Donnerstag, 5. Juli 2007

Die Partei braucht kein Twitter

Tür auf. Lächeln. Die Augen blinzeln wegen des Scheinwerferlichts und der Blitze. Konzentrieren. Aha, die üblichen Fragen. Vorbereitetes Statement in die Kameras sprechen. Danke sagen. Umdrehen. Tür zu.

So kennen wir unsere Politiker - oder korrekter: Nur den Teil mit dem vorbereiteten Statement kennen wir Fernsehzuschauer, wenn die Medien mal wieder auf der Jagd nach O-Tönen sind und einen Politiker bei einem seiner Gänge durchs Regierungsviertel abfangen.

Aber was geht in den Politikern vor, bevor und nachdem sie die Tür geöffnet/geschlossen haben? Politiker sind doch (mutmaßlich) auch nur Menschen? Einige Politiker merken, dass die Öffentlichkeit nur einen kleinen Bruchteil ihrer Persönlichkeit wahrnimmt. Sie spüren, dass dies ein Zerrbild ihrer selbst ist.

Was tun? Unsere Spitzenpolitiker versuchten in den vergangen Jahren der Öffentlichkeit zu beweisen, dass sie tatsächlich menschliche Wesen sind, indem sie im Sommerloch ausgewählte Journalisten, äußerst gut ausgewählte Journalisten, also quasi handaufgezogene Journalisten nach Hause oder noch besser an den eigenen Urlaubsort einluden und ein umfangreiches Interview gaben. Aber da tauchten dann - wenn auch im milden Ton und weniger drängend - wieder nur genau die gleichen Fragen auf, die man auch schon auf den Berliner Fluren vorgab zu beantworten!

Es muss frustrierend, wenn nicht gar verletztend sein, so als Politiker in der Öffentlichkeit nur als Antwortmaschine dargestellt zu werden.

Aber es gibt ja das Internet! Hier kann jeder an die Öffentlichkeit und sich selbst so präsentieren, wie es ihm gefällt! Auch Politiker!

Und siehe da: Schäuble twittert! Merkel twittert! Kurt Beck twittert und sogar der in seinen diversen Ämtern mitlerweile recht alt gewordene August Hanning twittert! Ja, von wegen unsere Politiker verstünden das Internet nicht!

Wie, Sie kennen Twitter nicht? Ts, ts, ts. Also gut: Twittern bedeutet Kurznachrichten ins Internet zu stellen, die dann jeder lesen kann.

Es könnte natürlich sein, dass diese Schäubles und Merkels, die da twittern, gar nicht die echten Schäubles und Merkels sind. Das dachte ich anfangs auch. Ja, ich war sogar überzeugt davon, dass das natürlich nicht unser Bundesinnenminister und unsere Kanzlerin sein können, die da persönlichste Nachrichten via Twitter einfach so ins Internet stellen. Aber je länger ich deren Twitter-Meldungen lese...

Ob Twittern einen therapeutschen Effekt hat?

In den USA, in dem Land also, in dem es in gewissen Kreisen zum guten Ton gehört wöchentlich seinen Therapeuten aufzusuchen, ist Twitter auch bei Spitzenpolitikern bereits etwas völlig normales. Hier beispielsweise die tatsächlichen Twitter-Nachrichten von zwei US-Präsidentschaftskandidaten:

Spaß beiseite. Es hat natürlich einen tieferen Grund, warum in den USA Politiker twittern und in Deutschland nicht. Das hat weniger mit den unterschiedlichen Persönlichkeiten und gesellschaftlichen Gepflogenheiten zu tun, sondern vermutlich eher damit, dass die Politiker in den USA sich direkter an ihre Wähler wenden müssen. Demokratie nennt sich das. Die ist in den USA natürlich auch keineswegs perfekt. Aber es hat doch was für sich, diese direktere Abhängigkeit der Politiker von den Wählern, also die Direktwahl des Regierungschefs, das Fehlen von Parteilistenplätzen und die Nichtexistenz eines Fraktionszwangs, oder?

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