Mittwoch, 12. September 2007

Betreibt Arcor Datenveränderung und Computersabotage?

Man kann das Zensur-Vorgehen von Arcor als Testballon auffassen. Hier wird getestet, was sich ein Internet-Zugangsprovider herausnehmen darf. Betreibt Arcor mit der eigenmächtigen Sperrung von IP-Adressen oder gar IP-Adressbereichen nicht eventuell sogar gesetzeswidrige Datenveränderung (§ 303a StGB), Computersabotage (§ 303b StGB) und rechtswidrige Unterdrückung von zur Übermittlung anvertrauten Sendungen (§ 206 StGB)? Arcor kennt schließlich nur seine (volljährigen) Kunden und kann nicht beeinflussen, wer sonst noch die durchs Arcor-Netz durchgeleiteten Inhalte konsumiert. Arcor hat ja auch keinen Einfluss darauf, ob die Inhalte von Webseiten, die eine anerkannte Methode der Altersverifikation einsetzen, tatsächlich nur von Erwachsenen angeschaut werden. Das heißt, dass es im vorliegenden Fall nicht Aufgabe von Arcor sein kann, Daten zu manipulieren oder zu blockieren.

Wenn Arcor mit seiner Zensur durchkommt, was erwartet uns dann noch alles? Die Bedeutung von Internetzugangsprovidern und von der Art und Weise wie sie arbeiten, wie zuverlässig und vertrauenswürdig sie mit den Daten und Datenströmen umgehen, kann gar nicht hoch und wichtig genug eingeschätzt werden. Aber die Politik-Chaoten, die derzeit in Deutschland an der Macht sind, sind bekanntlich eher daran interessiert, bestehende gesetzliche Vorgaben, die das Recht auf Informationelle Selbstbestimmung und die Meinungsfreiheit schützen sollen, aufzuweichen.

Was wäre noch alles möglich? Provider könnten andere Webseiten und IP-Adressen nach Gutdünken sperren. Sie könnten den Netzverkehr zu und von bestimmten Internetangeboten drosseln oder umleiten oder sonstwie verändern - zum Beispiel weil sie eigene geschäftliche Interessen haben. So kommt es Arcor vielleicht nicht ungelegen, kostenlose Pornografie-Angebote zu sperren. Vielleicht hofft man, dass die Kunden dann Arcor-eigene Erotik-Angebote konsumieren? Ähnliches wäre auch möglich bei Providern, die weitere Dienste neben dem reinen Internetzugang anbieten, beispielsweise Maildienste, Nachrichtendienste, Internet-Communities, Voice-over-IP-Dienste, Messenger-Dienste und so weiter. Dass die Internetzugangsanbieter längst jenseits ihres angestammten Geschäftsfeldes tätig sind, zeigen beispielsweise die Medienkooperationen der Telekom mit dem ZDF und der Bild-"Zeitung" oder die Kooperation von Vodafone mit MySpace (MySpace ist eine Tochter von Rupert Murdochs News Corporation). Vielleicht sind die Internetzugangsprovider teilweise heute das, was vor 100 Jahren die Eisenbahngesellschaften waren. Wer die (Daten-)Verkehrsnetze kontrolliert, hat letztendlich die Macht. Die Drosselung des Datendurchsatzes, die Filterung oder gar das Blockieren der Kommunikation von und zu Diensten von Konkurrenten im Internet könnte ein wirksames Mittel sein, um Kunden auf eigene Angebote zu lenken. Eplus blockiert beispielsweise bei seinen Datendiensten SIP. Das ist das Protokoll, über das Voice-over-IP, also das Telefonieren über das Internet, möglich ist. Aber immerhin wird dieses Blockieren durch Eplus offen und klar in den AGB kommuniziert.

Ist die Zensur von ein paar überflüssigen Pornowebseiten durch einen Internetzugangsanbieter also immer noch so irrelevant wie das auf den ersten Blick möglicherweise schien? Wie zuverlässig arbeiten also Internetprovider? Wie zuverlässig werden sie gezwungen, korrekt zu arbeiten? Wenn Provider erst einmal alle Verbindungsdaten ihrer Kunden speichern müssen, öffnet sich beispielsweise noch ein weiteres Missbrauchs-Scheunentor. In den USA besteht beispielsweise der dringende Verdacht, dass Provider ursprünglich (und vermutlich illegal) fürs FBI gesammelte Verbindungsdaten auch selbst ausgewertet haben, geldwerte Vorteile aus ihnen gezogen haben, die Daten gar weiterverkauft haben, wie Threat Level berichtet: Rogue FBI Letters Hint at Phone Companies' Own Data Mining Programs.

Eigentlich bräuchten wir noch bessere Gesetze, die den Informationsfluss im Internet sichern und schützen gegen Missbrauch. Wir bräuchten Gesetze, die die freie Rede auch im Internet garantieren, statt ein Abmahnwesen, mit dem jeder, der das finanzielle Risiko nicht scheut, weniger Begüterte schnell mundtot machen kann. Wir bräuchten Gesetze, die den Umgang mit den so leicht zu kopierenden, so leicht zu manipulierenden und so leicht und unsichtbar zu erhebenden und dadurch so leicht zu missbrauchenden elektronischen Daten bei Firmen und Behörden noch schärfer regeln als bislang.

Stattdessen wird von den Chaoten bei Union und SPD mehr und umfassenderes Datensammeln gefordert und gefördert und das Recht auf Informationelle Selbstbestimmung immer häufiger angegriffen. Kein Wunder, dass bei diesem undemokratischen Geist in Politik und manchen Medien auch die Wirtschaft mal guckt, ob sie mit auf diesen Entmündigungszug aufspringen kann. Wenn der Wähler sich bieten lässt, immer mehr überwacht zu werden, dann - so eventuell das Kalkül mancher Firmen - kann man davon ausgehen, dass der Kunde auch brav bleibt, wenn man selbst ihn ein wenig drangsaliert.

Nachtrag (13.09.07): (Via Heise-Forum) Ein seltsames Verhältnis zur Wahrheit scheint man bei dieser Firma namens Arcor ebenfalls gegenüber den Kunden zu pflegen (aufs Bild klicken für größere Version):

Screenshot von Arcor.de, FAQ zum Arcor-Internet

Text aus dem obigen Screenshot von der Arcor-FAQ zum Thema Arcor-Internet:

Frage: Gibt es irgendwelche Einschränkungen beim Surfen im Netz?
Antwort: Nein, alle freien, im Web verfügbaren Chatserver, Newsserver und sonstige Einrichtungen, die frei verfügbar sind, können Sie nutzen.
Sollte es einmal zu Einschränkungen kommen, bitten wir Sie, uns umgehend eine Info zukommen zu lassen, so dass wir weitere Schritte für den Betrieb dieser Einrichtungen einleiten können. (Quelle: Arcor.de)


Was für eine Firma!

Nachtrag 2 (20.09.07): Arcor hat mittlerweile seine Internet-Zensurversuche wieder aufgegeben, weil die Sperrung von IP-Adressen nicht nur einige wenige Porno-Webseiten für die Kunden von Arcor nicht mehr verfügbar machte, sondern auch wohl tausende, nicht jugendgefährdende Webseiten, die ebenfalls unter den gesperrten IP-Adressen gehostet waren. Bettina Winsemann analysiert das Vorgehen Arcors in einem Artikel bei Telepolis.de: Arcors Websperren.

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