Dienstag, 12. Juni 2007

Polizei in Deutschland: Raum für Verbesserungen

Die Vorwürfe gegen die Polizei und ihr Vorgehen rund um die Demonstrationen zum G8-Gipfel in Heiligendamm werden immer zahlreicher. Um den Überblick nicht zu verlieren, hier - als Nachtrag zu meinem älteren Weblog-Eintrag "Treibt die Polizei ein falsches Spiel?" - eine kleine, übersichtliche Liste:

  • Die Polizei gibt gegenüber der Presse weit überhöhte Zahlen von Gewalttätern bei der Auftakt-Demonstration in Rostock am 2. Juni an.
  • Die Polizei verbreitet die Falschinformation, dass einzelne als Clowns verkleidete Demonstranten in Wasserspritzpistolen ätzende Chemikalien versprühen würden.
  • Beim Beginn der Sitzblockaden rund um Heiligendamm spricht die Polizei öfter von gewalttätigen Ausschreitungen. Unabhängige Beobachter vor Ort können davon jedoch nirgends etwas sehen.
  • Experten wundern sich über die extrem unprofessionelle Strategie der Polizei, gegen Störer der Rostocker Demo vorzugehen. Die Polizei habe quasi das Gegenteil von dem gemacht, was im Lehrbuch steht.
  • Zivilbeamte stehen im Verdacht, getarnt im Schwarzen Block tätig gewesen zu sein als Agent Provocateur.
  • Festgenommenen Demonstranten wird in großem Ausmaß der Zugang zu anwaltlichem Beistand untersagt.
  • Viele Demonstranten werden unter den fadenscheinigsten Gründen zunächst einfach erst einmal festgenommen. Beispielsweise wegen Tragen eines T-Shirs mit der Aufschrift "Free all prisoners". 95 Prozent der Ingewahrsamnahmen hätten sich im Nachhinein als rechtswidrig herausgestellt, so der Republikanische Anwaltsverein (RAV).
  • Die Polizei setzt sich eigenmächtig über Auflagen eines Richters hinweg, in einer Gefangenensammelstelle Örtlichkeiten für Anwälte bereit zu stellen.
  • Die in Gewahrsam Genommenen wurden zum größten Teil nicht wie vorgeschrieben innerhalb von ein, zwei Stunden einem Richter vorgeführt.
  • In engen Käfigen, die zudem unter ständiger Beobachtung stehen, werden festgenommene Demonstranten nicht nur wenige Stunden bis zur Vorführung vor einem Richter aufbewahrt, sondern teilweise bis zu 24 Stunden - ohne Zugang zu einem Anwalt, ohne ausreichende Schlafgelegenheiten und ohne ausreichend Essen.
  • Bei den Festnahmen kam es häufig auf Seiten der Polizei zu übertriebenem Einsatz von Gewalt.
Siehe zu diesen Punkten, neben meinem oben verlinkten älteren Weblog-Eintrag:
Berliner Zeitung: Anwälte: Polizei entmachtete bei G8-Gipfel Justiz
TAZ: Anwälte sehen Willkür der Polizei bei G 8
Süddeutsche.de: Kommentar: Der artgerechte Staat

Zum seltsamen (Nicht-)Vorgehen der Polizei in Sachsen-Anhalt gegen Rechtsextreme: Und sonst: Soweit ich beurteilen kann, handelt es sich bei all diesen Verfehlungen nicht um Patzer einzelner Polizisten, um Einzelfälle also, sondern um Schwächen "im System" - sei es Probleme bei der Polizei-Ausbildung, bei der Organisationsstruktur der Polizei, bei der Art der Mitarbeiterführung, bei der Kontrolle und Überwachung - also der Qualitätssicherung - der Arbeit der Polizei oder bei der Qualität und Angemessenheit der Einsatzpläne bis hin zu Problemen bei Einsatzmitteln und der finanziellen Unterstützung der Polizei sowie der demokratischen Kultur in weiten Teilen der Polizei. Um solche Vorfälle also in Zukunft zu verhindern, bedarf es wahrscheinlich ausführlicher Analysen und Interventionen von Experten, zum Beispiel von Soziologen, Pädagogen, Politologen und Psychologen, die sich mit den Problemen, denen sich eine Organisation wie die Polizei ausgesetzt sieht, auskennen. Die Polizei braucht die Unterstützung und die unabhängige Sichtweise externer Experten. Ranghohe Polizeibeamte, die von den Medien gerne als Experten zum Thema befragt werden, sind eventuell häufig selbst Teil des Problems.

Aber leider gelten unabhängige Experten unseren heutigen Politikern nicht mehr viel. Lieber wirft man mit populistischen Äußerungen (Forderung nach GSG9-Einsätzen gegen Demonstranten, Einsatz von Gummigeschossen, Forderung nach mehr Zivilcourage der Bürger als Ersatz für mangelhafte Polizeiarbeit und so weiter) um sich.

Nachtrag: Mark Seibert hat in seinem Weblog ein paar weitere Fälle von Nicht-Handeln der Polizei in Sachsen-Anhalt bei Vorfällen mit Rechtsradikalen aufgelistet.

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1 Kommentar(e):

Don Pepone hat gesagt…

Mag sein das man sich irrt, doch man hat den Eindruck, daß all diese Vorfälle sich in letzter Zeit verstärkt häufen...