Mittwoch, 28. Februar 2007

Presseschau zum "Cicero"-Urteil: Angriff auf Pressefreiheit teilweise abgeschmettert

Der Erfolg vorm Bundesverfassungsgericht ist gut und schön und war für demokratisch sozialisierte Menschen vorhersehbar. Aber auf die Karlsruher Wiederherstellung eines wichtigen Teils der Pressefreiheit, des Informantenschutzes also, musste man - das bringen Verfassungsbeschwerden halt mit sich - erst einmal warten. Die Pause in der Pressefreiheit wurde verursacht durch Otto Schily. Ein zweifelhaftes Verdienst mehr dieses Mannes. Und wo solch eine selbstherrliche, jeglicher Kritik unzugängliche Type wie Schily demokratische Gepflogenheiten mit seinen Trampelfüßen in Grund und Boden tritt, da folgen manche andere zwielichtige Politiker gerne nach um nachzusetzen und diese wenigen investigativen Journalisten, die es in Deutschland gibt, in Schily-Manier wegen angeblicher Beihilfe beim Verrat von Dienstgeheimnissen zu trietzen. Namentlich zum Beispiel ein Herr Kauder von der CDU, dem es gegen den Strich geht, dass das Volk von internen Unterlagen des BND-Untersuchungsausschusses etwas mitbekommt.

Manche hätten sich noch eine klarere Aussage des Bundesverfassungsgerichts gewünscht, aber auch das aktuelle Urteil weist Sicherheitsbehörden und ihnen gefällige Hampelmann-Politiker in die Schranken. Die Presse hat also die Chance, wenn sie vorsichtig ist, weiter dem Staat, seinen Behörden und Politikern unter die Decke zu gucken. Leider wird sie das aus anderen Gründen immer weniger tun. Hier eine kleine Presseschau zum Thema:

Klares Signal für die Pressefreiheit (Tagesschau.de):

Es war eine der letzten Amtshandlungen von Otto Schily als Bundesinnenminister der rot-grünen Koalition, dass er die Anzeige des Bundeskriminalamtes gegen das Politmagazin "Cicero" samt folgender Hausdurchsuchung guthieß. Statt im eigenen Haus nach dem Leck zu suchen, das zur Veröffentlichung eines dienstinternen Papiers zur Terrororganisation Al Kaida geführt hatte, nahm man lieber die Redaktion hops, kopierte gleich eine Festplatte - und als Kritik aufkam, wiegelte Otto Schily ab, das ganze interessiere doch nur ein paar Hanseln. (Quelle. Direktlink zum Textauszug.)


"Das ist kein Freibrief für Journalisten" (Tagesschau.de):

Haberbusch: Es gibt derzeit in Hamburg und Berlin mehrere Strafverfahren gegen Journalisten, in denen man - genau wie bisher im Fall Cicero - unterstellt, die Journalisten hätten sich der Beihilfe des Geheimnisverrats schuldig gemacht. Aber in Wirklichkeit will man durch diese Strafverfahren eigentlich nur die Informanten herausbekommen, die diese Unterlagen angeblich an Journalisten gegeben haben.

tagesschau.de: Wer ist "man"?

Haberbusch: Beispielsweise der Ausschussvorsitzende im Fall Kurnaz, Siegfried Kauder, der genau diese Strafanzeigen in letzter Zeit erstattet hatte, um undichte Stellen zu finden. (Quelle. Direktlink zum Textauszug.)


Durch Cicero-Urteil "skandalöse Praxis gestoppt" (Netzeitung.de):

Die Deutsche Journalistenunion sieht es als Absage an alle, die die Pressefreiheit aushöhlen wollten. Sie gehe davon aus, dass die Staatsanwaltschaft in Hamburg ähnlich gelagerte Ermittlungen gegen Journalisten des Nachrichtenmagazins "Stern" und der "Financial Times Deutschland" umgehend einstelle, erklärte der Landesverband Berlin-Brandenburg. (Quelle. Direktlink zum Textauszug.)


Razzien bei Journalisten keine Seltenheit (Netzeitung.de):

Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) hat seit 1987 178 Fälle von Durchsuchungen und Beschlagnahmen in Redaktionen und bei Journalisten dokumentiert. In den zusammengetragenen Fällen wurden Durchsuchungen auch mit Vergehen nach Paragraf 353 b der Strafprozessordnung, dem Verrat von Dienstgeheimnissen, begründet. (Quelle. Direktlink zum Textauszug.)


Lass' dich nicht erwischen, Journalist (Spiegel.de)

Wie 1961 im Hause Augstein, wühlte auch in Potsdam 2005 die Staatsanwaltschaft mit allerhöchster Billigung des Bundesinnenministers. Und die Fahnder Otto Schilys sahen keinen Grund zur Zimperlichkeit. Die Parole des Chefs lautete schließlich: "Für Journalisten steht nichts im Grundgesetz." [...] Doch das von der Branche mit Spannung erwartete "Cicero"-Urteil hat die Rolle der Presse im Staat des Grundgesetzes nicht wirklich gestärkt. Ungelöst blieb das Problem, mit dem sich investigative Journalisten seit einigen Jahren herumschlagen müssen: Die Vorschriften des Strafgesetzbuches über die Verschwiegenheit von Beamten und anderen Amtsträgern lassen sich so auslegen, dass die pure Veröffentlichung geheimer Behörden-Dokumente durch Journalisten strafbar ist - als "Teilnahme" am Bruch der Amtsverschwiegenheit. [...] Ein klares Wort wäre nötig gewesen: Entweder sollten Journalisten künftig an die Staatsraison gebunden werden und auf die Veröffentlichung interner Papiere verzichten. Dann haben wir wieder ein Amtsgeheimnis wie zu Kaiser Wilhelms Zeiten. Oder es gilt das Wort des Strafgesetzes, wonach ein Amtsgeheimnis nur von Amts wegen geheim zu halten ist, nicht aber von Journalisten. Dann müsste die geltende Rechtsanwendung für verfassungswidrig erklärt werden. Die Karlsruher Richter haben [...] entschieden, dass die Frage nicht zu entscheiden ist. Denn im Fall "Cicero" sei der Tatverdacht für den Bruch irgendeines Amtsgeheimnisses mangels näherer Anhaltspunkte zu vage gewesen [...]. (Quelle)


Restaurierung eines Grundrechts (Süddeutsche.de):

Diese Durchsuchungen haben nämlich einschüchternde Wirkung auf Journalisten wie Informanten, sie zerstören die Vertraulichkeit zwischen Medien und ihren Informationsquellen. Wörtlich wiederholen daher die Verfassungsrichter die Sätze aus dem Spiegel-Urteil von 1966: Der Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Presse und Informanten "ist unentbehrlich, da die Presse auf private Mitteilungen nicht verzichten kann, diese Informationsquelle aber nur dann ergiebig fließt, wenn sich der Informant grundsätzlich auf die Wahrung des Redaktionsgeheimnisses verlassen kann". [...] Nach diesem Urteil gilt in Deutschland eine Rechtslage wie in der Schweiz: Verweigern dort Journalisten "das Zeugnis über Inhalt und Quellen ihrer Informationen, so dürfen weder Strafen noch prozessuale Zwangsmaßnahmen gegen sie angeordnet werden". Die höchsten deutscher Richter haben also dafür gesorgt, dass investigativer Journalismus nicht mehr, wie bisher oft, fast automatisch als Anstiftung oder Beihilfe zum Geheimnisverrat bewertet werden kann. [...] Staatstätigkeit ist grundsätzlich "res publica", also vor den Bürgern offenzulegen. Die höchsten Richter hätten daher durchaus noch weiter gehen und die Strafbarkeit einer Anstiftung oder Beihilfe zum "Geheimnisverrat" kategorisch ausschließen können. (Quelle)


Selbstzensur in den Medien: Über den Hochverrat (Süddeutsche.de):

Aber schlimmer als Cicero-Razzien sind die geistigen Zwangsjacken, die sich der Journalismus selber anzieht: Zu beklagen ist eine Tendenz zur Vermischung von Information und Unterhaltung. Zu beklagen ist die Vermischung von Journalismus und PR. Zu beklagen ist die Verquickung von Journalismus und Wirtschaft - die Tatsache also, dass sich immer mehr Journalisten zu Büchsenspannern und Handlangern von Wirtschaftslobbys machen lassen. Mittlerweile gibt es Medienpreise für "Kritischen Journalismus". Kritischer Journalismus - das sollte eigentlich eine Tautologie sein, ist es aber nicht. [...] Pressefreiheit ist nicht die Freiheit, Redaktionen auszupressen oder sie, was immer öfter schon geschieht, durch redaktionelle Zeitarbeitsbüros zu ersetzen, als gelte es, ein Call-Center eine Weile am Laufen zu halten. Schon heute sagt jeder dritte Journalist, dass die Zeit fehle, "um sich über ein Thema auf dem Laufenden zu halten". Dadurch ist - und das mitnichten nur bei vielen kleinen lokalen Blättern - eine zentrale journalistische Aufgabe gefährdet: das Aufspüren von Entwicklungen, das Sammeln, Bewerten und Ausbreiten von Fakten und Meinungen.(Quelle. Direktlink zum Textauszug 1. Direktlink zum Textauszug 2)


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