Dienstag, 24. Juli 2007

Das Internet als Bedrohung für die Parteiendemokratie

Screenshot: Debatte der US-Präsidentschaftskandidaten auf CNN mit Einbindung der Zuschauer via YouTube-VideosIch habe gerade eine interessante Sendung auf CNN verfolgt: CNN übertrug live eine weitere Debatte mit den zahlreichen Präsidentschaftskandidaten der Demokraten. Neu war bei dieser CNN-Übertragung dieses Mal, dass jeder Bürger die Möglichkeit hatte per selbst produziertem und bei YouTube.com hochgeladenem Video seine Fragen an die Präsidentschaftskandidaten zu platzieren.

Wer von den Präsidentschaftskandidaten letztlich als der einzige Bewerber der Partei fürs Präsidentenamt übrig bleibt, wird zwar "innerhalb" der jeweiligen Partei per Wahl bestimmt, aber jeder US-Bürger kann dennoch mitmachen bei dieser "parteiinternen" Wahl. Man muss dazu nicht "Mitglied" einer Partei werden. Parteimitglieder gibt es nämlich so gar nicht in den USA. Man muss sich nur für die Wahl registrieren lassen und schon kann jeder mitbestimmen, welcher Präsidentschaftskandidat es "innerhalb" der jeweiligen Partei schaffen soll, letztendlich als Präsidentschaftskandidat übrig zu bleiben. Deshalb ist eine Debatte der Präsidentschaftskandidaten der Demokraten auch für die ganze Bevölkerung (theoretisch) interessant und nicht nur für strikte Anhänger der Partei der Demokraten.

Das heißt im Prinzip, dass die US-Bürger nicht nur die Wahl zwischen zwei Kandidaten haben wie hier in Deutschland (einer von der SPD, einer von der Union, der zudem jeweils nur von den Parteimitgliedern intern als Kandidat bestimmt wird), sondern zwischen enorm vielen möglichen Kandidaten.

Es gibt also in den USA keinen solchen "Filter" in Form einer Partei zwischen Kandidaten oder später Amtsträgern und den Bürgern. In Deutschland hingegen spielt es weniger eine Rolle, ob einzelne Bürger die Amtsträger gut oder schlecht finden, es hat auch weniger Sinn, sich als Bürger direkt an einen Politiker zu wenden, denn letztlich bestimmt die Partei des Politikers die Marschrichtung und auch, ob einzelne Amtsträger im Geschäft bleiben oder nicht. Der direkte Kontakt zwischen Politiker und Wähler ist in Deutschland deshalb nicht so wichtig wie der gute Draht des Politikers zu einflussreichen Parteimitgliedern.

Anders in den USA. So ist auch das Einbinden von Fragen von Bürgern per YouTube-Video kein Pseudo-Schnickschnack.

Der Anachronismus unserer Parteiendemokratie in Deutschland wird beim Blick über den großen Teich immer schmerzlicher deutlich. Dort nutzen die Politiker die Möglichkeiten des Internets voll aus - weil sie es müssen - weil sie mit den Wählern ein echtes Gespräch führen müssen. Hierzulande wissen Politiker noch nicht einmal, was ein Browser ist und das Internet erscheint ihnen zu großen Teilen vor allem als ein Hort der Kriminalität.

Natürlich läuft in der Politik in den USA vieles zur Zeit mächtig schief. Damit meine ich nicht nur tagespolitische Vorkommnisse oder gar selbst solche Dinge wie den Irak-Krieg, sondern ich meine das auch hinsichtlich des politischen Systems. Das politische System der USA befindet sich zur Zeit nämlich auf Bundesebene auch in einer derben Schieflage. Die Macht der Exekutive war schon immer äußerst ausgeprägt in den USA. Sie hat aber in den letzten Jahrzehnten immer mehr zugenommen. Auf Einzelheiten will ich jetzt nicht eingehen. Aber es gibt in den USA anders als in Deutschland die berechtigte Hoffnung, dass solche Entwicklungen durch das politische System auch wieder selbst korrigiert werden könnten. Weil letztlich die Bürger ohne Filterung durch ein Parteiensystem entscheiden, wen sie zum Präsidenten oder zum Senator oder zum Abgeordneten wählen. Wenn den Bürgern die Machtfülle der Exekutive zu stark wird, dann wird dies auch irgendwann zu Konsequenzen führen. Notfalls machen die Bürger Druck auf die Senatoren und Abgeordneten im Repräsentantenhaus auch zwischen den Präsidentschaftswahlen.

In Deutschland jedoch spielt der Bürger kaum eine Rolle. Er darf statt Personen eigentlich nur ein kaum näher zu definierendes Etwas namens "Partei" wählen. Auch die Wahl der nicht via Parteiliste feststehenden Abgeordneten hilft hier wenig, denn auch sie werden sich eher nach Innen, also zur Partei hin orientieren, innerhalb der Partei versuchen, Unterstützung zu finden, als sich nach außen hin zu orientieren und vor allem auf Wählerwünsche einzugehen. Nachdem der Wähler seine Stimme abgegeben hat, kann so dieses Etwas namens Partei anschließend fast beliebig handeln. Auch weil die Parteien nicht nur die Regierung stellen, sondern auch die Legislative. Der einzelne Abgeordnete zählt kaum. Die Politik ist so für den Bürger nicht greifbar. Der Bürger kann nicht durchgreifen. Verantwortliche sind kaum zu benennen, vor allem in Koalitionen nicht. Eine Partei und erst Recht eine Parteien-Koalition ist wie eine Wolke, wie ein Nebel. Wer bestimmt die Richtlinien? Wer ist letztlich verantwortlich? Es sind die informellen Netzwerke in den Parteien, die die Fäden ziehen. Dieser Einfluss muss sich keineswegs an irgendwelchen offiziellen Parteiposten festmachen. Die Schwarzgeldkonten innerhalb der Union zeig(t)en dies überdeutlich.

Bisher erschien die Parteiendemokratie noch als einigermaßen erträglich. Aber mit dem Aufkommen des Internets und der Möglichkeit als einzelner Bürger unkompliziert sofort und direkt Gehör zu finden gegenüber einem Massenpublikum, erscheint die Parteiendemokratie als das, was sie eigentlich schon immer war: als ein Demokratie-Theater und nicht als wirkliche Volksvertretung. Denn jetzt wird offen sichtbar, dass das Fehlen von Kommunikation zwischen Politikern und Wählern in Deutschland nicht in technischen Schwierigkeiten und Hindernissen begründet lag. Vor Erfindung des Internets konnten Politiker und Bürger öffentlich nur indirekt über die Massenmedien miteinander "kommunizieren". Jetzt jedoch könnten deutsche Politiker in einem nie zuvor dagewesenem Ausmaß ganz direkt auf "ihre" Wähler zugehen. Sie tun es jedoch auch 14 Jahre nach Erfindung des nutzerfreundlichen "World Wide Web" nicht einmal ansatzweise so, wie dies technisch möglich wäre. Und es wird gerade im Vergleich zu den USA deutlich, dass diese Kommunikationsverweigerung deutscher Politiker kein technisches Problem ist, sondern eine Folge des politischen Systems in Deutschland ist, eine Folge der Parteiendemokratie ist. Die direkte Kommunikation mit dem Wähler ist in Deutschland nicht nötig, ja sie ist sogar hinderlich fürs eigene politische Fortkommen, weil sie zeitraubend ist, ohne dem Politiker als Ausgleich belastbare Legitimation bei seinem politischen Handeln zu verschaffen.

Die Parteiendemokratie gehört abgeschafft, weil ihre Akzeptanz durch die Offenlegung ihrer Defizite mittels der neuen Technologien enorm schwinden wird. Sie muss ersetzt werden durch eine direktere Form der Demokratie. Diese Forderung speist sich zu großen Teilen direkt aus den neuen Möglichkeiten des Internets. In dieser Forderung wird die eigentliche gesellschaftliche Sprengkraft des Internets sichtbar. Alles, was das Internet bisher verändert hat (Konsument wird zum Prosumer, Medien zu Partner ihrer Nutzer), war nur Vorgeplänkel.

Das Thema "Parteiendemokratie" beschäftigt mich immer mehr. Sie erscheint mir letztlich als der Grund vieler Probleme in Deutschland. Hier weitere Weblog-Einträge zum Thema:

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2 Kommentar(e):

Anonym hat gesagt…

Hi solon,

dann seien dir vllt diese bücher mal empfohlen:

Auf dem Weg in den Parteienstaat

Das System

VG, Daniel

Solon hat gesagt…

Hört sich sehr interessant an! Vielen Dank für den Tipp!