Montag, 4. Juni 2007

Gewalteskalation auf Demos bei G8-Gipfel ist politisch gewollt

Deutschlandradio Kultur bringt ein äußerst interessantes Interview mit dem Polizeipsychologen Georg Sieber zu der Eskalation der Gewalt bei den Demonstrationen in Rostock rund um den kommenden G8-Gipfel: Eine "einsatztechnische Dummheit":

Es ist eigentlich in Rostock alles lehrbuchgerecht so gemacht worden, wie es nicht sein soll. Und die Beamten lernen das natürlich auch auf der Polizeiakademie, dass man es so nicht macht. Also deswegen war dieser Einsatz von vornherein eigentlich daneben, sagt man einfach. [...] Jetzt zum Beispiel sieht man ja auch, die Dienstherren der Polizei bekommen auf allen Sendern die Gelegenheit, ihre Polizeibeamten jetzt kräftig zu loben für diesen Einsatz und sogar ihnen zu danken dafür. Das wirkt natürlich für jemanden, der sich auskennt, wirkt das natürlich richtig komisch, dass ich erst einen unsinnigen Einsatz zulasse und dann nachher die Beamten dafür belobige. (Quelle)


Für mich wird deutlich: Die Eskalation der Gewalt ist politisch gewollt - von Seiten der Politik gewollt. Die Sicherheitspolitiker dieses Landes sind keine Sicherheitspolitiker, sondern Unsicherheitspolitiker. Ihr Kapital ist die Angst der Bevölkerung. Damit setzen sie immer mehr Bürgerrechte außer Kraft - entweder durch Herantasten und Ausnutzen aller gesetzlichen (Ausnahme-)Möglichkeiten wie beispielsweise die Anwendung des "Terror-Paragraphen" 129a, also dem leichtsinnigen Vorwurf gegen zivilgesellschaftliche Gruppen, dass sie sich der Bildung einer terroristischen Vereinigung verdächtig gemacht hätten, oder durch Angriffe auf das Demonstrationsrecht. Oder durch die Planung der Abschaffung weiterer Freiheitsrechte mit Vorratsdatenspeicherung und Online-Durchsuchung.

Schäuble spricht so schön vom "Verbessern des Grundgesetzes" in diesem Punkt und dass Verfassungsänderungen nicht verwerflich seien. Das Grundgesetz ist jedoch vor allem dazu da, den Bürger vor Übergriffen des Staates zu schützen. Das sieht Schäuble nicht so, oder will es so nicht sehen.

Ich bezweifle jedoch, dass Schäuble den Sinn des Grundgesetzes nicht kennt. Er ist ausgebildeter Jurist. Er weiß genau, dass das Grundgesetz dazu da ist, beispielsweise eine Wiederkehr einer nationalsozialistischen Diktatur zu verhindern und dass es deshalb in großen Teilen genau daraus besteht, den Bürger vor einem übermächtigen Staat zu schützen.

Schäuble propagiert seine Verfassungsänderungen als Auweitung des Schutzes vor Terrorismus und Kriminalität. Aber er belegt diese Behauptung nicht mit ausführlichen Darstellungen, Zahlen und Fakten. Stattdessen hört man von etlichen Experten, dass die Online-Durchsuchung oder auch die Vorratsdatenspeicherung kaum beim Jagen von Kriminellen oder Terroristen helfen würden. Aber die Meinung von Experten interessiert seit neuestem niemanden mehr in der Politik. Schäuble bringt keine Argumente und keine Schilderungen, wie eine Online-Durchsuchung genau aussehen soll und wie sie helfen soll, ohne dass Terroristen nicht - wie so häufig bei technischen Mitteln möglich - einfach Tricks und Umwege auf sich nehmen, um einer Überwachung zu entgehen. Mit keinem einzigen Wort spricht Schäuble zudem das Missbrauchspotenzial derartiger Überwachungstechnik an. Und die jüngsten Urteile des Bundesverfassungsgericht gegen Rasterfahndung, einen zu umfassenden Lauschangriff und so weiter, auf diese Rechtssprechung des Bundesverfassungsgericht geht Schäuble auch nicht ein.

Schäubles Ziel, das Ziel der Unionskampagne für "mehr Sicherheit", ist die SPD. Die dummen deutschen Bürger braucht er nicht zu überzeugen. Wer im Wahlkampf auftreten kann und ernsthaft weiträumige Videoüberwachung gegen Falschparker und Rempler propagiert und damit durchkommt, ja sogar beklatscht wird, der kommt bei einem großen Teil der Bevölkerung mit noch schlimmeren Vorschlägen an. Dank der furchtbaren Qualität der deutschen Medien hat der größte Teil der deutschen Bevölkerung eben keine Ahnung von möglichen Nebenwirkungen einer immer umfassenderen staatlichen Überwachung. Prävention ist, will sie wirklich erfolgreich sein, immer Überwachung. Der Präventionsstaat ist der Überwachungsstaat. Wer von einer umfassenden Prävention von Verbrechen als anzustrebendem Ziel des politischen Handelns redet, der will einen Überwachungsstaat.

Große Teile der Bevölkerung würden auch die sofortige Wiedereinführung der Todesstrafe befürworten sowie sicherlich Elemente einer Lynchjustiz. Es ist das Bauchgefühl, die als "ehrlich" gefühlte Empörung über Kriminalität und Verbrechen (Kinderpornographie!!1!), die den einfachen Bürger schnell und mit "gutem Gewissen" die Abschaffung seiner bürgerlichen Freiheitsrechte unterzeichnen lassen würde, hielte man ihm einen solchen "Kaufvertrag für mehr Sicherheit" an der Haustür unter die Nase.

Seine aufgeklärten Kritiker wird und will Schäuble auch nicht überzeugen. Deshalb auch das Fehlen überhaupt irgendeines Versuches, handfeste Argumente zu liefern. Schäuble will schlicht die SPD unter Druck setzen über den Umweg eines gesteigerten Rufes aus dem Volk nach mehr "Sicherheit". Und da hilft der Aufbau einer Gefahrenkulisse immer.

Die Polizei weiß genau, wie sie Demonstrationen eskalieren lassen kann. Dieses Wissen scheint in Rostock ganz bewusst zur Anwendung gekommen zu sein. Dahinter mag bei den größtenteils jungen, unerfahrenen Polizisten vor Ort Unwissenheit stecken. Bei den ihnen übergeordneten Vorgesetzten jedoch kann man nicht von Unwissenheit sprechen, sondern schlicht von Absicht.

Es wird ein schmutziges Spiel gespielt in diesem Land beim Thema "Sicherheit". Und Schäuble steht als Strippenzieher dabei ganz oben. Immer wieder werde ich bei den Auftritten von Schäuble und den anderen Leuten seiner "Drückerkolonne" (Ziercke, Freiberg, Bosbach, Beckstein, Schönbohm, Schünemann und so weiter) an den Schlemihl aus der Sesamstraße erinnert. Ausbaden müssen dieses Spiel zuerst die verletzten Polizisten und dann alle Bürger.

Und die SPD? Die SPD wird umkippen bei der Online-Durchsuchung. Die SPD wird auch die verschärften Vorschläge des Bundesrates zur Vorratsdatenspeicherung mittragen (wenn nicht alle, dann halt zumindest "kompromissbereit" ein paar davon). Genauso wie die SPD beim Mindestlohn umkippen wird.

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1 Kommentar(e):

Don Pepone hat gesagt…

Ich bin genau der gleichen Meinung und kann ihnen nur beipflichten.