Ganz Deutschland wird zum Tatort
(Via Rabenhorst)
Ich tue mal so, als ob mein Traum, einen eigenen Angestellten für die Pflege dieses Weblogs hier zu haben, bereits verwirklicht wäre. Das sähe dann vermutlich wie folgt aus:
Weblog-Angestellter: "Cheffe!"
Ich: "Was los?"
Weblog-Angestellter: "Nicht 'was los', sondern es geht wieder los."
Ich: "Was denn?"
Weblog-Angestellter: "Na, der Schäuble."
Ich: "Was denn? Schon wieder? Kann der Kerl nicht mal Osterferien machen so wie jeder normale Mensch?"
Weblog-Angestellter: "Nun will er nicht nur die Fingerabdrücke auf den Pässen auch bei den Behörden speichern und abfragbar machen, sondern auch den elektronischen Zugriff auf die Passbilder durch Behörden erleichtern und ausweiten."
Ich: "Ok. Sammel die Bedenken und stell sie ins Blog! Muss gemacht werden. Der Vollständigkeit halber. Und um den Medien zu zeigen, dass man dranbleiben muss am Thema."
Weblog-Angestellter: "Cheffe?"
Ich: "Ja?"
Weblog-Angestellter: "Die Medien bleiben dran am Thema und unsere Blog-Konkurrenz hat auch schon klasse Sachen drüber geschrieben."
Ich: "Wirklich? Na, sowas. Dann verlinke die Leute einfach. Man muss sich ja die Arbeit nicht unnötig erschweren."
Weblog-Angestellter: "Ok."
Ich: "Haste ja mal wieder einen einfachen Tag gehabt, was?"
Die TAZ berichtet und erklärt, warum digitale Passbilder was anderes sind als die bisherigen, papierenen Passbilder:
Bisher hieß es stets, die biometrischen Merkmale dienten nur der Identifizierung des Passinhabers und könnten gar nicht zu Fahndungszwecken benutzt werden. "Die auf dem neuen Reisepass enthaltenen biometrischen Merkmale sind ausschließlich auf dem Pass gespeichert", erklärte im Mai 2005 Innenminister Otto Schily auf taz-Anfrage. Der Aufbau einer zentralen oder dezentralen Fingerabdruck- und Fotodatei aller Passinhaber schien damit ausgeschlossen zu sein.
Tatsächlich werden die digitalisierten Passbilder aber schon heute bei der Passbehörde gespeichert. "Für die elektronische Speicherung der Bilder verwenden die Kommunen in der Regel das JPG-Format", erklärte das Innenministerium gestern gegenüber der taz.
Diskussionen gab es es darüber bisher nicht [...]
Im digitalen Zeitalter ergeben sich aber neue Fahndungsmöglichkeiten. Software zur Gesichtserkennung kann bald auch die Aufnahmen von Überwachungskameras biometrisch auswerten[...]. Mit diesem biometrischen Steckbrief könnten dann die 5.300 Passregister der Republik nach der zugehörigen Person durchforstet werden. (Quelle)
Glücklicherweise gehen viele andere Medien auf die TAZ-Meldung ein:
- Zeit.de: Schily macht Schule - Im Kampf gegen den Terrorismus will Innenminister Wolfgang Schäuble die Bürger weiter ausforschen. Schluss damit!
- Welt.de: Oberster Datenschützer greift Schäuble an
- Tagesspiegel.de: Begeht die Regierung Wortbruch? - Bundesdatenschützer Schaar kritisierte den geplanten erleichterten Polizeizugriff auf Passfotos scharf. Die Bundesregierung habe bei der Einführung der digitalisierten Fotos "hoch und heilig versprochen, es gibt keine zentrale Referenzdatei"
- Heise.de: Polizei soll automatisch auf digitale Passfotos zugreifen können
Ein paar Reaktionen von Weblogs:
- Schnüffelblog: Bundesweit abfragbares Bevölkerungs-Biometrie-Datensystem?
- Schnüffelblog: Polizei soll Zugriff auf digitalisierte Passbilder erhalten
- Sex, Drugs & Compiler Construction: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht
- Surveillance Studies: Schäuble macht ernst... und sich langsam lächerlich
- Rabenhorst: Digitale Gesichter und Fingerabdrücke für das Überwachungsraster (Mit weiteren Infos und Links!)
- ZAF: Fingerabdrücke, Autobahn-Mörder und konkreter Tatverdacht (Nun stehen wir alle unter konkretem Tatverdacht!)
- Farliblog: Das Datenpuzzle bekommt ein weiteres Stück spendiert
Ich: "Hey, Weblog-Sklave!"
Weblog-Angestellter: "Ja, Cheffe?"
Ich: "Erwähne auch noch die persönliche Steuer-Identifikationsnummer, die jeder Bundesbürger ab Sommer bekommt und dass damit zum ersten Mal zentral die deutsche Bevölkerung in ihrer Gesamtheit erfasst ist. Man weiß ganz genau, wo jeder wohnt, was er verdient, bei wem er arbeitet, wieviel Geld er auf dem Konto hat. Das einzige, was noch unklar ist, ist, wer demnächst dann eventuell alles Zugriff auf diese brisanten Daten bekommt."
Weblog-Angestellter: "Ja, ja, Cheffe, kein Problem... Pssst, Weblog-Leser: Du hast ja Cheffe gehört... und außerdem hat das schon Farlion vom oben verlinkten Farliblog erwähnt, brauch ich also nicht zu wiederholen, oder? Gut, kann ich ja jetzt Feierabend machen."
Ich: "Weblog-Sklave?!... Ist der Kerl schon wieder nach Hause gegangen! Und dabei sollte er doch noch forschen, ob es die SPD wirklich gibt, oder ob sie nur ein Mythos ist. Ich hab da so einen schlimmen Verdacht, dass die inzwischen vom Spaghettimonster verschluckt wurde und die Union das versucht zu vertuschen, um keine Neuwahlen ausrufen zu müssen..."
Update: Auch noch lesenswert ist ein Interview mit dem Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar bei Süddeutsche.de: "Alle unsere Befürchtungen bewahrheiten sich".
Darin erläutert Schaar noch einmal die besondere Brisanz hinter den Schäuble-Plänen, die eben nur deutlich wird, wenn man auf die Details achtet:
Peter Schaar: Die elektronische Übermittlung für sich genommen ist auch nicht der Hauptkritikpunkt. Meine Kritik richtet sich in erster Linie dagegen, dass die Daten online abrufbar sein sollen – dann liegt die Kontrolle ausschließlich bei der Behörde, die die Daten haben möchte. Das hätte zur Konsequenz, dass viel mehr Daten – das zeigen alle Erfahrungen mit solchen Online-Verfahren – abgerufen würden. Und das wäre dann eine neue Qualität.
sueddeutsche.de: Die Abfrage würden dann also zum Regelfall?
Peter Schaar: Ja. Und der nächste logische Schritt wäre dann, dass man nicht mehr gezielt die Daten von bestimmten gefährlichen oder verdächtigen Personen abruft, sondern Abgleichsverfahren durchführt. Die Software wird ja schon entwickelt, mit der man bei der Auswertung von Videobändern oder bei der Videoüberwachung in Echtzeit, eine Identifizierung der Personen vornehmen kann. (Quelle)
Und die 20-Uhr-Ausgabe der Tagesschau hat nun tatsächlich, etliche Tage nach Bekanntwerden des Schäuble-Katalogs in mehr als zwei Sätzen über die Überwachungspläne informiert. Sogar als Eingangsmeldung. Natürlich allerdings ohne den entscheidenden Kritikpunkt zu erwähnen: Dass mit den durch die digitale Informationsverarbeitung ausgeweiteten Möglichkeiten für die Sicherheitsbehörden auch die Missbrauchsmöglichkeiten der digitalen Daten enorm angestiegen sind und ohne groß auf die Frage einzugehen, ob die neuen Befugnisse für die Sicherheitsbehörden überhaupt notwendig sind, ob also nicht die Datenvermeidung zu mehr Sicherheit führen würde, statt das Missbrauchsrisiko von immer mehr Daten in immer mehr Händen und die damit einhergehende Überwachungsatmosphäre zu erhöhen.
Irgendwie hat man bei den Fernsehleuten (anders als bei der Online-Redaktion) von der Tagesschau den Eindruck, dass sie das Thema nicht kapieren in seiner Brisanz oder nicht kapieren wollen oder nicht kapieren dürfen.
Technorati-Tags: Schäuble, Überwachung, Datenschutz, Passfotos, E-Pass, Fingerabdruckdatei, Schäuble-Katalog, Biometrie
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