Sonntag, 28. Juni 2009

Deutschland ist keine echte Demokratie

Heribert Prantl beklagt wieder einmal wortreich den Machtverlust des Parlamentes in Deutschland, also des Bundestages. Der Bundestag sei zu einem Abwinkverein der Gesetzesvorhaben der Regierung geworden. Die Ursache dafür sieht Prantl anscheinend in einem mangelnden Demokratieverständnis der Öffentlichkeit, wobei Prantl hier offen lässt, ob er damit eher die Medien oder eher die Bürger oder ein ungutes Zusammenspiel aus Populisten, populistischen Medien und dämlichen Bürgern meint.

Zitat:

Es ist nicht "die Politik", die da agiert. Es ist in Deutschland allein die Regierung. Der Bundestag, der demnächst neu gewählt wird, spielt eine immer geringere Rolle. Er hat noch die Aufgabe, Kanzlerin oder Kanzler zu wählen. Dann hat er ausgespielt. (Quelle: Sueddeutsche.de)

Prantls Diagnose des Zustands ist natürlich richtig. Aber seine Diagnose der Ursachen für diesen Zustand ist kindisch und verantwortungslos:

Das Gefährliche an der Selbstherrlichkeit der Exekutive ist, dass dieser Stil bei der Bevölkerung ankommt. [...]

Es entwickelt sich eine hochproblematische Sortierung der Politiker: Helden und Deppen. Da sind die wenigen Guten, nämlich die politischen Macher [...].

Bei den normalen Parlamentariern ist das nach landläufiger Meinung anders, bei ihnen gilt das Streiten als Indiz für Verkommenheit. [...]

Das hat eine längere Geschichte: Seit der sogenannten Rede von Roman Herzog wird von der Notwendigkeit des großen Rucks fabuliert. Es gibt eine öffentliche Gier nach Machtworten, nach klarer Linie und Kante [...]. (Quelle: Sueddeutsche.de)

Natürlich gibt es in den Medien und beim einfachen Mann auf der Straße die Vorstellung, es bräuchte eine starke Regierung, die auf die Laberbude Parlament verzichten könne und solle. Aber das ist nicht die Ursache des Machtverlustes des Parlaments.

Die Ursache des Machtverlustes der zweiten Gewalt im Staate, also der Legislative, sind strukturelle Mängel im demokratischen System Deutschlands. Die Architektur der demokratischen Institutionen in Deutschland leidet an einem großen Baufehler. Die ganze schöne Gewaltenteilung funktioniert in Deutschland deshalb nicht, weil es einen mächtigen Mitspieler in der deutschen Politik gibt, der die ganze schöne Gewaltenteilung ad absurdum führt. Die Auftrennung der Gewalten in Regierung, Parlament und Justizwesen ist in Deutschland nur oberflächlich. Die Ursache dafür liegt nicht in moralischen Defiziten der Bürger, Medien oder Politiker. Die Ursache dafür liegt auch nicht in einem mangelhaften Wissen und Verständnis über demokratische Prozesse und Gepflogenheiten.

Nein, die Ursache für das Nichtfunktionieren der Gewaltenteilung in Deutschland liegt schlicht daran, dass wir in Deutschland einen Mitspieler in der Politik haben, der über den zwei Gewalten Exekutive und Legislative steht. Dieser Mitspieler herrscht immer sowohl über Regierung als auch über das Parlament. Dieser eine Mitspieler hebt die Gewaltenteilung auf und ist somit eine Gefahr für die Demokratie.

Nein, dieser Mitspieler ist nicht etwa das Volk. Sondern es sind die Parteien, konkret: die jeweilige Mehrheitspartei oder Mehrheitskoalition. Sie bestimmt sowohl Regierung als auch Parlament. Deshalb ist das Parlament in Deutschland schon immer letztlich nur der Abwinkverein für die Gesetzesinitiativen der Regierung. Denn wenn die Abgeordneten der Mehrheitsparteien nicht gehorchen, bestimmt ihre Partei, die auch die Regierung stellt, dass sie ihren Listenplatz bei der nächsten Wahl verlieren oder stellt die Störenfriede sonstwie kalt.

Das Problem der deutschen Demokratie sind die Parteien. Vor allem die beiden Parteiblöcke SPD und Union sind zudem intern dadurch gekennzeichnet, dass auch innerhalb ihrer Partei politisch engagierte und kritische, also diskussionsfreudige Bürger mundtot gemacht werden. Parteitagsbeschlüsse werden zudem entweder bewusst so schwammig formuliert, dass sie der Regierungspolitik keine Grenzen setzen oder die Parteitagsbeschlüsse werden von der Regierung später schlicht und einfach ignoriert. Auch intern sind die wichtigsten Parteien in Deutschland also kein Hort der Demokratie.

Und der Bürger kann zum Schluss immer nur alle vier Jahre die gleichen vier oder fünf Mitspieler bei diesem Parteienkonzert wählen. Diese für den Bürger beschränkte Vorauswahl ähnelt irgendwie stark dem, was beispielsweise auch im Iran passiert, wo die Bürger auch nur aus ein paar Kandidaten wählen dürfen, die zuvor von einem Wächterrat abgesegnet wurden. Im Iran gibt es zumindest alle paar Jahre neue Kandidaten. In Deutschland hingegen sind es immer die gleichen "Kandidaten" mit dem Namen SPD, Union, FDP, Grüne und neuerdings noch die Linkspartei.

Das Parlament könnte seine Unabhängigkeit wiedererlangen, wenn es wesentlich mehr kleinere Parteien gäbe oder wenn die Abgeordneten des Parlaments alle direkt gewählt würden. Letzteres wäre natürlich auch keine perfekte Lösung, wenn dann nur der Kandidat mit den meisten Stimmen pro Wahlkreis ins Parlament ziehen würde und alle anderen Stimmen für die unterlegenen Kandidaten verfallen und nicht berücksichtigt werden würden. In diesem Fall könnte es sein, dass der politische Wille der Mehrheit der Bürger in Wahlkreisen gar nicht gehört und berücksichtigt wird bei der Parlamentszusammensetzung, weil es für einen Direktkandidaten ausgereicht haben mag, nur 30% der Stimmen in einem Wahlkreis auf sich zu vereinen und weil alle konkurrierenden Kandidaten weniger Stimmen hatten. Eine Stichwahl würde wiederum einen Großteil der Wähler dazu zwingen, einen Kandidaten zu wählen, den sie eigentlich nicht wählen wollen. Und auch bei einer Stichwahl würde der politische Wille eines Großteils der Bürger letztlich im Parlament nicht abgebildet werden.

Aber hier ließen sich sicherlich Lösungen finden, die einerseits die alleinige Wahl von Direktkandidaten realisiert (also keine Parteilisten mehr nötig macht) und andererseits auch die Stimmen für die unterlegenen Kandidaten als Gewicht in das Parlament mit einbringen lassen. Beispielsweise dadurch, dass auch unterlegene Kandidaten ins Parlament einziehen, ihre Stimmen im Parlament jedoch schwächer gewichtet werden als die Stimme des Siegers in einem Wahlkreis. Die Mischung aus Verhältnis- und Mehrheitswahl im deutschen Wahlrecht stellt genau solch einen Versuch dar, dies zu erreichen - mit dem grundlegenden Konstruktionsfehler allerdings, dass die "Zweitstimme" hier direkt den Parteien zugute kommt und so überhaupt erst diese die Gewaltenteilung aushebelnde Macht der Parteien erschuf.

Die Zweitstimme sollte also abgeschafft werden und die Bürger sollten nur noch reale Personen wählen dürfen. Diese realen Personen können sie dann auch wieder abwählen und auf diese realen Personen könnten die Bürger direkter einwirken und sie direkter zur Verantwortung ziehen als ein derart abstraktes und intransparentes Ding namens Partei. Es muss Personen geben, die direkt für ihr Handeln verantwortlich gemacht werden können vom Wähler. Parteien können stattdessen schlecht abgestraft werden vom Wähler. Denn wen soll der Bürger wählen, wenn er mit der einen Hälfte der Parteien politisch nicht übereinstimmt und der anderen Hälfte der Parteien schlicht und einfach misstraut, weil diese Parteien ihre eigenen Wahlprogramme nicht ernst nehmen und sich nicht an ihre Versprechen halten? Die Alternative, nämlich selbst eine eigene Partei zu gründen, scheitert in der Praxis häufig und kann keine Entschuldigung dafür sein, den heutigen Einfluss der Parteien aufrecht zu erhalten.

Die in einem Wahlkreis unterlegenen Kandidaten sollten jedoch bei einer reinen Direktwahl der Kandidaten, wie gesagt, ebenfalls teilweise ins Parlament einziehen und ihre Stimme sollte je nach ihrem Abschneiden in ihrem Wahlkreis schwächer gewichtet werden als die Stimme der Wahlkreissieger. Wie genau dies aussehen kann, müsste natürlich noch genauer ausgearbeitet werden. Man könnte festlegen, dass eine bestimmte Anzahl von Kandidaten pro Wahlkreis ins Parlament zieht (die ersten vier Kandidaten eines Wahlkreises ziehen ins Parlament) oder man könnte eine bestimmte Prozentzahl der Stimmen pro Kandidat als Kriterium festlegen, ab der Kandidaten ins Parlament ziehen dürfen (alle Kandidaten mit mehr als 10% der Stimmen ziehen ins Parlament). Welche Einflussmöglichkeiten die Kandidaten im Parlament haben, würde dann bestimmt werden durch ihr Abschneiden in ihrem Wahlkreis. Der Einfluss der Kandidaten im Parlament würde gewichtet werden anhand ihres Wahlkreiserfolgs. Eventuell wäre es bei solch einem System auch nötig die Wahlkreise zu vergrößern, um die dann größere Anzahl an Abgeordneten pro Wahlkreis auszugleichen. Dies alles sind rein technische Probleme, für die man sicherlich Lösungen finden könnte.

Entscheidend dabei wäre, dass die politischen Parteien in so einem reformierten Wahlprozess nur noch politische Plattformen wären, denen sich Kandidaten anschließen könnten, aber nicht anschließen müssten. Parteien könnten den Kandidaten organisatorische Unterstützungen zukommen lassen und ihr politisches Programm gegenüber dem Wähler leichter erkennbar machen. Die Parteien würden aber nicht mehr darüber bestimmen, wer ins Parlament einzieht und wer nicht. Dieses Recht läge wieder alleine in den Händen der Bürger. Nur der Bürger darf in einer Demokratie entscheiden, wer ins Parlament einzieht. Dies ist derzeit in Deutschland in der Praxis durch den überbordenen Einfluss des Parteienapparats auf die Abgeordneten nicht der Fall. Deshalb ist Deutschland keine echte (repräsentative) Demokratie.

3 Kommentar(e):

Tony hat gesagt…

Irgendwie geartete Direktwahl ist zwar auf den ersten Blick eine schöne Idee, wird nicht zum positiven ändern - sorry. Als ultimatives abschreckendes Beispiel empfehle ich die USA. Dort sind Abgeordnete unmittelbar Lobby-Interessen unterworfen und tun allenfalls etwas "fürs Volk" wenn es schön populistisch ist. Daran wird auch kein ausgefeiltes System was ändern, in dem man auch die "Verlierer" einer solchen Direktwahl ins Parlament schickt.

Die einzige Alternative lautet das jeder einzelne Bürger politisch aktiv wird und aktiv bei einer Partei mitgestaltet. Mein persönlicher Eindruck ist nämlich eher das die Damen und Herren MdBs (und die jeweiligen Parteiführungen) die Partei am Nasenring herumführen. Ich bin der Meinung Parteien müssen stärker werden und jeder Bürger muss sich stärker in einer Partei engagieren. Ich weiß, das ist eine Utopie.

Naja, das ganze wird hier (wie anderswo) weiter den Bach runter gehen ...

Solon hat gesagt…

Erstmal Danke für deinen Kommentar.

Klar würde eine Direktwahl Lobbyismus nicht verhindern. Und sicherlich lassen sich viele Beispiele finden, wo in politischen Systemen mit Direktwahl politischer Nonsens fabriziert wurde. Die Gefahr, dass das Volk an der Nase herumgeführt wird von Politikern, gibt es ja aber sowohl bei einer Parteiendemokratie als auch bei reinen Direktmandaten.

Ich sehe jedoch die Einflussmöglichkeiten des Bürgers auf die Politik stärker gegeben, wenn die Abgeordneten direkt gegenüber dem Wähler verantwortlich sind und nicht gegenüber einem Parteigremium.

"Mein persönlicher Eindruck ist nämlich eher das die Damen und Herren MdBs (und die jeweiligen Parteiführungen) die Partei am Nasenring herumführen."

Ich sehe die Situation eher so, dass die Abgeordneten unter Druck stehen - aber sicherlich nicht von der Parteibasis her. Der Druck auf die Abgeordneten wird ausgeübt von schwer fassbaren informellen Machtstrukturen und Netzwerken innerhalb der Partei. Da geht es um persönliche Feindschaften und Freundschaften und Seilschaften, um Postengeschachere und Einflusssicherung und kaum mehr um politische Programme. Wer in einer Fraktion also beispielsweise diesen informell mächtigen Leuten ans Bein pinkelt, der kann sicher sein, dass seine politische Zukunft ab dem Zeitpunkt unsicher ist.

Aber Parteien würden ja als Institutionen auch bei meinem Vorschlag durchaus erhalten bleiben und Abgeordnete könnten sich verpflichten, bei ihrer Arbeit im Bundestag die Beschlüsse von Parteitagen umzusetzen und sie könnten sich genau dafür von den Bürgern wählen lassen. Aber die Abgeordneten könnten nicht mehr durch die Parteien gemaßregelt werden, sondern nur noch durch ihre Wähler.

Ich bin der Meinung, dass man durch eine derartige Reform unseres politischen Systems nur gewinnen könnte, auch wenn damit längst nicht alle Probleme gelöst würden.

Ich würde mir unter anderem sogar einen positiven Effekt auf die Medien vorstellen können. Denn die Macht der Parteien in der Gesellschaft, in den Medien und in der Wirtschaft würde auch dort zurückgestutzt werden und so könnten sie auch beispielsweise ihren Einfluss in den Gremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in erheblichem Maße verlieren.

Ich nehme an, dass es bei reinen Direktmandaten wieder stärker eine Diskussion um politische Inhalte geben würde. Die Meinung der Abgeordneten und der Medien wäre nicht mehr so stark an eine Parteilinie gekettet. Durch den direkteren Einfluss der Wähler auf ihren Abgeordneten würde allgemein das politische Interesse in der Bevölkerung steigen. Einen Brief an seinen Abgeordneten zu schicken, würde dann nämlich tatsächlich Sinn machen. Die gesamte politische Kultur im Land würde sich beleben. Zu einem jahrelangen Engagement in einer Partei hingegen haben halt die wenigsten Bürger Zeit und Lust. Für kurzfristige politische Kampagnen, um ganz konkrete Anliegen durchzusetzen und auf ihre Abgeordneten einzuwirken, dazu sind Bürger eher bereit.

Auch wenn die Gefahr besteht, dass durch den direkteren Einfluss der Bürger manche populistischen Lösungen Aufwind bekommen, so darf dies nicht als Argument dienen, den politischen Einfluss der Bürger möglichst gering zu halten. Denn dann sollte man die Demokratie vielleicht am besten gleich ganz abschaffen und 'ne Diktatur mit Philosophen-Expertenrat oder sowas einführen. Demokratie bedeutet nun einmal immer die Gefahr, dass Populisten teilweise Erfolge erzielen. Wer Verantwortung trägt, macht Fehler. Hat das Volk Verantwortung, kann es die Verantwortung für die Fehler dann aber auch nicht auf andere abschieben.

politik-web hat gesagt…

http://www.politik-web.de/

Die teilweise absurden Vorgänge in unserer Demokratie sprechen für sich und können vom "souveränen" Volk manchmal nur noch mit einer gehörigen Portion Sarkasmus kommentiert werden, um die verschiedenen Defizite der derzeitige Politik zu kritisieren.