Dienstag, 24. Juli 2007

Das politische Deutschland aus Sicht der Wissenschaft

Hanno Zulla interviewt in seinem Weblog den Psychologen Thomas Kliche, der vor kurzem, befragt nach seiner Einschätzung zu Schäubles ständigen, neuen Vorschlägen zur Inneren Sicherheit, in einem Interview in der Süddeutschen Zeitung für Aufsehen sorgte. Thomas Kliche beschäftigt sich wissenschaftlich mit Politischer Psychologie.

Das Interview ist absolut lesenswert. Kliche erklärt, was Politische Psychologie (PP) ist und macht deutlich, dass die wissenschaftliche Forschung sehr vieles davon erklären kann, was momentan politisch und gesellschaftlich in Deutschland passiert. Warum zum Beispiel Politiker kaum auf Experten hören, warum viele Bürger sich nach mehr Überwachung sehnen, warum politische Maßnahmen weiterverfolgt werden, auch wenn deren Nutzen offensichtlich nicht gegeben ist. Hier einige Auszüge als Appetitanreger:

Politische Psychologie ist ein Zweig der wissenschaftlichen Psychologie. Sie befasst sich mit sehr grundlegenden Fragen und ist daher leider ziemlich umfassend. Es geht nämlich um die Zusammenhänge zwischen Macht und Herrschaft einerseits, Erleben und Verhalten andererseits.

PP erforscht also alle die Gefühle, Vorstellungen, Überzeugungen und Verhaltensmuster, die zu politischen Abläufen und der Unterwerfung darunter beitragen. Wichtige Beiträge liefert PP z.B. zur Erklärung von Fremdenfeindlichkeit, Vorurteilen, Gewalt, internationalen und interkulturellen Konflikten, von Mitläufertum und Zivilcourage, von Wahlverhalten und Apathie, aber auch von langfristigen Folgen politischer Traumatisierung. [...]

[...] es [gibt] erhebliche Fraktionen, die von Straflust und Kontrollgenuss motiviert sind. Die machen zusammen vielleicht kaum mehr als 30-40% der Bevölkerung aus. Es handelt sich um Personen mit einer hohen Ausprägung konventioneller Werte von Pflicht und Akzeptanz, von Dominanzorientierung, von Autoritärer Persönlichkeit, und um Sympathisanten des Rechtextremismus. Denn repressive soziale Kontrolle ist für Rechtsextreme immer mehr zu einem unauffälligen, gewissermaßen stubenreinen Thema geworden, mit dem sie aus ihrem Wählerstall ausbrechen können.

Zweitens leben wir in einer "Dominanzgesellschaft", wie das Sozialpsychologen nennen. Kontrolle und Erfolg sind bei uns zentrale gesellschaftliche Werte, sie sind eine Grundlage für zugeschriebene Leistung, also Aufstieg und Karriere. "Kontrolle" ist hier aber psychologisch zu verstehen, nicht im Sinne von Überwachung. Kontrolle bedeutet, alles im Griff zu haben und daher in einer berechenbaren Welt zu leben und machtvoll und wichtig zu sein.

Eine solche Dominanzgesellschaft vermittelt allen täglich, dass man Sieger sein soll. Nicht umsonst sind "looser" oder "Opfer" unter Jugendlichen zu Schimpfworten geworden. [...]

Die Polizei wird [...] durch flächendeckende Kameraüberwachung mit privatisierten Hilfsdiensten von den ernsthaften Delikten abgezogen. Trotzdem jubeln viele Menschen über mehr Überwachung. Die soziale Desintegration, der Abbau sozialer und wirtschaftlicher Sicherheit, der Zerfall verläßlicher Lebensplanung, erreicht seit Jahren immer mehr Menschen. Diese makrosozialen Stressoren erzeugen diffuse Verunsicherung und unklare Wünsche nach zuverlässiger Alltagsgestaltung. Das Versprechen, Straftäter zu erwischen, verheißt wirkungsvolle Generalprävention und nimmt damit ein bisschen die Angst. [...]

Drüber reden ergibt Gewöhnungseffekte, weil vertraute Reize ganz allgemein als angenehmer erlebt werden. Das gibt Politikern die Möglichkeit, der Bevölkerung langsam bestimmte Deutungsmuster nahezulegen, damit alles ruhig bleibt, wenn sie die Deutungsmuster für politische Entscheidungen benutzen. (Quelle)


Nur noch einmal zur Klarstellung: Dies sind keine Aussagen, die Thomas Kliche sich einfach so nach eigenem Gutdünken ausgedacht hat, sondern es sind Aussagen, die auf konkreten Forschungsergebnissen aus der wissenschaftlichen Disziplin der Psychologie beruhen.

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2 Kommentar(e):

Anonym hat gesagt…

hallo solon,
auch da habe ich zwei interessante buchtipps für dich!
(keine angst ... das dürften die letzten beiden sein ;o) )
"Den" Klassiker schlechthin:Psychologie der Massen
und zum Thema Polizei etc
Auf legalem Weg in einen Polizeistaat

letzteres ist eine auch für den normalbürger verständlich geschriebene juristische dissertation.

VG, Daniel

Solon hat gesagt…

Nochmals Danke für die Literatur-Tipps! Immer her damit! :-)