Montag, 24. September 2007

ETSI-Pflichtenheft: Geheimdienste verleiben sich gerade Vorratsdatenspeicherung ein

Angenommen die ARD hätte einen Experten für Kommunikationstechnik und Internet, beispielsweise einen ausgebildeten Nachrichtentechniker mit journalistischer Zusatzausbildung. Und angenommen dieser Experte würde schon lange für die ARD arbeiten und wäre immer nur aufgefallen durch zurückhaltende und gut fundierte Analysen und Hintergrundberichte. Und weiter angenommen, dieser Experte würde nun plötzlich ganz offen in einem Artikel bei Tagesschau.de nachweisen, dass auf EU-Ebene gerade die Umwandlung der Europäischen Union in einen Geheimdienststaat vorbereitet wird und der Tagesschau dazu geheime Dokumente vorliegen würden. Wohlgemerkt: Geheimdienststaat, nicht mehr nur Polizeistaat. Ein Staat, von dem die Stasi nur träumte. Auf EU-Ebene. Umwandlung der EU in einen Geheimdienststaat. Angekommen?

Wie sähe da die Reaktion aus so in der Medienwelt?

Ignorieren? Einen Artikel bei Tagesschau.de oder gar einen TV-Bericht in der Tagesschau? Der davor warnt, dass da auf EU-Ebene gerade mächtig was schief läuft? Solch einen Bericht zu ignorieren würde vielleicht schwer fallen.

Aber ein Glück ist es ja kein Bericht von der ARD, sondern nur vom Österreichischen Rundfunk (ORF). Das ist so, als ob in Kuba ein nicht vorhandener Sack Reis umfallen würde. Österreich halt. ORF halt. Spinneranstalt. Weiß man doch. Alles Idioten da. Muss man nicht ernst nehmen. Haben keine Ahnung von nichts die Jungs da. Können ja noch nicht einmal richtig Deutsch sprechen.

Ach ja, falls sich doch jemand dafür interessieren sollte, was die da vom ORF so schreiben, hier der Link zu dem Artikel, der davon berichtet, wie die amerikanischen und europäischen Geheimdienste gerade in das technische Pflichtenheft zur Vorratsdatenspeicherung hineinschreiben, was den Geheimdiensten alles technisch ermöglicht werden wird mit den Kommunikationsdaten von allen EU-Bürgern: Der Weg zum Geheimdienststaat.

Wie? Sie wollen direkt auch ein paar Auszüge aus dem Artikel lesen? Sie Schlingel. Na gut:

Was Datenschützer befürchten und Politiker bestreiten, ist in zwei internen Dokumenten des European Telecom Standards Institute [ETSI] bereits festgeschrieben. Es handelt sich um technische Normen für flächendeckendes Data-Mining in Telefonie-Verkehrsdaten, die im Zuge der "Vorratsdatenspeicherung" gesammelt werden. [...] Von den technischen Möglichkeiten und Methoden zur Überwachung sämtlicher Telekommunikation, wie sie im ETSI gerade normiert werden, konnten die Schergen der DDR-Staatssicherheit nur träumen. [...] Der Inhalt beider Dokumente aber hat mit rechtsstaatlichem Denken europäischer Prägung etwa so viel gemein, wie die DDR-Staatssicherheit mit Freiheit und Demokratie am Hut hatte. [...] Es handelt sich dabei um die technische Standardisierung von Data-Mining in den Verkehrsdaten aller Telefonieteilnehmer. Das bedeutet: In naher Zukunft können normierte Vollsuchen samt dem Einsatz von "Wildcards" über den gesamten Datenbestand von Telekommunikationsverkehrsdaten gefahren werden. Nicht nur in Österreich, sondern in praktisch allen EU-Staaten ist eine derartige Vorgangsweise illegal [...]. (Quelle: Futurezone.ORF)


So. Und nun bitte das ganze schnell wieder ignorieren. Es ist nichts passiert. Bitte gehen sie weiter. Ist ja nur Technikkrams. Völlig belanglos. Die Geheimdienste wissen schon, was sie tun. Kontrolle ist gut, Vertrauen in die Geheimdienste noch viel besser. Die Demokratie mit ihren Freiheitsrechten wird eh überschätzt. Glück, Frieden, Wohlstand und ein angenehmes Leben sind nur in Staaten möglich, in denen der Geheimdienst alles weiß. Wer daran zweifelt, ist vermutlich ein Gefährder.

Und nochmal: RUHE jetzt! Ich will über dieses eh viel zu komplizierte Thema ETSI-Standard jetzt nichts mehr hören!

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3 Kommentar(e):

Anonym hat gesagt…

*schluck* - so langsam hört der Spaß auf. Unabhängig davon, was das Bundesverfassungsgericht zu den Plänen unserer wackeren Volksvertreter sagt, werden hier schon ganz andere Strukturen zementiert. Mal sehen, wie lange eine Berichterstattung wie die des ORF noch legal sein wird, werden hier doch ach so lichtscheue Belange von EU und USA behandelt.

Wenn die Entwicklung so voranschreitet wie in den letzten Jahren, werden wir uns in Kürze vor der nächsten Generation zu verantworten haben, warum wir nicht beizeiten eingeschritten sind.

Wortbestätigung des Tages: wianx
(in der österreichischen Hauptstadt vertriebene Linux-Distribution)

Solon hat gesagt…

Es geschieht auf EU-Ebene. Also schon mal gaaaaanz weit weg jenseits des Blickwinkels deutscher Medien. Es geschieht in irgendwelchen kryptischen Ausschüssen. Noch einmal eine Stufe weiter entfernt von dem, was deutsche Medien wahrnehmen. Und dann betrifft es das Thema Datenschutz. Trotz des Streits um Schäuble immer noch kein wirkliches Thema bei den deutschen Medien. Und dann auch noch Technikfragen. Und das, wo unsere deutschen Medien doch gerade so beginnen, das Internet zu verstehen.

Hoffnungslos.

Freies Spiel für die Geheimdienste. Die lachen sich ins Fäustchen. Und unsere Politiker haben bekanntlich noch weniger Ahnung von der Materie als die Medien. Aber sind ja alles Profis da bei den Behörden, wie Schäuble mal bei einer Pressekonferenz meinte.

Ich bin wirklich gespannt, ob irgendjemand jenseits des "Maschinenraums" von Heise & Co. sich des Themas in den Medien intensiver annehmen wird. In dem Fall wäre ich ehrlich schockiert.

Meine Wortbestätigung: jssmaen = genuscheltes "Jesses Maria".

King Balance hat gesagt…

Die Hofberichterstatter werden sich wundern was sie dann noch schreiben dürfen wenn die Internet Nixwisser (Politiker) das alles durch gewunken haben was die Lobby sponsert.