Samstag, 5. Januar 2008

Berichterstattung über BGH-Urteil: Auch manipuliert worden?

Schon interessant, wie die Medien gestern über das Urteil des Bundesgerichtshofs in Bezug auf die bundesweiten Großrazzien bei G8-Gegnern berichtet haben.

Es wurde - nicht überraschend - ungenau berichtet. Es wurden Dinge nahegelegt, die so nicht stimmen.

Aber überprüft selbst, ob ihr manipuliert worden seid. Das geht ganz einfach. Beurteilt einfach, ob folgende Aussagen richtig oder falsch sind:

1) Der BGH hat nur festgestellt, dass die Bundesanwaltschaft ihre Kompetenzen überschritten hat.

2) Die Bundesanwaltschaft war schlicht und einfach nur etwas übereifrig, tat dies aber aus dem ehrlichen Bedürfnis heraus, uns alle schützen zu wollen.

3) Der BGH hat in seinem Urteil gesagt, dass die Leute, bei denen die Wohnungen durchsucht wurden, zwar keine Terroristen wären, aber ansonsten schon kriminell wären.

Wer einer dieser Aussagen zustimmt, hat sich leider manipulieren lassen.

Zu 1) Es stimmt zwar, dass die Bundesanwaltschaft ihre Kompetenzen überschritten hat, das ist aber nicht der alleinige Punkt - auch wenn Wiefelspütz (SPD) und Bosbach (CDU) das als Vertreter der ebenfalls indirekt auf der Anklagebank sitzenden Bundesregierung (Wiefelspütz und Bosbach sitzen eigentlich nicht in der Regierung, sondern im Parlament, aber das macht heute keinen Unterschied mehr) so darstellen wollen. Wichtig ist beim Urteil des BGH vor allem, dass hier der Terrorismusvorwurf gegenüber den Personen, gegen die ermittelt wurde, falsch war. Und dieses "Falsch" ist mehr als nur eine reine Kompetenzüberschreitung. Dieses "Falsch" sagt vor allem aus, dass hier der Staat unter fadenscheinigsten Begründungen massiv in das Leben von Bürgern eingegriffen hat, gegen die ansonsten - ohne den Terrorismusvorwurf - nicht genügend greifbare Verdächtigungen vorlagen, um solche Eingriffe zu rechtfertigen. Erst der Terrorismusvorwurf machte es überhaupt in vielen Fällen möglich, dass die Polizei ankommen konnte mit Hausdurchsuchungen. So wurde in Berlin beispielsweise eine Buchhandlung durchsucht, weil dort ein Buch verkauft wurde, in dem angeblich Anleitungen zum Bauen von Brandsätzen stehen. Die Durchsuchung sollte dazu dienen, herauszubekommen, wer die Verfasser sind. Sowohl der Buchhandlung als auch den unbekannten Autoren wurde meines Wissens nach nicht vorgeworfen, selbst an jenen Sachbeschädigungen teilgenommen zu haben, um die es hinter dem ganzen Terror-Tohuwabohu eigentlich geht. Ohne den Terrorismusvorwurf, ohne also den Vorwurf, Mitglied in einer Terror-Vereinigung zu sein oder Unterstützer einer Terrorvereinigung zu sein, hätte die Polizei und Staatsanwaltschaft gar nicht die Buchhandlung durchsuchen können, weil dann schlicht der Ermittlungsansatz gefehlt hätte, um eine Hausdurchsuchung durchzuführen.

Der Vorwurf, jemand sei Terrorist oder würde Terroristen unterstützen, ist also nicht nur eine Kompetenzüberschreitung, sondern auch ein Schlüssel für die Polizei im Zweifelsfall gegen jedermann ermitteln zu dürfen und überall Hausdurchsuchungen durchführen zu können. Dieser staatlichen Willkür hat das Urteil des BGH einen Riegel vorgeschoben.

Zu 2) Wenn viele Bürger ungerechtfertigte Hausdurchsuchungen über sich ergehen lassen müssen und vom Staat als Terroristen hingestellt werden, obwohl sie das laut BGH nicht sind, dann schützt die Bundesanwaltschaft in diesem Fall nicht die Bürger, sondern verletzt ihre Rechte. Wenn SPD und Union dieses wichtige Faktum willentlich übersehen wollen, dann sagt dies viel aus über das Rechtsstaatsverständnis dieser Parteien. Wenn die Auffassungen von Wiefelspütz und Bosbach die Meinung der SPD und Union zu diesem Thema darstellen, dann kann man nur warnen vor diesen rechtsstaatsfeindlichen Parteien.

Zu 3) Der BGH hat nicht festgestellt, ob die Leute, bei denen die Hausdurchsuchungen stattfanden, tatsächlich kriminell sind, sondern sie hat nur festgestellt, dass die Taten, derer sie beschuldigt werden, zur mittleren Kriminalität zählen würden und dass die Beschuldigten somit keine Terroristen und auch keine Angehörige einer kriminellen Vereinigung seien.

Und? Manipuliert worden? Dann hätte ich einen Ratschlag: Weniger ZDF gucken. Das könnte schon ein wenig schützen vor weiteren Manipulationen. Und den Politikern der großen Koalition nicht trauen. Das hilft ebenfalls enorm.

Eigentlich ist es außerdem für sich genommen ein weiterer Skandal, dass nun nicht nur die Regierung, sondern auch anscheinend der Großteil des Parlaments in Form der SPD- und Unionsfraktionen, das rechtswidrige Verhalten der Bundesanwaltschaft weiter stützen. Wiefelspütz und Bosbach können ja kein rechtswidriges Verhalten erkennen. Sie sagen ja, man könne der Bundesanwaltschaft "keinen Vorwurf machen". Damit stellen sie sich eindeutig gegen das Urteil des BGH. Wenn dies die Ansicht der Regierung und großer Teile des Parlaments sind, dann heißt es gegenüber Parlament und Regierung noch kritischer zu sein.

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5 Kommentar(e):

Anonym hat gesagt…

Uff - und ich hatte schon befürchtet, nach der Verfassungsklage gegen die VDS, diversen Demos, und Aktionen gäbe es 2008 nix mehr für uns kritische Bürger mit echtem Informationsbedürfnis zu tun.

Willkommen in 2008.

Don Pepone hat gesagt…

Zu der Position der Regierung zum Rechtsstaat hat Mein Parteibuch.com einen interessanten Auszug aus einem Auszug von Frau Letheuser Schnarrenberger (mit Link zum Original) veröffentlicht.
Treffender kann man es kaum formulieren.

Solon hat gesagt…

@Ninjaturkey: Ich kann gar nicht so viel schreiben wie es was zu kritisieren gäbe. Das wird wohl auch leider so schnell nicht aufhören. Und auf einschläfernde Drogen, die mich ruhig stellen könnten (ARD-Tagesschau, das Lesen des ZEIT-Magazins mit der schönen Werbung drin oder - gaaaanz schlimm - ARD-Presseclub) will ich nicht zurückgreifen. ;-)

@Don Pepone: Oh, danke für den Hinweis! Bis zum Mein-Parteibuch-Feed hab ich mich noch nicht durchgearbeitet. Ich hinke einige Tage hinterher und die Feeds in meinem Feedreader sind alphabetisch geordnet. :-(

Hier übrigens der Link zum wirklich lesenswerten Artikel von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger:

Auf dem Weg in den autoritären Staat (Blaetter.de)

Anonym hat gesagt…

Danke für den Link zum Artikel, Don Pepone. Und auch Ihr Hinweis im Blog auf den Absatz 4 des Artikel 20 GG. Für alle, die immer noch (z.T. sogar zu Recht) darauf hinweisen, dass unser Staat eigentlich immer noch recht verfassungstreu ist, vielleicht noch die ebenfalls in Absatz 4 wohlweislich vorhandene Passage: »...und zwar noch bevor die Ordnung gefährdet worden ist; schon die Vorbereitungen zu einem solchen Umsturz dürfen bekämpft werden...«.

Anonym hat gesagt…

Eigentümliches Rechtsstaatsverständnis mit der Gesinnungsvorschrift, über die unser angeblich demokratischer Rechtsstaat wacht:

Wegen der im Grunde edlen menschlichen Natur ist das demokratische Prinzip ausreichend, um den Machtmissbrauch von Herrschenden zu verhindern, weil diese ja verpflichtet sind, sich an Verfassung, Gesetz und Recht zu halten. Das bedeutet, dass alle Herrschenden edler als die sich nicht an Gesetz und Recht haltenden Untertanen sind, auch keinen Egoismus bzw. Gruppenegoismus haben und Gesetze bzw. Rechtsmittel in diesem Sinne gestaltet werden können.
Die Folgen in Kurzform:
Uns werden Giftstoffe zugemutet, vgl. z.B.
http://www.arte.tv/de/unser-taeglich-gift/3673748.html ,
Was wir bekommen ist noch viel schlimmer als die STASI und GESTAPO zusammen, meint Prof. Albrecht- http://politikforen.net/showthread.php?131970-Die-deutsche-Polizei-l%C3%B6st-sich-immer-mehr-vom-Rechtsstaat .
Rechtsbrüche und Rechtsbeugungen sind systemkonform (vgl. http://www.odenwald-geschichten.de/?p=1740 ). Wir haben eine bürokratische Diktatur, verbunden mit einer erheblichen Propaganda und einem Moralismus, der uns die freie Rede weitestgehend verbietet meint Prof. Schachtschneider ( http://www.mach-die-augen-auf-und-tu-was.de/auf-dem-weg-in-die-eu-diktatur-prof-schachtschneider-ruft-zum-widerstand/ .