Freitag, 14. März 2008

Eugenik okay? Bundesverfassungsgericht vergreift sich bei Begründung zum Inzestverbot

Mir wurde heute richtig schlecht. Lange habe ich hin und her überlegt, wie ich das in einen Weblog-Eintrag packen soll. Wüste Beschimpfungen lagen mir auf der Zunge, düstere Aussichten wollte ich schildern. Aber das würde auch nichts helfen. Also versuche ich es dann doch in einem möglichst zurückhaltenden Ton...

Mit einer der Hauptgründe für das unantastbare Festzurren der Menschenwürde in Artikel 1 des Grundgesetzes war meines Wissens, auf diese Weise jedwede eugenische Argumentation bei der Beurteilung von Menschen in Zukunft unmöglich zu machen. Ein wesentlicher Bestandteil des Nationalsozialismus war ja die Vorstellung, man könne würdiges von unwürdigem Leben unterscheiden und hätte das Recht, unwürdiges Leben auszulöschen. Wesentlicher Bestandteil dieser Hass-Religion war die sich als Wissenschaft gerierende Eugenik. Die Eugenik beurteilt den Wert menschlichen Lebens. Schon alleine dieser Versuch, den Wert menschlichen Lebens quantifizieren und beurteilen zu wollen, verletzt unausweichlich die Menschenwürde. Hinzu kommt, dass die Eugenik menschliches Leben allein nach biologistischen Gesichtspunkten bewerten will. Der Mensch ist jedoch mehr als das von "Gesunden" als reibungslos betrachtete Funktionieren des menschlichen Körpers.

Eigentlich ging es beim gestrigen Urteil des Verfassungsgerichtes nur darum, zu urteilen, ob der Gesetzgeber Inzest verbieten darf. Er darf es verbieten, sagte das Bundesverfassungsgericht und das Bundesverfassungsgericht führt auch Gründe für diese Entscheidung an, die man akzeptieren kann.

Dann jedoch macht das Bundesverfassungsgericht etwas absolut Unglaubliches: In einem Teil seiner Begründung, warum der Gesetzgeber Inzest verbieten darf, betrachtet das Gericht wohlwollend mit als einen Rechtfertigungsgrund für das Inzestverbot die Gefahr, dass die Kinder aus inzestuösen Verbindungen einem höheren Risiko von Gendefekten ausgesetzt seien. Dass dem so ist, stimmt. Aber diese Tatsache, die Gefahr also, dass Gendefekte vererbt werden könnten, darf niemals und nirgends ein Grund dafür sein, Menschen zu verbieten, Kinder zu zeugen. Genau dies macht das Verfassungsgericht nun aber.

Das Urteil ist somit ein Schlag ins Gesicht von Menschen mit Erbkrankheiten. Zwar gibt es (noch) kein Gesetz, dass beispielsweise geistig behinderten Menschen oder Menschen mit Erbkrankheiten tatsächlich verbieten würde, Kinder zu zeugen. Aber nach dem gestrigen Urteil des Bundesverfassungsgerichts könnte der Gesetzgeber nun - mit dem Wohlwollen des Verfassungsgericht, ohne also vom Verfassungsgericht aufgehalten werden zu können - solch ein Gesetz erlassen.

Die Eugenik hat also wieder ihr ekelhaftes Haupt erhoben in Deutschland. Der gestrige Urteilsspruch des Verfassungsgerichts wirkt wie Gift für die Menschenwürde.

Die Eugenik beurteilt Menschen nach biologistischen Gesichtspunkten. Jeder, der jedoch beispielsweise einmal mit Menschen zu tun hatte, die aus Sicht der sogenannten "Gesunden" angeblich beeinträchtigt seien in ihrem Leben - nehmen wir als Beispiel Menschen mit geistigen Behinderungen - wird bestätigen, dass eine biologistische Sichtweise geistig behinderten Menschen nicht gerecht wird. Eugenische Gesichtspunkte sind als Kriterium zur Beurteilung der Größe menschlichen Glücks, menschlicher Lebensfreude, des Ausmaßes eines sinnerfüllten Lebens und zur Abschätzung der Würde eines Menschen völlig ungeeignet.

Es ist eine absolute Schande für das Bundesverfassungsgericht, dass es die Eugenik heranzieht als einen Rechtfertigungsgrund für die Rechtmäßigkeit eines Gesetzes.

Die Urteile des Verfassungsgerichtes haben bekanntlich nicht nur rein juristische Folgen, sondern wirken auch prägend auf die allgemeinen Wertvorstellungen. Mit eine der ersten indirekten Auswirkungen dieses Fehlurteils könnte beispielsweise sein, dass Menschen mit geistigen Behinderungen nun noch weniger Unterstützung durch die Politik erfahren. Einrichtungen für Menschen mit geistigen Behinderungen könnte es beispielsweise jetzt schwerer fallen, gesellschaftlichen Rückhalt und das nötige Geld zu bekommen für die Unterstützung eines möglichst umfassend selbstbestimmten Lebens von geistig Behinderten. Denn zu solch einem selbstbestimmten Leben gehört auch die Ermöglichung uneingeschränkter Sexualität zwischen geistig Behinderten - ohne Zwangssterilisationen.

Ich hoffe, dass in den nächsten Tagen klare Worte der Ablehnung gegenüber diesem Urteil beispielsweise von Seiten der Behindertenverbände und auch von Seiten der christlichen Kirchen kommen.

Man könnte noch viel tiefer einsteigen in die Diskussion. Man könnte noch fragen, was überhaupt genau ein "Gendefekt" ist, wer das definiert. Man könnte fragen, welches Vererbungsrisiko genau noch als akzeptabel gilt und welches nicht und würde feststellen, dass man hier unmöglich klare Leitlinien finden kann. Die Heranziehung eugenischer Gesichtspunkte ist also nicht nur moralisch verwerflich, sondern auch ohne tieferen praktischen Sinn. Eugenik ist letztlich Ideologie, nicht Wissenschaft. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgericht muss man leider annehmen, dass derzeit die meisten Mitglieder des Zweiten Senats Anhänger dieser menschenverachtenden Ideologie sind. Weitere Urteile, die die Menschenwürde beschädigen, sind somit leider zu erwarten.

Christiane Link von Behindertenparkplatz.de scheint ähnlich entsetzt zu sein wie ich. Auch die Kommentatoren in ihrem Blog können es nicht fassen.

Bei Zeit.de äußert sich Rechtsprofessor Joachim Renzikowski, der Vertreter des Klägers, und sieht ebenfalls große Gefahren für die Menschenwürde heraufdämmern durch dieses Fehlurteil: Beklemmendes Urteil

Joachim Renzikowski: Das Bundesverfassungsgericht hält eugenische Erwägungen heute für zulässig und stuft mit seinem Urteil die Zeugung von Kindern als Straftatbestand ein. Das darf nicht sein. Den Wortlaut der Begründung muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: "Die ergänzende Heranziehung dieses Gesichtspunktes (also der Eugenik) zur Rechtfertigung der Strafbarkeit des Inzests ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil er historisch für die Entrechtung von Menschen mit Erbkrankheiten und Behinderungen missbraucht worden ist."

Der Gesetzgeber kann also bei Strafe die Zeugung von Kindern verbieten, wenn bei ihnen ein nennenswertes Risiko besteht, einen genetischen Defekt zu bekommen. Zumindest hätte das Verfassungsgericht nichts dagegen. Es sagt mit seinem Urteilsspruch auch, das Inzest-Verbot würde dem Schutz der Volksgesundheit dienen. Das bedeutet im weiteren Sinne: Wenn der Gesetzgeber bei Strafe verbieten würde, dass Eltern, die an einer Erbkrankheit leiden, Kinder zeugen, wäre das für das Verfassungsgericht in Ordnung. Zumindest wurde heute mit dem Urteil einer solchen Entwicklung kein Riegel vorgeschoben. (Quelle: Zeit.de)


Und hier die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts.

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2 Kommentar(e):

Anonym hat gesagt…

Ging es nicht um Erbkrankheiten, die vor allem aus dem Inzest heraus entstehen? Das Problem ist doch, dass bei Inzest zwei genetisch sehr gleichartige Keimzellen verschmelzen, so dass mögliche Krankheiten sehr leicht vererbt werden können. Generell verhindert eine gute Durchmischung im Genpool das zu häufige Auftreten bestimmter Erkrankungen, die dominant-rezessiv vererbt werden, denn normalerweise ist das gesunde Gen dominant über das kranke. Diverse Schädigungen sind wohl typische Inzuchtschäden und die sollen verhindert werden. Schau Dir nur den europäischen (Hoch-)Adel an, dann siehst Du, was ich meine (z.B. Ernst August von Hannover).

Gruß

Alex

Solon hat gesagt…

Dass Inzest mit einer höheren Wahrscheinlichkeit für Erbkrankheiten verbunden ist, bestreite ich ja gar nicht.

Was ich jedoch höchst problematisch finde, ist, dass man diese zukünftige Möglichkeit einer Krankheit als Begründung nimmt, Menschen im Hier und Jetzt in ihren Persönlichkeitsrechten einzuschränken und dass eine derartige Erbkrankheit nicht automatisch ein nicht lebenswertes Leben bedeutet. Ein Verbot für manche Menschengruppen, Kinder zu zeugen, das sich auf eugenische Gesichtspunkte beruft, stuft jedoch automatisch das Leben dieser Kinder als lebensunwert ein.