Sonntag, 10. Mai 2009

Politiker-Gelaber in der ARD-Tagesschau

Es gibt in Deutschland keine Fernsehnachrichten-Sendungen, die dem Zuschauer wichtige Hintergrundinformationen liefern. Fernsehnachrichten bieten hierzulande nur immer einen kurzen Überblick über das, was allgemein als die drei bis fünf wichtigsten Themen des Tages gelten - plus Lottozahlen, Fußball und Wetter.

Am Ende weiß der Zuschauer meist nur eines: dass die Welt glücklicherweise doch noch nicht untergegangen ist. Das hätte er jedoch auch durch einen Blick aus dem Fenster in Erfahrung bringen können.

Dieser Zustand der Fernsehnachrichten ist nicht gottgegeben. Fernsehnachrichten müssen nicht so sein. Ich möchte dies anhand eines Beispiels deutlich machen.

Dazu nehme ich folgende, reale Meldung der ARD-Tagesschau von heute, Stand 19:45 Uhr:

Screenshot von Tagesschau.de mit Foto von Merkel und Karsai
Deutschland unterstützt afghanische Polizeiausbildung: Mehr Sicherheit in kürzerer Zeit (Tagesschau.de)

Beginnen wir mit einer kurzen Inhaltsanalyse der Meldung. Hier fällt als erstes auf, dass die Überschrift aus der in der Meldung beschriebenen Ankündigung Merkels, Afghanistan in Zukunft stärker zu helfen, bereits ein "Mehr Sicherheit in kürzerer Zeit" macht. Aus der Ankündigung Merkels, etwas machen zu wollen, wird also in der Überschrift bereits die Gewissheit, dass dies tatsächlich zu mehr Sicherheit führen wird.

Gut, griffige Überschriften zu finden, ist nicht einfach. Seien wir also nicht zu kleinlich und übersehen wir an dieser Stelle einmal die Vermischung von Regierungswunschdenken und harter Realität.

Das Problem ist nur, dass der weitere Text - immerhin die Hauptnachricht heute bei Tagesschau.de - insgesamt nicht viel mehr bietet als eben die Wiederholung des Wunschdenkens der Regierung.

Der Artikel schildert folglich im weiteren Verlauf nur, wie Merkel die Welt sieht:

1.) Es werde eine deutliche Beschleunigung der Polizeiausbildung geben.
2.) Es habe in den vergangenen Monaten und Jahren in Afghanistan erhebliche Fortschritte gegeben.
3.) Karsai lobte die deutsche Unterstützung.
4.) Deutschland tue, was es kann, so Merkel weiter.
5.) Die Zusammenarbeit mit den afghanischen Stellen sei eng.

Ingesamt wird in dem Text ganze vier Mal wiederholt, dass Merkel allgemein erhebliche Erfolge in Afghanistan sehe. Der Artikel enthält hingegen keine Informationen, die Merkels Einschätzungen bezüglich Afghanistan in Frage stellen.

Als weitere "Information" berichtet Tagesschau.de schließlich noch, dass Merkel und Karsai über Pakistan geredet hätten und dass es irgendwelche, nicht näher bezeichneten Stabilitätsprobleme in Pakistan geben würde.

Der Leser bekommt also in dem Artikel keine Hintergrundinformationen geboten. Was für Hintergrundinformationen zu welchen Fragen wären denn möglich gewesen? Wo hätten sich Ansatzpunkte für Hintergrundinfos im Artikel geboten? Hier ein paar bescheidene Vorschläge dazu von mir:

Zu 1.) Warum ist eine Beschleunigung der Polizeiausbildung überhaupt notwendig? War sie bislang nicht schnell genug? Wenn ja, warum nicht? Hier wäre beispielsweise ein Hinweis angebracht gewesen, dass die USA Deutschland kritisiert hatten wegen der schlampig ausgeführten Polizeiausbildung. Der Leser hätte hier erfahren können, dass es in der Vergangenheit Versäumnisse der deutschen Regierungen gab.

Zu 2.) Welche Fortschritte genau könnte Merkel gemeint haben? Wenn den berichtenden Journalisten hier dazu nichts eingefallen wäre, hätten sie die Aussagen Merkels vielleicht ergänzen sollen durch kritische Äußerungen gegenüber der Regierungspolitik. Wenn es dazu aktuell von heute noch keine Statements gab, beispielsweise von der Opposition, hätte man sicherlich im Archiv dazu etwas gefunden. Es geht ja um angebliche Fortschritte in den vergangenen Monaten und Jahren.

Zu 3.) Dass Karsai Deutschland lobt, liest man schon seit Jahren. Komisch ist nur, dass die Lage in Afghanistan immer noch nicht besser ist. Hatte Karsai tatsächlich nur Lob für Deutschland? Er mag öffentlich heute vielleicht nur Lob geäußert haben. Wie aber sieht das "im Umfeld" von Karsai aus? Was wird in afghanischen Kreisen "unter der Hand" gesagt über Deutschland? Wie war das in der Vergangenheit? Gab es nie Kritik von Karsai? Wäre es nicht interessant gewesen, Karsais Lob etwas einzuordnen? Hat es tatsächlich Substanz? Wenn nicht, warum wird es dann überhaupt berichtet?

Zu 4.) Aus dem Satz Merkels, dass Deutschland tue, was es tun kann, könnte man journalistisch viel rausholen. Man könnte betonen, dass Merkel also ein weiteres Engagement in Afghanistan ablehnt. Und dann die Frage anschließen, ob das die richtige Strategie ist. Oder man könnte fragen, warum man diese Aussage ("tun, was wir können") schon früher hörte, es aber früher offenbar nicht gestimmt hat, weil ja nun die Polizeiausbildung doch noch einmal erheblich beschleunigt werden soll.

Zu 5.) Wie sieht solch eine enge Zusammenarbeit eigentlich aus? Was bedeutet diese Aussage über die "enge Zusammenarbeit" im Detail?

Wie hätte man also den Artikel anders aufziehen können? Auch hier möchte ich mich nicht auf faules Kritisieren beschränken, sondern einen Gegenentwurf präsentieren - natürlich mit inhaltlichen Leerstellen, weil ich kein Journalist bin und keine Ressouren habe, hier eine ausgewachsene Afghanistan-Meldung selbst zu verfassen:

"Nach heftiger Kritik aus den USA an Deutschlands bisherigem Engagement bei der Polizeiausbildung in Afghanistan, versicherte Merkel heute in einem Gespräch mit dem afghanischen Präsidenten Hamid Karsai, dass man Deutschlands Bemühungen nun verstärken wolle. Merkel äußerte entgegen der Meinung zahlreicher Experten, dass es in Afghanistan in den letzten Monaten und Jahren erhebliche Fortschritte gegeben habe. [Hier Expertenmeinung oder Meinung der Opposition einfügen...] Karsai dankte Merkel für ihre Zusagen. Merkel erklärte, dass Deutschland tue, was es könne. Deutschland scheint also nicht bereit zu sein, sich in Zukunft noch mehr in Afghanistan zu engagieren. [Hier Meinungen oder Analysen einfügen, die diese Haltung Merkels problematisieren.] Merkel betonte außerdem, dass die Zusammenarbeit mit den afghanischen Stellen eng sei. Wie wir auf Nachfrage im Kanzleramt erfuhren, bezog Merkel diese Aussage auf [hier Details dazu einfügen und eventuell auch diese Details hinterfragen oder hinterfragen lassen...]."

Man hätte natürlich auch gänzlich anders vorgehen können und gar nicht so sehr die Tatsache, dass Karsai bei Merkel war, in den Vordergrund stellen müssen. Sondern man hätte schlicht den Besuch Karsais zum Anlass nehmen können, beispielsweise über die deutsche Polizeiarbeit in Afghanistan kritisch zu berichten. Ohne jegliche weitere Erwähnung und ohne weiteres Zitieren und Eingehen auf den Eigenlob-Gesang Merkels. Diese Art der Berichterstattung findet man meiner Beobachtung nach oft in den amerikanischen TV-Fernsehnachrichten der gehobeneren Qualität.

Aber das hätte alles natürlich Arbeit gemacht für die Tagesschau-Mitarbeiter. Und eine derart mit Hintergrundinformationen und Regierungskritik durchsetzte Berichterstattung hätte eventuell zu Verstimmungen auf Regierungsseite geführt - also zu Verstimmungen bei beiden großen Parteien. Und Verstimmungen in beiden großen Parteien zu erzeugen, ist für eine Nachrichtensendung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in Deutschland vielleicht nicht mehr möglich, weil die Parteien inzwischen zu großen Einfluss haben könnten auf die redaktionelle Arbeit.

Fazit: Die Tagesschau ist - aus welchen Gründen auch immer - in ihrer jetzigen Form schlicht überfordert damit, dem Zuschauer relevante Informationen über das Tagesgeschehen zu präsentieren. Stattdessen gibt es in der Tagesschau häufig nur das Abspulen von leer im Raum hängendem Politiker-Selbstdarstellungs-Gelaber. Die ARD (aber auch das ZDF) gestalten ihre Fernsehnachrichten somit nicht im Sinne der Zuschauer. Stattdessen beliefern sie den Zuschauer - wie in dem oben kritisierten Tagesschau-Artikel - oftmals nur mit reiner Regierungspropaganda.

4 Kommentar(e):

Anonym hat gesagt…

Man kann sich nur darüber aufregen oder es als Inspiration für sein Frühwerk nutzen ;)
http://frgzchn.wordpress.com/2009/05/13/wichtige-hinweise-vom-zdf-zur-europawahl/

ninjaturkey hat gesagt…

Im heute-Journal findet man (selten) noch eine (!) kritische Nachfrage, wenn die Politphrasen einmal gar zu sehr gedroschen werden. Bei Tagesschau und Tagesthemen ist die devote Hofberichterstattung kaum noch zu unterbieten.

Ein Text wie den von Ihnen vorgeschlagenen, dürfte selbst für eine TAZ schon an der linken kritischen Grenze liegen.

P.S.: Schön, dass Sie wieder online sind

Wortbestätigung des Tages: ableot (adj., Kombination aus umgspr. "arschkriecherisch" und "stiefelleckend")

Anonym hat gesagt…

Eine alte Journalistenweisheit besagt: Nichts ist so alt wie die Nachrichten von gestern.

In einer Welt, wo die Zeitspanne zwischen heute und gestern nur noch gefühlte Minuten beträgt, erscheint es kaum verwunderlich, dass sich selten ein Medium noch die Zeit nimmt, um richtig und kritisch zu recherchieren. Egal ob Fernsehen, Radio, Zeitungen . . .

Ich hätte es auch gut gefunden, wenn der Artikel kritischer gewesen wäre. Doch wie lange hätten die nötigen Recherchen wohl gedauert? Trotz Internet mit seinem Überangebot an Informationen, die ja auch erst einmal kritisch hinterfragt und ausgewertet werden müssen.
Immerhin lang genug, dass jemand anderes die Meldung bringt und sie somit zu einer Meldung von gestern macht.
Das Schlimmste, was einem Journalisten passieren kann.


Viele Grüße,
Swolke

Solon hat gesagt…

@Swolke: Stimmt, Recherche ist aufwendig. Aber genau dafür bekommen die öffentlich-rechtlichen doch unser Geld, oder? Wenn die Recherche schneller gehen muss, müssten meiner Meinung nach schlicht mehr Leute gleichzeitig an solchen Recherchen arbeiten.

Dass Nachrichten im Fernsehen auch anders, sprich umfangreicher und informativer, aussehen können, darf man jeden Abend im ausländischen TV begutachten. Meine Empfehlung für diese Beobachtungen: die Sendung "The Situation Room", jeden Werktag um 0.00 Uhr auf CNN. Die Sendung wird vom US-CNN produziert (und nicht vom billigen CNN-International). So erklärt sich auch die späte Sendezeit. 0 Uhr hier ist 6 Uhr nachmittags in New York.

Natürlich ist CNN ebenfalls (vor allem bei bestimmten Themen) häufig sehr einäugig. Aber man fragt sich schon, warum solche umfangreichen Nachrichtensendungen wie "The Situation Room", mit umfangreichen, kritischen Live-Interviews mit Politikern, Kommentaren und Expertenrunden nicht auch im deutschen Fernsehen möglich sind - und nein, die Sendung "Der Tag" auf Phoenix mit den ungeschnittenen Pressekonferenzen von Politikern ist da auch kein Ersatz.