Sonntag, 12. August 2007

Zurück in die Steinzeit

(Angeregt durch diesen extrem lesenswerten Artikel bei Citronengras: Zeitgeistscheiß)

Früher, so im 19. Jahrhundert, als die Welt noch unzivilisiert war, sagte man sich: Unsere Stadt braucht ein Kanalisationssystem! Das ist zwar teuer, aber dann riecht es nicht mehr so streng, die Lebensbedingungen verbessern sich also, das macht auch das Wirtschaften leichter und angenehmer und so wird sich der Bau einer Kanalisation schon irgendwie am Ende rechnen.

Heute muss die Kanalisation selbst plötzlich Gewinne erwirtschaften und wird deshalb privatisiert. Die Folge: Eine private Firma bemächtigt sich der Abwassergebühren, investiert aber nichts in die Reparatur oder den Erhalt der Kanalisation, weil sie eh vorhat, nach einigen Jahren wieder auszusteigen aus diesem Geschäft. Geld stinkt eben nicht, langfristiges Rumreparieren in schmutzigen Abwasserkanälen jedoch schon.

Eine saubere Stadt reicht heute nicht mehr, es muss Gewinn her!

Früher, so im 19. Jahrhundert, als die Welt noch unzivilisiert war, sagte man sich: Unsere Stadt braucht ein modernes Krankenhaus! Das ist zwar teuer, aber dann sterben die arbeitsfähigen Leute nicht mehr so jung, man kann länger von ihrer Erfahrung und Arbeitskraft profitieren und überhaupt fühlt sich jeder besser mit einem Krankenhaus in der Nähe. Das verbessert die Lebensbedingungen und erleichtert auch das Wirtschaften und so wird sich das Krankenhaus über steigende Steuereinnahmen andernorts sicherlich am Ende irgendwie rechnen.

Heute muss das Krankenhaus selbst plötzlich Gewinne erwirtschaften und wird deshalb privatisiert. Die Folge: Die private Firma konzentriert sich nur noch auf Behandlungen, die nicht zu teuer sind. Die anderen Kranken haben halt Pech gehabt. Der volkswirtschaftliche Schaden dadurch ist zwar immens, aber zumindest das Krankenhaus erwirtschaftet jetzt einen direkt sichtbaren Gewinn.

Gesunde Menschen reichen heute nicht mehr, es muss Gewinn her!

Früher, so im 19. Jahrhundert, als die Welt noch unzivilisiert war, sagte man sich: Dieses Herumfahren in Kutschen ist doch arg lästig, bauen wir eine Eisenbahn und Straßenbahnen noch gleich dazu. Das ist zwar teuer, aber dann verbessern sich die Lebensbedingungen und auch das Wirtschaften und Handeln wird erleichtert. Am Ende wird unsere Stadt und unser Land schon profitieren und die Kosten für Bau und Betrieb der Eisenbahn werden sich dank gestiegener Steuereinnahmen durch die Ankurbelung der Wirtschaft mehr als rentieren.

Heute jedoch muss die Bahn und der öffentliche Personen-Nahverkehr selbst direkt Gewinne erwirtschaften. Die Folge: Es wird privatisiert und nur noch Strecken werden bedient, auf denen sehr viele Leute unterwegs sind. Das Bahn-Netz zerfällt, die Leute merken, dass sie zum Weiterkommen Autos benötigen und sich nicht mehr auf die Bahn oder den öffentlichen Personen-Nahverkehr verlassen können und kaufen sich ein Auto. Die Straßen werden voller, die Luftverschmutzung nimmt zu, die Lebenshaltungskosten steigen, der Konsum anderer Güter nimmt deshalb ab, denn jetzt fließt das Geld ins Auto, die Wirtschaft insgesamt (außer der Autoindustrie) leidet. Aber zumindest die Bahn schreibt nun schwarze Zahlen.

Der Erhalt des Verkehrsflusses, der Adern des Wirtschaftslebens also, reicht heute nicht mehr, die Adern selbst müssen heute Gewinne machen!

Fazit: Früher, als die Welt noch unzivilisiert war, waren die Leute nur aus auf die Verbesserung ihrer Lebensbedingungen und auf die Stärkung der Volkswirtschaft. Mit anderen Worten: Sie waren Weicheier und Kommunisten.

2 Kommentar(e):

Anonym hat gesagt…

Kleines ergänzendes Beispiel: in Berlin wurden die Wasserbetriebe privatisiert. Die nichtöffentlichen (geheimen) Verträge sollen den beteiligten Unternehmen Gewinngarantien zusichern. Einige Bürger versuche sich dagegen zu wehren und mit einem Volksbegehren die Offenlegung der Verträge zu erzwingen und diese wenn möglich für nichtig zu erklären:

http://www.berliner-wassertisch.net/

Solon hat gesagt…

Danke für den Hinweis!

Derartiges geschah und geschieht in Deutschland in vielen Kommunen.

Hier beispielsweise auch eine Internetseite aus Kassel zum Thema der Privatisierung der Wasserversorgung, mit vielen weiterführenden Links: Unser Wasser-Kassel.

Auch im Ausland grassiert dieser "Privatisierungs-Wahn" schon länger. Es ist wohl die heimliche Sehnsucht zurück zur Steinzeit, die dahinter steckt, dass überall die zivilisatorischen Errungenschaften in Form öffentlicher Einrichtungen mittels Privatisierungen zerstört werden. Heute braucht es keine von außen einfallenden Barbaren mehr wie noch zur Römerzeit. Heute erledigen wir das selbst.