Mittwoch, 7. März 2007

Die Begrenzung der alten Medien ist zum Heulen

Symbolbild: Weinendes KleinkindIch muss mich mal gerade ausheulen. Über den Artikel "Druck auf die Tränendrüse" bei Zeit.de.

Zum Ausheulen sind diese neuen Medien namens Internetz und Web-Blocker doch da. Das behauptet jedenfalls dieser Zeit.de-Artikel. Und dass diese ganze damit einhergehende Demokratisierung der Medien zu einer durweg schrottigen Berichterstattung führt. Schrottig heißt in diesem Fall: Emotionen. Dank Internet und Co. heulen jetzt in den Medien nur noch alle. Nicht über sich selbst, sondern sie heulen statt zu berichten. Stehen angeblich unter dem Druck, mehr Emotionen in ihre Berichterstattung einzubauen. Statt emotionslos vorgetragene Fakten, bringt man heulende Reporter. Nur noch die Themen "Sex/Crime", "Prominenz", "Schicksal", "Katastrophe", "Kinder" und "Tiere" wären von den alten Medien erfolgreich zu bringen. Wegen diesem Zwang zur Emotionalisierung. Der Artikel erwähnt sowohl zu den heulenden Reportern als auch zum eingeschränkten Themenkreis der alten Medien einige Beispiele. Und schuld daran sei die "Feminisierung" und die "quasiplebiszitäre Entfesselung" in den Medien, die vor allem durchs böse Internet in die Welt gekommen sei, so der Artikel:

Zugleich stehen Emotionalisierung und Feminisierung in einem Zusammenhang mit dem Prozess der fortschreitenden Demokratisierung der westlichen Gesellschaften. Alle Trends, ob auf dem Internet oder in den alten Medien, belegen das: die "sozialen Netzwerke" mit ihren "user created content"; der unaufhaltsame Vormarsch des Reality TV; der wachsende Rückgriff auf "Bürgerjournalisten", wie sie in Medienkreisen etwas bemüht, politisch korrekt benannt werden, auf private "Camcorder-Reporter" oder digitale Fotografen. (Quelle. Direktlink zum Textauszug.)


Oh, Mann (*heul*)!

Alsooooo...

Eine Emotionalisierung ist sicherlich in den Medien zu beobachten. Da werden die in dem Zeit.de-Artikel erwähnten Forscher schon Recht haben. Und die im Artikel zitierten Beispiele stimmen natürlich auch. Aber das Zusammenbacken dieser Fakten zu einer Theorie, nach der ausgerechnet das Internet und seine Nutzung durch die Massen zu einer schlechteren Qualität der Medien führe, ist verrückt.

Keine Frage, viele bildungsferne Zuschauer und Leser möchten Emotionen statt Analysen. Und tatsächlich hat das Eingehen vieler Redaktionen auf die Wünsche dieser Kundengruppe wahrscheinlich auch etwas mit dem Internet zu tun: Die bildungshungrigen, vormaligen Zuschauer und Zeitungskäufer ziehen sich ins Internet zurück und stillen da ihren Hunger nach emotionsloser Tatsachenberichterstattung, während die emotionshungrigen Rezipienten wahrscheinlich zunehmend die einzigen sind, die das Fernsehen überhaupt noch anschalten - vielleicht, weil sie da passiv berieselt werden können und ihren "Kick" bekommen, ohne zuvor mühsam im Internet zu wühlen. Nutzen tut diese Gruppe das Internet vermutlich bislang tatsächlich nur dann, wenn sie voll Wut oder Anteilnahme sind und diese Emotionen dann auch als Kommentar irgendwo im Internet veröffentlichen wollen.

Das Internet ist übrigens groß genug, allen gerecht zu werden. Derjenige, der sich hauptsächlich emotionsgeladen über irgendwas auslassen will, findet dort seinen Platz genau wie derjenige, der sich intensiv sachlich informieren will. Dass es also tausende BILD-Pseudopromi-Knipser gibt und viele Leute knallige E-mails oder Forenbeiträge oder emotionsgeladene Kommentare abgeben, hat zwar mit dem Internet zu tun, aber das Internet und all die anderen Millionen Nutzer desselben stört das emotionale Geschreie an manchen Ecken des Netzes nicht - weil sie davon nichts mitbekommen.

Das Internet ist immer das, was man draus macht und was man in ihm liest, was man selbst aus ihm auswählt. Es gibt keine beschränkte Anzahl von Kanälen oder von Zeitungsseiten wie bei den alten, langsam gammelig werdenden Medien. Es ist unendlich. Somit ist es eine freie Entscheidung der Redaktionen in den verschiedenen Medien, wenn sie meinen, mehr Emotionen in ihren Beiträgen einbauen zu müssen. Mich haben sie dann jedoch als Kunden verloren - aber im Hinblick auf den Rest an Zuschauern, der auch jetzt im Internet-Zeitalter noch Fernsehen guckt, ist es vermutlich eine logische Entscheidung, noch mehr auf diese Rest-Kundengruppe einzugehen und also mehr Emotionen und mehr heulende Reporter zu bringen. Das Fernsehen und eine Tote-Holz-Zeitung muss sich halt entscheiden, welche Kundengruppe man ansprechen will, eben weil man nur einen begrenzten Platz hat. Da das Internet in seiner Art der Informationsvermittlung kaum zu schlagen ist, müssen die alten Medien sich eben mit den Heulsusen unter den potenziellen Kunden zufrieden geben.

Mit dem Internet ist das also ungefähr so ähnlich wie kurz nach der Erfindung des Buchdrucks: Die einfachen Leute waren damals auch weiterhin auf die Predigt und die hübschen Wandgemälde in den Kirchen angewiesen, während die Bildungshungrigen das Lesen erlernten und in neue Wissens-Welten vorstießen. Der Unterschied zu damals ist jedoch, dass die Menschen heute für die Nutzung des neuen Mediums Internet nicht erst noch eine solch komplizierte neue Kulturtechnik wie das Lesen erlernen müssen und somit der Konkurrenzdruck auf die alten Medien besonders hoch ist und diese deshalb noch marktschreierischer auftreten müssen, um zumindest noch bestimmte Kundengruppen ansprechen zu können.

Jemand anderer Meinung? Das ist das Internet hier, immer her damit, auf dass es in den Kommentaren richtig abgeht, wie sich das fürs Internet gehört. Genug Leser müsste dieser Artikel ja bekommen - immerhin ist oben ein heulendes, süßes Kleinkind zu sehen.

Copyright-Hinweis: Die Rechte an obigem Foto besitzt "Pittam". Das Foto unterliegt einer Creative-Commons-Lizenz.

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