Dienstag, 22. Januar 2008

Wer oder was treibt die Pläne zur Internet-Filterung wirklich an?

(Via EFF.org) Der große US-Telekommunikationskonzern AT&T erwägt anscheinend ernsthaft, den Wünschen der "Content"-Industrie (also Musikindustrie und Filmindustrie) zu folgen und eine umfassende Filterung des Internet-Verkehrs zu implementieren, um so urheberrechtlich geschütztes Material direkt bei der Durchleitung durchs Internet zu blockieren. Dazu müsste im Endeffekt jedes Datenpaket - egal ob damit eine E-mail transportiert wird, eine Webseite aufgerufen wird, ein Podcast heruntergeladen wird oder eine sonstige Datei herunter- oder heraufgeladen wird - "aufgemacht" und kontrolliert werden.

Tim Wu kommentiert die Pläne von AT&T bei Slate.com so:

Exactly what counts as copyright infringement can be a tough question for a Supreme Court justice, let alone whatever program AT&T writes to detect copyright infringement. Inevitably, AT&T will block legitimate materials (say, home videos it mistakes for Hollywood) and let some piracy through. Its filters will also inescapably degrade network performance. The filter AT&T will really need will be the one that blocks the giant flood of complaints and termination-of-service notices coming its way.

But the most serious problems for AT&T may be legal. Since the beginnings of the phone system, carriers have always wanted to avoid liability for what happens on their lines, be it a bank robbery or someone's divorce. Hence the grand bargain of common carriage: The Bell company carried all conversations equally, and in exchange bore no liability for what people used the phone for. Fair deal.

AT&T's new strategy reverses that position and exposes it to so much potential liability that adopting it would arguably violate AT&T's fiduciary duty to its shareholders. [...]

Even China's Internet, whose performance suffers greatly from its filtering, doesn't go as far as what AT&T is proposing. [...]

A different theory is that AT&T hopes that filtering out infringing material will help free up bandwidth on its network. What is so strange about this argument is that it suggests that AT&T wants people to use its product less. (Quelle: Slate.com)

Aus wirtschaftlicher Sicht gibt es also keine einleuchtende Erklärung für die Gedankenspiele von AT&T. Die einzige logische Erklärung für das Verhalten von AT&T, die dem Autor Tim Wu einfällt: AT&T handelt auf Grund einer politischen Agenda.

Politiker weltweit forcieren immer umfassendere Überwachungspläne. So zeigen sich jetzt auch Politiker auf EU-Ebene offen gegenüber Vorschlägen zur Implementierung von Internet-Filtern:Wieder schlägt der oberflächliche Wunsch nach Verbrechens-Prävention gnadenlos zu. Während der vermeintliche Nutzen von beispielsweise weniger Kinderpornografie sofort einleuchtet, sind die Gefahren eines möglicherweise umfassenden Internet-Überwachungsapparates nur schwer zu vermitteln.

Dass sich Politiker keine große Mühe geben, den Bürgern die Gefahren eines gefilterten Internets vor Augen zu führen, mag man noch nachvollziehen. Entweder ist es Faulheit (einfache Parolen wie "Pfui Kinderporno!" sind eben leichter in Wahlkämpfen zu verwerten als Warnungen vor den komplexen Folgen eines Überwachungs- und Präventionsstaates) oder manchen Politikern mag es auch ganz gut ins politische Konzept passen, wenn der Bürger gut kontrolliert wird.

Dass die Content-Industrie für Filterung ist... geschenkt.

Aber was genau bringt einen Telekommunikationsanbieter wie AT&T dazu, ernsthaft von sich aus die Implementierung von Internet-Filtern zu erwägen, wenn er damit sein Geschäft einem hohen Risiko aussetzt, weil er eventuell haftbar wird für die nicht gefilterten Inhalte und weil er damit die Integrität und Performance seines Netzwerkes gefährdert?

Der weltweit größte Telekommunikationsanbieter AT&T, der zudem dafür bekannt ist, zusammen mit anderen amerikanischen Providern fleißig an bestehenden Gesetzen vorbei mit den US-Geheimdiensten zusammenzuarbeiten, verfolgt also eventuell tatsächlich eine politische Agenda, obwohl die sich gegen das Interesse der Shareholder und gegen die Interessen der eigenen Kunden richtet.

Ist dies eventuell ein weiteres Puzzleteil bei der Lösung der Frage, wer oder was eigentlich wirklich hinter diesen Bemühungen im transatlantischen Raum steht, auf den verschiedensten Ebenen für ein Mehr an Überwachung der Bürger zu kämpfen?

Mir drängt sich immer mehr der Eindruck auf, dass es vor allem nationale und internationale Geheimdienste in einträchtiger Zusammenarbeit sind, die die Überwachungspläne in vielen Ländern (siehe beispielsweise jüngste Pläne von US-Geheimdiensten zur Kontrolle des Internets) von sich aus forcieren und die Politiker eher die Getriebenen sind und die Hilflosen sind, die - mit wenig Sachverstand ausgestattet - den Erläuterungen diverser Behördenchefs mehr oder weniger ausgeliefert sind.

Nur wenn hinter dem Vorhaben von AT&T Geheimdienste stehen, beispielsweise indem sie AT&T versichern, dass es finanzielle Ausgleichszahlungen oder Ausgleichsleistungen geben wird für ihr Filterbemühen, ergibt für mich das Verhalten von AT&T einen Sinn.

Warum die Geheimdienste eine immer umfassendere Überwachung anstreben (die ihnen ja auch letztendlich mehr Arbeit beschert), ist damit natürlich noch nicht beantwortet. Ist es wirklich schlicht der Wunsch, bei möglichen, zukünftigen Anschlägen die Hände in Unschuld waschen zu können mit der Begründung, man habe alles Menschenmögliche getan oder gefordert? Machen sie sich selbst nicht eher noch stärker angreifbar, wenn dann trotz all der vielen, neuen Befugnisse doch ein Anschlag passiert? Müssten die Geheimdienste nicht eigentlich wissen, dass sie mit den diversen Überwachungsmaßnahmen kaum gewiefte Terroristen schnappen werden und selbst Kinderporno-Tauscher vermutlich Mittel und Wege finden, um einem Internetfiltersystem aus dem Weg zu gehen?

Gibt es irgendwie eine Art "Naturgesetz", die die westlichen Geheimdienste zwingt, sich in ihrer Arbeitsweise den russischen Geheimdiensten, die anscheinend immer stärker verfilzt sind mit wirtschaftlichen Interessen, anzupassen?

Oder steckt hinter den diversen Überwachungsvorhaben national, sei es hier in Deutschland oder den USA und sei es auf EU-Ebene und im transatlantischen Raum nur eine zufällige Melange unterschiedlichster Interessen von vielen verschiedenen Seiten? Woher aber diese stetige Zunahme immer neuer, ausufernder Überwachungsvorhaben? Soweit ich das überblicke, gibt es keine Zunahme von Gefahren. Auch 15 Jahre Internet (korrekter: World Wide Web) haben bislang nicht zur Ausrottung der Menschheit geführt.

Wie auch immer... Mir erscheint das zunehmende Überwachungsgebimmel überall als äußerst seltsam und immer seltsamer werdend. Und mir erscheint es als nötig, nicht nur die einzelnen Vorhaben (Vorratsdatenspeicherung, BKA-Gesetz, Bundestrojaner, Internet-Filter und so weiter) zu betrachten, sondern auch nach weiteren Erklärungen für die Häufung solcher Vorhaben zu suchen. Wer was Erhellendes beitragen kann - die Kommentare sind offen.

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2 Kommentar(e):

Anonym hat gesagt…

Klingt durchaus plausibel - aber erzählen Sie mir nicht nochmal, Sie wollten sich nicht in "wilde Spekulationen ergehen". ;-)

Die Frage nach der Intention von Geheimdiensten zum mutmaßlichen Internet-Filtern ist müßig. Natürlich stecken da die unterschiedlichsten Interessen dahinter, und Wissen ist nun mal Macht, und Macht verheißt Kontrolle, soll sexy sein, und korrumpiert bekanntermaßen. Wenn die parlamentarische Kontrolle eines Geheimdienstes erst abgeschafft ist (hats die eigentlich wirklich mal in nennenswertem Umfang gegeben?) neigt das Gebilde dazu, sich insbesondere im Verein mit gewogenen Politikern und Lobbyisten zu verselbständigen.

Die Hoffnung die uns bleibt, ist der entgegen jeglichem "James Bond"-Mythos immer wieder dokumentierte, geradezu unglaubliche Dilletantismus, mit dem sich alle Geheimdienste bisher immer selbst ins Knie schießen.

Wortbestätigung des Tages: jyabad
(Geheimdienstbezeichnung für ein nichtssagendes, aber sich irgendwie bedrohlich arabisch anhörendes Wort)

Solon hat gesagt…

"Klingt durchaus plausibel - aber erzählen Sie mir nicht nochmal, Sie wollten sich nicht in "wilde Spekulationen ergehen"."

Och, ich könnte durchaus noch viel wilder rumspekulieren. Und so logisch erscheint mir die Vermutung, dass die Geheimdienste irgendwie von sich aus selbst treibende Kraft sind, eben weiterhin nicht. Mir fällt nur bislang keine schlüssigere Erklärung ein.

Die große Frage ist und bleibt eben für mich: Was hätten die Geheimdienste davon? Was soll das Getue? Ist das Geheimdienstleben nicht schon schwer genug? Warum würden sie mehr Einfluss wollen?

Evident scheint mir nur, dass es ein übergeordnetes Muster gibt, soll heißen: Überall weltweit grassieren unsägliche neue Überwachungspläne, die einer objektiven Analyse hinsichtlich Kosten und Nutzen alle nicht standhalten würden.

Vielleicht sind es ja auch Außerirdische, die ein nach Überwachung süchtigmachendes Virus in der Atmosphäre versprüht haben?

In instabilen Staaten kann ich mir durchaus vorstellen, dass bestimmte Gruppen wie Militär oder Geheimdienste ihre Macht erweitern wollen, weil sie vermutlich zu Recht hoffen, die alleinige Kontrolle über den Staat zu bekommen. In dem Fall wird die Machtausübung dann sicherlich "angenehm". Aber die EU-Staaten und die USA halte ich für zu komplex, als dass einzelne Gruppen wie beispielsweise Geheimdienste hier eine echte Freude dran haben könnten, "durchzuregieren".

Fazit: Einen Einfluss (und zwar sogar einen starken) von Geheimdiensten auf die aktuelle Politik und auf einzelne Politiker, Wirtschaftsunternehmen und Medien halte ich für möglich. Aber das Warum erschließt sich mir nicht wirklich.