile Kölner Polizei.

Richtige Polizeiarbeit sieht anders aus. Da klärt man erst einmal auf, was Sache ist. Und wenn man dann herausbekommen hätte, dass der Amoklauf tatsächlich geplant gewesen war, dann wartet man mit dem Veröffentlichen zumindest bis dieser Jahrestag eines früheren Amoklaufs verstrichen ist, um die Schüler und Lehrer nicht weiter zu verunsichern und mögliche andere Schüler, die bundesweit ebenfalls mit Selbstmordgedanken (denn vermutlich wäre auch der Kölner Amoklauf eher zu einer Art erzwungenem "Selbstmord" per Polizei-Rettungsschuss mutiert - da ergeben die Softaire-Pistolen auch einen Sinn...) oder Amoklauf-Plänen spielen, nicht noch zu motivieren. Denn dass Berichte über Selbstmorde beispielsweise die fatale Eigenschaft haben, Nachahmer zu motivieren, ist wissenschaftlich längst belegt.

Was also sollte diese riesige Pressekonferenz?

Dass die Polizei den Schüler, der sich nach einem Polizeigespräch umbrachte, nicht nach Hause begleiten ließ, das ist tragisch, aber es ist schwer zu beurteilen, ob hier die Polizei tatsächlich fahrlässig handelte. Auch dass die Polizei den Hinweisen auf einen Amoklauf überhaupt nachging, ist nicht falsch.

Aber was sollte dieser Pressewirbel?

Der von der Polizei ausgelöste Pressewirbel zeigt vor allem eines: Dass die Polizei mehr an ihrem Selbstbild in der Öffentlichkeit interessiert ist als am Schutz des zuvor angeklagten 18-Jährigen und als am Schutz der Schüler und Lehrer. Der Stress, den die Polizei mit ihrer Mediengeilheit bei Lehrern, Schülern und dem Verdächtigen ausgelöst hatten, war völlig unnötig. Er wäre auch unnötig gewesen, wenn sich die Vorwürfe gegen den Verdächtigen bestätigt hätten.

Aber mit Strafverfolgung wird zur Zeit ja wie seit langem nicht mehr Politik gemacht in diesem Land. Dient die Strafverfolgung doch derzeit dazu, Bürgerrechte einzuschränken, ja ein neues Staatsverständnis vom Staat als machtvollem, beschützenden Übervater zu etablieren. Da muss jeder vermeintliche Präventionserfolg sofort groß hinausposaunt werden. Koste es, was es wolle.

Und so ist es auch kein Wunder, dass dieser tragische Vorfall in Köln sofort wieder zu einer günstigen Gelegenheit pervertiert, die irgend so ein Polizeivertreter zum Anlass nimmt, verschärfte Ermittlungsmethoden zu fordern. Was ist das für eine perverse Zeit, in der wir leben? Da haben doch manche Leute ganz eindeutig ihre Fähigkeit zum klaren Denken (ich hoffe nur zeitweilig) erheblich eingebüßt, um das mal (hoffentlich) nicht abmahnfähig auszudrücken. So soll Klaus Jansen, Bundesvorsitzender des Bundes der Kriminalbeamten, auch gleich wieder die Online-Durchsuchung (Bundestrojaner) gefordert haben im Angesicht des vermeintlich verhinderten Amoklaufs. Ja, richtig! Die Online-Durchsuchung!

Und da kommen wir zu dem Thema Onlinedurchsuchung: In einer zeitkritischen Situation haben wir nicht die Zeit, vielleicht erst zu demjenigen nach Hause zu fahren, den Rechner sicherzustellen, den neu aufzubauen, den dann zu durchsuchen, sondern Sie müssen im Einzelfall aus der Distanz, nämlich das Internet ist ja dieses distanzlose Medium, müssen Sie in der Lage sein, vielleicht sagen zu können, wir müssen Direktschutzmaßnahmen an einer Schule fahren oder nicht. Ich glaube, dass wir das Thema Onlinedurchsuchung auch vor dem Hintergrund dieser Tat, beziehungsweise dieses Versuchs, noch mal neu diskutieren müssen. (Quelle: Deutschlandfunk)


(Via immer unverzichtbarer werdendem Antiterror.Blog.de)

Plagt dich irgendein Leid, nimm die Online-Durchsuchung, die hilft mit Sicherheit! Die Liste der Dinge, für die die Online-Durchsuchung nun schon Mittel der Wahl sein soll, kann also wieder erweitert werden. Ein Amoklauf ist ja auch irgendwie Terrorismus, für dessen Bekämpfung die Online-Durchsuchung eigentlich angeblich ja gedacht war. Aber es ist ja eigentlich überhaupt alles Terrorismus. Gegebenenfalls. Gegebenenfalls ist das Zauberwort, mit dem das Bundesinnenministerium gegebenenfalls die Online-Durchsuchung gegen Missbrauch absichern will, wie Netzpolitik.org gerade passenderweise mitteilt. Gegebenenfalls, so also steht es in den nun offiziellen Antworten des Bundesinnenministeriums auf Fragen zur Online-Durchsuchung, will man mit dem Bundestrojaner das eine oder andere machen und theoretisch grundsätzlich sich dabei auch an Richtervorbehalt und so ein Zeugs halten. Gegebenenfalls sicher. Sicherheitshalber gegeben. Gegebene halbe Antworten. Mit Nachfragen von den Medien ist nicht zu rechnen. Das zumindest ist wirklich sicher.

Aber zurück nach Köln: Liebe Kölner Polizei, haltet das nächste Mal einfach erstmal eure Klappe und macht eure Arbeit, bevor ihr Angst und Schrecken hochpusht mit der Präsentation von Softairpistolen und einer Armbrust, die vermutlich alleine schon wegen ihrer Nachladezeit kaum als Amokwaffe geeignet erscheint.

Interessant auch, dass die Medien diese Mediengeilheit der Kölner Polizei kaum kritisieren. Klar, sie lieben solche Storys. Sie leben indirekt von der Angst. Und zwar nicht nur die unseriösen Boulevard-Magazine der privaten Sender, sondern diese kritiklose Berichterstattung findet heute genauso in der ehemals qualitätvollen Tagesschau statt.

Der Vollständigkeit halber, und damit dieser Weblog-Eintrag auch noch in ein paar Monaten in den richtigen Kontext gestellt werden kann: Ein Bericht bei Spiegel.de über das Verschwinden eines Amoklaufs und über das Verschwinden einer vermeintlich glorreichen Verhinderung eines Amoklaufs: Schüler hatten Pläne für Blutbad schon aufgegeben.

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Gibt es Vorratsdatenspeicherung nur, damit Banken Geld sparen?

Bei Zeit.de ist ein entlarvendes Interview mit einem Staatsanwalt zum Thema Vorratsdatenspeicherung zu lesen: "Wir brauchen die Daten".

Dass ein gegenüber der Politik weisungsgebundener Staatsanwalt sich überhaupt zu dieser Thematik äußert, zeugt zunächst einmal von Mut. Ich hoffe, der interviewte Staatsanwalt behält seinen Posten.

Die Überschrift über dem Interview führt in die Irre. "Wir brauchen die Daten", sagt Staatsanwalt Robert Bondzio über die Telekommunikationsverbindungsdaten, die jetzt alle gespeichert werden sollen. Aber er schränkt dieses "Brauchen" dann doch sehr ein. Es geht ihm um die Aufklärung von Betrugsdelikten, die via Internet begangen werden. Dazu bräuchte man die Verbindungsdaten:

Man braucht sie aus Sicht der Ermittler, um einige Straftaten überhaupt verfolgen zu können. Die Computerkriminalität hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen – das ist der Kernbereich, für den Vorratsdatenspeicherung notwendig ist. Das Netz bietet nun einmal Anonymität, die jedoch nicht nur Vorteile, sondern auch Nachteile hat. Vor allem, wenn man Geschäfte machen will. Bei denen ist es eben wichtig zu wissen, mit wem man es zu tun hat. Phishing, also das Abfangen von Konten-Daten, und Nachstellungen machen nur einen Teil der Online-Kriminalität aus. Der überwiegende Teil sind Betrugsdelikte. (Quelle: Zeit.de)


Seltsam nur: Ich glaube, wenn ich mich richtig erinnere, sagten die letzten Statistiken aus, dass ungefähr zwischen 30 und 40 Prozent der Deutschen kein Internet nutzen. Aber auch von ihnen wird nun rund um die Uhr sechs Monate lange gespeichert werden, mit wem sie wie lange telefonieren und wo sie sich in den sechs Monaten mit ihrem Handy aufgehalten haben.

Weiterhin kenne ich viele, die zwar das Internet nutzen, jedoch nicht, um im Internet Dinge zu kaufen oder Bankgeschäfte zu tätigen.

Und schließlich würden vermutlich viele auf den Kauf von Waren via Internet verzichten, wenn im Gegenzug die Vorratsdatenspeicherung abgeschafft würde, oder?

Zu dieser Frage starte ich gleich mal eine Umfrage. Wieder zu finden rechts in der Navigationsleiste. Falls das mit dem Abstimmen da nicht funktioniert, liegt es vermutlich daran, dass der eigene Browser oder installierte Browser-Add-Ons wie beispielsweise das fabelhafte "NoScript" das Abstimmungselement als möglicherweise gefährliches "Cross-Site-Scripting" blockieren. Gefährliches Cross-Site-Scripting ist es in diesem Fall jedoch nicht. Wer weiß, was er tut, kann also zur Abstimmung eventuell NoScript kurz abschalten. Aber nicht vergessen, es danach sofort wieder zu aktivieren.

A propos "NoScript". Der von Zeit.de interviewte Staatsanwalt meint, dass alternative Methoden, mit denen man das Kaufen und Verkaufen jenseits einer umfassenden Vorratsdatenspeicherung im Internet sicherer machen könnte (beispielsweise sichere Authentifizierungssysteme für die Nutzer und Anbieter von Dienstleistungen), viel zu aufwendig seien. Zumindest den Banken beispielsweise sei die Anwendung sichererer Verfahren fürs Internetbanking schlicht zu teuer. Bekommen wir also die Vorratsspeicherung, um den Banken teure Investitionen zu ersparen und weil die Internetprovider, die jetzt die Kosten für die Vorratsspeicherung tragen müssen, nicht so eine gut funktionierende Lobby haben wie die Banken?

Die Äußerungen im Interview dazu finde ich äußerst aufschlussreich:

ZEIT online: Gibt es nicht technische Lösungen, um zum Beispiel Betrug einzudämmen?

Robert Bondzio: Ja, indem man für Internet-Geschäfte gewisse Sicherheitsstandards verlangt. Also beispielsweise festlegt, wenn die Banken Standards wie Itan nicht einhalten, geht jeder Schaden zu ihren Lasten. Aber seitens der Banken bestehen da gewisse Vorbehalte. Die Einführung von Itan hat auch ohne Haftungsregelung eine ganze Weile gedauert. Von einem flächendeckenden HBCI-Banking sind wir meilenweit entfernt.

ZEIT online: Warum wird es nicht per Gesetz verordnet, wenn der Schutz so doch viel leichter und billiger umzusetzen wäre?

Robert Bondzio: Diese Frage müssen Sie einem Politiker stellen. (Quelle: Zeit.de)


Viele Betrugsversuche im Internet benutzen das sogenannte "Cross-Site-Scripting", bei dem der Internetnuzter meint, auf einer ihm vertrauten Internetseite Daten in eine Eingabemaske einzugeben, im Hintergrund jedoch die Daten mittels heimlich in der Webseite eingebundener Skripte wo ganz anders hin transferiert werden. Das oben erwähnte "NoScript" verhindert solch ein Cross-Site-Scripting, weil es derart in eine Webseite eingebundene Skripte im Browser des Nutzers deaktiviert.

Sichere Authentifizierungsmethoden und solche kleinen, kostenlosen zusätzlichen Software-Add-Ons wie "NoScript" seien also zu aufwendig, um Betrugsdelikte im Internet zu verhindern? Die Vorratsdatenspeicherung, die Millionen Euro kosten wird und ein enorm hohes Missbrauchspotenzial darstellt, sei also weniger aufwendig als alternative Methoden?

Könnte das Interview vielleicht ein Betrugsversuch sein? Ein Versuch, den Verstand der Leser zu betrügen und zu verwirren?

Und dann sagt der interviewte Staatsanwalt noch:

Nach Ablauf der Speicherfrist werden die Daten gelöscht, ohne dass jemals jemand draufgeschaut hat. (Quelle: Zeit.de)


Dass die europäischen Geheimdienste ebenfalls Zugriff auf die Telekommunikationsverbindungsdaten der Vorratsspeicherung bekommen sollen - und das natürlich ganz ohne jeden Richtervorbehalt - wird im Interview natürlich nicht erwähnt. Und auch vom "Missbrauchspotenzial" wird nur abstrakt gesprochen. Konkret bedeutet dies jedoch, dass die Provider selbst die gespeicherten Daten zu Geld machen könnten. Wer sollte dies merken, außer die Kunden, die sich vielleicht irgendwann wundern, wer was alles über sie weiß, dann aber kaum nachweisen können, dass ihr Provider die Daten vielleicht heimlich verkauft hat?

Und nun viel Spaß mit der neuen Abstimmung rechts in der Navigationsleiste.

Nachtrag: Hier die Umfrageergebnisse:

Auf die Frage "Die Speicherung aller Verbindungsdaten soll vor allem vor Internetbetrug schützen. Würden Sie aufs Einkaufen via Internet verzichten, wenn dafür die Vorratsspeicherung wegfällt?" antworteten:
  • Ja, dafür würde ich aufs Einkaufen via Netz verzichten: 18 Stimmen
  • Nein, Einkaufen im Netz ist mir wichtiger: 4 Stimmen
  • Keine Meinung, bzw. kann ich nicht sagen: 2 Stimmen
Allen, die teilgenommen haben: Danke!

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