Samstag, 10. November 2007

Terrorismusabwehr als Zauberwort, um alles zu rechtfertigen - Pressefreiheit als Luxus

Es läuft etwas aus dem Ruder, es zeugt von einem eklatanten Mangel an demokratischer, rechtsstaatlicher Gesinnung, wenn sich in Deutschland die Sicherheitsbehörden immer wieder wie Parasiten an Journalisten heften, um von den Recherchen der Journalisten zu profitieren.

Der NDR berichtet:

Polizeibehörden haben im Zuge von Ermittlungen gegen mutmaßliche Linksextremisten Telefongespräche eines Mitarbeiters von NDR Info abhören lassen. Dies soll im Auftrag der Bundesanwaltschaft erfolgt sein. Mitarbeiter des NDR hatten Einblick in Protokolle verschiedener Gespräche, die der betroffene Redakteur in diesem Jahr mit Informanten in Norddeutschland geführt hat. [...] Die Abhöraktion ist offenbar kein Einzelfall. Mehrere Berliner Zeitungen berichten, Mitarbeiter von ihnen seien ebenfalls überwacht worden. (Quelle: NDR-Online)


Einige weitere Details dazu enthält auch noch ein Bericht bei Tagesschau.de: Recherchen unter Staatsaufsicht.

Und die Berliner Zeitung berichtet über das jetzt erst bekanntgewordene Ausfiltern von Post an Berliner Zeitungen durch die Polizei im Mai dieses Jahres:

Die Bundesanwaltschaft hat im Frühjahr dieses Jahres Postsendungen an vier Berliner Tageszeitungen gefilzt und zwei Briefe beschlagnahmt. Im Zuge eines Ermittlungsverfahrens gegen die von der Bundesanwaltschaft als terroristisch eingestufte "militante gruppe" (mg) wurde vom 18. bis 22. Mai die gesamte Post an die Berliner Zeitung, die Berliner Morgenpost, die BZ und den Tagesspiegel in Briefzentrum 10 in Berlin Mitte durchgesehen. [...] Gegen diese Vorgehensweise haben mehrere Journalistenverbände scharfen Protest eingelegt. [...] "Wenn die Redaktionen nicht einmal darüber informiert werden, wie sollen Informanten sich dann noch sicher sein, wenn sie mit einer Redaktion in Kontakt treten." Sie müssten jederzeit davon ausgehen, dass Post abgefangen werde, sagte Köhn. Ihn erinnere die Maßnahme an Methoden, die "zu anderer Zeit in Deutschland schon einmal üblich waren". Gerhard Kothy, der Vorsitzende des Vereins Berliner Journalisten, bezeichnete die Durchsuchung als "Cicero-Skandal hoch drei". Offenbar sei selbst der Bundesgerichtshof nicht willens, "adäquat abzuwägen zwischen dem Postgeheimnis und Quellenschutz von vier Zeitungsredaktionen und der vagen bis absurden Hoffnung, einen Bekennerbrief mit Fingerabdruck zu finden". (Quelle: Berliner Zeitung)


Man beschattet schlicht und einfach Journalisten, die recherchierend tätig sind. Man horcht sie aus, zapft ihre Telefone an, fängt ihre Post ab, ohne die Journalisten darüber zu infomieren, man stört die Kommunikation zwischen Journalisten und Informanten, macht vielleicht sogar Hausdurchsuchungen in den Redaktionsräumen, man zerstört jegliches Vertrauen von Informanten in eine unüberwachte, nicht zensierte Kommunikation mit Journalisten.

Nicht die Journalisten werden dabei verdächtigt Täter zu sein. Nein, sie sind einfach ein billiger Zugang für die Sicherheitsbehörden zu Verdächtigen. Dass so die Wächterfunktion der Presse ausgehöhlt wird, weil die Presse kaum mehr recherchieren kann, wenn im Hintergrund der Staat die Recherchen beaufsichtigt, interessiert diese Demokratiefegährder in unseren Sicherheitsbehörden und in den Innenministerien Deutschlands nicht.

Deutschland im Jahr 2007. Nicht Kenia, nicht Birma, nicht Russland...

Verantwortlich: Die Landeskriminalämter, Monika Harms, die Innenminister der Länder.

Das, was jetzt bekannt wird, zeigt auch erneut, dass ein Richtervorbehalt für Überwachungsmaßnahmen kein Schutz ist gegen ausufernde Überwachung. Es bräuchte eigentlich in der heutigen Zeit, in der durch neue Technologien so leicht und umfangreich und unbemerkt Menschen überwacht werden können, viel strengere Auflagen und umfangreichere Kontrollen für Überwachungsmaßnahmen. Stattdessen gibt es nun die Vorratsdatenspeicherung, bei der noch umfangreicher und noch unbemerkter beispielsweise und gerade auch die Arbeit von Journalisten überwacht werden kann.

Es ist höchste Zeit für einen Weckruf. In den Sicherheitsbehörden muss aufgeräumt werden. Die politisch Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Noch haben wir die Freiheit dazu. Noch ist es nicht zu spät.

Es ist Zeit, Deutschland zu säubern und die Demokratiegefährder mit allen legalen Mitteln aus dem Amt zu jagen. Ich spreche bewusst von "säubern" und "aus dem Amt jagen", weil ich der Überzeugung bin, dass man die Verantwortlichen nicht mehr durch Argumente erreichen und so ihr Handeln mäßigen kann. Sie folgen ihrer sicherheitsfanatischen Agenda unbeeindruckt von Argumenten. Sie beschließen eine Vorratsdatenspeicherung, die für die Verbrechensbekämpfung fast überhaupt keinen Sinn ergibt, sondern stattdessn allerhöchste Missbrauchspotenziale beinhaltet. Sie pfeifen auf eine öffentliche Auseinandersetzung und reagieren stattdessen mit dem Erzählen von Lügen. Will man Schaden von unserer Demokratie und dem Rechtsstaat abwenden, müssen diese Leute schlicht ihren gesellschaftlichen Einfluss verlieren.

Dazu bedarf es der Aufklärung der Wähler. Sprecht in eurem Bekanntenkreis darüber, was das für Auswirkungen hat, wenn die Presse nur noch unter Aufsicht von Sicherheitsbehörden recherchieren kann! Macht den Leuten deutlich, dass Deutschland derzeit von einer Clique aus sicherheitsfanatischen Politikern manipuliert wird, indem Angst instrumentalisiert wird und die Folgen einer umfassenden Überwachung ausgeblendet oder verniedlicht werden!

Nachtrag: Passend dazu gerade auch beispielsweise ein aktueller und extrem lesenswerter Leitartikel in der Berliner Zeitung, den ich hier am liebsten in Gänze zitieren würde. Aber es genügt ja nur ein Klick: Wozu Pressefreiheit?

Trotzdem einige Passagen:

Wie ist dann die sich rapide verstärkende Neigung der Sicherheitsbehörden und Ermittlungsrichter zu verstehen, ein ungeschriebenes vermeintliches Grundrecht, das "Grundrecht auf innere Sicherheit", zum Höchstwert der Verfassung zu erklären und damit ein geschriebenes Grundrecht, das Grundrecht der Pressefreiheit, nach Bedarf zu verstümmeln? Was besagt die Tendenz, natürlich gefährliche, natürlich kriminelle jugendliche Brandstifter bedenkenlos zur Terrorgruppe hochzujazzen und sodann im Ermittlungsverfahren wegen Terrorverdachts die Postsendungen an Zeitungen heimlich zu durchsuchen? Darin spricht sich ein Verfassungsverständnis aus, wie man es bei Schäubles Reden gewinnt, nicht aber bei der Lektüre des Grundgesetzes. [...] was die Grundrechte im wesentlichen sind - es sind Abwehrrechte gegen den Staat, die kein fingiertes "Grundrecht auf innere Sicherheit" zu überspielen vermag. Zu diesen Abwehrrechten zählt die Pressefreiheit, das Zeugnisverweigerungsrecht der Journalisten, der Schutz der Informanten. Auf dieses Abwehrrecht hat der Bundestag gestern einen Anschlag verübt. (Quelle: Berliner Zeitung)


Nachtrag 2: Passend dazu auch, wie Heribert Prantl einmal umfassender beleuchtet, welche Auswirkungen die gestern vom Bundestag beschlossene Vorratsdatenspeicherung auf den Journalismus in Deutschland hat: Mit Blaulicht überrollt.

Darin:

Von diesem Gesetz geht eine Gefahr für die Pressefreiheit aus wie zuletzt im Jahr 1962 von der Durchsuchung des Magazins Spiegel, der Verhaftung von Rudolf Augstein und seiner leitenden Redakteure. [...] Vorratsdatenspeicherung: Was alle trifft, trifft den Journalismus in besonderer Weise. Der Schutz der Pressefreiheit reicht, so steht es im Spiegel-Urteil des Verfassungsgerichts aus dem Jahr 1966, "von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachrichten und Meinungen." Und zuletzt im Cicero-Urteil von 2007 hat das höchste deutsche Gericht noch einmal bestätigt: "Die Gewährleistungsbereiche der Presse- und Rundfunkfreiheit schließen diejenigen Voraussetzungen und Hilfstätigkeiten mit ein, ohne welche die Medien ihre Funktion nicht in angemessener Weise erfüllen können. Geschützt sind namentlich die Geheimhaltung aller Informationsquellen und das Vertrauensverhältnis zwischen Presse beziehungsweise Rundfunk und seinen Informanten. Staatlichen Stellen ist es darüber hinaus grundsätzlich verwehrt, sich Einblicke in Vorgänge zu verschaffen, die zur Entstehung von Nachrichten oder Beiträgen führen, die in der Presse gedruckt oder im Rundfunk gesendet werden." [...] Alle großen politischen Skandale der Bundesrepublik, auch und vor allem die mit strafrechtlichem Einschlag, sind von der Presse aufgedeckt worden, nicht von der Staatsanwaltschaft. Man kann sich fragen, welche dieser Skandale ruchbar geworden wären, wenn die Informanten schon damals die Speicherung ihrer Daten und den staatlichen Zugriff darauf hätten befürchten müssen. Das neue Vorratsdatenspeicherungsgesetz ist ein Aufklärungsverhinderungsgesetz gegen den Journalismus. (Quelle: Süddeutsche.de)


Die gestern öffentlich gewordenen Angriffe von Polizei, Staatsanwälten und Ermittlungsrichtern auf die Pressefreiheit stellen also anschaulich dar, was nun nach der Verabschiedung der neuen Richtlinien zur Telekommunikationsüberwachung bald noch viel häufiger zu erwarten ist: Einerseits eine umfassende Analyse der Kontakte und Informanten von Journalisten dank der Daten aus der Vorratsdatenspeicherung. Und andererseits häufigeres Abhören auch der Gespräche von Journalisten selbst, denen im neuen Gesetz nur noch ein eingeschränkter Schutz gegen das Abhören zugebilligt wird. Denn wie schreibt Heribert Prantl:

Lauschaktionen gegen Journalisten sollen möglich sein, wenn dabei die "Verhältnismäßigkeit" gewahrt bleibt. Wer zweifelt daran, dass die Sicherheitsbehörden im Zweifel nie an der Verhältnismäßigkeit zweifeln? (Quelle: Süddeutsche.de)


Nachtrag 3: Über den Quatsch mit der "Verhältnismäßigkeit" als magisches Abwehramulett gegen die Realisierung eines Überwachungsstaates und über die irrelevante Einschränkung im Gesetz, dass Überwacher sofort weghören müssten, wenn beispielsweise über innerste Gefühle am Telefon gesprochen würde, hat Sebastian bei Alarmschrei.de einen hervorragenden Artikel geschrieben: Requiem.

Darin:

Dabei soll der sogenannte Kernbereich privater Lebensgestaltung geschützt bleiben. Das heißt, ein Telefonat darf nicht verwendet werden, soweit darin, wie das Justizministerium erläutert, »über innerste Gefühle oder höchstpersönliche Überlegungen gesprochen wird«. Jahaha, der war gut. Ich habe das innerste Gefühl, ein klein wenig verarscht zu werden, und stelle gerade die höchstpersönliche Überlegung an, dass, wenn ich das nächste mal mit einem Terroristen über Bombenbauanleitungen oder Gentrification diskutiere, ich ihm einleitend mein Herz ausschütten werde, weil die Jungens vom BKA dann auflegen müssen. Ach nee, auflegen nicht; sie dürfen ja zuhören, dürfen es bloß nicht verwenden – als ob es an verbalen Ergüssen über innerste Gefühle überhaupt etwas zu verwenden gäbe. Die Irrelevanz dieser Bestimmung wiederum beruhigt, denn ich bin mir gar nicht immer so recht im Klaren darüber, welche Gefühle innerst und welche eher peripher sind, und bin recht dankbar dafür, dass das dann wohl so bleiben darf. (Quelle: Alarmschrei.de)


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Freitag, 9. November 2007

Vom GröFaZ zu den GröFahaZen

Ich hatte, ehrlich gesagt, zu keiner Zeit erwartet, dass uns Bundesinnenminister Schäuble in seiner Amtszeit mit rhetorischen Perlen beglücken würde. Die von ihm gerne gebrauchte "Brunnenvergiftung", oftmals gefolgt vom "argumentum ad verecundiam" (Nummer 30 von den von Schopenhauer verfassten Kunstgriffen einer dunklen Art der Rhetorik) bis hin zum immer wieder beliebten "Totschlagargument" ("Das ist eben so!") gehören leider zu den weniger angesehenen Stilmitteln der Redekunst. Wirken tun sie natürlich trotzdem beim einfachen Volk und den deutschen Medien.

Aber nun auch noch ein Nazi-Vergleich? Der Gipfel aller diskursiven Fehlgriffe? Aber nein, noch nicht einmal einen richtigen Nazi-Vergleich kriegt Schäuble hin! Auch hier wackelt alles und passt nichts richtig.

"Wir hatten den 'größten Feldherrn aller Zeiten', den GröFaZ, und jetzt kommt die größte Verfassungsbeschwerde aller Zeiten."


Soll Schäuble gesagt haben. Aber was, bitte schön, soll das denn jetzt heißen? Man hat das Adjektiv "größte" beim Wort "Feldherr" und beim Wort "Verfassungsbeschwerde". Und dieses eine gemeinsame Adjektiv verleitet Schäuble zu diesem Nazi-Vergleich?

Gut, ich verstehe schon. Er will seine politischen Gegner zum Widerspruch reizen, nur um am nächsten Tag dann - ätschi, bätschi! - genüßlich darlegen zu können, dass das aber doch gar kein Nazi-Vergleich war.

War es auch nicht. Das war schlicht nichts. Das war ein rhetorischer Furz, und dabei noch nicht einmal ein feuchter. Hitler vergleichen mit Leuten, die ihr Recht wahrnehmen, sich beim Bundesverfassungsgericht zu beschweren? Das ist so krude, so verdreht, so abartig, dass es Klong macht im Hirn, will man das verstehen. Also sollte man lieber nicht versuchen, da irgendeinen Sinn drin zu suchen, will man nicht riskieren seine Gehirnwindungen zu demolieren.

Könnte es sein, dass Schäubles argumentationsfreies Geschwätz gar nicht überzeugen soll, sondern eine neue, experimentelle Fahndungsmethode darstellt? So wie die Webseiten des BKA gar nicht informieren wollen, sondern als Schleppnetz zum Einfangen von Terrorinteressierten dienen? Sollen Schäubles Äußerungen vielleicht bewusst Widerspruch auslösen, damit so klarer wird, wo der Feind sitzt? Denn eines ist klar: Der Feind ist überall. Vor allem im Internet. Wer weiß, vielleicht werden einen Tag nach dem Auswerfen der Schäubleschen pseudo-rhetorischen Angelhaken die Fahnder des GTAZ ("Gemeinsames Terrorismus-Abwehr-Zentrum") aktiv und fangen an das Internet auf der Suche nach Webseiten zu durchkämmen, die auf Schäubles Auswürfe reagieren? Technorati.com und Google sind ihre "Netzwerk-Tools". Und damit fahren sie die Beute ein und erfassen, wer sich online aufregt über die Gedanken unseres obersten Beschützers. Würde Schäuble mit Argumenten kommen, dann bliebe das Netz leer. Denn je besser die Argumente, desto schwerer ja die Gegenrede und desto mehr Gefährder würden ihr Maul geschlossen halten im großen, weiten, elektronischen Info-Meer.

Folgt also alles einer einzigen, gut abgesprochenen Mission? Onlinedurchsuchung, Vorratsdatenspeicherung, Anti-Terror-Datei, Flugpassagierlisten, Videoüberwachung, biometrische Pässe und eben auch die seltsamen Reden unseres Doktor Schäuble... dient dies alles nur einem Ziel: der Indienststellung und Bemächtigung der größten Fahnder aller Zeiten, die es dank dieser neuen Ermittlungsmethoden bald geben wird in Deutschland?

Weil ich immer bemüht bin, mich verständlich auszudrücken und weil dazu gehört, sich auf die sprachliche Ebene des Gegenüber zu begeben, möchte ich nun in echt Schäublescher Manier meine Besorgnis wie folgt ausdrücken: Der "GröFaZ" war gestern. Die Zukunft jedoch könnte den GröFahaZen gehören!

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Bundestagsdebatte zur Datenspeicherung: Lügen und nichts als Lügen!

Ich hatte gerade Gelegenheit in die laufende Bundestagsdebatte zur Beschließung der Vorratsdatenspeicherung hineinzuschalten.

Der größte Schaden für die Demokratie bei der Beschließung der Vorratsdatenspeicherung wird erzeugt durch die absolut unsäglichen Lügen, die die Redner der Regierungsparteien gerade öffentlich in ihren Reden von sich geben.

Von wegen, die allgemeine Speicherung aller Verbindungsdaten sei kein Generalverdacht. Von wegen, die Daten würden nur bei schwersten Verbrechen herangezogen. Von wegen nur nach richterlichem Schluss. Von wegen, die Vorratsdatenspeicherung sei absolut unverzichtbar zur Verbrechensbekämpfung. Und so weiter.

Lügen! Lügen! Lügen! Aus dem Mund von SPD- CDU- und CSU-Abgeordneten. In Reden vor dem deutschen Bundestag. Aussagen und Behauptungen, die sich in keinster Weise mit dem decken, was in dem zur Abstimmung stehenden Gesetzesvorschlag drin steht und was objektive Fakten zur Vorratsdatenspeicherung, beispielsweise zu ihrer angeblichen Notwendigkeit für die Verbrechensbekämpfung, aussagen.

Und ich behaupte: Man merkt es den Rednern an, was in ihnen vorgeht. Es ist das gleiche Gefühl beim Zuschauen wie bei Clintons berühmten Dementi hinsichtlich seiner Beziehung zu Monika Lewinski. Es ist das gleiche Gefühl beim Zuschauen wie beim "Ehrenwort" von Barschel. In häufig zerfahrener Art und Weise rattern die Redner der Regierungsparteien eine Lüge nach der anderen runter. Applaus fehlt weitgehend. Im Saal rumort es.

Es ist die elendigste Vorstellung, die der Bundestag seit langem gesehen hat. Es kann einem absolut schlecht werden.

Selbst wenn einem die Vorratsdatenspeicherung an sich egal sein sollte, dann darf und kann einem dieses öffentliche Belügen des Volkes durch diese drei Parteien nicht länger egal sein. Was hier gerade passiert, ist absolut unglaublich. Wer in Zukunft SPD, CDU oder CSU wählt, dem muss man vorwerfen, dass er nichts dagegen hat, sich bescheißen und belügen zu lassen.

Das Internet trauert um das Telekommunikationsgeheimnis

Pressemitteilung des Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung zur heute von SPD, CDU und CSU geplanten Abschaffung der Privatsphäre der deutschen Bürger:

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Am Tag vor der Entscheidung des Deutschen Bundestages über die Einführung einer sechsmonatigen Erfassung aller Verbindungsdaten in Deutschland ruft der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung Betreiber von Webseiten auf, ihre Internetseiten zu verhüllen. Die teilnehmenden Seiten erscheinen in schwarz mit der Meldung: "Das Fernmeldegeheimnis ist unverletzlich 1949-2007 †. Gläsernes Telefon, Handy, E-Mail und Internet * 09.11.2007. SPD, CDU, CSU: Wollt ihr das wirklich?" Die ungewöhnliche Aktion soll darauf aufmerksam machen, dass die unbeobachtete Kommunikation bislang stets der Regelfall war, mit der Vorratsdatenspeicherung aber sämtliche Kommunikationsvorgänge in Deutschland protokolliert und nachvollziehbar würden. Eine Anleitung zur Verhüllung der eigenen Webseite stellt der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung im Internet bereit [1].

Im Streit um den "größten Plan zur Sammlung personenbezogener Daten in der deutschen Geschichte" wirft der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung Bundesjustizministerin Brigitte Zypries vor, sie werfe "Nebelkerzen" und enthalte den Abgeordneten ein kritisches Gutachten des Max-Planck-Instituts über die staatliche Nutzung von Verbindungsdaten vor [2]. Aus der einzig vorliegenden Zusammenfassung des Gutachtens geht unter anderem hervor, dass die geplante Vorratsdatenspeicherung im Wesentlichen überflüssig ist. Es heißt darin wörtlich: "Doch weist die Aktenanalyse selbst unter den heutigen rechtlichen Bedingungen nur für etwa 2% der Abfragen nach, dass sie wegen der Löschungen ins Leere gehen."

"Die Beschwichtigungen der Regierung, es würden nur bereits heute gespeicherte Daten länger aufgehoben, Zugriffe auf die Daten setzten eine richterliche Anordnung voraus oder es müsse EU-Recht umgesetzt werden, sind in wesentlichen Teilen falsch", kritisiert der Jurist Patrick Breyer vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung. Im Einzelnen:

"Die Daten werden bereits heute gespeichert; sie sollen künftig nur länger aufbewahrt werden"

Das ist falsch. In den meisten Bereichen (E-Mail, Internet, Handy-Standortdaten) dürfen bisher keine Protokolle erstellt werden, weil das nicht zur Abrechnung erforderlich ist. Auch Telefonverbindungen dürfen derzeit nicht gespeichert werden, wenn der Kunde eine Flatrate bucht oder einer Speicherung widerspricht.

"Der Zugriff auf die gespeicherten Daten ist nur auf richterliche Anordnung zulässig"

Das ist falsch. Eine richterliche Anordnung soll nur die Polizei benötigen, und auch nur für die Abfrage von Verbindungsdaten. Will die Polizei dagegen einen Telefonkunden oder Internetnutzer identifizieren ("Bestandsdaten"), wird keine richterliche Anordnung gefordert. Die Nachrichtendienste sollen ganz ohne richterlichen Beschluss auf alle Daten zugreifen dürfen. Schon heute werden Verbindungsdaten über 200.000mal im Jahr abgefragt [3]. Diese Zahl würde mit der Vorratsdatenspeicherung sprunghaft ansteigen.

"Der Gesetzentwurf stärkt die Rechte der Betroffenen und begrenzt die Telekommunikationsüberwachung"

Das ist in dieser Form falsch. Der Gesetzentwurf enthält zwar einige Verbesserungen bei der Telekommunikationsüberwachung, jedoch weit überwiegend verschärfte und ausgeweitete Befugnisse. Vor allem die im Gesetzentwurf vorgesehene Speicherung sämtlicher Verbindungsdaten in Deutschland würde bewirken, dass es praktisch keine protokollierungsfreie elektronische Kommunikation mehr gäbe.

"Es wird nur eine Richtlinie der Europäischen Union in deutsches Recht umgesetzt"

Das ist falsch. Der deutsche Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung geht weit über die EU-Richtlinie hinaus, etwa wenn er auch Anonymisierungsdienste zur Speicherung verpflichten soll. Während die EU-Richtlinie einen Zugriff auf die gespeicherten Daten nur zur Verfolgung schwerer Straftaten zulässt, sollen die Daten in Deutschland bei jeder "erheblichen" oder im Internet oder am Telefon begangenen Straftat, zur Gefahrenabwehr und sogar für die Nachrichtendienste freigegeben werden. Die Identifizierung von Telefonkunden oder Internetnutzern ("Bestandsdaten") soll selbst der Musik- und Filmindustrie möglich sein. Die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung muss im Übrigen wegen schwerer Rechtsverstöße nicht umgesetzt werden, wie der Präsident des Österreichischen Verfassungsgerichtshofs bestätigt hat [4].

"Inhalte werden nicht gespeichert, sondern nur der 'Briefumschlag'"

Das ist zwar richtig [Anmerkung von mir, Solon, dazu: Nein, das ist nicht richtig! Der Briefumschlag muss beispielsweise keine Informationen darüber enthalten, wer den Brief tatsächlich abgeschickt hat, wann genau er eingeworfen wurde und ob der Ort des Briefeinwurfs auch der Ort der Abfassung des Briefes war. Auch wie umfangreich die Kommunikationsinhalte sind, darüber gibt der Briefumschlag ebenfalls keinerlei Informationen preis. Vergesst also endlich das Bild vom "Briefumschlag"! Es ist Desinformation pur!], ändert aber nichts daran, dass weite Teile des Kommunikations-, Bewegungs- und Internetnutzungsverhaltens der gesamten deutschen Bevölkerung registriert werden sollen. Wer mit wem in Verbindung steht, ist eine äußerst sensible Information, die oft auch Rückschlüsse auf den Inhalt der Kommunikation und das Privatleben der Betroffenen zulässt (z.B. Eheberatungshotline, Ärzte). Die Post erfasst im Übrigen auch nicht die Briefumschläge der gesamten Bevölkerung.

Auf der Internetseite des Arbeitskreises findet sich eine Richtigstellung weiterer verbreiteter Fehlinformationen:
http://www.vorratsdatenspeicherung.de/content/view/83/87/

Fußnoten:

[1] Anleitung zum Verhüllen von Webseiten:
http://www.ak-vds.de/content/view/158/79/#code

[2] Gutachten des Max-Planck-Instituts:
http://www.mpicc.de/ww/de/pub/forschung/forschungsarbeit/kriminologie/tk_verbindungsdaten.htm

[3] Zahl der Abfragen von Verbindungsdaten:
http://www.daten-speicherung.de/index.php/neue-zahlen-zur-ueberwachung-von-telefon-und-internetnutzern/

[4] Präsident des Österreichischen Verfassungsgerichtshofs zur
Vorratsdatenspeicherung:
http://www.kurier.at/nachrichten/oesterreich/119051.php

Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung ist ein bundesweiter Zusammenschluss von Bürgerrechtlern, Datenschützern und Internet-Nutzern, der die Arbeit gegen die geplante Vollprotokollierung der Telekommunikation koordiniert.
Homepage: http://www.ak-vds.de

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Soweit die Pressemitteilung des Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung. Noch eine Anmerkung von mir, Solon, zu dieser Pressemitteilung: Man muss sich fragen, warum die Medien sich nicht wie Geier auf die absolut offen und klar darliegenden Lügen von Brigitte Zypries stürzen (siehe dazu auch einen älteren Weblog-Eintrag von mir, der wiederum weitere Links zu diesem Thema enthält). Es geht hier ja nicht um einen Sachverhalt, den man interpretieren könnte, über dessen Zutreffen man streiten könnte. Die Zahl der Arbeitslosen beispielsweise kann man interpretieren. Man kann aus ihr einen Erfolg oder einen Misserfolg der Regierungsarbeit ableiten oder man kann schlussfolgern, dass die Arbeit der Regierung nicht für die Zahl der Arbeitslosen verantwortlich ist. Aber hier beim Thema Vorratsdatenspeicherung kann man nicht diskutieren. Die Fakten sind klar. Es ist ganz genau klar, was gespeichert werden soll. Jeder kann es im Gesetzentwurf nachlesen. Und trotzdem lügt Frau Zypries bereits schon hinsichtlich des Inhalts des Gesetzentwurfs. Sie beschreibt den Inhalt des Gesetzentwurfs völlig unkorrekt. Und die Medien lassen es gelten, nehmen es hin, klären nicht auf. Soviel zu unseren angeblich beispielsweise den US-Medien so überlegenen deutschen Medien. Dass ich nicht lache.

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Mittwoch, 7. November 2007

Debatte um Politikerdiäten ist eine Stellvertreterdebatte

In manchen Weblogs und in den Medien zieht man heftig her über die jüngste Diätenerhöhung der Bundestagsabgeordneten.

Man kann trefflich darüber streiten, ob die Diätenerhöhung angemessen ist.

Aber lohnt sich dieser Streit?

Es geht doch bei diesem Streit um die Diätenerhöhung eigentlich um ganz andere Dinge und Themen als darum, wieviel Geld ein Abgeordneter benötigt. Es geht doch eigentlich bei dem öffentlichen Streit um die Diätenhöhe beispielsweise um solche Themen wie die Wut über die immer größer werdende Kluft zwischen gut Verdienenenden und schlecht Verdienenden. Und es geht um die niedrigen Hartz-IV-Sätze und die Drangsalierung von Hartz-IV-Empfängern. Und es geht um die wahrgenommene schlechte Qualität der Arbeit der Politiker. Das alles schwingt doch mit, wenn man sich über die Diätenerhöhung aufregt.

Ist die Diätenerhöhung also gerechtfertigt? Noch einmal: Darüber kann man trefflich streiten. Welcher Lohn ist gerechtfertigt für Leute, die zwar augenscheinlich viel arbeiten, aber deren Arbeitsergebnisse oftmals so miserabel sind? Welcher Lohn ist gerechtfertigt für Leute, die eigentlich mit diesem Lohn auch unabhängig werden sollen von Bestechungsversuchen, trotzdem aber allzu häufig Vergünstigungen von Lobbyisten entgegennehmen? Welcher Lohn ist gerechtfertigt für Leute, die eventuell auch nur eine einzige Legislaturperiode im Parlament sitzen, ohne danach umfangreiche Versorgungsansprüche zu haben und eventuell zuvor ihren normalen Beruf aufgegeben haben und nach ihrer Parlamentstätigkeit nun Schwierigkeiten haben, wieder in ihren alten Beruf einzusteigen? Das mag eine Minderheit sein, aber es gibt solche Fälle.

Wie gesagt: Man kann darüber streiten, was eine angemessene Entlohnung für die Bundestagsabgeordneten ist. Aber dann sollte man tatsächlich auch nur genau darüber streiten und dies nicht vermischen mit anderen Themen.

Denn das Fehlen von gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlöhnen wird nicht dadurch kompensiert, dass die Bundestagsabgeordneten auf eine Diätenerhöhung verzichten. Und auch die Drangsalierung von Hartz-IV-Empfängern würde nicht dadurch besser, wenn unsere Abgeordneten sich nur eine niedrigere oder gar keine Diätenerhöhung verpassen würden.

Man kann darüber diskutieren, ob die Politiker ihr Gehalt verdienen und kann in diesem Zusammenhang auch auf die mangelhaften Ergebnisse ihrer Politik verweisen. Eine geringere Diätenerhöhung würde diese mangelhafte Politik jedoch nicht besser machen. Nicht eine geringere Diätenerhöhung ist also die Lösung der politischen Probleme.

Was dann? Wie könnte man die Politiker antreiben, eine bessere Politik zu machen? Wie könnte man ihre Kompetenz stärken oder den Einfluss von Lobbyisten zurückdrängen? Wie könnten die Bürger ihre Abgeordneten wieder stärker in die Pflicht nehmen oder zur Verantwortung ziehen?

Durch niedrigere Diäten? Wohl kaum. Denn dann würden Politiker eventuell andere Finanzierungsquellen erschließen oder sich nur noch solche Leute ins Parlament wählen lassen, die kein hohes Abgeordnetengehalt benötigen. Durch höhere Diäten? Natürlich auch nicht. Denn selbst Reichsein hindert viele Menschen nicht daran, bestechlich zu sein. Es geht also bei den Diäten nicht um die Qualität der Politik. Die Diäten und die Diskussion darüber sind kein adäquates Mittel, um die Politik der Politiker zu verändern.

Die Politik kann meiner Meinung nach nur verbessert werden, indem der Wähler einen direkteren Einfluss als heute darauf hat, ob jemand überhaupt ins Parlament kommt oder im Parlament bleibt. Diese direktere Kontrolle durch den Wähler hätte jedoch auch nur einen Sinn, wenn der Abgeordnete auch freier entscheiden könnte als er es heute kann.

Diese beiden Dinge, also der direktere Einfluss des Wählers und die freiere Handlungsmöglichkeit des Abgeordneten, werden jedoch heute behindert durch die Art der deutschen Parteiendemokratie. Sie behindert verantwortliche und verantwortlich zu machende parlamentarische Arbeit, weil letztlich (trotz 50 Prozent Direktmandaten) nur die Partei zur Verantwortung gezogen werden kann vom Wähler. Aber die Partei ist wie ein großer Nebel, in dem verschwimmt, für was die Partei eigentlich steht und was sie eigentlich will und ihre Entscheidungen unterliegen eher der Logik, als Partei an der Macht zu bleiben und weniger der Logik, bei einzelnen Sachfragen auf den Wählerwillen zu hören. Hier - und nicht in der Höhe der Diäten - liegt das eigentlich Problem, das wir mit unseren Politikern haben.

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