Mittwoch, 21. November 2007

Im Nebel der Datenschutz-Ignoranz geht so einiges verloren: Wahrheit, Vertrauen, Sicherheit

Buchstäblich halb Großbritannien ist in Angst, weil die dortigen Behörden beim Datenschutz geschlampt haben. Fehlender Datenschutz, nicht fehlende Terrorabwehr und nicht fehlende staatliche Schnüffelei waren der Auslöser für Angst und Schrecken: In Großbritannien sind nämlich zwei CDs auf dem Postweg verloren gegangen, auf denen wichtige Daten von der Hälfte der britischen Bürger gespeichert waren. Heise.de berichtet über die Details: Millionen Briten von Datenpanne betroffen. Und Christiane Link erklärt, warum die auf den CDs gespeicherten Daten für Briten alles andere als harmlos sind: Sorry liebe Eltern.

Zwei kleine, silbrig glänzende Scheibchen...

Heute passt in einen mittelgroßen Briefumschlag, was früher, ausgedruckt auf Papier, sicherlich etliche hundert Aktenordner gefüllt hätte.

Meine Vermutung ist ja, dass Schäuble & Co. teilweise einfach nicht realisieren, wie verletzlich digitale Daten sind. So leicht lassen sie sich kopieren, transportieren, manipulieren, automatisch auswerten und in Verbindung zueinander setzen. Alles buchstäblich auf Knopfdruck und in Sekundenschnelle. Vorgänge, die früher wegen ihres Arbeitsaufwandes selbst für eine ganze Behörde unmöglich waren durchzuführen (beispielsweise das Suchen nach Verknüpfungen in den in Papier-Akten niedergeschriebenen Daten) kann heute jeder Schüler machen, sofern er sich etwas auskennt mit Datenbankprogrammen oder statistischen Auswertungs- und Dataminingprogrammen wie beispielsweise SPSS.

Schäuble & Co. sehen nur die dunkle Seite der digitalen Daten: Dass die leichtere Informationsbeschaffung im Internetzeitalter vor allem eine Gefahr darstellt. Sie meinen jedoch nicht die Gefahr, dass die Daten der Bürger in falsche Hände geraten könnten. Nein, sie meinen die Gefahr, dass der Staat die Übersicht verliert bei seinen Überwachungsbemühungen darüber, wo sich die Bürger wie informieren und wie die Bürger sich - eventuell sogar anonym und "kryptiert" - untereinander, am Staat vorbei, austauschen. Das sei nach Schäuble & Co. die dunkle Seite des Informationszeitalters. Sie sehen den Staat als armen, blinden Deppen, der nicht mehr mitlesen kann, was die Bürger so treiben. (Nachtrag: DetlevT hat einmal ein paar Zitate von Schäuble, Ziercke und Co. zu diesem gefährlichen Internet-Ding gesammelt. Aber bitte nicht kurz vor dem zu Zubettgehen lesen, da sonst Albträume vorprogrammiert sind.)

Um der vermeintlichen Ohnmacht des Staates im Internetzeitalter zu entgehen, meinen Schäuble & Co. also, im Gegenzug so viel Daten über die Bürger wie möglich erheben und speichern und bei Bedarf auswerten zu müssen. Dass der Staat eventuell Missbrauch mit diesem Datenwust betreiben könnte, dass wird schlicht und einfach verneint von Schäuble & Co. Und dabei braucht es gar keine böse Absicht, wie die oben erwähnte, aktuelle Datenpanne in Großbritannien zeigt.

Ein Briefumschlag und zwei CDs ungesichert unterwegs auf dem Postweg... So einfach und unscheinbar sieht das Schindludertreiben mit digitalen Daten aus. Es sind keine gut geplanten Einbrüche in Behördenbüros nötig. Es sind keine angemieteten Lieferwagen nötig, die nachts Berge von Aktenordnern abtransportieren. Solch ein Raub würde am nächsten Tag sofort auffallen. Das Kopieren von digitalen Daten geht in Windeseile. Selbst Daten der halben Bevölkerung. Und anschließend merkt auch niemand, dass die Daten kopiert wurden. Die Originale sind ja noch da.

Ich möchte nicht wissen, wie oft schon behördliche Daten "verloren" gingen. Es braucht dazu gar kein ungeschützter Versand von CDs mit der Post. Ist die Behörde an ein Netzwerk angeschlossen, reichen oft wenige Mausklicks und Daten können da sein, wo sie nicht hingehören. Datenschlamperei bei Behörden gibt es auch in Deutschland, beispielsweise in Hamburg: Eklatante Sicherheitslücken im Behörden-Computernetz (Heise.de).

Aber Datenschützer können in Deutschland noch so detaillierte Untersuchungen anstellen und noch so oft warnen, wie just gerade wieder der Bundesdatenschützer: Datenschützer fordert Ende der Datensammelwut (Heise.de). Ihre Warnungen verhallen noch weitgehend ungehört. Es muss wohl erst auch hier in Deutschland eine aufsehenerregende Datenpanne passieren, von der viele Menschen betroffen sind.

Eigentlich bräuchten wir also viel schärfere Datenschutzgesetze und genaue Vorschriften, wie Firmen und Behörden mit Daten umgehen müssen. Und es bräuchte härtere Strafen bei Verstößen gegen den Datenschutz. Ich weiß, hab ich schon oft geschrieben hier im Weblog...

Wäre es nur reine Ignoranz gegenüber der Datenschutz-Problematik, so könnte man ja hoffen, dass irgendwann ein Lernprozess einsetzt. Aber die Art und Weise, wie Schäuble & Co. mit Kritik an ihnen umgehen, zeigt, dass von ihrer Seite absolut kein Interesse an einem Dialog besteht. Statt auf sachlich vorgetragene Kritik an diesem politischen Raubzug am Datenschutz zu antworten, statt sich also auf eine wirkliche, ehrliche Diskussion mit richtigen Argumenten einzulassen, weichen Schäuble & Co. immer wieder aus und wiederholen ihre Allgemeinplätze und Behauptungen oder wiederholen immer nur unverschämt, dass die Datenschützer und Kritiker keine Ahnung hätten. Mal selbst mit ein paar überzeugenden Argumenten zu antworten, die zumindest versuchen, zu beweisen, dass all die umfangreichen Daten über die Bürger tatsächlich nötig sind, das halten Schäuble & Co. nicht für nötig. Stattdessen betrügen und belügen Schäuble und sein Anhang in Form von Union und SPD das Volk und die Medien, wo sie nur können beim Thema Onlinedurchsuchung und Vorratsdatenspeicherung, wie dieser Artikel bei Tagesschau.de und dieser hervorragende Artikel bei Telepolis.de beweisen. Und nein, meine Rede von den Lügen ist keine Übertreibung. Einfach die beiden gerade verlinkten Artikel lesen...

Vielleicht wiegt der Vertrauensverlust in die Politik und in die Politiker, der durch das unaufrichtige Verhalten bei der Debatte rund um den Datenschutz von Schäuble, der Union und der SPD verursacht wird, noch schlimmer als jeder noch so große Missbrauch von Millionen von Datensätzen. Unsere Politiker wollen - aus welchen Gründen auch immer - nicht nur die bürgerlichen Freiheitsrechte unnötigerweise weiter beschneiden, sie tun dies vor allem in einer erschreckend undemokratischen Art und Weise. Wenn es geht, dann vermeidet man öffentliche Debatten und beschließt - wiederum zum Entsetzen beispielsweise des Bundesdatenschützers - ohne jegliche ehrliche Debatte in einer Nacht-und-Nebel-Aktion, dass die Bundespolizei nun Videoaufnahmen (beispielsweise auf Bahnhöfen) 30 Tage speichern darf: Datenschützer kritisiert Ausdehnung der bundesweiten Videoüberwachung (Heise.de).

Und wieder fangen die Politiker an zu lügen bei ihren Reden im Bundestag bei der Verabschiedung dieses Gesetzes und behaupten frech, dass diese Speicherung helfe, Terroranschläge zu verhindern. Und wieder lügen sie frech und spinnen weiter am Mythos, dass die Kofferbombenattentäter mittels Videoüberwachung gefasst worden seien.

Wie lange wird dieses Gerede vom sogenannten "knallharten Kurs" gegen Terrorismus und Kriminalität, den man angeblich mit dem Überwachungskram verfolge, noch verfangen beim Wähler? Am Wochenende trällerte es mal wieder auch die Bayerische Justizministerin Merk in einem Interview mit der "Welt am Sonntag":

[Merk:] Wenn es um innere Sicherheit geht, bin ich knallhart. Denn wir müssen alle Spielräume ausloten, die die Verfassung uns lässt, um so viel Sicherheit wie möglich zu bieten. [...] Ich will die Onlinedurchsuchung als Ermittlungsinstrument gerade auch für die Strafverfolgung. Ich kann nachvollziehen, wenn hier das Schreckbild des gläsernen Bürgers an die Wand gemalt wird. Aber dem ist nicht so. Ohne richterlichen Beschluss geht hier gar nichts. Und sollte wirklich jemals ein unbescholtener Bürger in eine derartige Überprüfung rutschen, wird das sofort korrigiert.

[Welt am Sonntag:] Aber Sie legen damit die Verfassung bis an ihre Grenze aus?

[Merk: ] Warum nicht? Wir müssen doch keinen Anstandsabstand einhalten, wie viele Gutmenschen meinen. (Quelle: Welt.de)


Wir sind die "Harten", die "Aufrechten", das soll dieses Gelaber vom "harten Kurs" wohl ausdrücken. So als ob Datenschützer und Bürgerrechtler, die angeblich dümmlichen "Gutmenschen" also, Weicheier seien.

Dieses Gerede vom "knallharten Kurs", von der stolzen "Härte" und so weiter, erinnert mich irgendwie an das machohafte Gehabe von jugendlichen Halbstarken, die sich bei 180 Sachen auf der Autobahn nicht anschnallen und die meinen, dass ABS und ESP ihr Auto lahmarschig machen und Airbags auch nur was für alte Tanten sind.

Fahrt schön gegen die Wand! Alle, die ihr Datenschutz für unnötig haltet und daran glaubt, dass der Staat niemals Daten missbraucht oder auch nur versehentlich verschludert. Ihr seid die Deppen, über die man morgen lachen wird oder denen man morgen die Hölle heiß machen wird, wenn noch mehr Bürger aufwachen und anfangen zu protestieren gegen diese Vereinnahmung ihrer Daten durch den Staat und gegen das dadurch bedingte Ausgeliefertsein an den Staat. Dann könnt ihr ja zeigen, wie "hart" ihr seid, wenn plötzlich keine Mehrheit mehr hinter euch steht.

3 Kommentar(e):

Anonym hat gesagt…

Nur leider dürfen wir die "harten" Jungs und Mädels nicht gegen die Wand fahren lassen.
Wir sitzen nämlich auf dem Beifahrersitz!

Solon hat gesagt…

Was die Folgen der Angriffe auf den Datenschutz betrifft, stimmt das natürlich, dass wir auf dem "Beifahrersitz" sitzen.

Aber was die politische Verantwortung für diesen Kurs betrifft, sitzen wir nicht mit auf dem Beifahrersitz. Dafür müssen dann Beckstein, Merk, Schönbohm, Wiefelspütz, Nahles, Schünemann, Schäuble, Merkel, Ingo Wolf und wie sie alle heißen schon selbst einstehen. Und so war mein Sprachbild vom an die Wand fahren gemeint. ;-)

Anonym hat gesagt…

Einigen wir uns darauf, dass wir versuchten sollten, zur rechten Zeit den blinden, tauben (aber leider nicht stummen) Chauffeur zu feuern, und einen zuverlässigen, uns treu ergebenen Fahrer anzuheuern.
(um in der Metapher zu bleiben) ;-)