Mittwoch, 11. April 2007

Leidet Schäuble an PTBS?

Nachdem ein gewisser Peter Mühlbauer von Telepolis.de zuerst ein lesenswertes Interview mit Dr. Markos Maragkos über die psychische Störung namens "Posttraumatische Belastungsstörung" (PTBS) geführt hat, versucht Mühlbauer in einem weiteren Artikel zu ergründen, ob unser Bundesinnenminister Schäuble eventuell an PTBS leiden könnte. Als Ausgangsverdacht für seine Vermutung zieht Mühlbauer das Attentat auf Schäuble im Jahr 1990 und Schäubles jüngste Gesetzesvorschläge zur inneren Sicherheit heran.

Mühlbauers Verdacht hört sich für den Laien zunächst bestechend an: Schäuble wird Opfer einer Tat, die tatsächlich bei vielen PTBS zur Folge hat und anschließend scheint Schäuble "hypervigilant" gegenüber Gefahren zu sein:

Schäuble verhält sich auffällig und dieses auffällige Verhalten passt auffallend gut in die Symptomatik der Posttraumatischen Belastungsstörung. Vor allem die Hypervigilanz, die übersteigerte Schreckhaftigkeit, das Wahrnehmen abstrakter Gefahren als konkret und die dementsprechend falsche Interpretation dessen, was geeignet, erforderlich und angemessen ist. (Quelle)


Diese Deutung geht jedoch fehl. Die bei der PTBS gemeinten Verhaltensänderungen betreffen konkrete, situationsbedingte, reale körperliche Reaktionen und Verhaltensweisen. Abstrakte kognitive Arbeit, somit auch Gesetzesvorschläge, sind kaum als Folge einer PTBS in irgendeiner Weise sinnvoll zuzuordnen und werden höchstwahrscheinlich nicht in derartiger Weise durch eine PTBS verursacht. Das Verhalten (sei es emotional, kognitiv oder körperlich), das duch eine PTBS verursacht wird, zeichnet sich gerade dadurch aus, dass es unmittelbar und unkontrollierbar für den Betroffenen auftaucht. Mit der "Hypervigilanz", die Mühlbauer anführt, ist beispielsweise eher eine körperlich-psychische Reaktion auf konkrete Reize hin gemeint als eine allgemeine, abstrakte Werte-Einstellung. Hypervigilanz meint also nicht etwa den Wunsch nach mehr Überwachung, sondern eine erhöhte Schreckhaftigkeit oder eine allgemein erhöhte körperlich-emotionale Angespanntheit - im Gegensatz zum Beispiel zu einer Mattheit oder Schläfrigkeit. Soweit ich weiß braucht das Erarbeiten einer Gesetzesvorlage jedoch einige Zeit und erfordert viele Gespräche und Abstimmungsarbeit mit Kollegen. Gesetzesvorlagen sind also das Ergebnis langer, harter, konzentrierter, abstrakter und vor allem kontrollierter kognitiver Tätigkeit. Die Symptome einer PTBS dagegen sind durch den Betroffenen nicht kontrollierbar, an konkreten Verhaltensweisen und konkreten Auslösern festzumachen und eher emotional-körperlicher Natur.

Es mag sein, dass Mühlbauer einfach nach (zu) kurzem Studium der Symptome einer PTBS einen dummen Schnellschuss in Form seines zweiten Artikels abgegeben hat ohne nachzudenken (es hat halt seinen Grund, warum die Diagnose psychischer Störungen normalerweise von Fachleuten durchgeführt wird). Es könnte aber auch sein, dass sein Artikel gewollt Schäuble ans Bein pinkeln wollte mit seiner "Diagnose" einer PTBS.

Wie in diesem Weblog hier sicherlich deutlich wird, halte ich von den Plänen Schäubles nicht nur nichts, sondern halte sie sogar für gefährlich für unseren freiheitlichen Rechtsstaat. Allerdings tut man niemandem einen Gefallen damit, Schäuble abseits einer politischen Auseinandersetzung mit seinen Plänen, auf einer sehr persönlichen Ebene angreifen zu wollen. Es schadet der politischen Diskussion, weil es von ihr ablenkt und Nebenkriegsschauplätze eröffnet, auf denen der Gegner nur gewinnen kann. Und außerdem diskriminiert Mühlbauer mit seinem Vorgehen psychisch Kranke. Ich zumindest sehe die Gefahr, dass die ungerechtfertigten Vermutungen in Richtung Schäuble allgemein psychisch kranke Menschen als "gefährlich" stigmatisieren könnten.

Update: Hier noch ein lesenswerter offener Brief von Christiane Link an den Telepolis-Chefredakteur Florian Rötzer. Christiane Link stellt dar, dass der Text von Mühlbauer auch Querschnittsgelähmte diskriminiert:

Da schafft es Ihr Redakteur nicht, die Politik Schäubles zu kritisieren ohne auf seine Behinderung abzuheben. Er konstruiert 17 Jahre nach dem Attentat eine psychische Erkrankung, für die er keine Belege hat. Er schließt sogar von einem der dümmsten Vorurteile über Querschnittgelähmte (hat keine Sexualität) auf Schäubles Geisteszustand. Er schreibt über die Lebensqualität Schäubles, wie einschneidend die Veränderung von einem Leben ohne und mit Behinderung ist etc. ohne wirkliche Kompetenz. Und der ganze Artikel wird noch getoppt mit einem Bild von einem Rollstuhl, wie ihn sich nicht behinderte Menschen vorstellen, der aber nichts mit den Rollstühlen zu tun hat, die in zivilisierten Ländern von aktiven behinderten Menschen wie Wolfgang Schäuble genutzt werden. [...] Egal was ein Mensch mit Behinderung macht, es wird immer auf seine Behinderung zurück geführt. (Quelle)


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