Donnerstag, 12. April 2007

Tägliche Re-Publica bei täglicher Mo

Wer wie ich nicht persönlich auf der derzeit in Berlin stattfindenden Weblog-Konferenz "Re-Publica" sein kann und trotzdem Interesse an den dort diskutierten Themen hat, kann im Weblog von "Mo" für jeden Tag und für die wichtigsten Vorträge hervorragende und ausführliche Zusammenfassungen finden:

Interessant bei "Darf ich das bloggen?" mal wieder die Hinweise von Rechtsanwalt Udo Vetter (Lawblog.de): Bei Werbebannern im Weblog müsse man auch die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer angeben. Kommentare müsse man als Blogger in seinem Weblog im Auge behalten. Deshalb lieber bei längerer Blog-Abwesenheit die Kommentarfunktion deaktivieren. Allerdings erhöhe eine grundsätzliche Moderation der Kommentare vor der Freischaltung die Gefahr, als Mitstörer bei rechtlich problematischen Kommentaren mit belangt zu werden, weil man ja über den Inhalt des Kommentars auf jeden Fall vor der Freischaltung Bescheid wusste. Außerdem wünscht sich Udo Vetter, dass endlich mal der Streit, inwieweit man für gesetzte Links haftbar sei, vor deutschen Gerichten zu Ende ausgefochten wird, um hier Klarheit zu schaffen.

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Ganz Deutschland wird zum Tatort

(Via Rabenhorst)

Ich tue mal so, als ob mein Traum, einen eigenen Angestellten für die Pflege dieses Weblogs hier zu haben, bereits verwirklicht wäre. Das sähe dann vermutlich wie folgt aus:

Weblog-Angestellter: "Cheffe!"

Ich: "Was los?"

Weblog-Angestellter: "Nicht 'was los', sondern es geht wieder los."

Ich: "Was denn?"

Weblog-Angestellter: "Na, der Schäuble."

Ich: "Was denn? Schon wieder? Kann der Kerl nicht mal Osterferien machen so wie jeder normale Mensch?"

Weblog-Angestellter: "Nun will er nicht nur die Fingerabdrücke auf den Pässen auch bei den Behörden speichern und abfragbar machen, sondern auch den elektronischen Zugriff auf die Passbilder durch Behörden erleichtern und ausweiten."

Ich: "Ok. Sammel die Bedenken und stell sie ins Blog! Muss gemacht werden. Der Vollständigkeit halber. Und um den Medien zu zeigen, dass man dranbleiben muss am Thema."

Weblog-Angestellter: "Cheffe?"

Ich: "Ja?"

Weblog-Angestellter: "Die Medien bleiben dran am Thema und unsere Blog-Konkurrenz hat auch schon klasse Sachen drüber geschrieben."

Ich: "Wirklich? Na, sowas. Dann verlinke die Leute einfach. Man muss sich ja die Arbeit nicht unnötig erschweren."

Weblog-Angestellter: "Ok."

Ich: "Haste ja mal wieder einen einfachen Tag gehabt, was?"

Die TAZ berichtet und erklärt, warum digitale Passbilder was anderes sind als die bisherigen, papierenen Passbilder:

Bisher hieß es stets, die biometrischen Merkmale dienten nur der Identifizierung des Passinhabers und könnten gar nicht zu Fahndungszwecken benutzt werden. "Die auf dem neuen Reisepass enthaltenen biometrischen Merkmale sind ausschließlich auf dem Pass gespeichert", erklärte im Mai 2005 Innenminister Otto Schily auf taz-Anfrage. Der Aufbau einer zentralen oder dezentralen Fingerabdruck- und Fotodatei aller Passinhaber schien damit ausgeschlossen zu sein.

Tatsächlich werden die digitalisierten Passbilder aber schon heute bei der Passbehörde gespeichert. "Für die elektronische Speicherung der Bilder verwenden die Kommunen in der Regel das JPG-Format", erklärte das Innenministerium gestern gegenüber der taz.

Diskussionen gab es es darüber bisher nicht [...]

Im digitalen Zeitalter ergeben sich aber neue Fahndungsmöglichkeiten. Software zur Gesichtserkennung kann bald auch die Aufnahmen von Überwachungskameras biometrisch auswerten[...]. Mit diesem biometrischen Steckbrief könnten dann die 5.300 Passregister der Republik nach der zugehörigen Person durchforstet werden. (Quelle)


Glücklicherweise gehen viele andere Medien auf die TAZ-Meldung ein: Bei den Nachrichtensendungen von N24 und N-TV ist das Thema mittlerweile auch angekommen. Sogar mit Interviews mit dem Bundesdatenschutzbeauftragten Schaar. Ob jetzt vielleicht auch so langsam der 20-Uhr-Ausgabe der Tagesschau das Ganze etwas mehr wert ist als nur eine Zwei-Satz-Meldung? Vermutlich nicht.

Ein paar Reaktionen von Weblogs: Zusammenfassung: Elektronische Passbilder könnten eher missbraucht werden als bisherige Passbilder aus Papier. Zum Beispiel zum automatischen Abgleich bei mit Gesichtserkennungs-Software aufgerüsteten Videoüberwachungskameras. Und wieder einmal hat die Regierung zuvor versprochen, den Datenschutz zu beachten und will davon jetzt nichts mehr wissen. Und schließlich ist die zentrale Erfassung und die Vollerfassung biometrischer Daten aller Bürger, von Daten also, die vor allem bisher bei Kriminellen erfasst wurden, ein Zeichen dafür, dass die Regierung die Bevölkerung vor allem als potenzielle Verbrecher ansieht. Am schwerwiegendsten ist jedoch, dass der Zugriff auf diese digitalen Daten bei den heutigen und vor allem zukünftigen technischen Möglichkeiten wiederum einen enormen Machtzugewinn für den Staat darstellt. Es ist jedoch leider kein Naturgesetz, dass der Staat immer gutmütig ist oder Staatsbedienstete ihre Macht nicht heimlich missbrauchen würden...

Ich: "Hey, Weblog-Sklave!"

Weblog-Angestellter: "Ja, Cheffe?"

Ich: "Erwähne auch noch die persönliche Steuer-Identifikationsnummer, die jeder Bundesbürger ab Sommer bekommt und dass damit zum ersten Mal zentral die deutsche Bevölkerung in ihrer Gesamtheit erfasst ist. Man weiß ganz genau, wo jeder wohnt, was er verdient, bei wem er arbeitet, wieviel Geld er auf dem Konto hat. Das einzige, was noch unklar ist, ist, wer demnächst dann eventuell alles Zugriff auf diese brisanten Daten bekommt."

Weblog-Angestellter: "Ja, ja, Cheffe, kein Problem... Pssst, Weblog-Leser: Du hast ja Cheffe gehört... und außerdem hat das schon Farlion vom oben verlinkten Farliblog erwähnt, brauch ich also nicht zu wiederholen, oder? Gut, kann ich ja jetzt Feierabend machen."

Ich: "Weblog-Sklave?!... Ist der Kerl schon wieder nach Hause gegangen! Und dabei sollte er doch noch forschen, ob es die SPD wirklich gibt, oder ob sie nur ein Mythos ist. Ich hab da so einen schlimmen Verdacht, dass die inzwischen vom Spaghettimonster verschluckt wurde und die Union das versucht zu vertuschen, um keine Neuwahlen ausrufen zu müssen..."

Update: Auch noch lesenswert ist ein Interview mit dem Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar bei Süddeutsche.de: "Alle unsere Befürchtungen bewahrheiten sich".

Darin erläutert Schaar noch einmal die besondere Brisanz hinter den Schäuble-Plänen, die eben nur deutlich wird, wenn man auf die Details achtet:

Peter Schaar: Die elektronische Übermittlung für sich genommen ist auch nicht der Hauptkritikpunkt. Meine Kritik richtet sich in erster Linie dagegen, dass die Daten online abrufbar sein sollen – dann liegt die Kontrolle ausschließlich bei der Behörde, die die Daten haben möchte. Das hätte zur Konsequenz, dass viel mehr Daten – das zeigen alle Erfahrungen mit solchen Online-Verfahren – abgerufen würden. Und das wäre dann eine neue Qualität.

sueddeutsche.de: Die Abfrage würden dann also zum Regelfall?

Peter Schaar: Ja. Und der nächste logische Schritt wäre dann, dass man nicht mehr gezielt die Daten von bestimmten gefährlichen oder verdächtigen Personen abruft, sondern Abgleichsverfahren durchführt. Die Software wird ja schon entwickelt, mit der man bei der Auswertung von Videobändern oder bei der Videoüberwachung in Echtzeit, eine Identifizierung der Personen vornehmen kann. (Quelle)


Und die 20-Uhr-Ausgabe der Tagesschau hat nun tatsächlich, etliche Tage nach Bekanntwerden des Schäuble-Katalogs in mehr als zwei Sätzen über die Überwachungspläne informiert. Sogar als Eingangsmeldung. Natürlich allerdings ohne den entscheidenden Kritikpunkt zu erwähnen: Dass mit den durch die digitale Informationsverarbeitung ausgeweiteten Möglichkeiten für die Sicherheitsbehörden auch die Missbrauchsmöglichkeiten der digitalen Daten enorm angestiegen sind und ohne groß auf die Frage einzugehen, ob die neuen Befugnisse für die Sicherheitsbehörden überhaupt notwendig sind, ob also nicht die Datenvermeidung zu mehr Sicherheit führen würde, statt das Missbrauchsrisiko von immer mehr Daten in immer mehr Händen und die damit einhergehende Überwachungsatmosphäre zu erhöhen.

Irgendwie hat man bei den Fernsehleuten (anders als bei der Online-Redaktion) von der Tagesschau den Eindruck, dass sie das Thema nicht kapieren in seiner Brisanz oder nicht kapieren wollen oder nicht kapieren dürfen.

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Der Quatsch ist ernst

(Via Netzpolitik.org) Es gibt ja diesen bekannten Spruch, der angeblich von Churchill Bismarck stammt: Zwei Dinge gäbe es, deren Herstellungsprozess man lieber nicht genauer kennen sollte, damit einem nicht schlecht wird: Wurst und Gesetze.

Man kann getrost noch ein drittes Ding hinzufügen: Zeitungsartikel.

Ich stelle mir lebhaft vor, wie ein überforderter Journalist plötzlich zum Beispiel einen Artikel über dieses Weblog-Zeug schreiben muss und zur aktuell in Berlin laufenden Weblog-Konferenz "Re-Publica" geschickt wird. Dort schnappt er sich dann die Leute auf dem Podium für ein paar Interviews. Er hat Mühe, die Namen richtig zu notieren, vielleicht streikt sein Stift oder Laptop, er wird hineingestoßen in ein Themenfeld, von dessen Komplexität er überrascht ist und er hört Dinge, die seine bisherigen Gedanken zum Thema eigentlich gehörig durcheinanderwürfeln könnten. Aber dafür bleibt keine Zeit. Der Artikel muss in drei Stunden fertig werden und bislang hat er nur einen Wust von Notizen.

Also ist es kein Wunder, dass Aussagen verkürzt dargestellt werden oder gleich ganz falsch zugeordnet werden. Und wie wird das ganze dann im Artikel eingeleitet, eingepackt, umpackt, die einzelnen Interview-Aussagen ausgewählt und zu einem roten Faden gedreht? Natürlich mithilfe seines falschen Vorwissen zum Thema, denn auch ein Journalist schafft es nicht, innerhalb kurzer Zeit sich neue Sichtweisen anzueignen.

Was kommt also aktuell raus bei einem Artikel über Weblogs und das Internet? Genau: Ein Artikel, der sich nach den aktuellen Mythen rund um Weblogs richtet: Weblogs sind am Ende, der Hype ist vorbei, Weblogs sind bedroht von Finanzierungsproblemen, angeblich erfolglos in ihrer medialen Wirkung und schlussendlich angekommen bei dem Gewürge, das auch in den alten Medien herrsche, wie zum Beispiel rechtlichen Auseinandersetzungen und überhaupt müsse im Internet mal aufgeräumt werden, also gesetzlich reguliert werden. Ist ja klar. Wildwest und so. Man hört aus dem Artikel heraus, wie glücklich der Journalist eigentlich ist, dass Weblogs im Grunde genommen also auch nur genau wie Zeitungen und sonstige Medien seien.

Dumm nur, dass die Leser so leider falsch informiert werden:

Der Spaß wird ernst (Tagesspiegel.de)

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Mittwoch, 11. April 2007

Die Langsamkeit des Bloggens

Der Versuch eines kleinen aufmunternden Wortes an all die Millionen von Blogs da draußen:

Ihr schreibt nicht für den nächsten Tag, sondern quasi für die Ewigkeit (zumindest so lange es euren Bloghoster, Google und das Internet gibt). Man nennt das bekanntlich den "Long Tail". Der Long Tail bedeutet, dass Texte im Internet eventuell pro Tag, Woche, Monat oder Jahr zwar nur selten abgerufen werden mögen, aber auf lange Sicht wesentlich mehr Leser haben können als zum Beispiel ein Artikel in einer Tageszeitung.

Am besten ist aber, man schreibt zunächst aus einem eigenen Interesse heraus und "für sich" und nicht mit Blick auf möglichst viele Besucher, sondern mit dem Wunsch nach "den richtigen Lesern".

Das Wichtigste ist aber: Wenn ihr meint, keine Lust zum Bloggen mehr zu haben, dann lasst euer Blog einfach online, löscht nicht alte Texte. Heutige oder zukünftige Leser wären sonst traurig. Und ihr habt die Möglichkeit so doch nach einiger Zeit einfach weiter zu schreiben.

Mir geht es zum Beispiel so, dass ich es kaum schaffe, alle interessanten Blogs im Blick zu behalten. Da sammeln sich dann die ungelesenen Artikel im RSS-Reader an und warten und warten. Und irgendwann lese ich sie wieder und muss dafür für einige Zeit ein anderes Blog vernachlässigen. So wird es vermutlich vielen Bloglesern gehen.

Bloggen ist also eigentlich - für viele Leser zumindest - etwas sehr Langsames. Man sollte nicht enttäuscht sein, wenn man pro Tag nicht viele Leser hat. Betrachtet euer Weblog vielleicht eher als Monats- oder Jahresmagazin, selbst wenn ihr jeden Tag Artikel raushaut.

Weitere Ideen, warum Bloggen sich lohnen kann in einem älteren Eintrag von mir: Was soll das Geblogge?.

Ministerpräsident Oettinger: 3. Reich? Filbinger? Unrechtsurteile? War da was?

Wie kann man ganz einfach Unrecht und furchtbare Vorfälle in der deutschen Geschichte tilgen und beiseite schieben?

Ein gewisser Herr Oettinger, derzeit noch Ministerpräsident von Baden-Württemberg, führt es vor: Bei der Beerdigung von Hans Filbinger, ehemals auch ein Ministerpräsident von diesem "sauberen" Ländle und davor während der Nazi-Zeit Marine-Richter, sagte Oettinger über die Nazi-Zeit und zu den Verstrickungen Filbingers laut Netzeitung.de einfach:

"Für uns Nachgeborene ist es schwer bis unmöglich, die damalige Zeit zu beurteilen." (Quelle)


Schön, oder? All die Forschung, all die Historiker und all die Dokumente reichen also nicht aus, um sich laut Oettinger irgendein Urteil über die Nazi-Zeit oder die Verstrickungen Filbingers bilden zu können.

Nicht zumindest ein kleines, winziges Urteil vielleicht, Herr Oettinger? Zum Beispiel, dass das Unterzeichnen eines zu Unrecht zustande gekommenen Todesurteils durch Herrn Filbinger als zuständigen Richter vielleicht doch falsch war? Nein? Dann erlauben Sie mir vielleicht ein Urteil über Sie, Herr Oettinger: Solche Menschen wie Sie, die die Handlungen von Beteiligten in einem Unrechtsregime auf diese Art verteidigen, dürfen keine Ministerpräsidenten sein, ja dürfen am besten gar keine politisch verantwortliche Funktion im demokratischen Rechtsstaat Deutschland ausüben.

Dass Oettinger natürlich weiterhin eine breite Wählerschaft hat, zeigt, auf welch wackeligen Beinen der demokratische Rechtsstaat Deutschland steht und was da im Untergrund an den Stammtischen im "Ländle" und sicherlich auch anderswo in Deutschland abgeht.

Schäuble war übrigens auch anwesend auf der Beerdigung dieses Herrn Filbinger, der sich nie öffentlich von der Nazi-Zeit distanziert haben soll.

Da tanzen also hochgestellte CDU-Leute an und ehren mit ihrer Anwesenheit bei der Beerdigung den Filbinger, nur weil der bis zu seinem unrühmlichen Abgang von seinem Posten auch mal auf dem Stuhl des Ministerpräsidenten saß. Ein Kadavergehorsam ganz übler Art.

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Leidet Schäuble an PTBS?

Nachdem ein gewisser Peter Mühlbauer von Telepolis.de zuerst ein lesenswertes Interview mit Dr. Markos Maragkos über die psychische Störung namens "Posttraumatische Belastungsstörung" (PTBS) geführt hat, versucht Mühlbauer in einem weiteren Artikel zu ergründen, ob unser Bundesinnenminister Schäuble eventuell an PTBS leiden könnte. Als Ausgangsverdacht für seine Vermutung zieht Mühlbauer das Attentat auf Schäuble im Jahr 1990 und Schäubles jüngste Gesetzesvorschläge zur inneren Sicherheit heran.

Mühlbauers Verdacht hört sich für den Laien zunächst bestechend an: Schäuble wird Opfer einer Tat, die tatsächlich bei vielen PTBS zur Folge hat und anschließend scheint Schäuble "hypervigilant" gegenüber Gefahren zu sein:

Schäuble verhält sich auffällig und dieses auffällige Verhalten passt auffallend gut in die Symptomatik der Posttraumatischen Belastungsstörung. Vor allem die Hypervigilanz, die übersteigerte Schreckhaftigkeit, das Wahrnehmen abstrakter Gefahren als konkret und die dementsprechend falsche Interpretation dessen, was geeignet, erforderlich und angemessen ist. (Quelle)


Diese Deutung geht jedoch fehl. Die bei der PTBS gemeinten Verhaltensänderungen betreffen konkrete, situationsbedingte, reale körperliche Reaktionen und Verhaltensweisen. Abstrakte kognitive Arbeit, somit auch Gesetzesvorschläge, sind kaum als Folge einer PTBS in irgendeiner Weise sinnvoll zuzuordnen und werden höchstwahrscheinlich nicht in derartiger Weise durch eine PTBS verursacht. Das Verhalten (sei es emotional, kognitiv oder körperlich), das duch eine PTBS verursacht wird, zeichnet sich gerade dadurch aus, dass es unmittelbar und unkontrollierbar für den Betroffenen auftaucht. Mit der "Hypervigilanz", die Mühlbauer anführt, ist beispielsweise eher eine körperlich-psychische Reaktion auf konkrete Reize hin gemeint als eine allgemeine, abstrakte Werte-Einstellung. Hypervigilanz meint also nicht etwa den Wunsch nach mehr Überwachung, sondern eine erhöhte Schreckhaftigkeit oder eine allgemein erhöhte körperlich-emotionale Angespanntheit - im Gegensatz zum Beispiel zu einer Mattheit oder Schläfrigkeit. Soweit ich weiß braucht das Erarbeiten einer Gesetzesvorlage jedoch einige Zeit und erfordert viele Gespräche und Abstimmungsarbeit mit Kollegen. Gesetzesvorlagen sind also das Ergebnis langer, harter, konzentrierter, abstrakter und vor allem kontrollierter kognitiver Tätigkeit. Die Symptome einer PTBS dagegen sind durch den Betroffenen nicht kontrollierbar, an konkreten Verhaltensweisen und konkreten Auslösern festzumachen und eher emotional-körperlicher Natur.

Es mag sein, dass Mühlbauer einfach nach (zu) kurzem Studium der Symptome einer PTBS einen dummen Schnellschuss in Form seines zweiten Artikels abgegeben hat ohne nachzudenken (es hat halt seinen Grund, warum die Diagnose psychischer Störungen normalerweise von Fachleuten durchgeführt wird). Es könnte aber auch sein, dass sein Artikel gewollt Schäuble ans Bein pinkeln wollte mit seiner "Diagnose" einer PTBS.

Wie in diesem Weblog hier sicherlich deutlich wird, halte ich von den Plänen Schäubles nicht nur nichts, sondern halte sie sogar für gefährlich für unseren freiheitlichen Rechtsstaat. Allerdings tut man niemandem einen Gefallen damit, Schäuble abseits einer politischen Auseinandersetzung mit seinen Plänen, auf einer sehr persönlichen Ebene angreifen zu wollen. Es schadet der politischen Diskussion, weil es von ihr ablenkt und Nebenkriegsschauplätze eröffnet, auf denen der Gegner nur gewinnen kann. Und außerdem diskriminiert Mühlbauer mit seinem Vorgehen psychisch Kranke. Ich zumindest sehe die Gefahr, dass die ungerechtfertigten Vermutungen in Richtung Schäuble allgemein psychisch kranke Menschen als "gefährlich" stigmatisieren könnten.

Update: Hier noch ein lesenswerter offener Brief von Christiane Link an den Telepolis-Chefredakteur Florian Rötzer. Christiane Link stellt dar, dass der Text von Mühlbauer auch Querschnittsgelähmte diskriminiert:

Da schafft es Ihr Redakteur nicht, die Politik Schäubles zu kritisieren ohne auf seine Behinderung abzuheben. Er konstruiert 17 Jahre nach dem Attentat eine psychische Erkrankung, für die er keine Belege hat. Er schließt sogar von einem der dümmsten Vorurteile über Querschnittgelähmte (hat keine Sexualität) auf Schäubles Geisteszustand. Er schreibt über die Lebensqualität Schäubles, wie einschneidend die Veränderung von einem Leben ohne und mit Behinderung ist etc. ohne wirkliche Kompetenz. Und der ganze Artikel wird noch getoppt mit einem Bild von einem Rollstuhl, wie ihn sich nicht behinderte Menschen vorstellen, der aber nichts mit den Rollstühlen zu tun hat, die in zivilisierten Ländern von aktiven behinderten Menschen wie Wolfgang Schäuble genutzt werden. [...] Egal was ein Mensch mit Behinderung macht, es wird immer auf seine Behinderung zurück geführt. (Quelle)


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Dienstag, 10. April 2007

Ein alter Witz, trotzdem schön...

Ein jung-dynamischer Typ braust mit seinem Sportwagen übers Land. Plötzlich hält er an einer Schafherde und spricht den Hirten an:

"Wenn ich Ihnen ganz genau sage, wieviele Schafe Sie haben, schenken Sie mir dann eines dieser knuddeligen Dinger?"

Der Hirte erwidert kurz angebunden: "Abgemacht."

Daraufhin holt der junge Sportwagenfahrer ein Notebook aus seinem Auto, wählt sich übers Handy ins Internet ein, lädt etliche Rohdaten in sein Tabellenkalkulationsprogramm und verkündet nach fast einer Stunde:

"Sie haben genau 874 Schafe!"

Der Hirte wieder kurz angebunden: "Stimmt."

Strahlend nimmt sich der Tabellenkalkulationsspezialist ein Tier und will gerade zu seinem Auto zurück, als der Hirte ihn fragt:

"Wenn ich ihren Beruf errate, geben Sie mir dann das Tier zurück?"

"Ok!"

"Sie sind Unternehmensberater" sagt der Hirte prompt.

Der junge Mann ist erstaunt: "Ja, also, das stimmt... Aber wie haben Sie das so schnell erraten?"

"Ganz einfach", sagt der Hirte. "Sie kamen, ohne dass Sie jemand gefragt hat. Sie haben ein Problem gelöst, dessen Lösung ich bereits kannte und Sie haben keine Ahnung. Und nun geben Sie mir meinen Hund zurück."

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Die mystische Macht von Bildern, Tönen und Texten

Früher, als das Leben noch einfach war und die Gefahren klar zu benennen (Hunger, Kälte, ein auf einen zulaufender wütender Löwe bei gleichzeitigem Fehlen spitzer Pfeile im Köcher, Missgeschicke wie Beinbrüche oder das Essen von verdorbener Nahrung - vor allem wenn der Medizinmann des eigenen Stammes mal wieder betrunken in der Hängematte ruhte, statt sich um einen zu kümmern...), hatten solche TV-Magazine wie "Panikorama" oder "Brutal 21", ganz zu schweigen von "Aaahhh-spekte", keine Chance mit ihren Storys über hochgefährliche "Killerspiele" oder die noch viel schlimmere "Computersucht". Stattdessen lungerte man abends am Lagerfeuer und war froh, etwas im Bauch zu haben, sich kein Bein gebrochen zu haben und nicht vom Löwen erwischt worden zu sein. Da reichten der Anblick des Sternhimmels und das knisternde Feuer und die ARD und das ZDF hatten einen schweren Stand mit ihren Programmen.

Als die Löwen es leid waren, Menschen anzugreifen und der Medizinmann keine Lust mehr auf alkoholische Getränke hatte (der Grund hierfür muss von der Forschung noch geklärt werden), suchten die Menschen Ersatz für die immer weniger werdenden Gefahren und erfanden schließlich etwas viel Gefährlicheres als Hunger, Kälte und wütende Löwen: Die Kultur. Mit der Folge, dass es plötzlich überall Gefahren gab.

Kultur heißt: Tonfiguren, Bilder, Musik und natürlich Geschichten, später Texte und noch viel Später bewegte Bilder und (jetzt bitte ganz mutig sein) Computerspiele.

Jetzt war nicht mehr nur der real vor einem stehende Löwe angstauslösend, sondern desgleichen Bilder und Geschichten von ihm. Die Gefahr gelangte als Bild, Ton oder Text quasi in den Menschen hinein. Der Löwe fraß nicht mehr den Menschen auf, sondern er fraß sich mittels der Kultur in die weiche Gehirnmasse hinein. Das aber fortdauernd. Die Kultur führte somit zu fordauernden Löwenangriffen bei allen Menschen, während zuvor nur wenige Menschen Löwenangriffen ausgesetzt waren.

Da der Mensch jedoch nicht dumm ist, versuchte er sich auch gegen die Folgen der von ihm erfundenen Kultur zu wehren. Statt sich nur um ausreichend spitze Pfeile im Köcher zu kümmern, reglementierte er jetzt auch den Genuss von Löwengeschichten. So durften Neanderthaler-Kinder pro Tag nur drei Löwengeschichten hören. Das führte bekanntlich zu derben Streitereien in den Neanderthaler-Familien, da die Kinder inzwischen süchtig nach Löwengeschichten geworden waren. Die Folgen sind bekannt: Die Neanderthaler starben aus.

Noch klügere Menschen versuchten, sich die Macht der Kultur zu Nutze zu machen und sie ins Positive zu verkehren. So schufen angeblich die alten Griechen ihre wunderschönen Statuen, um Schönheit und Edelmut hervorzurufen bei den Betrachtern. Später entstand daraus bis ins 18. Jahrhundert vor allem beim Adel die Sitte, beim Zeugen von Nachwuchs schöne Bilder oder Statuen anzuglotzen, damit sich das schöne Antlitz der auf den Bildern dargestellten Menschen auf die Kinder übertrug. Der Deutschlandfunk berichtete vor ein paar Tagen in einer ausführlichen Sendung über diese "Callipaedia", der Erziehung zur Schönheit, die später jedoch vor allem zur Kunst, schöne Kinder zu zeugen, wurde:

Als Leser von Claude Quillets "Callipaedia" muss man sich also junge Adelige vorstellen, die alles über die richtige Partnerwahl oder die Bestimmung des passenden Zeitpunkts für die Zeugung wissen wollten. [...] Dabei betont er [Claude Quillet; Anmerkg. von mir] besonders eindringlich, wie wichtig es sei, dass die Frau - wohlgemerkt nur die Frau! - im Moment der körperlichen Vereinigung sowie während der Schwangerschaft schöne Dinge anschaut. Am schönsten aber seien nicht die Werke der Natur, sondern die der Kunst. Daher müssten im Schlafzimmer Gemälde oder Skulpturen aufgestellt werden. Nur so ließen sich Missbildungen und unliebsame Überraschungen beim Nachwuchs verhindern. (Quelle)


In den letzten beiden Jahrhunderten vergaß man leider die Macht der Bilder zunächst wieder und Maler verarmten bekanntlich zunehmend. Bis das Wissen um die Macht der Bilder bei der Diskussion um den schädlichen Einfluss von Horrorfilmen und nun Computerspielen wieder größere Verbreitung fand.

Ein Hirnforscher namens Manfred Spitzer behauptet heute sogar, dass alles, was durch unsere Sinnesorgane in unser Gehirn kommt, sich dort quasi einbrennen würde und unser Verhalten unbewusst und kaum durch uns beeinflussbar formen würde.

Man könnte nun denken: Können Bilder, Texte, Töne, Computerspiele, sprich Medien wirklich so mächtig wirken? Haben "Panikorama", "Brutal 21" und all die anderen aufrüttelnden Fernsehsendungen und Zeitungsartikel also Recht mit ihrer Warnung vor dem Killerpotenzial der auf unsere Netzhaut und in unsere Ohren eindringenden Signale?

Und ich sage: Natürlich! Man vergleiche doch nur einmal die Anzahl der in Deutschland im letzten Jahr durch reale Löwen angegriffenen Personen mit der Anzahl der Leute, die Killerspiele spielten und anschließend durch irgendwas zu Tode kamen. Die Statistik beweist: Reale Löwenangriffe sind keine Gefahr mehr. Also müssen an den verbleibenden Todesfällen logischerweise die Killerspiele schuld sein.

Die Medien formen uns und unser Gehirn. Könnte sonst zum Beispiel eine neue Therapie-Form gegen das Dicksein so erfolgreich sein, dass die Anzahl der Dicken in der Gesellschaft seit Erfindung der sogenannten "Hör-Therapie" (www.hoer-dich-gesund.com) aber sowas von rapide abgenommen hat?

So erklärt Hoer-dich-gesund.com die Wirkung der Doppel-CD "Übergewicht":

Man hört eine speziell kombinierte Musik, die körpereigene Glücks- und damit Sättigungshormone aktivieren kann. Man macht eine Tiefenentspannung, die die Muskeln löst und so auf natürliche Art dafür sorgt, das man entkrampft und daher den Stoffwechsel sowie den Fettabbau erleichtert. Man macht eine speziell entwickelte Visualisierung, die zu einem dauerhaften neuen Ess- und Körpergefühl führt und Diäten und Wundermittel überflüssig macht. Durch jede Übung wird man fachmännisch geführt und geleitet. Man selbst schließt nur die Augen, hört zu und konzentriert sich dank der Hör-Therapie ausschließlich auf die Überwindung des Problems – ganz ohne Chemie, ganz ohne Nebenwirkungen.


Panikorama, Brutal 21 und Hoer-dich-gesund.com beweisen: Hütet euch vor der Macht der Sinneseindrücke! Hütet euch vor Löwengeschichten und Killerspielen! Hört auf die Warner! Schaut beim Sex auf schöne Statuen oder Gemälde und hört schlank machende Audio-CDs, aber macht ansonsten eure Augen und Ohren zu!

Und wie soll ich dann hören, ob das Telefon klingelt, wird jetzt mancher Oberschlauer einwenden. Pah! Auch darauf gibt es längst eine Antwort: Die gesundmachenden Klingeltöne von Hoer-dich-gesund für nur schlanke 5 Euro nochwas pro Stück.

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