Samstag, 2. Dezember 2006

Das absolute Gegenteil von StudiVZ ist...

... 2ch.net.

Dieses japanische Social-Network-System ist tatsächlich das genaue Gegenteil der Datenschleuder namens StudiVZ. Warum? Weil es dort zur guten Sitte gehört, anonym aufzutreten, keine Daten über sich preiszugeben, während man bei StudiVZ wohl von Campus Captains angehalten wird, möglichst seine vollständigen Daten in sein Online-Profil zu schreiben.

Bei 2ch.net entspricht es jedoch der Höflichkeit, nur den Standard-Nicknamen "Toshiaki" zu verwenden, um sich an der Diskussion zu beteiligen. Mehr über 2ch.net erfährt man zum Beispiel in diesem Artikel bei Google Blogoscoped: 2ch.net, an Anonymous Social Network. Und hier ein Wikipedia-Eintrag über Futaba Channel, wie 2ch.net auch genannt wird.

Wie jetzt? Ein Social-Network-System, das komplett anonym ist? Wo liegt denn da der Sinn?

Hiroyuki Nishimura, der Gründer von 2ch.net äußert sich dazu in einem Interview wie folgt:

If there is a user ID attached to a user, a discussion tends to become a criticizing game. On the other hand, under the anonymous system, even though your opinion/information is criticized, you don't know with whom to be upset. Also with a user ID, those who participate in the site for a long time tend to have authority, and it becomes difficult for a user to disagree with them. Under a perfectly anonymous system, you can say, "it's boring," if it is actually boring. All information is treated equally; only an accurate argument will work. (Quelle)

2ch.net dient also vor allem dem inhaltlichen Austausch und Diskutieren. StudiVZ hat da natürlich eine etwas andere Ausrichtung. Wenn ich den Reiz von StudiVZ richtig verstehe, geht es da wohl doch letztendlich darum, irgendwann Kontakt mit Leuten aus "meiner Gruppe" auch im realen Leben zu finden, nicht nur online. Ansonsten würden die realen Adressinformationen ja keinen Sinn ergeben.

In Japan spielt im Offline-Alltagsleben normalerweise die jeweilige gesellschaftliche Stellung des Gegenüber eine große Rolle. Man redet sogar anders, verwendet andere Wörter und Satzkonstruktionen, je nachdem, welche gesellschaftliche Stellung die andere Person hat. Deswegen ist es zum Beispiel sehr beliebt vor einem Gespräch zunächst Visitenkarten auszutauschen, um so in Erfahrung zu bringen, welche gesellschaftliche Stellung der andere innehat. Wüsste man dies nicht, wüsste ein höflicher Japaner auch nicht, wie er mit dem Gegenüber richtig sprechen sollte, um ihn nicht zu kränken. Deswegen tragen selbst Hausfrauen stets Visitenkarten bei sich.

Die Anonymität des Internets wirkt hier in Japan anscheinend wie eine kleine Befreiung. Gibt es keinen Zwang, seinen gesellschaftlichen Status dem anderen mitzuteilen, reden Japaner paradoxerweise gerne mit jedem, egal welchen Status der andere hat. Das anonyme Internet-Forum ermöglicht so Diskussionen, bei denen tatsächlich nur das zählt, was jemand inhaltlich sagt. Der Ruf und die gesellschaftliche Stellung des anderen spielen dann keine Rolle mehr (siehe obiges Zitat von Hiroyuki Nishimura), man läuft nicht Gefahr den anderen zu verletzen oder selbst sein Gesicht zu verlieren. Hiroyuki Nishimura merkt im oben erwähnten Interview an, dass Amerikaner wohl nicht so gerne und unvoreingenommen mit Menschen reden, über die sie gar nichts wissen. Dies trifft wohl auch auf Europäer zu.

Japaner verteilen also lieber Visitenkarten auf der Straße. Deutsche verteilen ihre Visitenkarten lieber im Internet in Form von Adresseinträgen bei StudiVZ. Ich muss gestehen, dass mir das japanische Vorgehen in ihrer Situation sinnvoller erscheint als das deutsche Vorgehen. Wäre die Kontaktanbahnung in StudiVZ nicht zum Beispiel auch möglich, ohne dass man gleich die vollständige Adresse samt Handy-Telefonnummer etc. online stellt? Aber ich bin ja bereit zu lernen, wer mir also diesbezüglich helfen mag, ist herzlich eingeladen, sich dazu in den Kommentaren zu äußern. ;-)

Tja, in Japan läuft alles häufig genau anders herum als in Europa und ergibt dennoch einen Sinn. Das schrieb schon der Engländer William Adams (Wikipedia-Eintrag) im 16. Jahrhundert so auf, als es ihn nach Japan verschlug und es gilt heute häufig noch genauso.

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