Terrorismusabwehr als Zauberwort, um alles zu rechtfertigen - Pressefreiheit als Luxus
Es läuft etwas aus dem Ruder, es zeugt von einem eklatanten Mangel an demokratischer, rechtsstaatlicher Gesinnung, wenn sich in Deutschland die Sicherheitsbehörden immer wieder wie Parasiten an Journalisten heften, um von den Recherchen der Journalisten zu profitieren.
Der NDR berichtet:
Polizeibehörden haben im Zuge von Ermittlungen gegen mutmaßliche Linksextremisten Telefongespräche eines Mitarbeiters von NDR Info abhören lassen. Dies soll im Auftrag der Bundesanwaltschaft erfolgt sein. Mitarbeiter des NDR hatten Einblick in Protokolle verschiedener Gespräche, die der betroffene Redakteur in diesem Jahr mit Informanten in Norddeutschland geführt hat. [...] Die Abhöraktion ist offenbar kein Einzelfall. Mehrere Berliner Zeitungen berichten, Mitarbeiter von ihnen seien ebenfalls überwacht worden. (Quelle: NDR-Online)
Einige weitere Details dazu enthält auch noch ein Bericht bei Tagesschau.de: Recherchen unter Staatsaufsicht.
Und die Berliner Zeitung berichtet über das jetzt erst bekanntgewordene Ausfiltern von Post an Berliner Zeitungen durch die Polizei im Mai dieses Jahres:
Die Bundesanwaltschaft hat im Frühjahr dieses Jahres Postsendungen an vier Berliner Tageszeitungen gefilzt und zwei Briefe beschlagnahmt. Im Zuge eines Ermittlungsverfahrens gegen die von der Bundesanwaltschaft als terroristisch eingestufte "militante gruppe" (mg) wurde vom 18. bis 22. Mai die gesamte Post an die Berliner Zeitung, die Berliner Morgenpost, die BZ und den Tagesspiegel in Briefzentrum 10 in Berlin Mitte durchgesehen. [...] Gegen diese Vorgehensweise haben mehrere Journalistenverbände scharfen Protest eingelegt. [...] "Wenn die Redaktionen nicht einmal darüber informiert werden, wie sollen Informanten sich dann noch sicher sein, wenn sie mit einer Redaktion in Kontakt treten." Sie müssten jederzeit davon ausgehen, dass Post abgefangen werde, sagte Köhn. Ihn erinnere die Maßnahme an Methoden, die "zu anderer Zeit in Deutschland schon einmal üblich waren". Gerhard Kothy, der Vorsitzende des Vereins Berliner Journalisten, bezeichnete die Durchsuchung als "Cicero-Skandal hoch drei". Offenbar sei selbst der Bundesgerichtshof nicht willens, "adäquat abzuwägen zwischen dem Postgeheimnis und Quellenschutz von vier Zeitungsredaktionen und der vagen bis absurden Hoffnung, einen Bekennerbrief mit Fingerabdruck zu finden". (Quelle: Berliner Zeitung)
Man beschattet schlicht und einfach Journalisten, die recherchierend tätig sind. Man horcht sie aus, zapft ihre Telefone an, fängt ihre Post ab, ohne die Journalisten darüber zu infomieren, man stört die Kommunikation zwischen Journalisten und Informanten, macht vielleicht sogar Hausdurchsuchungen in den Redaktionsräumen, man zerstört jegliches Vertrauen von Informanten in eine unüberwachte, nicht zensierte Kommunikation mit Journalisten.
Nicht die Journalisten werden dabei verdächtigt Täter zu sein. Nein, sie sind einfach ein billiger Zugang für die Sicherheitsbehörden zu Verdächtigen. Dass so die Wächterfunktion der Presse ausgehöhlt wird, weil die Presse kaum mehr recherchieren kann, wenn im Hintergrund der Staat die Recherchen beaufsichtigt, interessiert diese Demokratiefegährder in unseren Sicherheitsbehörden und in den Innenministerien Deutschlands nicht.
Deutschland im Jahr 2007. Nicht Kenia, nicht Birma, nicht Russland...
Verantwortlich: Die Landeskriminalämter, Monika Harms, die Innenminister der Länder.
Das, was jetzt bekannt wird, zeigt auch erneut, dass ein Richtervorbehalt für Überwachungsmaßnahmen kein Schutz ist gegen ausufernde Überwachung. Es bräuchte eigentlich in der heutigen Zeit, in der durch neue Technologien so leicht und umfangreich und unbemerkt Menschen überwacht werden können, viel strengere Auflagen und umfangreichere Kontrollen für Überwachungsmaßnahmen. Stattdessen gibt es nun die Vorratsdatenspeicherung, bei der noch umfangreicher und noch unbemerkter beispielsweise und gerade auch die Arbeit von Journalisten überwacht werden kann.
Es ist höchste Zeit für einen Weckruf. In den Sicherheitsbehörden muss aufgeräumt werden. Die politisch Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Noch haben wir die Freiheit dazu. Noch ist es nicht zu spät.
Es ist Zeit, Deutschland zu säubern und die Demokratiegefährder mit allen legalen Mitteln aus dem Amt zu jagen. Ich spreche bewusst von "säubern" und "aus dem Amt jagen", weil ich der Überzeugung bin, dass man die Verantwortlichen nicht mehr durch Argumente erreichen und so ihr Handeln mäßigen kann. Sie folgen ihrer sicherheitsfanatischen Agenda unbeeindruckt von Argumenten. Sie beschließen eine Vorratsdatenspeicherung, die für die Verbrechensbekämpfung fast überhaupt keinen Sinn ergibt, sondern stattdessn allerhöchste Missbrauchspotenziale beinhaltet. Sie pfeifen auf eine öffentliche Auseinandersetzung und reagieren stattdessen mit dem Erzählen von Lügen. Will man Schaden von unserer Demokratie und dem Rechtsstaat abwenden, müssen diese Leute schlicht ihren gesellschaftlichen Einfluss verlieren.
Dazu bedarf es der Aufklärung der Wähler. Sprecht in eurem Bekanntenkreis darüber, was das für Auswirkungen hat, wenn die Presse nur noch unter Aufsicht von Sicherheitsbehörden recherchieren kann! Macht den Leuten deutlich, dass Deutschland derzeit von einer Clique aus sicherheitsfanatischen Politikern manipuliert wird, indem Angst instrumentalisiert wird und die Folgen einer umfassenden Überwachung ausgeblendet oder verniedlicht werden!
Nachtrag: Passend dazu gerade auch beispielsweise ein aktueller und extrem lesenswerter Leitartikel in der Berliner Zeitung, den ich hier am liebsten in Gänze zitieren würde. Aber es genügt ja nur ein Klick: Wozu Pressefreiheit?
Trotzdem einige Passagen:
Wie ist dann die sich rapide verstärkende Neigung der Sicherheitsbehörden und Ermittlungsrichter zu verstehen, ein ungeschriebenes vermeintliches Grundrecht, das "Grundrecht auf innere Sicherheit", zum Höchstwert der Verfassung zu erklären und damit ein geschriebenes Grundrecht, das Grundrecht der Pressefreiheit, nach Bedarf zu verstümmeln? Was besagt die Tendenz, natürlich gefährliche, natürlich kriminelle jugendliche Brandstifter bedenkenlos zur Terrorgruppe hochzujazzen und sodann im Ermittlungsverfahren wegen Terrorverdachts die Postsendungen an Zeitungen heimlich zu durchsuchen? Darin spricht sich ein Verfassungsverständnis aus, wie man es bei Schäubles Reden gewinnt, nicht aber bei der Lektüre des Grundgesetzes. [...] was die Grundrechte im wesentlichen sind - es sind Abwehrrechte gegen den Staat, die kein fingiertes "Grundrecht auf innere Sicherheit" zu überspielen vermag. Zu diesen Abwehrrechten zählt die Pressefreiheit, das Zeugnisverweigerungsrecht der Journalisten, der Schutz der Informanten. Auf dieses Abwehrrecht hat der Bundestag gestern einen Anschlag verübt. (Quelle: Berliner Zeitung)
Nachtrag 2: Passend dazu auch, wie Heribert Prantl einmal umfassender beleuchtet, welche Auswirkungen die gestern vom Bundestag beschlossene Vorratsdatenspeicherung auf den Journalismus in Deutschland hat: Mit Blaulicht überrollt.
Darin:
Von diesem Gesetz geht eine Gefahr für die Pressefreiheit aus wie zuletzt im Jahr 1962 von der Durchsuchung des Magazins Spiegel, der Verhaftung von Rudolf Augstein und seiner leitenden Redakteure. [...] Vorratsdatenspeicherung: Was alle trifft, trifft den Journalismus in besonderer Weise. Der Schutz der Pressefreiheit reicht, so steht es im Spiegel-Urteil des Verfassungsgerichts aus dem Jahr 1966, "von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachrichten und Meinungen." Und zuletzt im Cicero-Urteil von 2007 hat das höchste deutsche Gericht noch einmal bestätigt: "Die Gewährleistungsbereiche der Presse- und Rundfunkfreiheit schließen diejenigen Voraussetzungen und Hilfstätigkeiten mit ein, ohne welche die Medien ihre Funktion nicht in angemessener Weise erfüllen können. Geschützt sind namentlich die Geheimhaltung aller Informationsquellen und das Vertrauensverhältnis zwischen Presse beziehungsweise Rundfunk und seinen Informanten. Staatlichen Stellen ist es darüber hinaus grundsätzlich verwehrt, sich Einblicke in Vorgänge zu verschaffen, die zur Entstehung von Nachrichten oder Beiträgen führen, die in der Presse gedruckt oder im Rundfunk gesendet werden." [...] Alle großen politischen Skandale der Bundesrepublik, auch und vor allem die mit strafrechtlichem Einschlag, sind von der Presse aufgedeckt worden, nicht von der Staatsanwaltschaft. Man kann sich fragen, welche dieser Skandale ruchbar geworden wären, wenn die Informanten schon damals die Speicherung ihrer Daten und den staatlichen Zugriff darauf hätten befürchten müssen. Das neue Vorratsdatenspeicherungsgesetz ist ein Aufklärungsverhinderungsgesetz gegen den Journalismus. (Quelle: Süddeutsche.de)
Die gestern öffentlich gewordenen Angriffe von Polizei, Staatsanwälten und Ermittlungsrichtern auf die Pressefreiheit stellen also anschaulich dar, was nun nach der Verabschiedung der neuen Richtlinien zur Telekommunikationsüberwachung bald noch viel häufiger zu erwarten ist: Einerseits eine umfassende Analyse der Kontakte und Informanten von Journalisten dank der Daten aus der Vorratsdatenspeicherung. Und andererseits häufigeres Abhören auch der Gespräche von Journalisten selbst, denen im neuen Gesetz nur noch ein eingeschränkter Schutz gegen das Abhören zugebilligt wird. Denn wie schreibt Heribert Prantl:
Lauschaktionen gegen Journalisten sollen möglich sein, wenn dabei die "Verhältnismäßigkeit" gewahrt bleibt. Wer zweifelt daran, dass die Sicherheitsbehörden im Zweifel nie an der Verhältnismäßigkeit zweifeln? (Quelle: Süddeutsche.de)
Nachtrag 3: Über den Quatsch mit der "Verhältnismäßigkeit" als magisches Abwehramulett gegen die Realisierung eines Überwachungsstaates und über die irrelevante Einschränkung im Gesetz, dass Überwacher sofort weghören müssten, wenn beispielsweise über innerste Gefühle am Telefon gesprochen würde, hat Sebastian bei Alarmschrei.de einen hervorragenden Artikel geschrieben: Requiem.
Darin:
Dabei soll der sogenannte Kernbereich privater Lebensgestaltung geschützt bleiben. Das heißt, ein Telefonat darf nicht verwendet werden, soweit darin, wie das Justizministerium erläutert, »über innerste Gefühle oder höchstpersönliche Überlegungen gesprochen wird«. Jahaha, der war gut. Ich habe das innerste Gefühl, ein klein wenig verarscht zu werden, und stelle gerade die höchstpersönliche Überlegung an, dass, wenn ich das nächste mal mit einem Terroristen über Bombenbauanleitungen oder Gentrification diskutiere, ich ihm einleitend mein Herz ausschütten werde, weil die Jungens vom BKA dann auflegen müssen. Ach nee, auflegen nicht; sie dürfen ja zuhören, dürfen es bloß nicht verwenden – als ob es an verbalen Ergüssen über innerste Gefühle überhaupt etwas zu verwenden gäbe. Die Irrelevanz dieser Bestimmung wiederum beruhigt, denn ich bin mir gar nicht immer so recht im Klaren darüber, welche Gefühle innerst und welche eher peripher sind, und bin recht dankbar dafür, dass das dann wohl so bleiben darf. (Quelle: Alarmschrei.de)
Technorati-Tags: NDR, Militante Gruppe, Pressefreiheit, Bundesanwaltschaft, Monika Harms, Landeskriminalamt Schleswig-Holstein, G8-Gipfel, Heiligendamm