Samstag, 11. August 2007

Deutschland - Land der anonymen Blogger

Willkommen im Club, kann man da nur sagen, wenn man den lesenswerten Kommentar von BlogMedien.de zu einem erneuten Skandal-Urteil des problematischen Hamburger Landgerichts liest:

Die deutsche Bloggerszene ist offenbar fassungs- und sprachlos. Kommentarfunktionen wurden am Mittwoch und Donnerstag gleich reihenweise abgeschaltet, eigene Blogeinträge und Kommentare auf Formulierungen durchsucht, die Callactive möglicherweise missfallen könnten. “Wenn das so weitergeht, muss ich wohl das Forum schließen”, schrieb der Betreiber einer äußerst erfolgreichen Website völlig frustriert an blogmedien. Andere überlegen ernsthaft, anonyme Blogs zu gründen oder unter falschem Namen mit ausländischen Adressen über Missstände in deutschen Medien zu berichten. (Quelle)


Zum Hintergrund: Die Firma "Callactive" produziert viele dieser Call-In-Sendungen, die derzeit auf den inhaltsärmsten TV-Sendern Deutschlands laufen. Die vom Gebührenzahler teuer bezahlten Landesmedienanstalten sind machtlos gegen diese Null-Formate, die sich vermutlich durch einige Tausend spielsüchtige Anrufer finanzieren, aber ansonsten für das Publikum uninteressant sein dürften. Im Internet regte sich in Foren und Weblogs Kritik an den Praktiken dieser Call-In-Sendungen. In Großbritannien startete bei auch dort aufgekommener Kritik an diesen auch dort häufig anzutreffenden Sendungen eine große, offizielle Untersuchung der Praktiken dieser Sendungen. In Deutschland jedoch wurde das Thema weitgehend in den etablierten Medien totgeschwiegen. Stattdessen regte sich der Sendungsproduzent "Callactive" umso mehr und ging gerichtlich gegen die Kritik im deutschen Internet vor. Einige der beispielsweise im Forum Call-In-TV von den Nutzern gemutmaßten Vergehen von Callactive konnte der private Forenbetreiber und von Callactive verklagte Marc Döhler nicht beweisen und wurde deshalb dazu verurteilt, die strittigen Behauptungen in Zukunft zu unterlassen.

Soweit so üblich, könnte man noch sagen. Das Problem dabei ist jedoch - und genau an diesem Punkt wird die Meinungsfreiheit in Deutschland ad absurdum geführt - dass nicht nur die Äußerungen von Marc Döhler, dem Forenbetreiber, persönlich zählen, sondern er auch geradestehen muss für alle Äußerungen, die Kommentatoren und weitere Forennutzer in seinem Forum machen. Und das Geradestehen käme zudem nach dem Urteil des Hamburger Landgerichts auch sehr teuer. Ganze 250.000 Euro müsste Döhler zahlen, wenn irgendein Nutzer in seinem Forum noch einmal behaupten würde, dass es "Fake-Anrufer" bei den Call-In-Sendungen von Callactive gebe. Zudem drohen ihm jetzt noch weitere Schadensersatzklagen. Nur wegen der Mutmaßung, bei den Call-In-Sendungen könnte es "Fake-Anrufer" geben. Bei solchen Bedrohungen, bei dieser ständig drohenden Gefahr selbst bei derartigen Äußerungen sofort mit dem finanziellen Ruin rechnen zu müssen, wäre die Behauptung, in Deutschland gäbe es eine Meinungsfreiheit, die ihren Namen verdient, zynisch.

Fazit: Es herrscht Krieg im deutschen Internet. Auf der einen Seite stehen Privatpersonen, die kritisch beispielsweise über Machenschaften von Firmen berichten, auf der anderen Seite steht die deutsche Justiz, die im Auftrag der deutschen Politik per dort verabschiedeter Gesetze mit Leichtigkeit Kritik von Privatleuten mundtot machen kann. Es gibt keine Meinungsfreiheit im deutschen Internet. Das kann nicht deutlich genug gesagt werden. Denn der eigentliche Wert der Meinungsfreiheit besteht nicht darin, dass jeder seine Meinung über das letzte Fußballspiel oder das aktuelle Wetter laut kundtun darf, sondern dass öffentlich gefahrlos berechtigte Kritik geäußert werden darf an Missständen. Leider jedoch erscheint es mir als logisch, dass deutsche Politiker diese Zustände, diese permanente Bedrohung kritischer Geister mit dem finanziellen Ruin, lieben.

Die etablierten Medien in Deutschland sind paradoxerweise Teil des Problems. Sie lassen diese abmahnenden Firmen gerne gewähren und gucken weg. Werden doch von den unterbelichteten deutschen Medien die Privatleute im Internet als Konkurrenten missverstanden, die so durch das deutsche Abmahnwesen in Schach gehalten werden. Und anonym/pseudonym auftretende Internet-Schreiberlinge werden größtenteils eben tatsächlich nicht ernst genommen in Deutschland. Selbst von manchen Bloggern nicht. Hier muss ein Umdenken einsetzen: Gerade unter Pseudonym schreibende, deutsche Blogger sollten ernst genommen werden, weil man davon ausgehen kann, dass sie ohne allzu empfindliche Schere im Kopf schreiben.

Dass Firmen, die auf Kritik im Internet stoßen, gegen diese Kritik vorgehen, kann ich hierbei übrigens noch am ehesten verstehen. Die Firmen nutzen halt die Gesetze, die ihnen das Totschlagen jeglicher Kritik im Internet in Deutschland ermöglichen. Und da solch rigides Vorgehen von Firmen gegen Kritiker kaum jenseits der betroffenen Foren oder Weblogs an die Öffentlichkeit kommt, erleiden diese Firmen auch kaum einen messbaren Ansehensverlust wegen ihrer rabiaten Methoden.

Als aufrechter Deutscher bleibt nur eine Möglichkeit, weiterhin sein Recht auf Meinungsäußerung wahrzunehmen ohne mit dem finanziellen Ruin bedroht zu werden: Die Anonymisierung (richtiger: Pseudonymisierung) seiner Internetpräsenz. Nicht um Straftaten zu begehen, sondern um es Abmahnern schwieriger zu machen, die eigene Stimme zum Verstummen zu bringen.

Ich befürchte, dass auch weiterhin in Deutschland die Folgen des deutschen Abmahnwesens für die Meinungsfreiheit in den etablierten Medien und von Politikern aller Parteien kaum diskutiert werden. Bliebe der Umweg über das Ausland, um dem Thema endlich Gehör zu verschaffen. Denn wenn erst einmal im Ausland bekannter ist, dass es in Deutschland letztlich keine ernsthaft so zu nennende Meinungsfreiheit für Privatleute im Internet gibt, könnte dies dann eventuell auch deutsche Politiker interessieren. Wenn sie nämlich bei Besuchen im Ausland ständig angesprochen werden auf diese chinesischen Verhältnisse in Deutschland. Oder wenn das Fehlen einer tragfähigen Meinungsfreiheit in Deutschland Thema in ausländischen Medien geworden ist und deshalb dann irgendwann auch von den deutschen Medien umfassender aufgegriffen werden muss.

Nachtrag: (Via Alarmschrei.de) Das Weblog "Tintengraben" hat auch einen äußerst passenden Artikel zum Thema, der letztlich alles beinhaltet, was dazu zu sagen ist.

Technorati-Tags: , , , , , ,

3 Kommentar(e):

Anonym hat gesagt…

Ich hab das schon vor Jahren so kommen sehen, die Anzeichen existieren schließlich nicht erst seit heute. Und um mir wirklichen Ärger vom Hals zu halten, hab ich eben den Schritt gewagt und meine Webseite unter dem Namen einer Briefkastenfirma im Ausland angemeldet. Wer mir jetzt ans Leder will, hat deutlich höhere Hürden zu überspringen - und kommt vor allem primär nicht an mich privat heran, sondern erst einmal nur an die Briefkastenfirma.

Scheint der einzige Weg zu sein, welcher halbwegs sicher funktioniert.

Solon hat gesagt…

Um Privatleute im Internet vor mit Abmahnungen um sich schlagenden Firmen zu schützen, würde es meiner Meinung nach reichen, wenn man die Regeln des Abmahnwesens gesetzlich nur ein klein wenig ändert. Zum Beispiel dahingehend, dass die erste Abmahnung nie kostenpflichtig ist für den Empfänger der Abmahnung. Ähnlich also wie in den USA. Und schon wäre das Publizieren im Internet von Privatleuten weit weniger risikoreich als heute.

Im Fall Callactive kommt natürlich noch hinzu, dass sich seit einiger Zeit in den deutschen Gerichten Urteile mehren, die auch dann Personen oder sogar Firmen als durch eine Meinungsäußerung beleidigt ansehen, wenn irgendwo auch nur der Hauch einer Möglichkeit besteht, dass die Meinungsäußerung beleidigend gemeint sein könnte. Auch hier müsste der Gesetzgeber regulierend eingreifen. Wird er aber nicht tun. Weil Meinungsfreiheit in Deutschland kein Thema ist.

Wenn wie im Fall Callactive ein Gericht entscheidet, dass die Ersetzung des Begriffs "Fake-Anrufer" durch den Begriff "Verwirrte Anrufer" nicht ausreicht, um Callactive nicht nahezutreten, dann steht man doch letztlich hilflos da und muss gegenüber Callactive und andere schlicht die Klappe halten - oder man macht sich eben selbst zu einem schwerer zu treffenden Ziel durch Pseudonymisierungen.

Pseudonymisierungen helfen gegen Abmahnanwälte, aber natürlich nicht gegen Staatsanwälte. Aber vor letzteren würde ich mich auch gar nicht verstecken wollen.

Anonym hat gesagt…

Sicherlich würde ein paar Gesetzesänderungen helfen. Aber wie realistisch ist das derzeit? Ich denke, hier werden wir im besten Fall (!) noch einige Jahre warten müssen, damit in der Politik überhaupt ein Bewußtsein erwächst, daß es hier Änderungen braucht. Und dann dauert das nochmal ein paar Jahre, ehe es diese Änderungen gibt. Im eher anzunehmenden Fall wird das Thema aber nie von der Politik aufgegriffen, sondern die Situation wie sie ist, wird nur noch weiter zementiert.

Und dann wird eine andere Lösung notwendig als auf gesetzliche Änderungen zu hoffen. Wenn das bedeutet, daß man sein Internetgeschäft dann über das Ausland macht und Deutschland somit Steuern und Einnahmen im IT-Sektor entgehen - Pech für Deutschland.