Gute politische Diskussionssendungen - ein Ding der Unmöglichkeit?
Wegen meines jüngsten Ärgers über die WDR-Sendung "Hart aber fair", möchte ich Gedanken, die ich schon einmal in einem alten, nun nicht mehr existenten Weblog geäußert hatte, wiederholen:
Vorschläge, wie eine gute, politische TV-Sendung aussehen könnte:
- Kein Studiopublikum. Ein Studiopublikum verleitet die eingeladenen Gäste zu populistischen Äußerungen. Der Applaus des Studiopublikums drängt die Diskutanten dazu, so zu reden, dass sie möglichst viel Applaus bekommen. Komplexe Argumentationen, langwierige Erläuterungen oder schlicht nachdenkliche Sätze animieren jedoch ein Publikum nicht zu begeistertem Applaus. Applaus erntet derjenige, der kurz und knackig formuliert. Das Ergebnis ist, dass die eingeladenen Gäste nur altbekannte Positionen mit eingeübten Phrasen absondern. Die Gäste werden sich nur ungern auf Themen einlassen, zu denen sie keine sicheren Positionen haben und zu denen ihnen eingeübte Phrasen fehlen. Eine sachliche, ernsthafte Diskussion käme so nur schwer zustande. Die Sendung würde somit schnell langweilig werden.
- Das Thema der Sendung sollte ganz klar umrissen sein und nicht ausufern. Weniger ist hier mehr. Wie man so etwas anpackt, führt sehr erfolgreich beispielsweise jede Woche sonntags die Sendung "Late Edition" auf CNN vor. Geht es um den Irak-Krieg, so wird dieses riesige Problemfeld auf kleine Themen heruntergebrochen. Beispielsweise wird in einer zweistündigen Sendung die Frage behandelt, ob eine Truppenerhöhung sinnvoll wäre, um den Irak zu befrieden, oder die Aufteilung des Iraks eine Lösung wäre, oder die Einbeziehung der Nachbarn des Iraks zum Erfolg führen würde. Weitere, mögliche Lösungen werden bewusst außen vor gelassen und es wird erst recht nicht versucht, das gesamte Problemfeld "Irak" zu beackern.
- Der Moderator ist in der Sendung der Alleinherrscher und setzt seine Macht auch rigoros um, um das Gespräch der Diskutanten zu lenken. Hierzu ist eine professionelle Ausbildung in Gesprächsführung nötig oder man trichtert den eingeladenen Diskutanten genau ein, wie das Gespräch abzulaufen hat, welche Regeln einzuhalten sind. Man kann zum Beispiel festlegen, dass der Moderator eine Frage stellt und diese in aller Ruhe und reihum von jedem Gast beantwortet wird und während der Antwort ihm außer dem Moderator niemand ins Wort fallen darf. Verstöße werden sofort vom Moderator unterbunden.
- Zu einer guten Moderation gehört auch, dass der Moderator verständliche, kurze und prägnante Fragen stellt. Und immer nur eine Frage auf einmal. Bei Diskussionen im deutschen Fernsehen erlebt man jedoch häufig, dass der Moderator drei Fragen auf einmal stellt, die alle extrem wischi-waschi sind und zudem gleichzeitig an alle eingeladenen Gäste gerichtet sind. Die verheerende Folge: Es antwortet dann der Gast, der sich am sichersten fühlt oder am lautesten ist und dieser sucht sich von den drei Fragen diejenige aus, die ihm am angenehmsten ist und antwortet dann nur auf diese. Die anderen Fragen fallen dann meist unter den Tisch. Und weil die Frage nicht klar und präzise gestellt war, wird die Frage erst durch die Antwort inhaltlich eingegrenzt. Dies setzt dann wiederum die Agenda fest für die anderen Mitdiskutanten. Das heißt, der erste, der antwortet, legt für seine Kontrahenten fest, auf welche Frage diese zu antworten haben. Der Moderator legt somit durch ein "In-den-Raum-Stellen" von mehreren unpräzisen Fragen die Art und den Inhalt der Diskussion in die Hände desjenigen, der zuerst antwortet, also desjenigen, der seine Kontrahenten stimmlich übertönt oder am schnellsten zu einer Antwort bereit ist. Der Lauteste und Unverfrorenste hat jedoch bekanntlich nicht automatisch Recht oder die besten Argumente auf seiner Seite. Häufig ist genau das Gegenteil der Fall. Eine schwache Moderation spielt somit demjenigen mit den schwächsten Argumenten in die Hände.
- Die Fragen des Moderators sollten alle einer thematischen, roten Linie folgen und sollten verschiedene Teilfragen eines Problems der Reihe nach beleuchten. Dies muss vor der Sendung ganz genau ausgearbeitet sein. Der Moderator muss ganz genau wissen, welche Fragen behandelt werden sollen und er muss die Positionen der Diskussionsteilnehmer kennen oder erahnen und vertiefende Fragen vorbereiten, um unterschiedliche Ansichten zu einem Thema zwischen den Diskutanten genau herauszustellen. Das Ziel muss es sein, die unterschiedlichen Sichtweisen der Diskutanten dem Zuschauer genau vor Augen zu führen. Dazu muss der Moderator sich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt haben. Er muss im Zweifelsfall mehr wissen als alle eingeladenen Diskutanten oder Interviewpartner zusammen.
- Die Diskutanten sollten alleine, ich betone: alleine, nach ihrer Kompetenz hinsichtlich des Themas ausgewählt werden. Zur Kompetenz gehört zweierlei: Wissen und Macht. Der eingeladene Politiker sollte ausreichend Wissen zum Thema mitbringen und zudem entscheidend mitwirken zum Beispiel bei das Thema betreffenden Gesetzesinitiativen. Das bedeutet beispielsweise, dass sowohl Politiker tabu sind, die zwar einen hohen Posten haben, aber nur entfernt mit dem Thema zu tun haben, als auch Politiker, die zwar Ahnung vom Thema haben, aber derzeit kaum politische Macht haben. Zu letzteren kann auch gehören, wer innerhalb seiner Partei kaum Einfluss hat.
- Das Vermitteln von Hintergrundwissen durch Einspielfilme für die Zuschauer ist hilfreich aber nicht unbedingt zwingend. Normalerweise sollte eine Sendung ein Thema aufgreifen, das bereits in den Medien behandelt wird. Da es in der deutschen Medienlandschaft jedoch häufig vorkommt, dass wichtige Themen medial gar nicht behandelt werden, könnte die Vorbereitung der Diskussion durch informative Filme am Anfang der Diskussionssendung häufig nötig sein.
- Das Konfrontieren der Diskutanten mit Einspielfilmen, die die inhaltlichen Aussagen des Gastes konterkarieren sollen, um ihn zum Beispiel zu zwingen, zu früheren Äußerungen Stellung zu beziehen, kann als letztes Mittel in der Hinterhand des Moderators sinnvoll sein. Aber wirklich nur als letztes Mittel. Wird das Einspielen von Filmen zur Konfrontation der Gäste zu oft eingesetzt, ist dies unfair den Gästen gegenüber. Eine "Anklage", die einem Diskutanten mittels Einspielfilm vor die Nase gesetzt wird, hat nämlich alle medialen Mittel und "Tricks" (Schnitt, Auswahl von Interviewauszügen, Einbinden von Grafiken, Einbeziehen von bei der Diskussion nicht anwesenden Dritten und so weiter) zur Verfügung, während die anwesenden Gäste nur ihr Wort haben, um einen Sachverhalt darzulegen. Behandelt man die Gäste unfair, leidet die Qualität der Diskussion, denn die Gäste werden sich dann einer offenen Diskussion zunehmend verweigern. Eine Diskussionssendung sollte nicht zum Ziel haben, einzelne Diskussionsteilnehmer "anzuklagen", sondern die Positionen der Teilnehmer genau herauszuarbeiten. Nur wenn ein Teilnehmer sich in Widersprüche verwickelt oder versucht seine eigentliche Position zu verheimlichen oder sonstige Täuschungen ansetzt, sollte der Moderator im Interesse einer transparenten Diskussion dieses Vorgehen versuchen aufzudecken. Es reicht hierbei, wenn der Moderator dies in einer kurzen Erläuterung tut. So kurz wie möglich. Eine Diskussionssendung ist keine Inquisition, bei der in einem Wettstreit am Ende der vermeintlich ehrlichste oder rechtgläubigste Teilnehmer gewinnt. Solch ein Sieg wäre eh eine Täuschung. Das Urteil über die geäußerten Argumente fällt jeder Zuschauer eh für sich selbst. Eine Diskussionssendung sollte somit allein die Informationsvermittlung zum Ziel haben und nicht die Zurschaustellung von persönlichen Siegen oder Niederlagen der Diskussionsteilnehmer.
- 99% der Arbeit für eine politische Diskussions-Sendung steckt in der Vorbereitung für die Sendung. Wer solch eine Sendung wöchentlich produzieren will, braucht ein enorm großes Team und einen Moderator, der sich nur um den Inhalt kümmern muss und nicht um die Organisation der Sendung selbst.
- Ziel der Sendung kann nicht sein, dass der Moderator am Ende der Diskussion ein Fazit zieht oder versucht, die unterschiedlichen Ansichten der Diskussionsteilnehmer zusammenzufassen. Hierbei kann nur eine verkürzte und somit verfälschende Sicht auf das Problem zustande kommen, die ja gerade durch die Diskussionssendung vermieden werden sollte. Erst recht verbietet sich für den Moderator gar eine Synthese aus den Positionen der Diskutanten zu zimmern. Eine Abmoderation darf sich darauf beschränken, einfach "tschüss" zu sagen. Alles andere ist eine Verhöhnung der streitenden Diskutanten und des Zuschauers.
- Eine politische Diskussions-Sendung braucht ein stabiles Sende-Umfeld. Sprich: Der Sender muss Geduld und Ausdauer haben mit der Sendung und sie in erster Linie als Auftrag verstehen, vielleicht als sein Beitrag für die Gesellschaft, als Dankeschön für ein demokratisches, politisches System und nicht als eigenen Marktplatz. Das Renomee und die allgemeine Zuschauerzufriedenheit mit dem Sender würde steigen, selbst wenn die Einschaltquoten für solch eine anspruchsvolle Sendung unter derjenigen einer Krawall-Talk-Show liegen. Das gestiegene Renomee und die breitere Zuschauerakzeptanz gegenüber dem Sender als ganzem könnte sich am Ende sogar finanziell für den Sender auszahlen.
Aber vermutlich ist dazu die Unternehmenskultur bei den privaten Sendern in Deutschland längst zu verseucht. Warum die öffentlich-rechtlichen Sender keine akzeptablen Politik-Diskussionssendungen hinbekommen, kann ich mir bislang nur mit mangelnder Kompetenz erklären. Aber dem kann ja abgeholfen werden (siehe oben).
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