Dienstag, 5. Dezember 2006

Wochenrückblick: Höllische Helfer

Der zweite, etwas verspätete Wochenrückblick lehrt, dass die Realität teilweise genauso funktioniert wie diverse Thriller und Krimis. Der Krimi-Fan mit leicht zynischem Weltblick konnte also in der letzten Woche seine Lieblingslektüre beiseite legen und durfte sich stattdessen folgende Schlagzeilen reinziehen:

  • Das Meinungsforschungsinstitut Forsa warnt vor der zunehmenden Gewalt unter Jugendlichen in Deutschland. Doch Krimi-Fan aufgepasst! Zu früh gefreut..., denn d-frag.de enthüllt, dass Forsa nicht nur Meinungen erforscht, sondern Meinungen vor allen Dingen auch macht. So zitiert d-frag.de frech aus dem Periodischen Sicherheitsbericht des Innen- und Justizministeriums: "Weder für die Gewalt an Schulen noch für die Gewalt junger Menschen im öffentlichen Raum sind Zuwächse zu erkennen." Leider steht nicht Forsa dumm da, sondern die Leser deutscher Medien, die alle den Quatsch von Forsa nachdrucken. Der grandiose Artikel bei d-frag.de: Detailteufelchen.
  • Sicherlich wollte Forsa mit seiner Meinungsformung nur Gutes tun. Genauso wie die Anti-Terror-Experten der USA, die aus all den schönen Daten der Flugpassagiere Terror-Scoring-Werte zusammenwürfeln. Merke: Kriminalität ist heute bis auf die dritte Stelle nach dem Komma per Scoring-Wert vorhersagbar. Da ich aber eh lieber am Fenster statt am Gang sitze (höherer Terror-Scoring-Wert!) habe ich persönlich rein gar nichts zu befürchten und zu verbergen: Terror scores 'overdue for oversight' (CNN.com).
  • Wegen all dieser Maßnahmen im Vorfeld und zur Verhinderung von Anschlägen, scheinen Teile der deutschen Polizei aus Mangel an Beschäftigung gegen die eigenen Leute vorzugehen. Man will ja in der Übung bleiben: Mobbing-Affäre: Die bösen Späße einer Münchner Polizei-Sondereinheit (Süddeutsche.de). Nicht konforme Polizisten werden per Pfefferspray von den Kollegen gemaßregelt. Folter unter Kollegen? Aber nicht doch! Alles nur Spaß! Die humorresistenten Opfer wurden dann auch von den kompetenten Vorgesetzten aus den lustigen Polizeieinheiten versetzt. Welcher Vorgesetzte möchte sich schon mit Kollegen anlegen, die mal munter zu Schlagstock und Pfefferspray greifen?
  • Wie wohl die Polizei in England mit solch lustigen Kollegen umgegangen wäre? Vermutlich wäre es da gar nicht zu solchen Späßen gekommen. Arbeitet man doch in Großbritannien an Plänen, das Verhalten von Menschen so genau zu protokollieren und auszuwerten, dass Gewalttaten noch vor ihrem Auftreten durch Festnahme der Verdächtigen verhindert werden sollen. Zumindest eine etwas durchgedrehte Psychologin, Leiterin des Programms, die die Möglichkeiten ihrer Zunft leicht überschätzt, meint so etwas realisieren zu können: Scotland Yard will künftige Mörder durch Persönlichkeitsprofile identifizieren (Heise.de).
  • Aber selbst wenn dann nach Überweisung der nächsten Fördermittel den Verantwortlichen in Großbritannien klar wird, dass die Idee mit den Persönlichkeitsprofilen nur unzuverlässig funktioniert, ist noch nichts verloren, um Verbrechen aus dem Bereich von Dunkelheit und Ungewissheit zu holen. Das FBI hat eine Methode entwickelt, um Handys zu wandernden Wanzen umzufunktionieren. Heimliches Softwareupdate per Funk zugespielt aufs Handy reicht und das Mikrofon des Handys wird zur Mithörschnittstelle für die Polizei. Nur das Herausnehmen des Handy-Akkus könnte das Mithören verhindern: Wanderwanzen fürs Handy (Rabenhorst)
  • Genug Kompetenz im Abhören bringt die deutsche Polizei aber auch ohne solche Wundertechnik aus den USA mit. Das zeigt ein gerade veröffentlichter Bericht von Marianne Birthler, der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen: Birthler outet Stasi-Beschäftigte bei der Polizei (Netzeitung.de). Bei Polizei und Bundespolizei in Ostdeutschland arbeiten fast 2000 frühere Stasi-Mitarbeiter. Wanderwanzen? Bei dem erfahrenen Personal völlig überflüssiger technischer Schnickschnack.
  • Zu dem Personal passt auch unser oberster Verfassungsschützer, der Präsident des Bundesverfassungsschutzes Heinz Fromm. Er offenbarte letzte Woche, dass er auch Informationen verwenden würde, die eventuell per Folter erpresst worden seien. Man würde den Informationen ja nicht ansehen, ob sie durch Folter erlangt worden seien: Fromm würde Folter-Geständnisse nutzen (Tagesschau.de). Mir wäre es lieber, wenn Herr Fromm gesagt hätte, dass der Verfassungsschutz lieber die Finger von Dokumenten lassen würde, bei denen man annehmen muss, dass sie durch Folter zustande kamen. Die Richtung seiner Aussage gefällt mir gar nicht. Wie schnell kann ein Staat wie Syrien liebend gerne Informationen anbieten, sie Deutschland schmackhaft machen, die Informationen extra für Deutschland per Folter beschaffen! Denn bei den Geheimdiensten gilt das Gebot des "Eine Hand wäscht die andere". Informationen werden gegen Informationen getauscht. Nimmt man also Informationen aus den Händen von potenziellen Folterern im Tausch gegen eigene Informationen, fördert man das Foltern. Wegen dieser Grauzonen hätte ich also lieber einen Verfassungsschutzpräsidenten, der beteuert, alles zu unternehmen, nirgends Folter zu unterstützen, statt einen, der sich nach allen Seiten abzusichern versucht und es schulterzuckend im Zweifelsfall hinnimmt, wenn seine Behörde Foltern für Informationszuträger attraktiv macht.
  • Die dicksten Probleme mit dem Personal hat jedoch zur Zeit eine Organisation, deren Einsatz für den Weltfrieden ansonsten hoch gelobt wird: Die UNO. Für manche entpuppen sich deren Mitarbeiter zur Zeit als wahrlich höllische Helfer: Sexueller Missbrauch Minderjähriger durch UN-Helfer in Flüchtlingslagern (Welt.de).
Was kann man aus diesem betrüblichen Wochenrückblick lernen? Vielleicht, dass Behörden nicht immer nur "gut" handeln, sondern auch Fehler machen? Schwerwiegende Fehler? Blauäugigkeit ist uncool. Der Krimi-Fan wusste das schon immer.

0 Kommentar(e):