Dienstag, 12. Februar 2008

Vorsicht vor der Wortballung

Eine der letzten Bastionen der Qualität in den deutschen Medien scheint zu fallen. Umfangreichere Wortbeiträge und Sendungen, die Sachverhalte ausführlicher darstellen, analysieren oder kommentieren, soll es ab dem 1. Mai beim Radiosender "WDR 3" des öffentlich-rechtlichen Westdeutschen Rundfunks nicht mehr geben. Stattdessen soll es auch auf diesem Sender endlich, endlich, endlich mehr von dem im deutschen Radio sonst so selten anzutreffenden Ding namens "Musik" geben. Außerdem verschreibt sich der WDR... nein, falsch, noch mal: Außerdem trällert der WDR jetzt das Lied, seine Journalisten mögen endlich lernen, auch die komplexesten Dinge in 2:30 Minunten zu erklären, zu analysieren und zu kommentieren, berichtet Zeit.de:

Um die Kultur tobt ein Kulturkampf. Gefochten wird nicht nur um die hochwertigen und teuren "Minderheitenprogramme" des Kulturradios, gefochten wird um gesellschaftspolitische Ambition, kulturelles Selbstverständnis und das kritische Wort als Stachel im Fleisch der Konsensgesellschaft.

Wer das künftige Programmschema von WDR 3 studiert, vermisst in der Tat bislang tägliche Formate wie die hochgelobten Musikpassagen (jetzt nur noch samstags), das unerschrocken kommentierende Feuilleton TagesZeichen oder das dreistündige musikessayistische Vorzeigeformat 3.pm, das im gerade erschienenen ARD-Jahrbuch noch als experimentelle Radiokunst bejubelt wird. [...] Für alle Sendungen vorgegeben ist ein Musik-Wort-Verhältnis von 70 zu 30, wobei Anmoderation und Nachrichten auf das Wortkonto gehen. (Quelle: Zeit.de)


Die WDR-Direktoren verteidigen dies, indem sie sagen, der Wortanteil insgesamt würde nicht geringer werden, sich nur nicht mehr in einzelnen Sendungen "ballen":

"Was wir vorhaben, ist keine Verflachung. Das Wort wird in der Summe nicht weniger. Es wird nur anders verteilt. Wir lösen die Ballung von Wortblöcken zu bestimmten Tageszeiten auf." (Quelle: Zeit.de)


Nein, das ist keine Satire, das meinen die tatsächlich so.

Also ich finde, dass sich auch im deutschen Fernsehen - vor allem so um 20 Uhr herum - der Wortanteil viel zu stark ballt. Könnte man nicht nach jeder Tagesschau-Meldung etwas Musik einstreuen? Und ganz schlimm wird das mit der Wortballung ja bei solchen Sendungen wie "Monitor" oder "Panorama" und so weiter. Und soll Musik nicht die Intelligenz fördern?

Auch das Fernsehen müsste und könnte also weiter "optimiert" werden.

Was sollte man konkret tun? Drei Lösungsvorschläge:
  • Nachrichten werden ab sofort nicht mehr nur durch Klimperjazz wie jetzt schon beim Deutschlandfunk unterbrochen, sondern direkt dauerhaft mit Musik untermalt.
  • Kommentare und Politikerzitate werden ab sofort nur noch gesungen vorgetragen, was for allem Äußerungen Merkels sicherlich eine ungeahnte Tiefe verleihen dürfte.
  • Analytische oder kommentierende Wortbeiträge werden einfach in zehnfacher Geschwindigkeit abgespielt und so in einem Zehntel der Zeit ohne inhaltliche Verluste gesendet. Interessierte Hörer können sich die Wortbeiträge ja aufnehmen und die Aufnahme anschließend in langsamer Geschwindigkeit wieder abspielen.
Denn das Wichtigste ist, dass sich die Worte und Wörter nicht ballen.

Die Gefahr, die von dieser Wortballung ausgeht, scheint jedoch auf die deutsche Sprache und deutsche Wörter beschränkt zu sein. Glücklicherweise. Englische Worte können bis ins Unendliche geballt werden, ohne dass die Hörer vor Angst davonlaufen. "Radio 4" von BBC soll beispielsweise einer der beliebtesten Sender in Großbritannien sein, obwohl es dort fast nur Wortbeiträge gibt.

Ob Germanisten wissen, mit was für einem gefährlichen Gegenstand sie sich tagtäglich beschäftigen? Sind nicht längst Sprengkommandos nötig, um auch an Universitäten, bei Debatten im Bundestag, ja sogar in unseren Schulen bis hin zur Grundschule diese gefährlichen Wortballungen aufzulösen?

Vielleicht ein neues Einsatzfeld für die meist ohne große Worte agierende "Clown-Armee?"

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