Donnerstag, 4. Oktober 2007

Warum man manchmal alte Filme anschauen sollte

Ich sehe gerade den Stummfilm "Intolerance" aus den USA von 1916 beim TV-Sender "Arte". Aus den begleitenden Programminformationen:

Das Unrecht, das Arbeiter in den amerikanischen Slums des 20. Jahrhunderts erleiden, der Untergang Babels, die Kreuzigung Jesu und das Massaker der Bartholomäusnacht - vier Säulen der Geschichte, denen eines gemein ist: Die Inhumanität des Menschen gegenüber sich selbst. (Quelle: Arte.tv)


Screenshot aus Film 'Intolerance': Fabrikarbeiter im GefängnisEin alter Schinken also. Alte Technik und alte Themen... - Langweilig also? Überholt, irrelevant, auf voller Linie von gestern? Und dann noch der vermeintlich billige Trick des Films, einmal Querbeet durch die Geschichte zu laufen und Dinge miteinander zu vermengen, die nichts miteinander zu tun haben (Babel, Kreuzigung Jesu, Arbeiterbewegung des 20. Jahrhunderts...)! Und als Krönung des Ganzen auch noch die unvermeidliche, schnulzige Liebesgeschichte oben drauf gesetzt!? Wen interessiert sowas denn?

Oder deckt der Film tatsächlich Gemeinsamkeiten auf bei den genannten vier historischen Szenarien und ist die Liebesgeschichte nur vordergründige Tarnung, um dem amerikanischen Kinopublikum trickreich eine Gesellschaftskritik unterzujubeln?

Screenshot aus Film 'Intolerance': König von Babylon blickt auf seine Stadt, die einer Fabrikanlage nicht unähnlich siehtEin Motiv des Filmes ist beispielsweise, darzustellen, dass es immer eine herrschende Klasse gab, die die Menschenrechte der anderen verletzte. Der Fabrikant also quasi als Nachfolger des Königs von Babel. Übertrieben? Vielleicht. Eine konsequente Kritik an der Klassengesellschaft stellt der Film aber nicht dar. Griffith scheint die Ursache menschlicher Intoleranz und Ungerechtigkeit eher in der Natur des Menschen selbst begründet zu sehen und dementsprechend endet der Film auch mit dem Hinweis auf eine nötige, göttliche Erlösung des Menschen von seiner schlechten Natur.

Screenshot aus Film 'Intolerance': Fabrikanten feiern eine PartyAls der fast 100 Jahre alte Film aber die Drangsalierung der Arbeiter durch die Fabrikanten Anfang des 20. Jahrhunderts beschreibt, erschrickt man nichtsdestotrotz beim Lesen der eingeschobenen Texttafeln wegen mancher erstaunlicher Parallelen zu heute:


Screenshot aus Film 'Intolerance': Texttafel

Die Aussage auf der Texttafel ist die eines empörten Arbeiters, nachdem der Fabrikant von einem Tag auf den anderen die Löhne um 10% gesenkt hat, und lautet: "They squeeze the money out of us and use it to advertise themselves by reforming us." Übersetzt also in etwa: "Sie quetschen das Geld erst aus uns raus und nutzen es dann, um sich selbst als Reformer darzustellen, wenn sie es uns in Form von Wohltätigkeiten wieder zurückgeben." Oder auch: "Sie quetschen das Geld aus uns raus und nutzen es anschließend, um uns zu bessern und zu erziehen, aber eigentlich wollen sie so nur ihre eigene Position legitimieren." Tja, Englisch ist halt schön kurz und knapp und es ist schwer, all die Konnotationen eines englischen Satzes im Deutschen anklingen zu lassen, ohne dass aus einem Satz ein Roman wird.

Anmerken muss man noch, dass der Filmemacher Griffith vor "Intolerance" bereits einen heftig umstrittenen Film namens "Geburt einer Nation" gedreht hatte, der eine völlig andere Botschaft als "Intolerance" zu vermitteln scheint und als Verteidigung von Sklaverei und Rassismus verstanden wurde und von Griffith wohl als Verteidigung der Südstaaten-Position im amerikanischen Bürgerkrieg gedacht war. Filmgeschichtlich bedeutend sind beide Filme wegen zahlreicher Innovationen, mit denen Griffith die Filmkunst spektakulär weiterentwickelt hatte.

Warum sollte man sich also alte Filme anschauen? Ganz klar..., weil man so zu einem Thema für einen neuen Blog-Eintrag kommt. ;-)

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