Dienstag, 5. Dezember 2006

Meinungsfreiheit ist kein deutsches Thema

Marcel Bartels vom Weblog "Mein Parteibuch" macht erneut darauf aufmerksam, dass sich in Deutschland in einem Punkt eine ähnlich einschüchternde Vorgehensweise gegen Blogger abzeichnet wie beispielsweise in China: China will anonymes Bloggen verbieten lautet sein Weblog-Eintrag. Der Satz muss ergänzt werden mit: ... und Deutschland auch.

Deutschland will also wie China anonymes Bloggen verbieten.

Da dies jedoch so unglaublich ist, glaubt es niemand. Ähnlich wie in der Geschichte, die Janosch einmal nachzeichnete, wo ein Frosch alle anderen Frösche auf der Wiese einlädt, zuzugucken, wie er auf einen Grashalm steigt, abspringt und dann anfängt zu fliegen. Alle Frösche kamen, schauten zu, wie der Frosch den Grashalm hochstieg, absprang und dann tatsächlich anfing zu fliegen. Wie reagierten die Frösche? Sie rieben sich ungläubig die Augen, schüttelten den Kopf und gingen wortlos auseinander. Alle hatten es gesehen, aber niemand glaubte es.

Man könnte an dieser Stelle also sagen: Es hat eh keinen Zweck. Den Deutschen ist die Bewahrung der Meinungsfreiheit nur in Übersee wichtig. Im eigenen Land bedürfe es keines besonderen Schutzes der Meinungsfreiheit, denn hier ist ja eh alles super in Ordnung. Jeder darf fast alles sagen. Er darf halt nur niemanden beleidigen oder unwahre Behauptungen aufstellen. Alles prima. Und wer im Internet mit Beleidigungen oder unwahren Behauptungen um sich schmeißt, den kann man auch rankriegen, selbst wenn er unter Pseudonym auftritt. Alles kein Problem also.

Die Bundesregierung sah jedoch Handlungsbedarf. Meinungsfreiheit in Weblogs würde ihrer Meinung nach zu stark missbraucht. Damit müsse Schluss sein.

So soll nun auch wie in China in Deutschland Pflicht werden, dass Blogger bei dem, was sie ins Internet schreiben, bald gesetzlich vorgeschrieben immer ihre vollständigen Adressdaten samt Telefonnummer angeben müssen. Mehr zu diesem neuen Telemediengesetz zum Beispiel bei Telepolis.de: Journalistisch anmutende Nachrichtenblogs. Es könnte ja sein, dass die Blogger großen Mist schreiben. Und wenn man seine Adressdaten kennt, dann kann man sich leichter bei ihnen beschweren.

Moment, es gibt doch einen Unterschied zwischen Deutschland und China in dem Punkt: In China müssen Blogger nur eine Identifikationsnummer in ihrem Weblog veröffentlichen, nicht also die Adressdaten selbst. Die Adressdaten zur Identifikationsnummer kennt dank der Identifikationsnummer so nur die Regierung. Der chinesische Blogger wird so auch in Zukunft zumindest vor Stalkern, Verrückten, wildgewordenen Abmahnanwälten und Spammern geschützt. Vorbildlich so etwas. In Deutschland jedoch will die Bundesregierung Bloggern diesen Schutz nicht zugestehen.

Die chinesische Regierung hat Böses vor mit den Adressdaten, keine Frage. Und ein Verstoß gegen das Registrierungsgebot wird sicherlich härter bestraft als das Weglassen eines Impressums in Deutschland. Dementsprechend auch der internationale, protestierende Aufschrei gegen das Verbot von anonymisierten Äußerungen im Internet: Call to Bloggers (Amnesty International), Bericht von Spiegel.de über den AI-Aufruf: Gegen die Zensur des Internet. Spiegel.de lässt jedoch die eine Hälfte des Protestaufrufs von Amnesty International weg: Dass AI auch gegen die zunehmende Erfassung privater Daten durch Regierungen protestiert. Man ist auf diesem Auge halt in Bezug auf dieses Thema mehr oder weniger immer noch medial blind in Deutschland. Dafür wird in diesem Artikel zumindest am Rande erwähnt, dass Blogger sich in China nun mit ihren Adressdaten registrieren lassen müssen: Amnesty will Blogger befreien. Bericht der BBC: China may make bloggers give ID und ein allgemeiner Aufruf der Electronic Frontier Foundation, dass es das Recht von Bloggern sei, anonym zu schreiben: Fighing for Bloggers Rights (EFF.org).

Aber in Deutschland? Ist es hier völlig unvorstellbar, dass irgendjemand etwas Böses vorhaben könnte mit den Adressdaten der Blogger? Die deutsche Regierung (derzeit) nicht, okay. Aber wie sieht es aus mit dem Jugendschutz? Gelten Weblogs von Jugendlichen und Kindern automatisch als rein privat und müssen somit keine vollständigen Adressdaten veröffentlichen? Wie sieht es also aus mit Stalkern, Verrückten, wildgewordenen Abmahnanwälten, Spammern, Profil- und Identitätssammlern und so weiter? Sind sie keine Gefahr? (Mehr dazu auch in einem älteren Weblog-Eintrag: Online ohne Airbag). Und wenn doch: Verdient der deutsche Blogger keinen Schutz vor diesen Gefahren? Warum muss der deutsche Blogger das Recht auf Meinungsfreiheit nun mit dem Akzeptieren dieser Gefahren erkaufen? Viele Blogger werden diese Gefahren nicht erdulden wollen und aufhören zu bloggen. Genauso wie in China viele Blogger aufhören werden zu bloggen, weil sie die Gefahren, die von ihren Adressdaten in der Hand der Regierung ausgehen, nicht tragen möchten.

Wem nutzen die neuen Verbote anonymer Internetveröffentlichungen? In China der Regierung. In Deutschland den Medien samt ihrer Meinungs- Deutungs- und Themenhoheit im öffentlichen Diskurs. Oder haben Sie über die möglichen Gefahren der allgemeinen Impressumpflicht außer im oben verlinkten Telepolis-Artikel schon irgendwas bei Zeit, Süddeutsche, Spiegel, FAZ, Frankfurter Rundschau, Welt und so weiter gelesen oder gar im Fernsehen dazu etwas gehört? Weitere Begünstigte dieser Impressumpflicht sind natürlich zum Beispiel Firmen, die so schneller gegen unangenehme Kritiker mittels hanebüchener Abmahnungen einschüchternd vorgehen können. Und natürlich wie erwähnt mögliche Stalker und Verrückte.

Um diese Gefahren für die Meinungsfreiheit zu erkennen, die von einer allgemeinen Impressumspflicht für Weblogs ausgeht, braucht es aber eine aufgeklärte Öffentlichkeit, die das Recht auf Meinungsfreiheit als schützenswert ansieht. Solch eine breite Öffentlichkeit gibt es in Deutschland nicht. Den Medien mit ihrem elitären Gehabe sei "Dank". Die allgemeine Meinungsfreiheit gilt hier weiterhin eher als überflüssig, vielleicht sogar als nervig. Deutlich wird dies z.B. in den oft zu lesenden Kommentaren in Foren oder auch im Offline-Alltag, wenn wieder einmal der Satz "Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal die Fresse halten" fällt. Dahinter und hinter der Meinung, dass jemand, der etwas zu sagen hat und ernst genommen werden will, sich mit seinen Adressdaten identifizieren soll, steht nichts weiter als die seit Jahrhunderten besonders in Deutschland verankerte Hörigkeit gegenüber Autorität und Obrigkeit. Nicht das, was jemand inhaltlich sagt, zählt, sondern die Person, die etwas sagt. Blogger werden somit in Deutschland weiterhin eine kleine Minderheit bleiben, nun auch dank der neuen, allgemeinen Impressumspflicht. Solch eine Minderheit wird auch in Zukunft leichter als Spinner und Wichtigtuer denunziert und abgetan werden können. So zum Beispiel wie dies gerade im harmlosen StudiVZ-Fall wieder passiert ist, bei dem die Kritiker mit ihren Weblogs kurzerhand als Neider abgetan werden können (FixMBR.de: Studenten über das Leben und die Blogger). Als spinnerte Randgruppe also. Diese "Argumentationsweise" muss noch verfangen, sonst würde sie nicht so häufig anzutreffen sein.

Es ist klar, dass die Beschneidung der Meinungsfreiheit in Form der allgemeinen Impressumspflicht allen schadet, nicht nur den Bloggern. Aber ich bin mir sicher, dass dies zu spät wahrgenommen wird in Deutschland. Die allgemeine Meinungsfreiheit ist eben kein deutsches Thema.

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1 Kommentar(e):

Anonym hat gesagt…

Das kann man wohl laut sagen: Meinungsfreiheit ist kein Thema in Deutschland.
Mob und Polizei sind halt Kontrollfreaks und wollen "völlig selbstverständlich" Zugriff auf jeden Meinungsträger haben.