Dienstag, 18. Dezember 2007

Willkommen in der Bastille!

Man merkt, dass die Zeiten sich ändern, wenn man Wiederholungen von Geschichtsdokus auf Phoenix plötzlich mit anderem Blick anschaut als früher.

Unsere Wahrnehmung wird geschärft durch unser Vorwissen und vernebelt durch fehlendes Vorwissen (ein Grund, vermute ich, für die Anti-Bildungspolitik der Unions-Parteien mit weniger Schuljahren, mehr Leistungsdruck, Lehrerwillkür und Unterdrückung des freien Willens bei den Schülern durch neue "Kopfnoten"). Auch altes Wissen erfährt eine Uminterpretation oder eine neue Gewichtung durch neue Erkenntnisse.

So kam am Wochenende eine Doku über den Anfang der französischen Revolution, die Erstürmung der Bastille also. Kennt man doch alles. Hat man doch in der Schule was drüber gelernt. Wie kann solch eine Doku also spannend sein?

Aber beim Anschauen rumort es im Hinterkopf. Es ist nicht nur die anschauliche Inszenierung der Dokumentation, die die ollen Kamellen von 1789 merkwürdig nah erscheinen lassen. Denn was stand eigentlich im Mittelpunkt damals, als das Volk vor der Wahl stand, dem königlichen Befehl zu gehorchen, oder die Übergabe der Bastille ans Volk gewaltsam durchzusetzen? Es war genau die Frage nach: Wollen wir Ordnung und Sicherheit oder Freiheit? Wollen wir ordentliche, königliche Polizei, die effizient gegen Kleinkriminelle vorgeht oder wollen wir die Unsicherheiten, die mit der Abschaffung der alten Ordnung einhergehen? 100 Jahre lang war Frankreich nach der Revolution zerstritten darüber, ob die Revolution die richtige "Entscheidung" gewesen war.

So kam gerade eben eine Doku über die Stasi-Herrschaft in der DDR.

Zu den Bildern einer heimlichen Wohnungsdurchsuchung durch die Stasi sagte die Stimme des Sprechers aus dem Off: "Für Verdächtige gibt es in der DDR keine Privatsphäre." Später dann der bekannte Ausschnitt aus einer Rede von Stasi-Chef Mielke als das Volk angefangen hatte, sich zu erheben gegen die Unfreiheit: "Ich liebe doch alle. Ich liebe doch alle Menschen! Ich setzte mich doch für alle ein!"

Überwachung als Liebestat. Das kennt man doch irgendwoher! Das kommt einem doch so verdammt vertraut vor.

Umfaller-Partei SPD und die CDU mit ihrer ehemaligen FDJlerin an der Spitze und die CSU sind es, die plötzlich - so als ob es nie eine DDR gegeben hätte - seit ungefähr einem Jahr ein neues, altes Lied anstimmen darüber, dass es für den Staat keine Lücken mehr geben dürfe, dass Datenschutz Täterschutz sei, dass man möglichst viele Daten der Bürger präventiv erheben und speichern müsse, dass man Terroristen ansonsten quasi einladen würde, wenn man irgendwo - und sei es auf den Festplatten der Bürger - Überwachungslücken bestehen lasse.
Und die obersten Polizisten stimmen ins Lied ein und fordern - ganz in seeliger Erinnerung an die guten alten Zeiten in der DDR - heimliche Wohnungsdurchsuchungen und heimliche Videoüberwachungen innerhalb von Wohnungen Verdächtiger und präventives Telefonabhören auch bei Menschen, bei denen es keinerlei handfeste Hinweise gibt, dass sie eines Verbrechens verdächtig sind.

Vor einigen Tagen sagte Jürgen Gehb, rechtspolitischer Sprecher der Union:

"Der Schutz der Privatsphäre ist zu einem Schutzschild für Verbrecher geworden, das Deutschland zu einem Biotop für Terroristen und organisierte Kriminelle macht." (Quelle: Welt.de)


Dagegen äußerte Hans-Jürgen Papier, Präsident des Bundesverfassungsgerichts laut "Hal Faber":

"In einem Staat, der keinen Rückzugsbereich der Privatheit übrig lasse, wolle er nicht leben." (Quelle: Heise.de)


Das Bundesverfassungsgericht ist zur Zeit das einzig verbliebene Bollwerk gegen die Regierung und gegen die mit ihr verbündeten windigen und gefährlichen parlamentarischen Rechtsstaats-Gefährder aus SPD, CDU und CSU.

Es herrscht Belagerungszustand. Anders als 1789 sitzen heute die Verteidiger und nicht die Gegner von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat in der Bastille eingeschlossen. Eine Flucht (Wohin? Ins Ausland? In die innere Emigration?), verehrter Herr Papier, ist kaum denkbar - falls sie solch einen Wunsch mit ihrer Äußerung andeuten wollten.

Nein, nein, nein. Keine Flucht. Nach 1984 kommt 1789/1989. Ich kann nur sagen: Vorsicht, Schäuble! Vorsicht Zypries! Vorsicht ihr Typen von der SPD, CDU und CSU! Vorsicht, ihr angeblich so biederen Chefs von BKA und LKAs! Treibt das Spielchen nicht zu weit!

Machen wir uns aber nichts vor. Der Terrorismus ist der willkommene Anlass, nicht der wirkliche Grund dafür, dass dieser Staat sich immer mehr von seinen freiheitlichen-demokratischen Grundsätzen entfernt. Die eigene Regierung stellt immer eine große potentielle Gefahr für eine Demokratie dar. Denn sie will in der Regel an der Macht bleiben und hat grundsätzlich die Mittel, dies auch gewaltsam durchzusetzen. Nur Regeln und Kontrolle hindern sie daran. Gibt man diese Regeln und Kontrollen auf, ergibt sich zwangsläufig eine Diktatur. Wäre Demokratie eine von Natur aus stabile Staatsform, gäbe es auf der Welt viel mehr davon. (Quelle: Antiterror.Blog.de)

1 Kommentar(e):

Anonym hat gesagt…

Das Problem bei Mielke, Merkel, Kohl, Schäuble usw. (und das sind nur einige wenige, und nur von heute und nur aus Deutschland) ist - sie glaub(t)en wirklich, dass nur Sie mit ihrer Politik das letzte Bollwerk demokratischer Leitkultur darstellten. Und dass sie für dieses hehre Ziel eben ein paar Regeln zu beugen/brechen berechtigt seien, denn die Übersicht und Kontrolle über das System hat ja wohl nur der, der außerhalb steht.

Allein der Umstand, dass man 100 Jahre darüber streiten konnte ob die Revolution nun "richtig" war beweist eben deren Richtigkeit. Bei uns wird nicht mehr gestritten (streiten=kämpfen=sich engagiert und mit Herz auseinandersetzen), der Streit findet extrem ritualisiert vor den Bundesgerichten statt, deren Urteile dann wieder die Marken sind, die es möglichst trickreich zu umgehen gilt.

Mit Demokratie hat (nicht nur) unser System zunehmend weniger zu tun. MIR wäre ein wenig mehr Freiheit, Mitbestimmung und damit auch Verantwortung in Verbindung mit etwas weniger Sicherheit (ja wo haben wir denn tatsächlich?) erheblich lieber. Ich habe gelernt Entscheidungen auch im Hinblick auf meine Mitmenschen zu treffen und dafür persönlich die Verantwortung zu übernehmen.

Was derzeit zur Sicherheit der Bevölkerung abläuft nennt man an den Gerichten Entmündigung, und das dient für gewöhnlich der Sicherheit geistig Behinderter.

Wortbestätigung desTages: pppbfg
(unsere Parlamentarier lassen mal wieder heißen Dampf ab)