Donnerstag, 13. September 2007

Tagesschau schweigt zu Bosbachs Konvertiten-Überwachungs-Träumen

Was steckt dahinter, dass gestern weder die 20-Uhr-Ausgabe der Tagesschau, noch die Tagesthemen, noch das Nachtmagazin der ARD über die jüngsten Ausfälle von Beckstein und Bosbach gegenüber Muslimen berichteten, obwohl das mit eines der Hauptthemen gestern in allen anderen Medien war? Und ja, es handelt sich dabei um Angriffe und Ausfälle, weil es Generalverdächtigungen sind.

Netzeitung.de berichtet über die Aussagen Bosbachs:

Nach der Verhaftung von Terrorverdächtigen, die zum Islam übergetreten waren, hat sich Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU) für ein "Konvertiten-Register" ausgesprochen. Eine solche Speicherung sei "sinnvoll, denn wir wissen, dass sich einige nach dem Übertritt radikalisieren lassen. Das ist kein Generalverdacht, sondern eine Gefahrenabwehr". [...] Er wisse, dass seine Meinung nicht überall auf Gegenliebe stoße, "aber ich bin nicht bereit, aus lauter politischer Korrektheit die Augen vor der Realität zu verschließen". Prävention werde immer wichtiger, da es immer weniger klare Täterprofile bei "Gefährdern" gebe. (Quelle: Netzeitung.de)


Und Beckstein sagte laut Süddeutsche.de:

Der kommende bayerische Ministerpräsident Beckstein [...], machte aber deutlich, dass "gerade unter Konvertiten die Gefahr der Radikalisierung und Hinwendung zum islamistischen Extremismus besonders groß" sei. (Quelle: Süddeutsche.de)


Bosbach und Beckstein haben sicherlich noch nie etwas vom statistischen Begriff der sogenannten "Grundgesamtheit" gehört. Dieser Begriff sagt grob erläutert aus, dass man bei der Beurteilung, wie wahrscheinlich jemand aus einer Gruppe Träger eines Merkmales ist (hier beispielsweise ein Konvertit mit dem Merkmal "potenzieller Terrorist"), die Größe der Gruppe (hier der Konvertiten) nicht ausblenden darf. Je größer die Gruppe der Konvertiten ist, desto unwahrscheinlicher ist es, dass bei gleichbleibender Anzahl von potenziellen Terroristen, ein Konvertit tatsächlich ein Terrorist ist oder wird. Da es viele Konvertiten gibt aber nur wenige sogenannte "Gefährder", also potenzielle Terroristen, ist es kaum sinnvoll vom Merkmal "Konvertit" auf das Merkmal "potenzieller Terrorist" zu schließen. Äußerungen, die den Generalverdacht gegenüber Konvertiten befördern, sind also politisch extrem ungeschickt, um es höflich zu formulieren, und sachlich nicht gerechtfertigt. Die Mehrheit der Konvertiten besteht beispielsweise aus Frauen, die, angeregt durch eine Liebebeziehung zu einem Moslem, die Religion wechseln, wie die NZZ berichtete:

Kein Zweifel indes besteht, dass hier nur von einer verschwindenden Minderheit die Rede ist. Ihr Übertritt zum Islam führt die Betreffenden in 99 Prozent der Fälle nicht in blutigen Fanatismus, sondern zu ganz zivilen Engagements: Sie gründen humanitäre Hilfsorganisationen für Glaubensbrüder in der deutschen Diaspora, geben islamische Zeitungen heraus, eröffnen islamische Buchläden und suchen in Koranschulen nach Vertiefung ihres Wissens und Glaubens. Vor allem stellen sie ihre Lebensführung um. Die Konversion wird genutzt zum Wechsel in der Biografie, zur Lösung von Existenzzweifeln, zur Flucht in ein verwandeltes Dasein. Häufigster Grund, zumal bei Frauen: die Verbindung mit einem neuen Lebenspartner muslimischen Glaubens. Die Konversion soll, ganz simpel, die Basis der Liebesbeziehung verbreitern. Rund sechzig Prozent der Islam-Konvertiten in Deutschland sind Frauen. Die Mehrheit also. (Quelle: NZZ.ch)


Online unter Tagesschau.de wird zwar auch ausführlich berichtet über die Äußerungen von Bosbach und Beckstein. Aber Tagesschau.de ist inhaltlich häufig etwas völlig anderes als die TV-Ausgabe, von Themensetzung und Qualität her.

Will man Beckstein und Bosbach schützen oder warum geht man in den Tagesschau-TV-Sendungen auf die Debatte mit keinem Wort ein? Ist man der Meinung, dass sich die Diskussion eh erledigt hat und die Äußerungen von Beckstein und Bosbach nicht für eine Denke stehen, die typisch für die Union zu sein scheint? Sollte man dem Zuschauer nicht durch schlichte Berichterstattung vor Augen führen, wen sie da wählen, wenn sie ihr Kreuz bei der Union machen? Oder denkt man, man würde die haltlosen Positionen von Bosbach und Beckstein allzusehr unterstützen, wenn man darüber berichtet? Nichts hindert jedoch daran, auch kurz die klaren Gegenpositionen zu ihren Vorschlägen zu schildern.

Es ist ein Zeichen mehr dafür, dass die öffentlich-rechtlichen Nachrichtensendungen das, was politisch geschieht, nicht annähernd ausführlich genug darstellen mit den jetzigen Sendeformaten. Wieder einmal wird die Tagesschau selbst ihrem schon sehr bescheidenen Motto (geäußert im zensurfreudigen Tagesschau-Blog), man wolle das berichten, worüber am nächsten Morgen überall im Büro gesprochen wird, nicht gerecht.

Nachtrag: Jetzt ist klar, was dahinter steckt, dass die Tagesschau nicht berichtet hat. Man hat wohl einen Wink von den Kollegen vom Bayerischen Rundfunk bekommen, dass das per Agenturmeldung verbreitete Zitat von Bosbach so gar nicht stimmt. So kann man sich natürlich im Nachrichtengeschäft auch einen Vorteil verschaffen. Den restlichen Medien würde ich daher raten, keinerlei Meldungen des Bayerischen Rundfunks mehr zu glauben.

Allerdings... so anders klingt die jetzt als Bosbachschen Äußerungen kolportierte Version auch nicht zu dem zuvor berichteten Text. Die Frankfurter Rundschau berichtet:

In der Sendung hatte Bosbach die Forderung des bayerischen Innenministers Günther Beckstein (CSU) verteidigt, in die Anti-Terror-Dateien einzutragen, ob es sich bei Verdächtigen um Konvertiten handele. "Da würden wir gerne wissen, wer das ist, denn wenn sie sich als Gefährder erweisen sollten, dann muss der Staat auch die Möglichkeit haben, dieser Gefährdung zu begegnen", sagte Bosbach im inzwischen auch schriftlich veröffentlichten Wortlaut. (Quelle: FR-Online.de)


Also man möchte eben doch wissen, wer Konvertit ist, bevor jemand zum Gefährder wird und nicht umgekehrt. Also soll eben doch das Merkmal "Konvertit" zum Teilindiz dafür werden, dass jemand Gefährder werden könnte. Die Union spielt ja gerne mit dem Begriff "Verdächtiger" und präsentiert ihn so, als ob nur Leute zu "Verdächtigen" werden könnten, die auch mit großer Wahrscheinlichkeit was auf dem Kerbholz haben. Und wenn sich der Verdacht verdichtet, wird anscheinend aus einem "Verdächtigen" dann ein "Gefährder", der zwar auch noch nichts verbrochen hat, aber den man dann noch einmal eine Stufe mehr und intensiver beobachten kann. Da kann man nur jedem raten, niemals einen Verdacht auf sich zu ziehen. Also lasst das Konvertieren lieber sein, denn "da würden wir gerne wissen, wer das ist..."

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