Dienstag, 3. Juli 2007

Tagesschau.de: Wirklich wichtige Menschen bloggen nicht

Moderne Nachrichtensendungen weltweit kommen heute nicht mehr aus ohne eine lustige Meldung, die gerne als Rausschmeißer am Ende der Sendung die Zuschauer mit einem Schmunzeln verabschieden will. Diese Nachrichten sind quasi die "Kür" gegenüber der "Pflicht" der alltäglichen Meldungen vom nahenden Weltuntergang.

So gibt es solch eine lustige Nachrichtenrubrik mittlerweile auch bei der Tagesschau, beziehungsweise Tagesschau.de und heißt dort "Schlusslicht". Dort wird dann beispielsweise über eine angebliche, mathematische Formel für die weibliche Schönheit berichtet. Oder über die Anstrengungen Thailands arme Straßenköter zu angesehenen, verbeamteten Drogenschnüffelhunden auszubilden. Oder über die Bemühungen der tschechischen Verteidigungsministerin Parkanova, ihre Wut über Demonstranten in einem Lied auszudrücken.

Niemand würde wegen dieser lustigen, unbedeutenden Schlusslichter die Andeutung machen, dass deshalb die ganze Tagesschau unwichtig sei. So etwas wäre verrückt.

Nun, nicht verrückt genug für... genau: ein Schlusslicht bei Tagesschau.de. In dem jüngsten Schlusslicht mit der Überschrift "Rent a blogger!" wird zwar nicht behauptet, Tagesschau oder Tagesschau.de seien unwichtig, nur weil es dort so eine Kategorie namens "Schlusslicht" gibt, aber es wird indirekt dargestellt, dass Weblogs unwichtig seien, nur weil es dort so eine Kategorie von Bloggern gibt, die ihre Weblogs vor allem zur nervtötenden Selbstdarstellung verwenden:

Wer heute nicht bloggt, seine Facebook- oder Myspace-Seite nicht auf den neuesten Stand hält, ist einfach nicht mehr in. Da wird die Selbstdarstellungs-Kür schnell zur Pflicht: Doch wer wirklich wichtig ist, der hat besseres zu tun [...]. (Quelle)


Sprich: Blogger sind eigentlich Selbstdarsteller, die, gerade weil sie bloggen damit beweisen, dass sie eigentlich nicht wichtig sein können, weil sie Zeit zum Bloggen haben. Das Argument schlechthin, um Weblogs und Blogger der Lächerlichkeit preiszugeben.

Was Tagesschau.de verschweigt ist das Wort "manche". Richtig müsste es nämlich heißen, dass manche Blogger ihr Weblog zur Selbstdarstellung verwenden. Weblogs können nämlich vieles sein: Pure Selbstbeweihräucherung, aber eben auch ein Medium, um mit (realen) Freunden oder der Familie Kontakt zu halten, Hobby, Ausdruck kreativen Schaffens (es soll Weblogs mit lesenswerter Literatur geben) oder gar Mittel eines Whistleblowers, der mit seinen im Weblog publizierten Dingen Politiker stürzt und so weiter. Ist also nur wichtig, wer keine Freunde hat, kein Hobby hat, keine Gelegenheiten hat für kreatives Schaffen, keine Zeit für möglicherweise gesellschaftliches Engagement hat und so weiter?

Noch richtiger wäre es, wenn Tagesschau.de erwähnt hätte, dass hinter der von ihr so genannten "Selbstdarstellung" bei diesen Leuten harte berufliche Interessen stehen. Es geht nämlich bei der Tagesschau-Meldung eigentlich um Leute, die mit Facebook und anderen Online-Communities (weniger mittels Weblogs übrigens) professionelles Online-Networking betreiben, um so Beziehungsnetzwerke für ihre Karriere zu pflegen. Und angeblich gibt es Leute, die für die Pflege dieses Online-Networking direkt Profis engagieren und also Leute für die Pflege ihres Online-Beziehungsnetzes bezahlen. Dieser Sachverhalt wird beim Lesen der Quelle deutlich, von der Tagesschau.de abgeschrieben hat, nämlich einem Bericht von Rory Cellan-Jones von der BBC.

Wer also wirklich wichtig ist, so scheint es, dem ist das Online-Networking so wichtig, dass er dafür sogar Profis engagiert und bezahlt. Der ursprüngliche Sinn des Artikels von Rory Cellan-Jones wird bei Tagesschau.de also fast auf den Kopf gestellt.

Aber ich möchte jetzt trotzdem nicht behaupten, dass bei der Tagesschau das Entstellen von Nachrichten mittlerweile zur "Pflicht" gehört. Es ist vermutlich auch weiterhin nur die "Kür", vor allem, wenn man damit Weblogs eins über den Schädel ziehen kann.

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4 Kommentar(e):

Anonym hat gesagt…

"Wirklich wichtige" Leute machen auch keine Podcasts. Die Anderen betreiben sie die dann lediglich für die Selbstdarstellung - der eigenen, ihrer Organisation, deren Gedankengüter udn unbedingten Notwendigkeiten des Vorgehens, na und sowieso der großen Halluzi-nation-.

Soherum geht das also auch. *G*

Was dabei noch offen bleibt: was sind "wichtige" Personen und iwf. spielen sie je nach Definition eine Rolle in der Blogosphäre. Sind Wissenshoheit bzw. asymetrische Wissensangedeihung (Kirche, Staat, eine Handvoll Nachrichtenagenturen und Verlage) auch "wichtig" oder ebenso die Masse der Informationsquellen mit allen Nachteilen? Ist die Bedeutung einer Person gleichzusetzen mit der Qualität ihrer Inhalte? Ist eine Person dadurch schon wichtiger, dass sie keine Zeit mehr zum bloggen hat als eine, die sie findet? Da kann man sicherlich vieles hinterfragen...

Was läuft unter Selbstdarstellung, wann und warum ist sie nervtötend. Gilt das eher für manche private Blogs oder vielleicht eher für Corporate-(Claim-)Blogs? Usw.

Natürlich hast du recht, wenn du Pauschalaussagen angreifst - insb. wenn sie über derart gute Verbreitungswege wie Tagesschau laufen und einen Informationsraum öffentlich abwerten.

Wenn dazu jeder seinen eigenen Begriff von "wichtig" hat, beißt sich das mglw. und wird zum Egotrip. Vielleicht lehnt man auch das ab, was hierzulande wichtig erscheint. Dann kann's einem egal sein. *G*

Solon hat gesagt…

Ich denke, "wichtig" ist immer eine subjektive Einschätzung jedes Einzelnen. Das hat mit "Egotrip" nichts zu tun. Auch wenn allgemein gesellschaftlich beispielsweise XYZ als "wichtig" benannt wird, so wäre diese "Wichtigkeit" leer und bedeutungslos, wenn nicht viele Einzelne das Urteil, dass XYZ wichtig ist, für sich persönlich übernehmen würden, XYZ also auch für sie selbst subjektiv als wichtig ansehen würden.

So mag es Menschen geben, die allgemein als wichtiger angesehen werden als andere Menschen. Dass diese Menschen nun aber ausgerechnet kein Weblog schreiben würden oder könnten, ist dummes Gefasel. Und der originale Bericht, auf den sich Tagesschau.de beruft, zeigt ja sogar das genaue Gegenteil: Weblogs (besser "Online-Communities) sind für die angeblich "wirklich" wichtigen Menschen sogar so wichtig, dass sie dafür Profis engagieren und bezahlen. :-)

Anonym hat gesagt…

Natürlich ist Einschätzung subjektiv. Auf welche beschränkte und äußerlich konstituierte Erfahrungswelt (vergesellschaftung) sich die Einschätzung und Folgeeinschätzung stützt, ist ein anderes Thema. Aber das habe ich auch garnicht (zumindest über diesen Weg) mit Ego-Trip zusammengebracht bzw. zusammenbringen wollen. Vielmehr wollte ich damit ausdrücken, dass bei "Angriff" auf Werte/Normen/Beliefs u.Ä., nicht immer deren rationale, kritische Prüfung vom Angegriffenen folgt, sondern zunächst - Gewehr bei Fuß - die Verteidigung derselben. Dann wird's persönlich, wie man immer so schön sagt. Dann werden alle Gründe und Argumente herausgekramt, die _für_ die Sache sprechen. Wenn man aber das Positive an der Sache suchen will, kann es nicht um die Sache gehen. Sie soll positiv enden. Das ist Ignoranz gegenüber der Sache. Das Motiv es gut ausgehen zu lassen, ist bestimmt nicht der Sache geschuldet. Sondern den guten Gefühlen des Idealträgers. Da geht es um das Selbstbild, um die Person, die diese Sache vertritt. Recht behalten. MEINE Meinung steht zur Disposition. Und viel zu oft gilt, dass damit auch das (Fremd- und Selbst-)'Bild' der Person Kratzer bekäme. Die eigene Meinung lässt man sich nicht nehmen - egal wie bescheuert sie ist. Hauptsache MAN hat eine Meinung. In diese Richtung wollte ich den Ego-Trip verstanden haben.

Anonym hat gesagt…

"Warum sollte ich nicht stolz auf mein Land sein können. Das Land der Dichter und Denker. Die Franzosen und Italiener sind doch auch stolz auf ihr Land. Warum sollen die Deutschen sich immer zurückhalten?"

Dem geht garnicht in den Kopf, dass diese halluzinierte, instrumentalisierende Identitätskrücke zur Dispo steht. Der denkt doch glatt, da geht es um die Intensität des Nationalismus/Patriotismus nach der NS-Zeit. Und weil auch andere genauso bescheuert sind und das abstrahierende und nivellierende "wir" künstlich beatmen, würde das etwas plausibel machen. Über den Grad da liese er noch mit sich reden. Aber doch das Ganze ansich in Frage zu stellen und dabei noch nicht mal Hitler erwähnt zu haben, ihm diesen Wert im Gesamten als Phantasieprodukt zu dekonstruieren, na da wird er richtig sauer... na klar... weil's ihm um die Inhalte geht: "Das ist halt deine Meinung und ich habe meine."

Der will halt gut über die Sachen denken, mit denen er sich identifiziert. Und er will gut über sich denken. Und er will es weiterhin, weil's sich bisher gut anfühlte. Möglicherweise lenkt er ein, aber es hat schon auch mit einem rangelnden "Ich", dem Egotrip, zu tun. Natürlich nicht immer. Das habe ich aber auch nicht geschrieben, sondern es mitaufgezählt.