Samstag, 10. Oktober 2009

Thilo Sarrazin und Ralph Giordano und die biologische Gefahr und biologische Lösung des "Türkenproblems"



Obiges Video-Zitat stammt aus der Sendung "Hauptsache Kultur" des hessischen Fernsehens. Die Sendung interviewte Ralph Giordano. Giordano verteidigt darin die Äußerungen Thilo Sarrazins, die dieser jüngst im "Lettre International" gemacht hat. Hier das ungeschnittene Original des Videos in der Mediathek des HR (vermutlich nur eine Woche lang abrufbar). Ich habe Giordano hier nicht abgeschnitten, sondern dieser Ausschnitt ist so als Ausschnitt auch im Original so geschnitten.

Giordano sagt in obigem Video-Ausschnitt:

Diese muslimische, türkisch dominierte muslimische Minderheit in Deutschland wird - so Hochrechnungen, die ernst zu nehmen sind - im Jahre 2030 soviel Kinder gebären, wie die nächst-muslimische Gesellschaft insgesamt. Selbstverständlich ist das ein Problem.

Man könnte einwenden, Giordano meint hier sicherlich, dass nicht die türkischen Menschen selbst das Problem seien, sondern bestimmte Ansichten dieser Menschen, im Besonderen eine eventuelle Ablehnung der freiheitlichen Demokratie und Toleranz, aber Giordano sagt dies nicht. Im Gegenteil ist seine Äußerung Teil einer Rede, in der er die rassistischen Äußerungen von Thilo Sarrazin zu rechtfertigen versucht.

Sarrazin sagte unter anderem ja beispielsweise:
Die Araber und Türken haben einen zwei- bis dreimal höheren Anteil an Geburten, als es ihrem Bevölkerungsanteil entspricht. Große Teile sind weder integrationswillig noch integrationsfähig. Die Lösung dieses Problems kann nur heißen: Kein Zuzug mehr, und wer heiraten will, sollte dies im Ausland tun. [...]

Die Türken erobern Deutschland genauso, wie die Kosovaren das Kosovo erobert haben: durch eine höhere Geburtenrate. (Quelle: Kanzlei-Hoenig.info)

Sowohl Sarrazin als auch Giordano sehen also im Vorhandensein bestimmter Menschen ein Problem. Dementsprechend könnte nach dieser Logik die Lösung des "Integrationsproblems" auch nur so aussehen, dass die Anzahl dieser Menschen verringert werden muss oder zumindest konstant gehalten werden muss. Sarrazin schlägt hier den Stopp des Zuzugs solcher Menschen nach Deutschland vor. - Nebenbei bemerkt ist das übrigens jedoch eine seltsame "Lösung", denn das würde ja letztlich nicht verhindern, dass diese sogenannten "problematischen" Menschen, die schon in Deutschland sind, sich hier weiter viel stärker vermehren als der sogenannte "unproblematische" Teil der Bevölkerung.

Sarrazin und Giordano sehen also in den Menschen selbst das Problem. Sie sehen das Problem darin, dass es in Deutschland bestimmte Menschen gibt. Die pure Existenz dieser Menschen ist in ihren Augen das Problem.

Sarrazin behauptet, dass ein großer Teil der Türken in Deutschland nicht integrationswillig sei. Diese Beschreibung wird in der deutschen Presse und in großen Teilen der Bevölkerung mit zustimmendem Nicken aufgenommen. Dabei übersehen die meisten jedoch, dass Sarrazin offensichtlich auch meint, dass sich dieser Unwille auf Seiten der Türken niemals mehr ändern wird. Die Integration sei gescheitert, und zwar dauerhaft gescheitert, so Sarrazin.

Es gäbe also keine Hoffnung mehr, das Verhalten vieler Türken oder die Einstellung vieler Türken zu ändern. Das Verhalten und die Einstellung dieser integrationsunwilligen Türken wird in dieser Sichtweise zu einem unbeweglichen, unflexiblen Bestandteil der türkischen Menschen selbst. Verhalten, Werte und Einstellungen erscheinen in der Darstellung von Sarrazin und Giordano als unveränderliche und untrennbare Bestandteile der biologischen Existenz dieser türkischen Menschen.

Und das ist genau der Punkt, an dem der implizite Rassismus der Vorstellungen von Sarrazin und Giordano sichtbar wird. Dementsprechend bieten Sarrazin und Giordano auch nur biologische Lösungen des Problems an: Die Zahl dieser Menschen muss veringert werden oder zumindest konstant gehalten werden. Die Existenz dieser Menschen selbst wird also letztlich zur Disposition gestellt.

Auch wenn Giordano und Sarrazin nicht das entlarvende Wort "Rasse" in den Mund nehmen, sind sie dennoch leider Rassisten. Denn ihre Erklärungsmuster und die damit verbundenen impliziten biologistischen "Lösungsvorschläge" beruhen auf dem Weltbild und der Ideologie des Rassismus.

Man muss also schlussfolgern: Sowohl Sarrazin als auch Giordano sehen das Problem letztlich nicht darin, dass sich bestimmte Menschen in Deutschland intolerant verhalten, sondern sie sehen das Problem letztlich in dem Vorhandensein bestimmter Menschen selbst.

Stefan Kramer, der Generalsekretär des Zentralrates der Juden in Deutschland, hat also völlig Recht, wenn er die Äußerungen Sarrazins in beklagenswerter Nähe zu Äußerungen von Göring, Goebbels und Hitler sieht.

Montag, 13. Juli 2009

Ein Produkt der deutschen Sicherheitspolitik

Nichts verdeutlicht die Perversion der deutschen Sicherheitspolitik à la Schily und Schäuble besser, als die Notwendigkeit, sich neuerdings solch ein Produkt zulegen zu müssen als Bürger:

Zettel zu Reisepasstasche mit Informationen über die Schutzfunktion der Tasche gegen unbefugtes Auslesens des RFID-Chips auf dem Reisepas
Nur der "Beipackzettel" weist auf die RFID-Schutzumhüllung hin. Von außen sieht man der Tasche diese Funktion nicht an.

Ich bekam die Tasche geschenkt. Es war ein Werbegeschenk einer Firma, die sonst normalerweise Kalender und Kugelschreiber und solch ein Zeug verschenkt. Und ich stelle mir vor, wie die Kunden dieser Firma jetzt dank dieses Werbegeschenks vermutlich zum ersten Mal etwas hören und lesen von "RFID" und davon, dass ihr neuer Reisepass eine Gefahr und ein Risiko für sie darstellt. Auch ein Zeichen des Wandels.

Sonntag, 28. Juni 2009

Deutschland ist keine echte Demokratie

Heribert Prantl beklagt wieder einmal wortreich den Machtverlust des Parlamentes in Deutschland, also des Bundestages. Der Bundestag sei zu einem Abwinkverein der Gesetzesvorhaben der Regierung geworden. Die Ursache dafür sieht Prantl anscheinend in einem mangelnden Demokratieverständnis der Öffentlichkeit, wobei Prantl hier offen lässt, ob er damit eher die Medien oder eher die Bürger oder ein ungutes Zusammenspiel aus Populisten, populistischen Medien und dämlichen Bürgern meint.

Zitat:

Es ist nicht "die Politik", die da agiert. Es ist in Deutschland allein die Regierung. Der Bundestag, der demnächst neu gewählt wird, spielt eine immer geringere Rolle. Er hat noch die Aufgabe, Kanzlerin oder Kanzler zu wählen. Dann hat er ausgespielt. (Quelle: Sueddeutsche.de)

Prantls Diagnose des Zustands ist natürlich richtig. Aber seine Diagnose der Ursachen für diesen Zustand ist kindisch und verantwortungslos:

Das Gefährliche an der Selbstherrlichkeit der Exekutive ist, dass dieser Stil bei der Bevölkerung ankommt. [...]

Es entwickelt sich eine hochproblematische Sortierung der Politiker: Helden und Deppen. Da sind die wenigen Guten, nämlich die politischen Macher [...].

Bei den normalen Parlamentariern ist das nach landläufiger Meinung anders, bei ihnen gilt das Streiten als Indiz für Verkommenheit. [...]

Das hat eine längere Geschichte: Seit der sogenannten Rede von Roman Herzog wird von der Notwendigkeit des großen Rucks fabuliert. Es gibt eine öffentliche Gier nach Machtworten, nach klarer Linie und Kante [...]. (Quelle: Sueddeutsche.de)

Natürlich gibt es in den Medien und beim einfachen Mann auf der Straße die Vorstellung, es bräuchte eine starke Regierung, die auf die Laberbude Parlament verzichten könne und solle. Aber das ist nicht die Ursache des Machtverlustes des Parlaments.

Die Ursache des Machtverlustes der zweiten Gewalt im Staate, also der Legislative, sind strukturelle Mängel im demokratischen System Deutschlands. Die Architektur der demokratischen Institutionen in Deutschland leidet an einem großen Baufehler. Die ganze schöne Gewaltenteilung funktioniert in Deutschland deshalb nicht, weil es einen mächtigen Mitspieler in der deutschen Politik gibt, der die ganze schöne Gewaltenteilung ad absurdum führt. Die Auftrennung der Gewalten in Regierung, Parlament und Justizwesen ist in Deutschland nur oberflächlich. Die Ursache dafür liegt nicht in moralischen Defiziten der Bürger, Medien oder Politiker. Die Ursache dafür liegt auch nicht in einem mangelhaften Wissen und Verständnis über demokratische Prozesse und Gepflogenheiten.

Nein, die Ursache für das Nichtfunktionieren der Gewaltenteilung in Deutschland liegt schlicht daran, dass wir in Deutschland einen Mitspieler in der Politik haben, der über den zwei Gewalten Exekutive und Legislative steht. Dieser Mitspieler herrscht immer sowohl über Regierung als auch über das Parlament. Dieser eine Mitspieler hebt die Gewaltenteilung auf und ist somit eine Gefahr für die Demokratie.

Nein, dieser Mitspieler ist nicht etwa das Volk. Sondern es sind die Parteien, konkret: die jeweilige Mehrheitspartei oder Mehrheitskoalition. Sie bestimmt sowohl Regierung als auch Parlament. Deshalb ist das Parlament in Deutschland schon immer letztlich nur der Abwinkverein für die Gesetzesinitiativen der Regierung. Denn wenn die Abgeordneten der Mehrheitsparteien nicht gehorchen, bestimmt ihre Partei, die auch die Regierung stellt, dass sie ihren Listenplatz bei der nächsten Wahl verlieren oder stellt die Störenfriede sonstwie kalt.

Das Problem der deutschen Demokratie sind die Parteien. Vor allem die beiden Parteiblöcke SPD und Union sind zudem intern dadurch gekennzeichnet, dass auch innerhalb ihrer Partei politisch engagierte und kritische, also diskussionsfreudige Bürger mundtot gemacht werden. Parteitagsbeschlüsse werden zudem entweder bewusst so schwammig formuliert, dass sie der Regierungspolitik keine Grenzen setzen oder die Parteitagsbeschlüsse werden von der Regierung später schlicht und einfach ignoriert. Auch intern sind die wichtigsten Parteien in Deutschland also kein Hort der Demokratie.

Und der Bürger kann zum Schluss immer nur alle vier Jahre die gleichen vier oder fünf Mitspieler bei diesem Parteienkonzert wählen. Diese für den Bürger beschränkte Vorauswahl ähnelt irgendwie stark dem, was beispielsweise auch im Iran passiert, wo die Bürger auch nur aus ein paar Kandidaten wählen dürfen, die zuvor von einem Wächterrat abgesegnet wurden. Im Iran gibt es zumindest alle paar Jahre neue Kandidaten. In Deutschland hingegen sind es immer die gleichen "Kandidaten" mit dem Namen SPD, Union, FDP, Grüne und neuerdings noch die Linkspartei.

Das Parlament könnte seine Unabhängigkeit wiedererlangen, wenn es wesentlich mehr kleinere Parteien gäbe oder wenn die Abgeordneten des Parlaments alle direkt gewählt würden. Letzteres wäre natürlich auch keine perfekte Lösung, wenn dann nur der Kandidat mit den meisten Stimmen pro Wahlkreis ins Parlament ziehen würde und alle anderen Stimmen für die unterlegenen Kandidaten verfallen und nicht berücksichtigt werden würden. In diesem Fall könnte es sein, dass der politische Wille der Mehrheit der Bürger in Wahlkreisen gar nicht gehört und berücksichtigt wird bei der Parlamentszusammensetzung, weil es für einen Direktkandidaten ausgereicht haben mag, nur 30% der Stimmen in einem Wahlkreis auf sich zu vereinen und weil alle konkurrierenden Kandidaten weniger Stimmen hatten. Eine Stichwahl würde wiederum einen Großteil der Wähler dazu zwingen, einen Kandidaten zu wählen, den sie eigentlich nicht wählen wollen. Und auch bei einer Stichwahl würde der politische Wille eines Großteils der Bürger letztlich im Parlament nicht abgebildet werden.

Aber hier ließen sich sicherlich Lösungen finden, die einerseits die alleinige Wahl von Direktkandidaten realisiert (also keine Parteilisten mehr nötig macht) und andererseits auch die Stimmen für die unterlegenen Kandidaten als Gewicht in das Parlament mit einbringen lassen. Beispielsweise dadurch, dass auch unterlegene Kandidaten ins Parlament einziehen, ihre Stimmen im Parlament jedoch schwächer gewichtet werden als die Stimme des Siegers in einem Wahlkreis. Die Mischung aus Verhältnis- und Mehrheitswahl im deutschen Wahlrecht stellt genau solch einen Versuch dar, dies zu erreichen - mit dem grundlegenden Konstruktionsfehler allerdings, dass die "Zweitstimme" hier direkt den Parteien zugute kommt und so überhaupt erst diese die Gewaltenteilung aushebelnde Macht der Parteien erschuf.

Die Zweitstimme sollte also abgeschafft werden und die Bürger sollten nur noch reale Personen wählen dürfen. Diese realen Personen können sie dann auch wieder abwählen und auf diese realen Personen könnten die Bürger direkter einwirken und sie direkter zur Verantwortung ziehen als ein derart abstraktes und intransparentes Ding namens Partei. Es muss Personen geben, die direkt für ihr Handeln verantwortlich gemacht werden können vom Wähler. Parteien können stattdessen schlecht abgestraft werden vom Wähler. Denn wen soll der Bürger wählen, wenn er mit der einen Hälfte der Parteien politisch nicht übereinstimmt und der anderen Hälfte der Parteien schlicht und einfach misstraut, weil diese Parteien ihre eigenen Wahlprogramme nicht ernst nehmen und sich nicht an ihre Versprechen halten? Die Alternative, nämlich selbst eine eigene Partei zu gründen, scheitert in der Praxis häufig und kann keine Entschuldigung dafür sein, den heutigen Einfluss der Parteien aufrecht zu erhalten.

Die in einem Wahlkreis unterlegenen Kandidaten sollten jedoch bei einer reinen Direktwahl der Kandidaten, wie gesagt, ebenfalls teilweise ins Parlament einziehen und ihre Stimme sollte je nach ihrem Abschneiden in ihrem Wahlkreis schwächer gewichtet werden als die Stimme der Wahlkreissieger. Wie genau dies aussehen kann, müsste natürlich noch genauer ausgearbeitet werden. Man könnte festlegen, dass eine bestimmte Anzahl von Kandidaten pro Wahlkreis ins Parlament zieht (die ersten vier Kandidaten eines Wahlkreises ziehen ins Parlament) oder man könnte eine bestimmte Prozentzahl der Stimmen pro Kandidat als Kriterium festlegen, ab der Kandidaten ins Parlament ziehen dürfen (alle Kandidaten mit mehr als 10% der Stimmen ziehen ins Parlament). Welche Einflussmöglichkeiten die Kandidaten im Parlament haben, würde dann bestimmt werden durch ihr Abschneiden in ihrem Wahlkreis. Der Einfluss der Kandidaten im Parlament würde gewichtet werden anhand ihres Wahlkreiserfolgs. Eventuell wäre es bei solch einem System auch nötig die Wahlkreise zu vergrößern, um die dann größere Anzahl an Abgeordneten pro Wahlkreis auszugleichen. Dies alles sind rein technische Probleme, für die man sicherlich Lösungen finden könnte.

Entscheidend dabei wäre, dass die politischen Parteien in so einem reformierten Wahlprozess nur noch politische Plattformen wären, denen sich Kandidaten anschließen könnten, aber nicht anschließen müssten. Parteien könnten den Kandidaten organisatorische Unterstützungen zukommen lassen und ihr politisches Programm gegenüber dem Wähler leichter erkennbar machen. Die Parteien würden aber nicht mehr darüber bestimmen, wer ins Parlament einzieht und wer nicht. Dieses Recht läge wieder alleine in den Händen der Bürger. Nur der Bürger darf in einer Demokratie entscheiden, wer ins Parlament einzieht. Dies ist derzeit in Deutschland in der Praxis durch den überbordenen Einfluss des Parteienapparats auf die Abgeordneten nicht der Fall. Deshalb ist Deutschland keine echte (repräsentative) Demokratie.

Donnerstag, 25. Juni 2009

Die Missverständnisse rund um Nokia, Siemens und den Iran

Gerade merkt man wieder, dass es nicht zum Wissensschatz von Journalisten gehört, die Grundlagen der Informationstechnologie zu kennen.

Journalisten scheinen sich zur Zeit von den Pressesprechern von Nokia und Siemens leicht, sehr leicht beruhigen und einseifen zu lassen. Man habe nur "ein besseres Tonband" in den Iran geliefert, mit dem man einzelne Gespräche einzelner Telefonanschlüsse abhören könne, heißt es da von Siemens. Oder aber auch, dass man den Vertrieb des Siemens Produkt "Monitoring Center" jetzt einer ominösen Firma namens "Perusa Partners Fund" überlassen habe. Auch hätte man als Siemens gar keine Technik in den Iran geliefert, mit der neben der Überwachung des Telefonverkehrs auch die Überwachung oder gar Blockierung des Internets im Iran möglich sei.

Und die Journalisten sind's zufrieden.

Und mir kommt das Kotzen.

Hier noch einmal die Fragen, die Journalisten jetzt intensiver stellen müssten:

  • "Ein besseres Tonband"... das heißt gar nichts. Ein megatonnenschweres Radioteleskop, dass ferne Galaxien untersucht, ist auch nur ein "besseres Tonband".
  • Nur einzelne Telefongespräche soll man abhören können mit dem von Siemens gelieferten "Monitoring Center"? Wirklich "nur"? Das Monitoring Center ist modular aufgebaut. Es dürfte ein Leichtes sein für den Iran, durch einfaches Nachinstallieren (Bestellung bitte an den "Perusa Partners Fund") das Monitoring Center zur vollen Größe aufzublasen - und warum nicht gleich das vollständige Produkt von Nokia Siemens Networks (NSN), nämlich die sogenannte "Intelligence Platform" nachrüsten? Ist doch kein Problem. Nokia und Siemens haben das Produkt entwickelt und jeder kann es kaufen, weil es für so etwas keine Exportbeschränkungen in Deutschland gibt.
  • Siemens hat mit Sicherheit keine Internetüberwachungstechnologie an den Iran geliefert, denn dieser Teil der Überwachungstechnologie kommt von Nokia. Siemens Telefonie-Überwachungstechnologie namens "Monitoring Center" kann beim Kunden jedoch einfach mit der Internetüberwachungstechnologie von Nokia zusammengeführt werden. Genau dies ist der Sinn der von Nokia Siemens Networks (NSN) gemeinsam entwickelten, übergreifenden Plattform namens "Intelligence Platform".
  • Aber letztlich ist die eigentliche Frage nicht, ob Siemens oder Nokia oder Perusa Partners welches Produkt in welchem Umfang geliefert haben, sondern die eigentliche Frage ist, warum solche Produkte überhaupt in dieser Gestalt hergestellt werden! Wäre es NSN nur darum gegangen, Rechtsstaaten technische Lösungen zu liefern, um einzelne Telefonanschlüsse im Rahmen rechtsstaatlicher Verfahren überwachen zu können, hätten sie nicht eine dermaßen mit Modulen erweiterbare Softwaresuite namens "Monitoring Center" und ein solches Überwachungsmonster namens "Intelligence Platform" entwickelt. Der einzige Zweck für die Entwicklung dieser Produkte in dieser Form kann nur gewesen sein, Unrechtsregimen oder unrechtmäßig handelnden Behörden oder Geheimdiensten (wie derzeit die NSA in den USA, die sich gerade heftigen Angriffen von Menschenrechtsgruppen ausgesetzt sieht wegen ihrer Überwachungspraxis) zu ermöglichen, den gesamten Telefonverkehr und den gesamten Datenverkehr, der über Mobilfunknetze läuft, umfassend und in Echtzeit zu überwachen. Genau dies wird auch deutlich, wenn man sich die Werbebroschüre von NSN zu diesen Produkten einmal anschaut. Da jedoch alles, was irgendwie mit Telekommunikation zu tun hat, in Deutschland von den meisten Journalisten und Politikern ja anscheinend schwer verstanden wird, hier eine Analogie: Was würde man sagen, wenn Siemens Geräte entwickeln würden, die in ihrer Gestalt und in ihrem Grundgedanken und in ihrem Ausmaß und in ihrer Architektur letztlich nur mit dem Ziel hergestellt werden, waffenfähiges Plutonium herzustellen? Die Analogie hinkt, weil es solche Produkte nicht gibt, weil diese Produkte tatsächlich immer einen Dual-Use-Charakter haben können. Die Architektur des Monitoring Centers jedoch lässt sinnvollerweise keinen Zweifel daran, dass das Teil nicht für den rechtsmäßigen Einsatz, also für das Abhören einzelner, weniger Telefonate konstruiert wurde. Warum dann all die Erweiterungen, die zur Verfügung stehen, all die weiteren Module? Warum macht man ein Produkt künstlich gefährlich, indem es jederzeit mit Modulen aufgerüstet werden kann, deren Einsatz so niemals in einem Rechtsstaat erlaubt wären? Man macht doch das Produkt für Rechtsstaaten so gefährlicher, nicht nützlicher! Für Rechtsstaaten mindert diese Erweiterbarkeit mit unrechtmäßigen Produkten die Qualität des Produktes, weil so die Konformität des Produktes mit Datenschutzgesetzen und die Überprüfung eines mit den Gesetzen konformen Betriebes erschwert wird. Warum also gibt es im Monitoring Center anscheinend Schnittstellen, die jederzeit und einfach mit weiteren, unrechtmäßigen Überwachungsmodulen aufgerüstet werden können? Was soll das?
  • Und zum Schluss muss man die Frage stellen, warum es zumindest kein Ausfuhrverbot für derart gefährliche Produkte in Länder gibt, die nachweislich kein Rechtsstaat sind. Der Schaden, den NSN außenpolitisch angerichtet hat, ist bereits groß, ganz zu schweigen vom Leid unterdrückter Bürger.
Das alles gipfelt in einem Staunen meinerseits darüber, dass bislang die Bundesregierung nicht öffentlich Stellung genommen hat zu all diesen Fragen, obwohl das Thema international gerade sehr wohl Schlagzeilen macht - nur eben in Deutschland selbst nicht. Kein Wunder, haben doch beispielsweise ARD-Tagesschau und ZDF-Heute/Heute-Journal bis heute mit keinem einzigen Wort über dies alles berichtet.

Wirtschaftliche Gründe kann das Schweigen von Regierung und Staatsfernsehen nicht haben. Die Einnahmen aus dem Verkauf derartiger Überwachungstechnologie an Unrechtsregime dürften für einen Weltkonzern wie Siemens oder Nokia vernachlässigbar sein. Manche munkeln, dass die Regierung sich bedeckt hält, weil der BND eventuell Hintertüren in allen Siemens-Produkten besitzt und so ausländische Regierungen heimlich übers Telefonnetz auslauschen kann. Aber ich befürchte, dass hier noch ein ganz anderes Kalkül hinter dem Schweigen steht: Die Bundesregierung möchte vermeiden, dass in der Öffentlichkeit intensiver über Überwachungstechnologien und die Möglichkeiten dieser Technologien diskutiert wird. Denn dann würde das soeben beschlossene Zensurgesetz ("Zugangserschwerungsgesetz") vielen womöglich noch einmal in einem ganz anderen Licht erscheinen. Dann würde deutlich werden, wie einfach es wäre, solche Gesetze zum Aufbau einer umfassenden Zensurinfrastruktur jenseits von DNS-Sperren zu benutzen. Auch die immer wieder auftauchenden Forderungen von Landespolizeien, Polizeigewerkschaften, BKA, Verfassungsschutz und Innenminister Schäuble, Datenbanken aus verschiedenen Gebieten miteinander zu vernetzen, könnten mehr Kritiker finden. Es reicht nämlich, kurz einen Blick in die oben verlinkte Werbebroschüre von NSN zu werfen, um zu erkennen, was moderne Informationstechnologie in Gestalt des Monitoring Centers und der Intelligence Platform alles mit solchen vernetzten Daten anstellen können, um jedem denkenden Bürger das Gruseln zu lehren.

Fazit: Die Technik ist kompliziert, Journalisten durchschauen deshalb die PR-Spielchen nicht und wegen des fehlenden öffentlichen Drucks kann es sich die Bundesregierung leisten zu schweigen. Es wird also nicht öffentlich diskutiert, ob es nicht ein Herstellungs- und Vertriebsverbot für derartige Überwachungstechnik geben sollte. Es wird übersehen, dass die NSN-Produkte in ihrer heutigen Form geradezu dafür entwickelt wurden, von Geheimdiensten und Unrechtsregimen missbraucht zu werden. Und es wird übersehen, wie beispielsweise die jetzt per Gesetz eingeführte Internetzensur in Deutschland bald eventuell technisch unterstützt werden könnte durch Produkte ähnlich wie denen von NSN. Denn ich bezweifle, dass die Sperrung unliebsamer Webseiten auch in zehn Jahren noch durch einfach zu umgehende DNS-Sperren realisiert wird. Es gibt mächtige Interessenverbände, die wollen unbedingt das Internet kontrollieren. Die Rede vom "rechtsfreien Raum", den es angeblich zu schließen gelte, ist ihr Tarnmantel.

Bei all den technischen Möglichkeiten, bei all den starken Interessenverbänden und bei all dem Gelüge und Gemauschel bei dem Thema "Prävention und Überwachung" mittels moderner Kommunikationstechnologie, sollte die Presse wirklich endlich mal aufwachen und sich nachhaltig und investigativ mit dem Thema beschäftigen. Das Thema ist zu wichtig, als dass man es wie bisher einzelnen Technik-Publikationen und Technik-Journalisten überlassen sollte, die sich zwar technisch wunderbar auskennen, die aber aus ihren Techniknischen heraus leider kaum breiteres Gehör in die Gesellschaft hinein finden.

Wenn man den Einsatz solcher Technologien wie der "Intelligence Platform" nicht heute wirksam bekämpft, werden auch wir in Deutschland irgendwann unter ihnen zu leiden haben, wenn sie nicht schon längst auch in Deutschland eingesetzt werden - ob in eingeschränkten Versionen oder nicht, spielt dabei - wie oben ausgeführt - leider weniger eine Rolle, weil die Machart dieser NSN-Produkte an sich äußerst problematisch ist.

Weitere Links zum Thema in meiner Linkablage.

Dienstag, 23. Juni 2009

Kampf gegen Unrechtsregime: Was tun, wenn das Internet als Kommunikationsmedium wegfällt?

Ich befürchte, dass repressive Regierungen weltweit bald, sehr bald, noch erfolgreicher als heute Mittel und Wege finden werden, unerwünschten Datenverkehr im Internet zu "regulieren". Sei es, dass die Methoden des "Deep Packet Inspection (DPI) immer ausgereifter werden und zur gezielten Zensur von Internetinhalten, Blockierung von Internetanwendungen und Protokollen und unerwünschten Datenströmen genutzt wird. Schon heute kann beispielsweise verschlüsselter Datenverkehr mittels DPI vom unverschlüsselten Datenverkehr unterschieden werden. Ein Regime kann schon heute gezielt Peer-to-Peer-Datenverkehr oder auch jegliche Art von verschlüsselten Verbindungen unterdrücken, auch wenn Letzteres bedeuten mag, dass dann auch die Wirtschaft leidet. Im Iran kann derzeit wohl - unter anderem dank Nokia Siemens Networks - die Telekommunikation jedes einzelnen Bürgers im Land in Echtzeit überwacht werden, der Inhalt seiner Telefongespräche und seiner E-mails und welche Datendienste er nutzt und welche Webseiten er besucht, kann automatisch ausgewertet werden.

Für Zensurgegner bleibt in diesen Fällen, wie aktuell am Beispiel Iran zu sehen ist, nur die Möglichkeit, sich über Proxy-Server mit einem nicht zensierten Teil des Internets zu verbinden. Dies setzt jedoch voraus, dass es irgendwo auf der Welt noch einen nicht zensierten Teil des Internets gibt und dass das repressive Regime überhaupt noch Internetverbindungen in diesen freien Teil des Internets technisch ermöglicht. Auch möchte ich nicht ausschließen, dass neue Überwachungstechnologien bald in der Lage sind, gezielt Verbindungen zu Proxy-Servern zu blockieren. Und schließlich könnte ein Land natürlich auch den gesamten Internetverkehr zum Rest der Welt kappen und nur noch ausgewählten Personen und Institutionen oder nur noch zertifizierten Computern und Programmen den Zugang "nach draußen" erlauben.

Die Gefahr, die ein nicht reguliertes Internet für ein Regime darstellt, wird anhand der Reaktionen der iranischen Regierung in diesen Tagen überdeutlich. Dementsprechend kann man davon ausgehen, dass viele Regierungen weltweit derzeit mit allem Hochdruck daran arbeiten, das Internet zu entwaffnen.

Für Zensurgegner kommt noch ein weiteres Problem hinzu: Es besteht immer die Gefahr, dass ihr Zugriff aufs Internet gleichzeitig zu einer für sie unsichtbaren Überwachung (Stichwort "Bundestrojaner"/"Online-Durchsuchung"/"Quellen-Telekommunikationsüberwachung"/"Vorratsdatenspeicherung") und zum Aufheben ihrer Anonymität führen kann. Ihr Datenverkehr wird so zur Geruchsspur, die die Schnüffler direkt zur Haustür der Zensurgegner führt.

Meine Prognose lautet: Es wird zunehmend schwieriger werden für Bürger repressiver Regime einen freien und weitgehend ungefährlichen Kommunikationskanal übers Internet und mit Internettechnologien aufrecht zu erhalten.

Was ist also zu tun?

1.) Alle Menschen weltweit müssen jederzeit auf politischer Ebene dafür kämpfen, dass ihr Staat keine Techniken entwickelt oder einsetzt, mit denen der Internetdatenverkehr umfassend überwacht werden kann und technisch reguliert werden kann. Vordergründig führen die Befürworter solcher Techniken an, dass es bei Einsatz solcher Überwachungs- und Regulierungstechnik im Herzen des Internets oder bei den Schnittstellen des Internets zum Internetnutzer immer nur um Terror-Abwehr ginge oder dass arme Zugangsprovider sich vor übermäßigem Datenverkehr schützen müssten, beispielsweise vor massenhaftem Abrufen von YouTube-Videos, wodurch ihr Netz drohe überlastet zu werden (Stichwort "Netzneutralität"). Diese Argumente sind jedoch fadenscheinig und unseriös. (Warum, will ich jetzt an dieser Stelle nicht ausführen.) Sicher ist, dass solche Überwachsungstechniken entweder sofort oder später dazu führen werden, dass sie missbraucht werden - entweder durch Einzelpersonen, einzelne Firmen und einzelne Institutionen oder aber gleich durch ein ganzes, repressives Regime.

2.) Weil politische Bemühungen leider nicht ausreichen werden, um die Informationsfreiheit, die mit dem Internet und der Digitalisierung erreicht wurde, zu schützen, müssen Zensurgegner JETZT anfangen, verstärkt Mittel und Wege vorzubereiten, die ihre freie Kommunikation unabhängig vom Internet macht. Denn nimmt man meine obigen Ausführungen ernst, wird es für die Zukunft nicht ausreichen, einfach noch ausgefeiltere Software zu programmieren, mit denen man versucht den Datenverkehr im Internet noch besser zu verschleiern, zu verschlüsseln und zu verstecken. Die Situation im Iran zeigt, dass eine Protestbewegung im Zweifelsfall die Möglichkeit haben muss, selbst bei einem kompletten Ausfall von Computernetzwerken weiter digital miteinander zu kommunizieren. Die Betonung liegt hier auf "digital kommunizieren". Darum geht es mir hier. Es müssen somit zusätzliche Mittel und Wege erfunden werden (sozusagen als eine Art "Backup"), digitale Informationen auch ohne Computernetzwerke effizient und sicher und heimlich zu verbreiten. Natürlich könnte man auch heute wie früher schlicht und einfach Flugblätter ausdrucken und per Hand überall verteilen. Dann würde man jedoch auch den Vorteil der Digitalisierung von Informationen aufgeben, als da wären: die leichte Kopierbarkeit der Information, die Möglichkeit zum schnellen Editieren von Information und die physische Diskretion der Information (eine Mikro-Speicherkarte mit vielen Gigabyte an Informationen kann leichter versteckt werden als tausende von ausgedruckten Flugblättern).

Wir brauchen also ausgearbeitete Mittel und Wege, digitale Informationen effizient, sicher und unbeobachtet ohne Internet oder Telefonnetz zu transportieren. Und nein, nicht nur zu transportieren, sondern vor allem auch, sie effizient zu verteilen!

Die Lösung dieses Problems ist leider nicht so trivial, wie man auf den ersten Blick annehmen könnte: nämlich einfach kleine Speicherkarten oder USB-Sticks unter Aktivisten von Hand zu Hand zu verteilen. Diese Lösung mag zwar sicher sein, aber sie ist nicht effizient. Und wenn eine Protestbewegung im Untergrund nicht effizient arbeitet, ist sie dem Untergang geweiht. Die effiziente und möglichst fehlerfreie Verbreitung von Informationen ist der entscheidende Schlüssel für ihren Erfolg. (An dieser Stelle sollte übrigens und nebenbei bemerkt auch deutlich werden, dass ich hier nicht für Terror-Organisationen spreche, denn denen ist es egal, ob ihre politischen Botschaften beim Volk fehlerfrei übermittelt ankommen und verstanden werden. Ihre Informationen sind und werden ja bereits ausgedrückt durch ihren Terror. Korrekter ausgedrückt: Der Terror IST ihre Information. Der Schrecken und das möglicherweise Blutvergießen IST ihre "Ansprache" ans Volk. Diese Tatsache wird natürlich repressive Regierungen nicht davon abhalten, das Bemühen um Informationsfreiheit mehr oder weniger stark unter Terrorverdacht zu stellen.)

Welche Ideen, Methoden oder Technologien könnten also das Internet ersetzen, um digitale Informationen effizient und zensurresistent zu verbreiten?

Ich habe darauf keine Antwort. Nur ein paar ziemlich unausgegorene Ideen. Technikprofis mögen bitte mein laienhaftes Halbwissen entschuldigen. Aber irgendwo muss man ja mal anfangen ins Blaue hinein zu denken. Jeder ist herzlich eingeladen, sich mit seinen Ideen, Verbesserungsvorschlägen, Kritik oder Links in den Kommentaren oder in seinen eigenen Weblogs zu Wort zu melden.

  • Getarnte USB-Kopierstationen - beispielsweise in elektronischen Alltagsgeräten versteckte USB-Schnittstellen mit eigenem Speicher, über die man mitgeführte USB-Sticks oder Memory-Cards mit in der Kopierstation abgelegten Dokumenten füttern kann. Man müsste also kleine, unscheinbare Kästchen herstellen, die über ein rudimentäres Betriebssystem und eine USB-Schnittstelle verfügen, sowie über intelligente Stromsparsoftware und eine Batterie. Diese Kästchen könnte man dann so an öffentlichen Ort anbringen, dass sie Uneingeweihten nicht auffallen. Die Kästchen müssen billig herzustellen sein, damit sie ohne große Kosten ersetzt werden können, wenn sie von Vertretern eines repressiven Regimes entdeckt werden. Als Ergänzung zu dieser Hardware wäre noch eine Software nötig, die auf diesen Kästchen läuft und die ohne Nutzerinteraktion genau jene Dokumente auf einen USB-Stick/Memory-Card kopiert, die dort noch nicht vorhanden sind und in einem zweiten Schritt genau jene Dokumente vom USB-Stick/Memorcy-Card auf die Kopierstation transferiert, die auf dieser noch nicht vorhanden sind.
  • Es müssten Funktechniken weiterentwickelt werden, mit deren Hilfe man kleine Stadtgebiete mit digitalen Informationen versorgen könnte. Die Schwierigkeit hierbei wäre es, den Aufenthaltsort der Sender möglichst schwer ortbar zu machen - gibt es dazu denkbare Ansätze, Ideen?
  • Vielleicht wäre es sogar möglich, Funkwellen quasi huckepack auf anderen Frequenzen mitreiten zu lassen, um sie zu verschleiern. Nur Empfänger, die wissen, wo sie suchen müssen, wären in der Lage, die Botschaft aus dem Meer an Funkwellen herauszufischen.
  • Sehr elegant wäre es natürlich, wenn man die Technik, Daten mittels der Leitfähigkeit der menschlichen Haut zu übertragen, nutzen könnte, um so heimlich Aktivisten schnell mit digitalen Dokumenten versorgen zu können. Dann reicht ein Handschlag oder ein Schulterklopfen und man könnte in Windeseile eine große Zahl an Menschen mit Informationen versorgen.
  • Eine Idee habe ich noch, die jedoch eher wieder an "Flugblatt-Methoden" erinnert, mit dem Nachteil, dass hier die Informationen nur vom Sender zum Empfänger laufen können. Aber vielleicht ist die Idee dennoch brauchbar, weil sie die Empfänger besser schützt, als wenn diese lose auf der Straße liegende Flugblätter aufheben müssen und bei sich tragen müssen: Man könnte vielleicht durchsichtige Folien entwickeln, auf denen steganografische Informationen versteckt sind. Die Folien könnten dann über Werbeplakate oder auf sonstige Stellen im öffentlichen Raum geklebt werden. Fotografiert man dann einen Gegenstand, auf dem die unsichbare Folie klebt (Untergrundnachrichten könnten verbreiten, diese Woche alle Plakate mit Werbung von Firma Soundso zu fotografieren...), kann man anschließend am Computer die versteckte Botschaft entschlüsseln. Das würde sich natürlich nur lohnen, wenn auf diese Art und Weise größere Mengen an Information verbreitet werden könnten als das, was ohnehin Mund-zu-Mund weitergegeben werden kann.
Wichtig bei all diesen Ideen wäre, dass sie zumindest auf der Seite der Informationsempfänger auch von technisch völlig ungebildeten und unerfahrenen Menschen genutzt werden können muss. Und wichtig wäre, dass man diese Technologie JETZT entwickelt, so lange dies noch möglich ist, beziehungsweise, dass man sie HIER entwickelt, um sie Bürgern repressiver(er) Regime zur Verfügung stellen zu können. Vielleicht könnten solche Technologien sogar in Form von Forschungsprojekten an Universitäten verwirklicht werden.

Ich bin mir sicher, es gibt noch viele weitere Ideen. Die Kommentare sind, wie gesagt, offen...

Montag, 22. Juni 2009

Das Überwachungsmonster von Nokia Siemens Networks wird ans Tageslicht gezerrt

Schon vor mehr als einem Jahr schrieb der famose Journalist (ja, die gibt es noch, famose Journalisten...) namens Erich Moechel für den österreichischen Rundfunk (ORF) auf, dass die deutsch-finnische Firma "Nokia Siemens Networks" (NSN) eine seltsame Produktpalette besitzt. Besonders das Produkt namens "Intelligence Platform" erregte seine Aufmerksamkeit. Es wurde von NSN als eine Art eierlegende Wollmilchsau der Überwachungstechnologie angepriesen. Und tatsächlich: NSN steht mit diesem Produkt nahezu konkurrenzlos auf dem Markt. Die "Intelligence Platform" ist der feuchte Traum jedes Geheimdienstes und jedes Überwachungsfanatikers weltweit.

Zitat:

In einer Art Data-Warehouse für Geheimdienste werden von Verbindungsdaten aus Telefonienetzen und dem Internet - die nunmehr EU-weit vorgeschriebene Vorratsdatenspeicherung wird ganz oben angeführt - über Kreditkartenzahlungen und Banktransfers, Grundbuch, Kfz- und Melderegisterdaten bis hin zu Flugpassagier-, Fingerprint- und DNA-Informationen alles zusammengeführt, was ein Mensch an Spuren in den zahlreichen Computersystemen eines entwickelten Staates hinterlassen hat. (Quelle: Futurezone.ORF.at)

Die "Intelligence Platform" verwirklicht also das, wovor Datenschützer immer warnen: Hier werden alle möglichen Daten aus allen möglichen Lebensbereichen der Menschen an einem Ort, in einer Datenbank zusammengeführt, um diese Daten dann anschließend alle in einen Zusammenhang bringen zu können. Die Folge davon ist, dass man mit der "Intelligence Platform" ganz leicht und ganz schnell Verhaltensmuster von Millionen von Menschen entlarven kann.

Ein weiteres Merkmal der Produkte von NSN (beispielsweise des "Monitoring Center") ist, dass sie nahtlos in die Telekommunikationsnetze eines Landes eingefügt werden können und man beispielsweise via Deep Packet Inspection auch die Art der Internetnutzung (bis hin, welche Software verwendet wird) pro Internetnutzer und sein Internetnutzungsverhalten entlarven kann. Vermutlich können die Produkte von NSN dann auch gezielt den Internetzugang blockieren. Und wenn nicht, dann liefern die Produkte von NSN zumindest die Informationen, um mit Hilfe anderer technischer Systeme und Softwarelösungen Internetzugänge gezielt zu sperren.

Der Knackpunkt ist nun, dass diese Produkte von NSN in einem Rechtsstaat gar nicht eingesetzt werden könnten. Natürlich könnte ein Rechtsstaat eine extrem abgespeckte Version der Produktepalette von NSN einsetzen, aber ein Rechtsstaat, dem der Schutz seiner Bürger ehrlich am Herzen liegt, würde davon wohl eher Abstand nehmen, denn es bestände immer die Gefahr, dass eine abgespeckte Version von NSN-Produkten heimlich aufgerüstet werden könnte zum vollen Überwachungsmonster. Ein Rechtsstaat braucht schlichtweg die Produkte von NSN nicht!

NSN sieht (beziehungsweise sah - inzwischen hat NSN das Geschäft mit der Überwachungstechnik an die Münchner Investmentgesellschaft Perusa Partners abgegeben) somit den Markt für das Überwachungsmonster auch vorwiegend in Asien und im Nahen Osten.

Warum aber "muss" es erlaubt sein, dass eine Firma Produkte herstellt, die in dieser Form und in diesem Umfang letztlich nur dafür gebraucht werden, Unrechtsregime in aller Welt zu stabilisieren und Menschen zu unterdrücken? Warum gibt es aber zumindest nicht Ausfuhrverbote in Unrechtsregime für deutsche Firmen für solch eine Technik? Ah, ich ahne es: Arbeitsplätze... Also, sorry, liebe Iraner. Aber wir müssen ja auch von irgendwas leben hier in Deutschland. Wir verhungern sonst.

(Siehe auch mein Eintrag dazu in meiner Linkablage.)

Samstag, 20. Juni 2009

Zur Beruhigung

Deutschland hat am Donnerstag gezeigt, wie weit das Land erneut regrediert ist. Es möchte wieder eine Zensur haben. Da erscheint es mir (auch angesichts der für diese regredierten Deutschen sicherlich äußerst verstörenden Vorkommnisse im Iran) unbedingt nötig, den deutschen Kindern jenseits des 40. Lebensjahres, besonders aber unseren Politikern mit ihrem ausgeprägten Beschützerinstinkt, ein beruhigendes Liedchen vorzutragen. Passenderweise ein Lied von einem Dichter, der die Beglückungen der Zensur in überschwänglichem Maße genießen durfte.

Zur Beruhigung

(von Harry/Heinrich Heine)

Wir schlafen ganz, wie Brutus schlief -
Doch jener erwachte und bohrte tief
In Cäsars Brust das kalte Messer!
Die Römer waren Tyrannenfresser.

Wir sind keine Römer, wir rauchen Tabak.
Ein jedes Volk hat seinen Geschmack,
Ein jedes Volk hat seine Größe;
In Schwaben kocht man die besten Klöße.

Wir sind Germanen, gemütlich und brav,
Wir schlafen gesunden Pflanzenschlaf,
Und wenn wir erwachen, pflegt uns zu dürsten,
Doch nicht nach dem Blute unserer Fürsten.

Wir sind so treu wie Eichenholz,
Auch Lindenholz, drauf sind wir stolz;
Im Land der Eichen und der Linden
wird niemals sich ein Brutus finden.

Und wenn auch ein Brutus unter uns wär,
Den Cäsar fänd er nimmermehr,
Vergeblich würd er den Cäsar suchen;
Wir haben gute Pfefferkuchen.

Wir haben sechsunddreißig Herrn
(Ist nicht zu viel!), und einen Stern
Trägt jeder schützend auf seinem Herzen,
Braucht nicht zu fürchten die Iden des Märzen.

Wir nennen sie Väter, und Vaterland
Benennen wir dasjenige Land,
Das erbeigentümlich gehört den Fürsten;
Wir lieben auch Sauerkraut mit Würsten.

Wenn unser Vater spazieren geht,
Ziehn wir den Hut mit Pietät;
Deutschland, die fromme Kinderstube,
Ist keine römische Mördergrube.

(Erschienen 1844 im "Vorwärts!" - nein, nicht jene Zeitung einer ehemaligen sozialdemokratischen Partei, bei der fehlte nämlich natürlich das Ausrufezeichen)

Es ist also nichts passiert am Donnerstag. Bitte gehen Sie weiter (Hut ziehen nicht vergessen). Hier gibt es nichts zu sehen. Ein Lächeln wäre auch schön. Danke. Jetzt wird das BKA sicherlich nichts auszusetzen haben.

Donnerstag, 18. Juni 2009

Bundestag beschließt Internetzensur: Das Versagen der Demokratie

Der Bundestag hat also heute mit der Mehrheit der SPD- und Unionsabgeordneten beschlossen, dem Bundeskriminalamt (BKA) zu überlassen, weitgehend nach eigenem Ermessen den Zugang zu Internetseiten für deutsche Internetnutzer zu erschweren. Offiziell sollen nur Internetseiten "gesperrt" werden, auf denen Verbrechen an Kindern, speziell kinderpornografische Darstellungen, zu sehen sind.

SPD und Union meinen, so Kinder schützen zu können.

Ich habe beschlossen, in Zukunft keine schlechten Nachrichten mehr zu lesen, in der Hoffnung, so das Böse und Schlechte in der Welt bekämpfen zu können.

Qualifiziertere Wortmeldungen zum Thema gibt es beim "Arbeitskreis Zensur" (AK-Zensur) nachzulesen: AK-Zensur.de.

Hier nur noch einmal zusammengefasst die wesentlichen Kritikpunkte an dem heute vom Bundestag verabschiedeten "Zugangserschwerungsgesetz":

  • Wer wirklich auf der Suche nach kinderpornografischen Darstellungen und Schriften ist, kann und wird Mittel finden, Internetzensurmaßnahmen zu umgehen. Die Wirkung der Sperren ist also äußerst begrenzt.
  • Die Notwendigkeit zur Sperrung solcher Inhalte erschließt sich mir nicht, da es auch bislang kaum möglich war, im Internet versehentlich auf derartige Inhalte zu stoßen.
  • Die Sperren bringen außerdem bedenkliche Nebenwirkungen mit sich. Die bedenklichste Nebenwirkung ist, dass überhaupt erst einmal durch das Gesetz eine technische Infrastruktur bei den Internetzugangsprovidern installiert wird, die den Zugang zu ausgewählten Internetseiten erschwert. Diese Sperrinfrastruktur ist in Deutschland vollkommen neu.
  • Die zweite bedenkliche Nebenwirkung ist, dass eine Behörde, die der Exekutive angehört, nämlich das BKA, die Vollmacht erhält, in eigenem Ermessen zu entscheiden, ob eine Internetseite in ihren Augen kinderpornografisches Material enthält und ob sie dann den Zugang zu dieser Internetseite durch Hinzufügen der Seite auf eine Sperrliste erschweren soll. Diese Arbeit des BKA wird meiner Meinung nach nicht stark genug überwacht.
  • Die dritte bedenkliche Nebenwirkung ist, dass die bislang existierenden Methoden zur Sperrung von Inhalten im Internet nicht genau genug sind. Soll heißen: Man kann im Internet nicht so einfach beispielsweise einzelne, bestimmte Bilder, Fotos oder Textstellen auf einer Internetseite sperren. Es wird immer darauf hinauslaufen, dass man beim Versuch, beispielsweise bestimmte Bilder zu sperren, den Zugang zu einer ganzen Internetadresse und damit zu einer ganzen "Website" (Website ist nicht gleich Webseite!), zu einer ganzen Webpräsenz also, sperren wird. Beim Sperren von Kinderpornografie wird es also zu Kollateralschäden kommen. Ich befürchte, dass es kaum Websites gibt, die als einzigen Inhalt kinderpornografisches Material enthalten. Ich befürchte, dass das meiste kinderpornografische Material, das derzeit überhaupt noch öffentlich sichtbar irgendwo im Internet angeboten wird, meist versteckt unter Massen an legalen Inhalten auf großen Community-Webseiten oder großen Internetforen angeboten wird, auf denen es eben nicht um Kinderpornografie geht, sondern um ganz andere, legale Themen.
  • Die vierte bedenkliche Nebenwirkung ist, dass das BKA anfangen könnte, nicht nur den Zugang zu Websites zu erschweren, auf denen kinderpornografisches Material zu sehen ist, sondern auch den Zugang zu Websites, die wiederum auf Websites verweisen, auf denen kinderpornografisches Material zu sehen ist. Wenn das BKA diese Art der Sperre von verlinkenden Websites anfangen würde, müsste unbedingt immer der Kontext beachtet werden, in dem jemand auf Websites verlinkt, die kinderpornografisches Material anbieten: Hat er nur allgemein auf eine Website verlinkt, die auch kinderpornografisches Material beinhaltet? Oder hat er auf das Material verlinkt als Teil einer Dokumentation oder politischen Auseinandersetzung? Hätte beispielsweise die Whistleblower-Website Wikileaks.org nicht die Internetsperrlisten anderer Länder (die ja Links zu kinderpornografischem Material enthalten) veröffentlicht, wüsste heute niemand, dass auf vielen dieser Sperrlisten überwiegend Internetseiten standen, die eben keine Kinderpornografie enthielten. Sollte also das BKA anfangen, auch Websites zu sperren, die in irgendeiner Form, direkt oder indirekt auf kinderpornografisches Material verlinken, würde das BKA anfangen, äußerst komplexe Entscheidungen mit weitreichenden Folgen zu treffen und umzusetzen.

Die Politik erlaubt dem BKA also nun, weitgehend ohne Aufsicht komplizierte Entscheidungsprozesse durchzuführen und umzusetzen, bei denen Fehlentscheidungen massive Auswirkungen für die gesamte Gesellschaft haben könnten:

A) Die Entscheidung, ob es sich bei einem Inhalt um kinderpornografisches Material handelt, mag - zumindest bei dem sogenannten "harten" kinderpornografischen Material - noch relativ einfach und damit wenig fehleranfällig verlaufen.

B) Als zweiter Schritt muss dann vom BKA entschieden werden, ob die Website, auf der das Material gefunden wurde, auf die Sperrliste kommen soll. Diese Entscheidung ist schon wesentlich komplexer. Es muss beurteilt werden, ob man den Provider der Website schnell erreichen kann und ob dieser dann die Website löscht, damit sie nicht gesperrt werden muss. Es muss beurteilt werden, ob die Sperrung verhältnismäßig wäre, ob also wegen eines kinderpornografischen Bildes beispielsweise der Zugang zu einer riesigen Website, auf denen Millionen von Nutzern Inhalte veröffentlichen (zum Beispiel Blogspot.com, wo dieses Weblog hier gehostet wird) gesperrt werden soll. Es könnte natürlich sein, dass das BKA hier überhaupt keine Abwägungen trifft und sofort jede Website, auf der irgendwo kinderpornografisches Material angeboten wird, sperrt.

Noch schwieriger und komplexer werden die dem BKA zugemuteten Entscheidungsprozesse, wenn bald eventuell nicht mehr nur kinderpornografisches Material auf Sperrlisten landen soll, sondern wenn aus Politik, Wirtschaft und sonstigen Interessenverbänden Forderungen gestellt werden, die neue Zensurinfrastruktur auch zum Sperren weiterer unliebsamer Inhalte einzusetzen (Verstöße gegen das Urheberrecht, Aufrufe zur Gewalt, vermeintlich jugendgefährdende Inhalte wie angebliche "Killerspiele", Glücksspielangebote und so weiter). Jedes Mal müsste das BKA entscheiden, ob...

A) Ein Inhalt in die Kategorie der zu sperrenden Inhalte überhaupt rein gehört und, ob...

B) Die Sperrung der Website, auf der der Inhalt zu finden ist, anschließend überhaupt verhältnismäßig ist.

Bislang überließ man in Deutschland solche Entscheidungen öffentlich tagenden Gerichten. Aber selbst das mehrstufige, öffentliche Gerichtssystem, mit seinen anwaltlichen Vertretungen, Expertenanhörungen und einem genauen Regelwerk zeigte sich in der Vergangenheit häufig beinahe überfordert diese beiden Punkte A) und B) in anderen Kontexten zufriedenstellend zu bewältigen. Beispielsweise bei der Entscheidung, ob in einem Roman die Beschreibungen von Charakteren die Persönlichkeitsrechte von lebenden Personen betrifft (A) und wenn ja, welche Folgen dies hat (B), also ob der Roman als ganzes verboten werden muss oder ob nur bestimmte Stellen im Roman gelöscht werden sollen.

Leider bin ich mir sicher, dass bald viele Gruppen, Politiker und Verbände fordern werden, weitere Inhalte im Internet zu sperren. Nicht, weil das BKA dann so effizient und fehlerfrei all diese Inhalte beurteilen können wird, sondern gerade, weil das BKA dies eben nicht kann. Die Alternative nämlich, also die Durchsetzung ihrer Ansprüche auf dem althergebrachten Weg vor Gericht, ist diesen Gruppen, Politikern und Verbänden nämlich zu anstrengend. Es ist die Anstrengung, die diese Gruppen scheuen und es ist eben nicht die Gerechtigkeit, die sie suchen.

Schaue ich mir den gesamten politischen Prozess an,...

(Manipulierte Umfragen wurden als Beweise für die angeblich breite Befürwortung des Gesetzes veröffentlicht; Ministerinnen belogen die Öffentlichkeit nachweislich mit falschen Zahlen; die Regierung hatte nachweislich und nach eigener Auskunft keine Ahnung über das Ausmaß von Kinderpornografie oder die Wirksamkeit der angedachten Maßnahmen; Sperrbefürworter aus CDU und CSU unterstellten ihren politischen Gegnern, Verbrecher zu sein; alle Experten sprachen sich gegen Sperren aus; die Medien zeigten nur mäßiges Interesse; 130.000 namentlich und öffentlich auftretende Petitenten wurden diffamiert und die Institution des Petitionsausschusses von der Politik schlicht ignoriert und damit diskreditiert und so weiter)

... der nun also heute zum Beschluss des Bundestages geführt hat, eine neue Zensurinfrastruktur in Deutschland aufzubauen, dann befürchte ich, dass es in näherer Zukunft weitere Gruppen, Politiker und Verbände leicht haben werden, weitere Internetinhalte auf Sperrlisten setzen zu lassen, um so die komplexen Entscheidungen über derartige Sperren ganz bewusst dem überforderten BKA zu überlassen statt ordentlichen Gerichten.

Alleine die Tatsache, dass die Politik trotz der Diskussion der vergangenen Wochen das Zugangserschwerungsgesetz heute beschlossen hat, macht deutlich, dass der politische Prozess in Deutschland nicht mehr in der Lage ist rationale Entscheidungen hervorzubringen, die dem gesamtgesellschaftlichen Wohl - unter der Beachtung des Maßstabs der Verhältnismäßigkeit hinsichtlich der Rechte von gesellschaftlichen Einzelgruppierungen - dienen.

Meine Prognose lautet also: Das BKA wird demnächst auch im Auftrag der kleinen Urheberrechte-Verwerterindustrie Internetseiten sperren. Und das BKA wird demnächst auch zur Befriedigung der politischen Geltungssucht von Unionspolitikern vermeintlich jugendgefährdende Inhalte im Internet sperren. Und das BKA wird demnächst auch weiteren Raum für Fehlentscheidungen bekommen, indem es angewiesen wird Glücksspielseiten zu sperren. Und so weiter.

Gerichtsverfahren sind überholt. Heute überlässt man die Arbeit dem BKA und einem dürren Expertenrat, der mal alle paar Monate in ein paar kurzen Sitzungsstunden alibimäßig über die hunderten von Sperrentscheidungen des BKA einen Blick schweifen lässt.

Ich habe rechts unten im Weblog mal einen Counter installiert (aktiviertes Javasript nötig), auf dem ab heute jeder Tag gezählt wird, an dem bislang in Deutschland nur Kinderpornografie gesperrt wird. Mal sehen, wie lange er zählen muss, bis das Zugangserschwerungsgesetz geändert und erweitert wird. Ich befürchte, es wird weniger als 365 Tage dauern.

Mittwoch, 17. Juni 2009

Politiker tun gerne so als ob

Der iranische Wächterrat will ein total überflüssiges Gesetz verabschieden, mit dem ein virtueller Sichtschutz vor schlimme Internetseiten gestellt werden soll. Das schafft die schlimmen Internetseiten zwar nicht aus der Welt und erst recht nicht die Verbrechen, die auf ihnen gezeigt werden, aber zumindest wird so eine schicke, neue Zensur-Infrastruktur aufgebaut bei den Internetprovidern im Land.

Und die Scharia Partei Deutschlands und die Chamenei Diktator Union tun so, als ob sie 10 Tage bräuchten, um ein Wahlergebnis zu überprüfen, dass am Wahltag schon nach zwei Stunden fest stand.

Äh, Moment, da ist mir wohl was durcheinander geraten...

Kann ja mal passieren bei dieser Flut an Nachrichten derzeit über Filterungen und Zensur.

Eines ist beiden Ereignissen jedoch gemein: Oftmals handeln Politiker nicht um Probleme zu lösen, sondern um die Sauereien, die durch ihr Handeln erst entstanden, anschließend möglichst ohne eigenen Gesichtsverlust irgendwie wieder vergessen zu machen bei den Bürgern. Im Iran scheint dies jedoch nicht zu funktionieren derzeit.

In Deutschland jedoch schon. Denn obwohl das Vorhaben von Familienministerin von der Leyen, Internetseiten mit Kinderpornografie durch eine Sperre des Seitenaufrufs - also eben auf der Seite des normalen Internetnutzers und nicht auf der Seite des Kinderporno-Anbieters - zu bekämpfen, von allen Internetexperten und Rechtsexperten als nutzlos und gefährlich entlarvt wurde und obwohl die Alarmrufe von von der Leyen über die massive Verbreitung und die angebliche Suchtwirkung von Kinderpornografie als haltloses Geschwätz entlarvt wurden, wird nichtsdestotrotz ein Sperrgesetz kommen. Die Bürger werden es schlucken. Und das, obwohl die SPD und die CDU sogar befürworten, dass erst gelöscht und dann gesperrt werden soll. Aber das Gesetz muss jetzt halt her. Des gefürchteten Gesichtsverlusts der Politiker wegen. Denn wie sähe das aus, wenn die Parteien einfach sagen würden: Okay, wir haben uns geirrt, war eine blöde Idee... Da haben die Bürgerrechte und die Gewaltenteilung halt Pech gehabt. Und das BKA, die neue Zensurbehörde, freut sich. Wie immer, wenn SPD und CDU Gesetze verabschieden, mit denen sie den Bürger "beschützen" wollen.

Dann muss eben wieder das Bundesverfassungsgericht ran. Denn ich kann mir nicht vorstellen, dass die nun angedachte Konstruktion eines irgendwie "unabhängigen" Rates, der die Zensurliste des BKA überwachen soll, ausreicht, um dem Standard des Grundgesetzes in puncto Gewaltenteilung und Artikel 5 gerecht zu werden.

Hier wie im Iran sind es also irgendwelche "Räte", die nun dem ganzen Mist einen neuen Anstrich geben sollen.

Ja, es sind halt dumme, extremistische Parteien, mit denen wir es da derzeit noch zu tun haben. Das Glück Deutschlands ist, dass auf Grund dieser Tatsache hierzulande nur das Verfassungsgericht Überstunden machen muss und nicht der normale Bürger auf den Straßen Kopf und Kragen riskieren muss, übernächtigt und heiser.

Fazit: Wie schön wäre es, wenn auch hierzulande die Hälfte der Bevölkerung unter 30 Jahre alt wäre.

Mittwoch, 10. Juni 2009

Politiker fragen, Bürger antworten

Seit einiger Zeit antworten Politiker bei Abgeordnetenwatch.de auf Fragen der Bürger. Politiker haben jedoch nicht nur Antworten, sondern sicherlich auch Fragen! Und Bürger haben nicht nur Fragen, sondern auch Antworten! Leider gibt es noch kein Buergerwatch.de (der Name würde dem Bundesinnenminister sicherlich gefallen). Also biete ich hier und jetzt exklusiv für alle Politiker ein Forum an, ihre Fragen loszuwerden. Ich bin überzeugt, dass diese, meine Idee ein enormer Gewinn für unsere Demokratie darstellen wird. Ich bereite mich innerlich deswegen schon auf die Entgegennahme des Bundesverdienstkreuzes so wie des blechernen Ordens am Gaga-Tralafitti-Band vor. Ah, ich sehe, die erste Frage trudelt gerade schon ein:

Politiker: Soll in Deutschland eine Wahlpflicht eingeführt werden?

Ich (in Vertretung der anderen Bürger): [Textbaustein einfügen, Textbaustein einfügen, Textbaustein einfügen, Textbaustein einfügen...] Nein. Nächste Frage.

Politiker: Sollen in Deutschland mehr Kinder in Gefängnisse gesperrt werden?

Ich (in Vertretung der anderen Bürger): [Textbaustein einfügen, Textbaustein einfügen, Textbaustein einfügen, Textbaustein einfügen...] Moment, da brauche ich etwas Bedenkzeit. Nächste Frage.

Politiker: Sollen alle mehr überwacht werden? Falschparker, Im-Stehen-Pisser, Auf-den-Boden-Spucker?

Ich (in Vertretung der anderen Bürger): [Textbaustein einfügen, Textbaustein einfügen, Textbaustein einfügen, Textbaustein einfügen...] Äh. Nächste Frage.

Politiker: Soll es insgesamt für immer mehr Dinge immer heftigere Strafen geben?

Ich (in Vertretung der anderen Bürger): [Textbaustein einfügen, Textbaustein einfügen, Textbaustein einfügen, Textbaustein einfügen...] Huch, worauf habe ich mich hier nur eingelassen?

Äh, so, liebe Politiker, für mehr Fragen habe ich jetzt leider keine Zeit mehr. Außerdem mag ich diesen arroganten Unterton nicht, den ich bei euren Fragen heraushöre. Bis zum nächsten Mal also. Mit den üblichen, festgefroren-freundlichen Grüßen... ein Bürger (in Vertretung von den Bürgern).

Montag, 18. Mai 2009

Kurzer Hinweis: Neue Umfrage - Thema: Tagesschau

Immer wenn mich der Spieltrieb überkommt, starte ich eine Umfrage hier im Weblog. Thema dieses Mal: "Wozu ARD-Tagesschau?"

Mein Vater beispielsweise kann ohne Tagesschau nicht leben. Den genauen Grund dafür kann er mir aber auch nicht so recht sagen. Also frage ich mal, wie euch das so geht mit der Tagesschau.

Die Umfrage findet man rechts hier im Weblog in der Navigationsleiste. Die Antwortmöglichkeiten (Mehrfachantworten sind möglich) auf die Frage "Wozu ARD-Tagesschau?" lauten:

1.) Unverzichtbare Nachrichtenquelle
2.) Um zu sehen, was täglich als "wichtig" verkauft wird
3.) Gucke ich vor allem aus Gewohnheit
4.) Gucke ich nicht

Wem noch mehr Antwortmöglichkeiten einfallen, darf sich natürlich gerne in den Kommentaren Gehör verschaffen. Sinnvoll wären hier vermutlich vor allem weitere Gründe, warum man die Tagesschau guckt. Denn Gründe, warum man keine Tagesschau guckt, gibt es sicherlich unzählige: von "weil ich zu der Zeit immer meine Blumen gieße" bis zu "weil ich zu der Zeit lieber ZDF gucke".

Das alles ist natürlich total hochwissenschaftlich (wenn man alle drei Augen zukneift und nicht so genau hinguckt und beim Gucken auch noch in die andere Richtung schaut...). Die Auswertung gibt es erst Ende Juni. Wer die Zwischenergebnisse sehen will, klicke einfach auf "Show results" und scrolle nach rechts.

Freitag, 15. Mai 2009

Deutsche Satireseite entfernt: Wie die Erbsünde namens "Störerhaftung" die Meinungsfreiheit bedroht

Screenshot der gelöschten Satirewebseite
Der Autor vom Blog Pantoffelpunk.de hatte eine satirische Webseite kreiert (siehe Screenshot oben, draufklicken zum Vergrößern), die eine Webseite des Bundesinnenministers nachahmte, um so die Politik der Bundesregierung zu hinterfragen. Die Satireseite wurde nun zwangsweise aus dem Internet entfernt. Inhalt der satirischen Auseinandersetzung war - ausgerechnet - die geplante Internetzensur in Deutschland. Die Webseite sollte die mögliche Sperrseite persiflieren, die demnächst Internetnutzer in Deutschland zu sehen bekommen, wenn sie auf unerlaubte Inhalte im Internet zugreifen wollen.

Die Webseite war meiner Meinung nach sofort als Satire zu erkennen. Aber meine Meinung interessiert nicht. Es interessiert hier nur, was das Bundesverwaltungsamt denkt. Das Bundesverwaltungsamt ist in Deutschland nämlich die Behörde, die bestimmt, was in Deutschland auf deutschen Internetseiten stehen darf und was nicht. Das könnte man zumindest aus diesem Vorgang des urplötzlichen Entfernens dieser Satireseite schließen.

Aber wie gesagt, meine Meinung ist unwichtig. Wichtig ist, dass alle anderen Personen der Bundesverwaltung glauben und ohne aufzumucken kuschen. So auch die Firma "Domainfactory GmbH", die die Satire-Webseite im Auftrag ihres Kunden hostete. Als die Firma eine Botschaft aus dem Heiligtum, sprich dem Bundseverwaltungsamt, bekam, kniete sie sofort in Ehrfurcht nieder und nahm ohne große Rücksprache mit ihrem Kunden die Satireseite vom Netz. Grund: Drohende Exkommunikation, also wortwörtlich übersetzt das "Aus der Kommunikation" für die ganze Firma und viele unbeteiligte andere Kunden der Firma wegen Verstoßes gegen das mystische Gesetz der "Störerhaftung". Es drohte - so teilt die Firma mit - dass viele ihrer Server beschlagnahmt werden könnten, mit negativen Auswirkungen für viele andere Kunden. Und das vermutlich nur, weil auf der Satireseite das Hoheitszeichen des Bundesinnenministeriums verwendet wurde. Ein äußerst übles Vergehen, in der Tat. Deshalb wurde ja auch das Satiremagazin "Titanic" nach Veröffentlichung eines ähnlichen Hoheitszeichens (via Kommentar bei Pantoffelpunk.de) dicht gemacht und durch einen Klon ersetzt, der - wie ja jeder weiß - in Wirklichkeit vom Bundesinnenministerium betrieben wird. Denke ich.

Noch einmal zurück zu der Wortmeldung der Domainfactory GmbH: Domainfactory hat also Angst, dass ihre Server (und damit die Webseiten von zig anderen Kunden) dicht gemacht werden, wenn sie der Bitte des Bundesverwaltungsamtes nicht nachkommen, den inkriminierten Inhalt auf dieser einen Internetseite von einem einzigen Kunden vom Netz zu nehmen. Das nenne ich mal eine Störerhaftung! Oder korrekter ausgedrückt: Das nenne ich mal eine Angst vor einer Störerhaftung!

Die Störerhaftung ist mit der Erbsünde vergleichbar. Man muss selbst nichts getan haben, kommt aber trotzdem in die Hölle. Eine sehr sinnvolle Einrichtung. Vor allem, um Ruhe und Ordnung aufrecht zu erhalten. Denn nichts ist wirksamer zur Aufrechterhaltung des Status Quo, also des ungestörten Regierens und Schaltens und Waltens - ob in Kirche oder Staat - wenn die Untergebenen jederzeit Strafe fürchten müssen, selbst dann, wenn sie immer brav und lieb waren.

Es gibt natürlich Heretiker, also manche Theologen und Juristen, die die allgemeine Wirksamkeit von Erbsünde und Störerhaftung in Frage stellen und das Vorgehen des Bundesverwaltungsamtes und/oder die Reaktion der Firma "Domainfactory GmbH" aufs Schärfste verurteilen und dem von dieser neuartigen Zensur betroffenen Autor der Satireseite dringend raten, entweder gegen die Firma oder vielleicht auch gegen das Bundesverwaltungsamt juristisch vorzugehen.

Aber welcher Gläubige möchte sich schon mit seiner Kirche anlegen? Das kostet Nerven, Zeit und Geld. Es ist einfacher, drei Ave-Marias zu beten und zu geloben, die anstößigen Inhalte in Zukunft nicht mehr ins Internet zu stellen. Das sage ich ohne Vorwurf an den Macher von Pantoffelpunk.de. Auch gegenüber der Hosting-Firma kann man eigentlich nur Mitleid haben. Wer würde nicht ähnlich handeln? Ich beispielsweise blogge nur anonym und auf einem Server in einem Land, in dem die Meinungsfreiheit noch keine Lachnummer ist - und das mache ich genau aus dem Grund, weil ich keine Zeit und keine Ressourcen hätte, um bei jedem Pups, den ich hier im Weblog erzeuge und irgendwem als übelriechend in die Nase steigen könnte, die Geldbörse zu lüften.

Die Sperrung des Kundenaccounts von "Pantoffelpunk" und die Löschung gleich der gesamten Domain ohne vorherige Meldung an den Kunden Pantoffelpunk (so stellt Pantoffelpunk zumindest den Vorgang dar) kann ich nur als absolut unverhältnismäßige Überreaktion des Hosting-Providers bezeichnen. Aber diese Überreaktion macht gleichzeitig auch die Angst der Hosting-Firma deutlich und diese wiederum die nicht akzeptable unklare Rechtslage in Deutschland zur Frage der Störerhaftung.

Die Meinungsfreiheit im Internet in Deutschland ist faktisch tot. Sie steht zwar noch im Grundgesetz, aber man kann sie nicht mehr praktizieren, ohne genug Geld und Zeit zu haben, um dem Risiko des Abmahnwesens und der Störerhaftung mutig entgegen zu treten.

Satire lebt von der Übertreibung, Verfälschung und Imitation. Es ist wahnwitzig, genau diese Kennzeichen der Satire mit Strafandrohung zu belegen und die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Satire in die Hände einer Firma zu legen, deren Aufgabe alleine die technische Bereitstellung von Internetseiten ist. Das oben geschilderte Beispiel zeigt, dass schon alleine die Drohung reicht - sei sie auch noch so hanebüchen - um einzuschüchtern und Kritik in Deutschland zu töten.

Und auch hier kann man wieder beobachten, wie die etablierten deutschen Medien diesen Vorfall eben gerade nicht zum Anlass nehmen, um über die skandalöse Gesetzeslage in Deutschland, über die Unzulänglichkeiten der Störerhaftung, des Telemediengesetzes und des Abmahnwesens zu berichten. Ich behaupte: Die deutschen Medien schweigen hier größtenteils ganz bewusst. Blogger sehen sie nur als Konkurrenten. Sie selbst jedoch sind dank Rechtsabteilung nicht zu beeindrucken durch die unklare Gesetzeslage in Deutschland oder nutzen diese unklare Rechtslage selbst schamlos aus, um Kritiker mundtot zu machen. Warum, so wird man sich in den deutschen Medienhäusern fragen, also einen Finger rühren für diese Blogger?

Nachtrag: Zumindest Zeit.de berichtet jetzt ausführlich über den Vorfall: Internetsperren: Verstehen Sie Spaß, Herr Schäuble? (Zeit.de)

Zitat:

Der Fall zeigt, welchen Einfluss der Staat schon jetzt auf Provider hat. Rechtlich ist weder dem Provider noch dem BVA ein Vorwurf zu machen, auch wenn die Grundlage, auf die sich das Schreiben stützt, dünn ist. Allerdings dürfte das Prozedere all jenen als Bestätigung dienen, die befürchten, Sperrlisten für Kinderpornografie-Seiten seien nur der Wegbereiter für eine Zensur unliebsamer Inhalte. (Quelle: Zeit.de)

Sonntag, 10. Mai 2009

Politiker-Gelaber in der ARD-Tagesschau

Es gibt in Deutschland keine Fernsehnachrichten-Sendungen, die dem Zuschauer wichtige Hintergrundinformationen liefern. Fernsehnachrichten bieten hierzulande nur immer einen kurzen Überblick über das, was allgemein als die drei bis fünf wichtigsten Themen des Tages gelten - plus Lottozahlen, Fußball und Wetter.

Am Ende weiß der Zuschauer meist nur eines: dass die Welt glücklicherweise doch noch nicht untergegangen ist. Das hätte er jedoch auch durch einen Blick aus dem Fenster in Erfahrung bringen können.

Dieser Zustand der Fernsehnachrichten ist nicht gottgegeben. Fernsehnachrichten müssen nicht so sein. Ich möchte dies anhand eines Beispiels deutlich machen.

Dazu nehme ich folgende, reale Meldung der ARD-Tagesschau von heute, Stand 19:45 Uhr:

Screenshot von Tagesschau.de mit Foto von Merkel und Karsai
Deutschland unterstützt afghanische Polizeiausbildung: Mehr Sicherheit in kürzerer Zeit (Tagesschau.de)

Beginnen wir mit einer kurzen Inhaltsanalyse der Meldung. Hier fällt als erstes auf, dass die Überschrift aus der in der Meldung beschriebenen Ankündigung Merkels, Afghanistan in Zukunft stärker zu helfen, bereits ein "Mehr Sicherheit in kürzerer Zeit" macht. Aus der Ankündigung Merkels, etwas machen zu wollen, wird also in der Überschrift bereits die Gewissheit, dass dies tatsächlich zu mehr Sicherheit führen wird.

Gut, griffige Überschriften zu finden, ist nicht einfach. Seien wir also nicht zu kleinlich und übersehen wir an dieser Stelle einmal die Vermischung von Regierungswunschdenken und harter Realität.

Das Problem ist nur, dass der weitere Text - immerhin die Hauptnachricht heute bei Tagesschau.de - insgesamt nicht viel mehr bietet als eben die Wiederholung des Wunschdenkens der Regierung.

Der Artikel schildert folglich im weiteren Verlauf nur, wie Merkel die Welt sieht:

1.) Es werde eine deutliche Beschleunigung der Polizeiausbildung geben.
2.) Es habe in den vergangenen Monaten und Jahren in Afghanistan erhebliche Fortschritte gegeben.
3.) Karsai lobte die deutsche Unterstützung.
4.) Deutschland tue, was es kann, so Merkel weiter.
5.) Die Zusammenarbeit mit den afghanischen Stellen sei eng.

Ingesamt wird in dem Text ganze vier Mal wiederholt, dass Merkel allgemein erhebliche Erfolge in Afghanistan sehe. Der Artikel enthält hingegen keine Informationen, die Merkels Einschätzungen bezüglich Afghanistan in Frage stellen.

Als weitere "Information" berichtet Tagesschau.de schließlich noch, dass Merkel und Karsai über Pakistan geredet hätten und dass es irgendwelche, nicht näher bezeichneten Stabilitätsprobleme in Pakistan geben würde.

Der Leser bekommt also in dem Artikel keine Hintergrundinformationen geboten. Was für Hintergrundinformationen zu welchen Fragen wären denn möglich gewesen? Wo hätten sich Ansatzpunkte für Hintergrundinfos im Artikel geboten? Hier ein paar bescheidene Vorschläge dazu von mir:

Zu 1.) Warum ist eine Beschleunigung der Polizeiausbildung überhaupt notwendig? War sie bislang nicht schnell genug? Wenn ja, warum nicht? Hier wäre beispielsweise ein Hinweis angebracht gewesen, dass die USA Deutschland kritisiert hatten wegen der schlampig ausgeführten Polizeiausbildung. Der Leser hätte hier erfahren können, dass es in der Vergangenheit Versäumnisse der deutschen Regierungen gab.

Zu 2.) Welche Fortschritte genau könnte Merkel gemeint haben? Wenn den berichtenden Journalisten hier dazu nichts eingefallen wäre, hätten sie die Aussagen Merkels vielleicht ergänzen sollen durch kritische Äußerungen gegenüber der Regierungspolitik. Wenn es dazu aktuell von heute noch keine Statements gab, beispielsweise von der Opposition, hätte man sicherlich im Archiv dazu etwas gefunden. Es geht ja um angebliche Fortschritte in den vergangenen Monaten und Jahren.

Zu 3.) Dass Karsai Deutschland lobt, liest man schon seit Jahren. Komisch ist nur, dass die Lage in Afghanistan immer noch nicht besser ist. Hatte Karsai tatsächlich nur Lob für Deutschland? Er mag öffentlich heute vielleicht nur Lob geäußert haben. Wie aber sieht das "im Umfeld" von Karsai aus? Was wird in afghanischen Kreisen "unter der Hand" gesagt über Deutschland? Wie war das in der Vergangenheit? Gab es nie Kritik von Karsai? Wäre es nicht interessant gewesen, Karsais Lob etwas einzuordnen? Hat es tatsächlich Substanz? Wenn nicht, warum wird es dann überhaupt berichtet?

Zu 4.) Aus dem Satz Merkels, dass Deutschland tue, was es tun kann, könnte man journalistisch viel rausholen. Man könnte betonen, dass Merkel also ein weiteres Engagement in Afghanistan ablehnt. Und dann die Frage anschließen, ob das die richtige Strategie ist. Oder man könnte fragen, warum man diese Aussage ("tun, was wir können") schon früher hörte, es aber früher offenbar nicht gestimmt hat, weil ja nun die Polizeiausbildung doch noch einmal erheblich beschleunigt werden soll.

Zu 5.) Wie sieht solch eine enge Zusammenarbeit eigentlich aus? Was bedeutet diese Aussage über die "enge Zusammenarbeit" im Detail?

Wie hätte man also den Artikel anders aufziehen können? Auch hier möchte ich mich nicht auf faules Kritisieren beschränken, sondern einen Gegenentwurf präsentieren - natürlich mit inhaltlichen Leerstellen, weil ich kein Journalist bin und keine Ressouren habe, hier eine ausgewachsene Afghanistan-Meldung selbst zu verfassen:

"Nach heftiger Kritik aus den USA an Deutschlands bisherigem Engagement bei der Polizeiausbildung in Afghanistan, versicherte Merkel heute in einem Gespräch mit dem afghanischen Präsidenten Hamid Karsai, dass man Deutschlands Bemühungen nun verstärken wolle. Merkel äußerte entgegen der Meinung zahlreicher Experten, dass es in Afghanistan in den letzten Monaten und Jahren erhebliche Fortschritte gegeben habe. [Hier Expertenmeinung oder Meinung der Opposition einfügen...] Karsai dankte Merkel für ihre Zusagen. Merkel erklärte, dass Deutschland tue, was es könne. Deutschland scheint also nicht bereit zu sein, sich in Zukunft noch mehr in Afghanistan zu engagieren. [Hier Meinungen oder Analysen einfügen, die diese Haltung Merkels problematisieren.] Merkel betonte außerdem, dass die Zusammenarbeit mit den afghanischen Stellen eng sei. Wie wir auf Nachfrage im Kanzleramt erfuhren, bezog Merkel diese Aussage auf [hier Details dazu einfügen und eventuell auch diese Details hinterfragen oder hinterfragen lassen...]."

Man hätte natürlich auch gänzlich anders vorgehen können und gar nicht so sehr die Tatsache, dass Karsai bei Merkel war, in den Vordergrund stellen müssen. Sondern man hätte schlicht den Besuch Karsais zum Anlass nehmen können, beispielsweise über die deutsche Polizeiarbeit in Afghanistan kritisch zu berichten. Ohne jegliche weitere Erwähnung und ohne weiteres Zitieren und Eingehen auf den Eigenlob-Gesang Merkels. Diese Art der Berichterstattung findet man meiner Beobachtung nach oft in den amerikanischen TV-Fernsehnachrichten der gehobeneren Qualität.

Aber das hätte alles natürlich Arbeit gemacht für die Tagesschau-Mitarbeiter. Und eine derart mit Hintergrundinformationen und Regierungskritik durchsetzte Berichterstattung hätte eventuell zu Verstimmungen auf Regierungsseite geführt - also zu Verstimmungen bei beiden großen Parteien. Und Verstimmungen in beiden großen Parteien zu erzeugen, ist für eine Nachrichtensendung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in Deutschland vielleicht nicht mehr möglich, weil die Parteien inzwischen zu großen Einfluss haben könnten auf die redaktionelle Arbeit.

Fazit: Die Tagesschau ist - aus welchen Gründen auch immer - in ihrer jetzigen Form schlicht überfordert damit, dem Zuschauer relevante Informationen über das Tagesgeschehen zu präsentieren. Stattdessen gibt es in der Tagesschau häufig nur das Abspulen von leer im Raum hängendem Politiker-Selbstdarstellungs-Gelaber. Die ARD (aber auch das ZDF) gestalten ihre Fernsehnachrichten somit nicht im Sinne der Zuschauer. Stattdessen beliefern sie den Zuschauer - wie in dem oben kritisierten Tagesschau-Artikel - oftmals nur mit reiner Regierungspropaganda.

Donnerstag, 7. Mai 2009

Die zynische Sündenbock-Politik von SPD und Union

Mir macht eine Politik Angst, die willkürlich ohne Sinn und Verstand harmlose Freizeittätigkeiten unschuldiger Bürger verbieten will. Es ist extrem verantwortunglose Politik, wahllos in das Leben von Bürgern, in diesem Fall in das Leben von Paintball-Spielern, einzugreifen, ihr Leben zu beschränken und sie zu kriminalisieren.

Es gibt keinerlei auch nur irgendwie geartete Hinweise (von Beweisen ganz zu schweigen), dass solche Tätigkeiten wie "Paintball" oder "Laserdrom" für Amokläufe oder sonstige Gewalttätigkeiten verantwortlich sind oder sein könnten. Aber sieht man sich die kritiklose Berichterstattung vor allem im Staatsfernsehen (ARD, ZDF) an, dann scheinen belastbare Argumente neuerdings nicht mehr wichtig zu sein. Es wird jedenfalls nicht gefragt, was beispielsweise Wissenschaftler zu solch einem Verbotsvorstoß sagen.

Es gibt alleine ein paar billige Analogieschlüsse, die als "Beweis" der Schuld von Paintball an Amokläufen herhalten müssen. Analogieschlüsse nach dem Motto:

  • Beim Paintball und beim Amoklauf hat jemand ein Ding in der Hand, mit dem er zielen kann und mit dem er etwas abfeuern kann. Das gleiche trifft jedoch beispielsweise auch auf Sportschützen zu.
  • Beim Paintball und beim Amoklauf gehen die Schützen in Deckung und agieren taktisch. Das gleiche trifft auf viele Mannschaftssportarten zu.
  • Beim Paintball und beim Amoklauf sind andere Menschen die jeweiligen Gegner. Das trifft ebenfalls auf viele andere Spiel- und Sportarten zu.
  • Beim Paintball (bei falscher Ausrüstung oder falschem Umgang) und beim Amoklauf können Menschen verletzt werden. Trifft ebenfalls auf viele andere Tätigkeiten zu.

Soll das als Begründung ausreichen?

Vielleicht sind es außerdem irgendwelche Fantasien, die sich die Politiker von SPD und Union machen über das, was beim Paintball angeblich passiert? Vielleicht stellen sie sich vor, dass Paintball-Spieler extrem aggressiv während ihrer Tätigkeit sind?

Ehrlich gesagt: Ich glaube nicht, dass die Politiker von SPD und Union tatsächlich von oben genannten oder ähnlichen Analogieschlüssen überzeugt sind oder so doof sind, sich bei der Gesetzgebung von ihren Schreckensfantasien leiten zu lassen.

Das würde aber heißen, dass Bosbach und Co. ganz bewusst Gesetze beschließen, von denen sie wissen, dass damit harmlose Tätigkeiten unschuldiger Bürger kriminalisiert werden.

Hier zeigt sich eine zutiefst zynische Einstellung dem Wähler gegenüber. Die Frage ist: Werden die Deutschen so doof sein und den ekelhaften Zynismus hinter dieser Politik tatsächlich nicht bemerken? Werden sie tatsächlich nicht bemerken, wie sie hier hinters Licht geführt werden? Oder werden sie es bemerken und dann in einer ähnlich zynischen Art und Weise achselzuckend hinnehmen, dass mal wieder Rechte einiger Bürger in sinnloser Weise eingeschränkt werden? Werden sie sich sagen: "Ich bin ja nicht betroffen. Ich spiele ja kein Paintball. Mir ist das egal."? Wenn ja, kann man nur sagen, dass sie letztlich die Politik bekommen, die sie verdienen. Das bedeutet aber auch, dass weiterhin und immer mehr Schüler in Amokläufen ihr Leben beenden und kleine gesellschaftliche Gruppen als Sündenböcke herhalten müssen.

Heute Paintball-Spieler, morgen vielleicht...

Wie gesagt: Mir macht das Angst.

Donnerstag, 23. April 2009

Kleine Deutschaufgabe

Man lese erst diesen Artikel von der Süddeutschen Zeitung:

Venezuela: Gefängnis für den Retter

Und dann diesen hier von Amerika21.de:

Zu Gast bei Freunden: Oppositionspolitiker Manuel Rosales taucht in Peru wieder auf

Auch wenn einen das Thema "Venezuela" nicht interessieren sollte, kann man aus dem Vergleich der Machart beider Artikel so seine Lehren ziehen bezüglich der Art der Berichterstattung hierzulande bei bestimmten Themen. Es zeigt, was so alles möglich ist...

Man achte auf die Reihenfolge und den Umfang der dargestellten Aussagen und Fakten in beiden Artikeln. Wie wird durch die Wortwahl eine implizite Wertung der Aussagen und Fakten erzeugt? Welche Rolle wird dabei in den Artikeln Chávez zugesprochen? Welcher Artikel kommt seriöser rüber? Welcher wertender? Wie lauten die impliziten Wertungen, die sich im jeweiligen Artikel verstecken? Ergeben sich die Wertungen eindeutig aus den dargestellten Fakten, sind sie also zwingend? Wenn nicht: Wie ist oder wäre es zu bewerten, wenn ein Artikel, der nicht als Kommentar geschrieben und gedacht und präsentiert wird, dem Leser dennoch eindeutige Wertungen nahelegt, ohne diese Wertungen durch ausreichende Darstellung von Fakten zu untermauern?

P.S.: Wer sich nicht nur für das Problem, das der Journalismus in Deutschland mit der Qualität hat, interessiert, sondern auch für weitere Hintergrundinfos über das, worüber beide Artikel berichten, den muss ich mangels Alternativen ebenfalls noch einmal auf einen Artikel von Amerika21.de verweisen: Kampagne gegen Korruption in Venezuela

Samstag, 18. April 2009

Ozeanien

Anderson Cooper machte gerade eine interessante Bemerkung auf CNN: In den jetzt von Obama veröffentlichten Dokumenten über die durch die CIA in den letzten Jahren durchgeführte Folter findet sich eine interessante Parallele zu dem, was Winston Smith, der Protagonist in George Orwells Roman "1984", durchmachen musste.

Winston Smith erleidet im Roman die unterschiedlichsten Arten von Folter, aber am meisten Schrecken geht im Roman vom sogenannten "Zimmer 101" aus. Vor diesem Zimmer haben alle Inhaftierten die größte Angst. Was dort auf die Gefangenen wartet, sei schlimmer als alle Folterungen, die sie bislang erleben mussten, wird unter den Gefangenen kommuniziert. Aber keiner kann konkret sagen, was einen im Zimmer 101 tatsächlich erwartet.

Es stellt sich dann heraus, dass die Gefangenen in dem Zimmer mit Dingen konfrontiert werden, vor denen sie persönlich jeweils am meisten Angst haben. Winston Smith hat eine ausgeprägte Phobie vor Ratten. Was erwartete ihn also im Zimmer 101?

Abu Zubaydah hat anscheinend eine ausgeprägte Phobie vor Insekten. Was erwartete ihn also im "Zimmer 101" in Guantanamo?

Die CIA hatte sich zumindest die Erlaubnis vom US-Justizministerium geholt, solch ein "Zimmer 101" in Guantanamo einzurichten.

Freitag, 17. April 2009

Kein zwangsweises Google-Analytics mehr bei Blogspot.com?

Wie ich soeben zufällig feststelle, scheint Google neuerdings das Spionage-Skript "Google-Analytics" nicht mehr automatisch und zwangsweise in die Weblogs bei Blogspot.com zu integrieren (Blogspot.com gehört zu Google). Das ist sehr gut. Eventuell hat die Deaktivierung von Google-Analytics bei Blogspot.com damit zu tun, dass Nutzern von Blogspot.com neuerdings die Aktivierung von Werbung (AdSense) in ihren Weblogs angeboten wird.

Ich werde einige Tage lang beobachten, ob es tatsächlich dabei bleibt, dass Google-Analytics nicht mehr zwangsweise eingebunden wird in Weblogs hier bei Blogspot.com. Wenn Google-Analytics tatsächlich draußen bleibt, würde ich wohl auch wieder anfangen, mein Weblog "Schieflage" mit neuen Inhalten zu füllen.