Montag, 14. Mai 2007

Folter hat nur einen Zweck: Die Demonstration der eigenen Macht

Bislang kannte ich nur die Verfilmung des Romans "1984" von George Orwell. Gerade bin ich dabei, noch einmal das Buch zu lesen.

Es lohnt sich.

Winston, der Held des Romans, derjenige also, der das in "1984" beschriebene diktatorische Herrschaftssystem anzweifelt, wird am Ende gefoltert. Und sein Folterer sagt einen Satz, der den Sinn, oder besser den Unsinn von Folter so klar und deutlich vor Augen führt wie es nur möglich ist: "Der Zweck der Folter ist die Folter." Punkt.

Wer ein Geständnis von einem Menschen haben will, braucht dazu keine Folter. Viel wirkungsvoller ist es, ihm statt mit Schlimmem zu drohen, ihm Vergünstigungen in Aussicht zu stellen. Sagt jemand erst unter Folter aus, so ist das von ihm Gesagte eh unbrauchbar, wenn man keine Möglichkeiten hat, das Gesagte anschließend unabhängig vom Wissen des Geständigen noch einmal zu überprüfen. Da die Aussagen nicht freiwillig geschehen, werden die Informationen hierbei nur in kleinen Häppchen mitgeteilt werden vom Folteropfer. Und jedes Mal muss dann die Information erst auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Ein enorm ineffizientes Verfahren. Hat man zudem gar keine effektiven Möglichkeiten, "Geständnisse" aus Folterverhören zu verifizieren, taugt Folter zur Wahrheitsfindung überhaupt nicht. Wenn also Menschen über Jahre hinweg gefangen gehalten werden und dann angeblich nach Jahren endlich ein Geständnis ablegen, so ist dies schlicht eine verlogene Darstellung. Vermutlich existierte das Geständnis bereits seit Beginn der Verhöre oder die Informationen wurden anderweitig beschafft. Wenn man es nicht schafft, jemanden ohne Folter innerhalb weniger Tage zu überzeugen und zu locken, Informationen preis zu geben, dann wird er dies auch nach Jahren nicht tun oder einem halt irgendetwas und soviel erzählen, dass man nicht mehr weiß, was davon nun wahr ist und was nicht.

Bei langer Folter erzählen Folteropfer alles Mögliche. Sie erzählen das, von dem sie glauben, dass der Folterer es hören möchte - unabhängig vom Wahrheitsgehalt. Folter geschieht letztendlich nicht, um Informationen zu bekommen - denn diese Informationen sind unzuverlässig. Nein, gefoltert wird nur um des Folterns willen. Natürlich nicht offiziell. Der wahre Grund des Folterns ist, dass das Foltern für den Folterer ein derartiges Erlebnis grenzenloser Macht ist, dass die sadistische Freude am Foltern wie eine Droge für den Folterer wirkt. Der Grund für die Folter ist dieser Rauschzustand des Folterers. Vielleicht lassen sich seine Vorgesetzten täuschen mit der Ausrede des Folterers, er werde schon noch an brauchbare Informationen kommen. Das sind jedoch schlicht Ausflüchte, die ihm das Weiterfoltern ermöglichen sollen.

Der Roman "1984" ist keine Räuberpistole, kein lächerlicher, nicht ernst zu nehmender Fantasie-Roman. Nein, er ist schlicht eine sehr anschauliche, spannende Beschreibung der Funktionsweise grenzenloser Macht.

Der Roman macht zum Beispiel nebenbei deutlich, dass es bei der Folter in Diktaturen auch nicht um eine Abschreckung der politischen Opposition geht. Wer als Regime (noch) foltern kann, braucht die Opposition nicht zu fürchten. Folter ist somit eher Ausdruck von Macht als ein Mittel, die Macht abzusichern. Denn es wird immer Oppositionelle geben, die auch auf die Gefahr hin, gefoltert zu werden, kämpfen werden. Solange jedoch in großem Umfang gefoltert wird, kann man davon ausgehen, dass die Oppositionellen wenig Erfolg haben werden, weil ein umfangreiches Foltersystem bezeugt, dass die Macht der Diktatoren ungebrochen ist.

Der Zweck der Folter ist also die Folter selbst. Folter erfüllt keinen Außenzweck. Genausowenig wie das Machtstreben von Diktatoren einem Zweck jenseits der Macht selbst folgt. Der Zweck desjenigen, der nach Macht strebt, ist es schlicht, diese Macht zu besitzen und zu behalten. Deshalb ist die Begrenzung der Macht in einer Demokratie, die Kontrolle der Macht, das Funktionieren der Gewaltenteilung also, so enorm wichtig. Deshalb ist es so wichtig, genau darauf zu achten, dass diese Kontrolle und Einschränkung staatlicher Gewalt im Lot ist und funktioniert. Immer wieder. Ob bei neuen Gesetzesinitiativen, Parteiprogrammen, Interviewäußerungen von Politikern, Fehlurteilen von Richtern oder bei zweifelhaftem Vorgehen von Geheimdiensten oder Polizei. Das, was in Deutschland häufig viele nervt, nämlich das Äußern von Bedenken und das skeptische Hinterfragen dessen, was politisch passiert (sei es aus "linker" oder "rechter" Perspektive), ist und bleibt eben der Sauerstoff der Demokratie.

Wer sich also an fehlender "Harmonie" in einem demokratischen System stört, dem empfehle ich die Lektüre von "1984".

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