Mittwoch, 26. September 2007

Daten aus der Dunkelheit

Kennen Sie dieses Foto?

Erde bei Nacht, Satellitenbild-Collage, Ausschnitt

Es ist ein Ausschnitt aus dem bekannten Foto "Erde bei Nacht". Das Foto ist eine Collage aus vielen, vielen Satellitenbildern. So fehlen auf dem Foto beispielsweise die Wolken. Genauso wie auf der Tag-Version dieses Fotos. Das Foto ist also kein "Schnappschuss" der Erde in einer bestimmten Nacht. Es zeigt die Erde also nicht wirklich so, wie sie bei Nacht aus dem Weltraum betrachtet aussehen würde. Schon alleine, weil ja niemals gleichzeitig auf der ganzen Erde Nacht ist. Außerdem fehlen auf dieser Fotocollage viele kleine Lichtansammlungen, große Lichtansammlungen sind dagegen umso deutlicher sichtbar. Das hängt damit zusammen, dass die Fotos für diese Bildcollage über einen längeren Zeitraum geschossen wurden und anschließend sozusagen "übereinander gelegt" wurden. Die "Erde bei Nacht" zeigt somit einen künstlichen Mittelwert der Lichtansammlungen auf der Erde.

Nun verliert das Bild dadurch nicht etwa an Aussagekraft. Im Gegenteil. Weil kleinere und schwächere Lichtansammlungen eher untergehen bei dieser Fotomontage wird deutlicher, wo auf unserem Planeten wirklich "die Musik spielt". Das "Hintergrundrauschen" von zufälligen Lichtern wird so abgeschwächt. Die wirklichen Zentren von Wirtschaft und Wohlstand, die Gegenden also, wo zuverlässig nachts das Licht brennt, werden umso deutlicher sichtbar.

Bekannt ist der krasse Helligkeits-Unterschied zwischen Süd- und Nordkorea:

Die Erde bei Nacht: Nordkorea

Der Pfeil zeigt dorthin, wo Nordkorea liegt. Rechts sieht man das hell erleuchtete Japan.

Was in detaillierteren Versionen dieser Nachtaufnahmen auch gut sichtbar wird, sind natürlich beleuchtete Verkehrsadern, die jede Nacht zuverlässig mit der gleichen Stärke leuchten und sich so gut absetzen von einem Hintergrundrauschen an zufälligen Lichtern.

Die Lichter der Nacht sagen also viel aus darüber, wo das wirtschaftliche Leben auf diesem Planeten blüht oder wie Regionen durch Verkehrsadern miteinander verbunden sind. Die Lichter der Nacht stellen also, gerade weil sie eine Abstraktion der Realität sind, gewisse Teilaspekte der Realität besonders deutlich und leicht sichtbar dar. Nordkorea kann in seiner Propaganda noch so laut behaupten, dass der Wohlstand im Land blühe, der nächtliche Blick aus dem All entlarvt dies als Lüge.

Das nächtliche Bild Europas offenbart auf einen Blick die Dichte der Besiedlung. So ist ein großer Teil der Niederlande fast vollständig grell erleuchtet. Ebenso erkennt man den dichtbesiedelten Streifen rings um den Nil:

Die Erde bei Nacht: Europa

Überall, wo Licht leuchtet, sind Menschen nachts unterwegs und zwar Menschen, die das Geld dafür haben, die Nacht hell auszuleuchten. Je mehr Licht, desto intensivere wirtschaftliche Tätigkeiten und desto größeren Wohlstand und desto mehr Menschen gibt es in dem Gebiet, könnte man verkürzt sagen.

Selbst längerfristige, geschichtliche Entwicklungen von Landstrichen werden durch das Lichtermeer und seine Strukturen deutlich. So offenbart der Blick auf das nächtliche Nordamerika, wie die Besiedelungsdichte von Osten nach Westen abnimmt. Man könnte fast denken, dass die Besiedelung des Westens immer noch nicht abgeschlossen ist:

Die Erde bei Nacht: Nordamerika

Die Lichter stehen also für menschliche Aktivitäten. Es sind somit eigentlich aggregierte Nutzerdaten, die auf einen Blick komplexe Zusammenhänge sichtbar machen und etwas über die Erzeuger und Nutzer der Lichter verraten. Etwas so Harmloses und Alltägliches wie eine Straßenlaterne kann also so zu einem Puzzleteil eines größeren, sehr aussagekräftigen Gesamtbildes werden.

Genau wie die Verbindungsdaten unserer Telefonate, E-mails und Internetverbindungen, die demnächst unter dem Begriff der Vorratsdatenspeicherung gesetzlich gespeichert und in großem Umfang verschiedenen Behörden zugänglich werden.

Genau wie die Forscher der NASA, die dieses künstliche, zusammengesetzte Bild der "Erde bei Nacht" erstellt haben, so können heutige Statistikprogramme nach der automatischen Verarbeitung und Auswertung von Unmengen an Telekommunikationsverbindungsdaten in grafisch ähnlich anschaulicher Art und Weise wie solch ein Nachtbild der Erde darstellen, wie das Kommunikationsnetz einzelner Menschen, einzelner Menschengruppen, einzelner Firmen oder gar ganzer politischer Parteien oder Gruppierungen aussieht. Je nachdem, was interessiert, kann man heranzoomen an diese Kommunikationsnetze oder herauszoomen. Die Stärke von Verbindungslinien kann dann beispielsweise die Häufigkeit oder Dauer von Telekommunikation zwischen einzelnen Menschen oder ganzen Firmen darstellen - pro Woche, pro Monat oder über den gesamten Zeitraum der Datenerhebung. Das Pendant zu einem Lichtermeer einer Großstadt wäre dann beispielsweise ein grafisch dargestellter, dichter Knotenpunkt ein- und ausgehender Telekommunikationsverbindungen - beispielsweise einer Redaktion eines überregionalen Zeitungsverlages und die Verkehrsadern wären die einzelnen ausgehenden oder eingehenden Telefongespräche dieser Zeitungsredaktion.

Dass es den Behörden tatsächlich technisch möglich sein wird, solche umfassenden Darstellungen von Kommunikationsnetzwerken anhand der Daten aus der Vorratsdatenspeicherung anzufertigen, das wird gerade auf EU-Ebene in nicht öffentlich tagenden Arbeitsgruppen ausgearbeitet. Dass solche Kommunikationsnetzwerke ohne Probleme erstellt werden können, das steckt dahinter, wenn in den sogenannten ETSI-Spezifikationen (ETSI = European Telecom Standards Institute) innerhalb dieser EU-Arbeitsgruppen gerade festgelegt wird, dass bei der Abfrage von Verbindungsdaten durch Behörden auch "Wildcards" verwendet werden können. Denn die technische Implementierung der Möglichkeit, auch per "Wildcards" die Telekommunikationsverbindungsdaten durchzustöbern, macht es möglich, dass man schnell und effizient ganze Kommunikationsverhaltens-Muster und Kommunikationsnetzwerke aus dem Datenbestand herausfischen kann. Gesetzlich erlaubt ist eigentlich nur die einzelne Abfrage von Daten einzelner Personen. Man könnte diese beschränkte, dafür aber in vielen EU-Ländern einzig legale, "tröpfchenweise" Abfrage von Verbindungsdaten natürlich auch als einzige Möglichkeit technisch implementieren. Das macht man aber nicht. Stattdessen implementiert man gesamteuropäisch die "Wasserfall"-Abfrage-Methode. Warum? Warum öffnet man so dem Missbrauch Tür und Tor?

Kleine technische Dinge mit großer Auswirkung. Was technisch einmal implementiert ist, ist wegen der Natur der digitalen Informationstechnologie im Nachhinein kaum mehr hinsichtlich seiner korrekten Nutzung zu kontrollieren. Da helfen auch gesetzliche Verbote wenig, wenn effektive technische Kontrollen und Schranken fehlen, um verbotene Datensammlung und Datenauswertung zu behindern. Die Arbeitsruppe, die gerade diese ETSI-Regeln festlegt für die Datenabfrage der Telekommunikationsverbindungsdaten, die schießt gerade sozusagen den Satelliten ins All, mit dem man anschließend ein Foto erstellen kann von der gesamten "Kommunikations-Erde" (wobei die Erde hier natürlich "nur" Europa wäre). Ist dieser "Satellit" erst einmal "im All", bliebe nur das Vertrauen in unsere Behörden und in ihre Mitarbeiter, dass sie damit kein "Foto bei Nacht" schießen, obwohl sie es technisch könnten und obwohl kaum jemand kontrollieren könnte, dass sie es nicht tun. Besser wäre es also, wenn man den Satelliten am Boden lässt und direkt in der technischen Implementierung der Datenabfrage verhindert, dass Kommunikationsdaten in großen Mengen und per Wildcard-Suche von Behörden abgegrast werden können.

Sonst besteht die Gefahr, dass ein neugieriger Beamte mal guckt, nach welchen Themen beispielsweise derzeit ein Herr Leyendecker, Journalist bei der Süddeutschen Zeitung, gerade recherchiert. Wie das gehen könnte? Beispielsweise so: Indem der Beamte überprüft, mit wem Herr Leyendecker beruflich und privat in den letzten sechs Monaten kommuniziert hat. Zeigen sich Kommunikations-Häufigkeiten zu bestimmten Firmen? Gar zu einem bestimmten Anschluss in einer Firma oder zu einer bestimmten Behördenstelle? Gibt es Erkenntnisse, dass bei dieser Behörde oder Firma eventuell etwas im Argen liegt über das Herr Leyendecker recherchieren könnte? Mit wem kommunizierte Herr Leyendecker dort genau? Traf Herr Leyendecker sich mit dieser Person gar persönlich? Das ließe sich anhand der Bewegungsprofile der Handys von Leyendecker und der vermuteten Kontaktperson zurückverfolgen. Und wenn die beiden ihr Handy beim Treffen ausgeschaltet hatten, so wird gerade dieses "Loch" an Kommunikations- und Bewegungsprofildaten der beiden Handys zur Bestätigung dafür, dass die beiden sich tatsächlich getroffen haben... Und so weiter und so fort. Die Grenzen der Möglichkeiten, sich das Wissen aus den Verbindungsdaten nutzbar zu machen, liegen eher in der Fantasie der Schnüffler als in den technischen Möglichkeiten. ETSI-Spezifikation sei Dank. Und welche Möglichkeiten es gäbe für Behörden oder Firmen (schließlich könnten die Verbindungsdaten auch jenseits von Behörden illegal in die Hände von Firmen gelangen - digitale Daten sind eben, so es erst einmal einen Zugang zu ihnen gibt, leicht und unbemerkt zu kopieren) im Anschluss an solch eine Kommunikationsauswertung Einfluss zu nehmen auf unliebsame Personen, das überlasse ich auch gerne jedermanns Fantasie.

Aber das alles ist ja Technikkrams. Und kompliziert. Irgendwie esoterisch, nicht wahr? Und deswegen aus Sicht unserer Medien jenseits des "Maschinenraums" von Heise.de und Futurezone.ORF anscheinend nicht interessant genug.

Das Beste wäre natürlich, man würde diesen ganzen Vorratsdatenspeicherungskram gänzlich lassen. Schon alleine die Tatsache, dass man Daten aller Bürger nur auf Verdacht hin erhebt, ist ein Verstoß gegen rechtsstaatliche Prinzipien wie beispielsweise die Unschuldsvermutung. Nicht der Bürger ist derjenige, der präventiv zu verdächtigen ist, sondern der Staat und seine Behörden. Der Staat und die Behörden sind es, die beständiger Kontrolle bedürfen durch souveräne Bürger.

Copyright-Hinweis: Das Foto, auf dem obige Ausschnitte und Bearbeitungen beruhen, ist "Public Domain". Urheber des Bildes ist die NASA.

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4 Kommentar(e):

Don Pepone hat gesagt…

Sie wissen, verehrter Herr Solon, ich lese seit geraumer zeit bei ihnen.
Aber dies ist einer der besten nd anschaulichsten Artikel die ich je zum Thema "Überwachung" gelesen habe. Grosses Kompliment - erlaube mir diesen Text als besonders lesenswert zu deklarieren.

Solon hat gesagt…

Danke, danke. :-)

Aber trotzdem bleibt bei der Analogie, die ich aufzeigen wollte, vieles von dem unerwähnt, was den Leuten die die Verbindungsdaten in den Händen halten, noch alles möglich wäre. Vor allem, wenn die Daten dann noch mit weiteren Daten verknüpft werden. Es gibt also noch viel Raum, um die Auswirkungen und Gefahren der Vorratsdatenspeicherung anders anschaulich zu beschreiben...

kranich05 hat gesagt…

Ein ganz feiner Beitrag, den ich sehr gern weiterempfehle.
http://opablog.twoday.net/stories/4315408/
Großer Dank!

Solon hat gesagt…

@Kranich: Danke - vor allem auch für den Hinweis auf dein Blog! Und deswegen noch einmal meine Ermutigung an meine Leser, ruhig in den Kommentaren hier auf ihre Blogs hinzuweisen, wenn ihr Blog oder ein Artikel dort was mit einem Thema zu tun hat, das in einem Weblog-Eintrag hier angesprochen wurde - und sei es als eine Art "manueller Trackback".